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kino<br />
Das Paradies und das Inferno. Über 50 Minuten des knapp anderthalbstündigen<br />
Films vergehen, bis sich am fernen Horizont ein Pilz<br />
entfaltet. Nichts hatte zuvor <strong>auf</strong> sein Erscheinen hingedeutet. Lange<br />
beobachtet Hänsel ihre Protagonisten – die Rekruten Moriaty, Massina,<br />
Da Maggio, die ihnen vorgesetzten Offiziere, den Schiffshund<br />
Giovanni – bei ihren alltäglichen Verrichtungen <strong>auf</strong> dem Schiff.<br />
Bis es mit einem Mal heißt: Brillen anlegen, in Deckung gehen und<br />
vom Licht wegdrehen. Als die Dampfsäule der Explosion sich in der<br />
Ferne in die Höhe bohrt, ist allenfalls ein sanftes Grollen zu hören.<br />
Aber nichts ist danach mehr so, wie es war. Diese Setzung der Nicht-<br />
Gleichgültigkeit gegenüber den Verheerungen einer Atombombenexplosion,<br />
und werde sie auch „nur“ zu Testzwecken durchgeführt,<br />
diese Rückholung des Schreckens aus zur Gewohnheit gewordener<br />
Verdrängung, diese Ernsthaftigkeit ist es, die Schwarzer Ozean letztlich<br />
ungewöhnlich macht.<br />
Für ihr Drehbuch adaptierte Hänsel zwei autobiografisch inspirierte<br />
Erzählungen Hubert Mignarellis, der sich als junger Mann<br />
freiwillig zur französischen Marine gemeldet hatte und <strong>auf</strong> dem Mururoa-Atoll<br />
eingesetzt war. Lange unterlagen die Ereignisse jener Zeit<br />
der Geheimhaltung, erst vor wenigen Jahren wurden die Akten, die<br />
sie dokumentieren, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Anlässlich<br />
der Premiere ihres Films 2010 bei den Filmfestspielen in Venedig<br />
meinte Hänsel in einem Interview, es sei ihr wichtig erschienen, eine<br />
Geschichte über diese nuklearen Tests zu erzählen. Nicht nur, weil in<br />
Frankreich kaum darüber geredet werde. Vor allem, weil sich Parallelen<br />
herstellen ließen zwischen den jungen Soldaten, die damals im<br />
Pazifik eingesetzt wurden, und jenen, die heute im Irak oder in Afghanistan<br />
Dienst tun. Jünglinge in jenem fragilen Alter an der Schwelle<br />
zum Erwachsensein, in dem das Bewusstsein von der Frage beherrscht<br />
ist, wie das Leben sich wohl gestalten und was die Zukunft bereit halten<br />
werde. Damals wie heute, so Hänsel, fänden diese Jungen sich<br />
ausgerechnet in dieser schwierigen psychologischen Phase in einer<br />
unübersichtlichen, schwer einzuschätzenden, kriegerischen Situation<br />
wieder und wüssten im Grunde nicht genau, warum sie dort seien, was<br />
eigentlich sie verteidigten und welche Waffen sie dabei einsetzten.<br />
Welche Brisanz dieser schlüssigen Überlegung im gegenwärtigen<br />
Kontext global eher verwalteter, denn befriedeter, in jedem Fall<br />
aber propagandistisch schön geredeter Krisenherde innewohnt, lässt<br />
sich daran ermessen, dass Hänsel für ihr Projekt zunächst Zusagen<br />
der Unterstützung seitens des französischen Verteidigungsministeriums<br />
sowie der Marine hatte. Diese wurden dann mit der Begründung<br />
zurückgezogen, das Drehbuch „gäbe die historische Atmosphäre und<br />
den Enthusiasmus der Mannschaften nicht akkurat wieder“. Hänsel<br />
– unwillig, sich vor den Rekrutierungskarren spannen zu lassen –<br />
drehte Schwarzer Ozean schließlich <strong>auf</strong> einem unter russischer Flagge<br />
fahrenden historischen Marineschiff vor Sardinien und Guadelupe,<br />
