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frisch ausgepackt frisch ausgepackt<br />
len darin eine Rolle. Auch lesbische Klischees<br />
nimmt Madeleine Olnek klug <strong>auf</strong>s Korn: Barr<br />
und Zylar stellen Lichtjahre von der Heimat<br />
entfernt fest, dass sie eigentlich ganz gut zusammen<br />
passen, wäre da nicht Zylars unverbesserlicher<br />
Hang zur Polygamie. Und dann ist<br />
da noch Erdling Jane, die hinterm Tresen eines<br />
New Yorker Schreibwarenladens verstaubt und<br />
von der großen Liebe träumt. Da kommt Zoinx<br />
gerade richtig. Wen stören schon Kiemen und<br />
ein extravaganter Tanzstil, wenn man endlich<br />
nicht mehr allein einschlafen muss?<br />
Lisa Haas, die schon als wandelnder Geldschein<br />
im schrulligen Kurzfilm Dyke Dollar<br />
amüsierte, gibt das Nerd Girl, als spiele sie sich<br />
selbst und nicht in einer Schwarzweiß-Komödie<br />
über Außerirdische. Die, ganz nebenbei,<br />
eine der charmantesten physischen Liebesbekundungen<br />
der Filmgeschichte serviert. Kultverdächtiges<br />
Zitat inklusive: „Du hast meine<br />
Nase so zärtlich berührt, dass die Haut sich<br />
geschält hat.“ (MS)<br />
SING! INGE, SING!<br />
De 2011, Regie: Marc Boettcher, edition Salzgeber<br />
„Es gab einen Star in<br />
Deutschland, den kennt<br />
heute niemand mehr.<br />
Eine Jazzsängerin, die<br />
nur eine kaum vorbereitete<br />
Platte machen konnte,<br />
eine Diva ohne Gefolgschaft.<br />
Jemand, der zur<br />
falschen Zeit am falschen<br />
Ort war, um es mit Cole Porter zu sagen (beide<br />
wussten, wovon sie sprachen). (…) Marc Boettcher<br />
fährt unglaubliches Material <strong>auf</strong>, um vom<br />
Leben der Inge Brandenburg zu erzählen, die<br />
Leinwand quillt über davon, sie muss manchmal<br />
geteilt werden, um alles unterzubringen.<br />
Jeder wichtige Augenblick ist dokumentiert,<br />
42<br />
das ganze Nachkriegsdeutschland zieht an einem<br />
vorbei, miefige Innenstädte, anständige<br />
Bürger, Musiker mit Brille, im Anzug. Irgendwann<br />
bellt Hitler, Bomben fallen <strong>auf</strong> Vietnam,<br />
in der linken Bildhälfte dreht sich Inges erste<br />
Single ‚Goody, goody!‘ Ein Band im Schlagerfilm<br />
<strong>auf</strong> Schlittschuhen. Das alles ein liebevoller<br />
Irrsinn, aus dem immer wieder Inge Brandenburgs<br />
blitzende Augen <strong>auf</strong>scheinen, ihr<br />
riesiger Mund mit den perfekten Zähne und<br />
ihre Stimme zu hören ist, neben der alles andere<br />
sofort stillsteht und <strong>auf</strong>horcht.“ (Jan Künemund<br />
in SISSY 11)<br />
SEChS MAL VErLIEBT<br />
CH/uK/Au/uS 2009–10, edition Salzgeber<br />
„Kann man mit ziemlich<br />
willkürlichen Vergleichen<br />
tatsächlich das Staunen,<br />
den Witz, die Verwirrung<br />
und das<br />
Angemacht-Sein beschreiben,<br />
dass mich hier<br />
in sechs verschiedenen<br />
Geschichten ergreift?<br />
Muss ich nicht einfach das Besondere erwähnen,<br />
das jede einzelne davon auszeichnet? Die<br />
durchgeknallte Fischi-in-den-1980ern-Szenerie<br />
in Franswa Sharl zum Beispiel oder die verstörende<br />
emotionale Zer ris senheit, die sich am<br />
Ende von L’Ami enthüllt, nachdem man zuerst<br />
eine nette kleine Gay-Teenie-Romanze zu sehen<br />
glaubte? Die Geschichte einer Erniedrigung,<br />
die sich am Ende als Kick entpuppt<br />
(Spring), die großartige Beziehung eines Jungen<br />
und seiner Mutter, die es beide nicht erwarten<br />
können, flachgelegt zu werden (Cappuccino),<br />
die glasklar in den Bildern<br />
durchgespielte Liebesbeziehung