ein Veteran half ihr bei der Rekonstruktion der militärischen Rituale.<br />
In ihrem Werk beschäftigt sich die belgische Filmemacherin<br />
Marion Hänsel immer wieder mit der Relation zwischen Politik<br />
und menschlichen Beziehungen. Nie in Form oberflächlicher Kurzschlüsse<br />
oder simpler Darlegung vermeintlicher Ursache-Wirkungs-<br />
Muster. Erklärungen machen sich in Hänsels Filmen eher rar. Vielmehr<br />
setzt die Filmemacherin <strong>auf</strong> eine emotionale Mitwirkung ihres<br />
Publikums, <strong>auf</strong> dessen Bereitschaft, den Zusammenhang herzustellen<br />
zwischen Denken, Fühlen und Handeln ihrer Figuren, und diesen wiederum<br />
rückzubeziehen <strong>auf</strong> den jeweils gegebenen gesellschaftlichen,<br />
sozialen, politischen Kontext. Zuletzt 2006 in Als der Wind den Sand<br />
berührte (Si le vent soulève les sables), nach dem Roman „Chamelle“<br />
von Marc Durin-Valois, in dem sie einer afrikanischen Familie <strong>auf</strong> der<br />
Suche nach Wasser durch die Wüste und in den Schrecken militanter<br />
Auseinandersetzungen folgt. Oder in Dust (1985), der, beruhend <strong>auf</strong><br />
J.M. Coetzees gleichnamigem Roman, von den Gefühls- wie Machtverstrickungen<br />
zwischen abweisendem Vater, lediger Tochter und<br />
schwarzen Farmangestellten irgendwo in Südafrika handelt. Oder in<br />
Verschwörung der Kinder (Sur la terre comme au ciel, 1992), der davon<br />
erzählt, dass die Babys nicht mehr geboren werden, sondern lieber im<br />
Mutterleib sterben wollen, weil die Welt, die sie draußen erwartet, ein<br />
schrecklicher Ort ist. Immer gelingt es Hänsel, eine stark ausgeprägte<br />
emotionale Textur in ein nicht minder differenziertes soziopolitisches<br />
Biotop einzubetten, ohne plakativ oder manipulativ zu werden.<br />
Nüchternheit, Kraft, Schmucklosigkeit zeichnen Marion Hänsels<br />
Schaffen aus. Und eine Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit, die wohl auch<br />
Moriaty antreibt, das schweigsame Zentrum von Noir Océan.<br />
„Der, der es gewagt hat, den Fluss zu durchqueren, verdient ein<br />
gutes Leben!“ Dies hatte Moriaty sich einst versprochen, da war er<br />
noch ein kleiner Junge und querte als eine Art Mutprobe ganz allein<br />
einen eiskalten Fluss. Das Wasser stand ihm dabei bis zum Hals, seine<br />
Angst war groß und sein Glaube an sich selbst geriet ins Wanken.<br />
Aber er hat es geschafft und es bewiesen und das gute Leben würde<br />
Wirklichkeit werden – soviel war nunmehr ausgemacht zwischen<br />
ihm und mit wem auch immer kleine Jungen dergleichen Wetten<br />
eingehen. Dass Moriaty sich Jahre später in einer Situation wiederfindet,<br />
die ihn in einen zerstörerischen, vernichtenden, Schöpfungsverachtenden<br />
Kontext stellt, gegen den er sich nicht zur Wehr setzen<br />
kann, bricht ihm das Herz. Moriaty begreift sehr gut, dass er Verantwortung<br />
hat nicht nur für das, was er tut, sondern auch für das, was<br />
er bezeugt – in dem Fall: zu bezeugen gezwungen wird, eine Wunde,<br />
die der Erde geschlagen wird – und er ist untröstlich. Sein zwanzigster<br />
Geburtstag, den er gemeinsam mit Massina und Da Maggio <strong>auf</strong><br />
Landgang und am Strand verbringt, wird von ihm denn auch weniger<br />
gefeiert als vielmehr deprimiert zur Kenntnis genommen.<br />
Sie habe einen Film drehen wollen, sagt Hänsel, der zart sei wie<br />
der Atem eines Kindes und trotzdem <strong>auf</strong>geladen mit einer immer<br />
präsenten, unterschwelligen Gewalt. Also verstellt sie den Blick <strong>auf</strong><br />
ihre Figuren weder mit Klischees des Soldatischen noch mit wohlfeilen<br />
Vorstellungen von jungmännerhaftem Dr<strong>auf</strong>gängertum. Sie<br />
schafft stattdessen einen Raum, in dem der einzelne Charakter <strong>auf</strong><br />
subtile Weise aus der Ausschließlichkeit des militärischen Kontextes<br />
herausgeholt und vertieft wird – und dabei insgesamt doch<br />
skizzenhaft bleibt. Die üblichen Eckdaten konventioneller Charakterisierung<br />
fehlen; soziale Herkunft, Bildungsstand, Träume und<br />
Pläne bleiben Leerstellen. Auch darüberhinaus ist wenig Konkretes<br />
zu erfahren: Der übergewichtige Da Maggio, der von allen getriezt<br />
wird, ruft nachts im Schlaf nach seiner Mutter. Er schickt Fotos nach<br />
Hause, <strong>auf</strong> denen er sich wie ein Abenteurer in der großen weiten<br />
Welt präsentiert. Massina wurde von Giovanni zum Boss erwählt;<br />
einmal bekommt er Post, ein Buch voll Mathematik und einen Brief,<br />
der wider Erwarten nicht vorgelesen wird. Was hat es mit dem Buch<br />
<strong>auf</strong> sich? Wer schreibt? Ist es wichtig? Moriaty mag der Älteste der<br />
drei sein; er erzählt Massina von seiner Mutprobe, er reagiert <strong>auf</strong> das<br />
übermütige Kräftemessen der Kameraden und Da Maggios kindische<br />
Quälerei eines Kraken mit einer Mischung aus Enttäuschung und<br />
Verachtung. Alle drei werden sie im L<strong>auf</strong> des Films wie die Kinder in<br />
Tränen ausbrechen: Da Maggio, als er von den anderen beiden allein<br />
am Strand zurückgelassen wird. Massina, weil er eines Nachts das<br />
unschuldige Opfer eines gewalttätigen Angriffs wird. Moriaty, weil<br />
die angerichtete Zerstörung, deren Zeuge er wird, ihm wie Verrat am<br />
eigenen Leben vorkommt.<br />
So erscheinen Moriaty, Massina und Da Maggio als genau jene<br />
zarten, noch etwas ungebildeten, nicht ganz gefestigten Charaktere,<br />
die Jünglinge in ihrem Alter eben sind. Ihr Gefühlsleben ist komplexer<br />
als ihr Artikulationsvermögen. Ihr moralisches Empfinden mag<br />
diffus sein, aber es ist da. Es wohnt eine noch kindliche Unschuld in<br />
ihren Herzen, die sich zur Wahrhaftigkeit wandeln mag oder korrumpiert<br />
werden wird. Hänsel trifft über den Ausgang der Entwicklung<br />
ihrer Protagonisten, über deren Zukunft keine Aussage. Sie setzt aber<br />
Zeichen möglicher Bedrohung, indem sie Moriaty, Massina und Da<br />
Maggio in eine Umgebung stellt, deren hierarchische Strukturen,<br />
Mannbarkeitsrituale und mehr oder minder latente Konfliktträchtigkeit<br />
innere Verhärtung wie äußere Kontrolle erfordern. Sie entwirft<br />
einen vom Kriegerischen und von militärischer Disziplin determinierten<br />
Ort, der die eben erst entfaltete Sensibilität dieser jungen<br />
Menschen schon wieder zu ersticken droht. Die richtigen Worte wollen<br />
sich nicht mehr finden, die Sprache ist verschlagen – und sich einander<br />
mitzuteilen, ist ebenso schwierig wie überhaupt zu begreifen,<br />
was vorgeht und wie ihnen geschieht. s<br />
Schwarzer Ozean<br />
von Marion Hänsel<br />
BE/FR/DE 2010, 88 Minuten, französische<br />
OF mit deutschen UT<br />
Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />
Im Kino<br />
ab 7. Juni 2012<br />
8 9<br />
kino<br />
eDitiON SALZGeBeR (3)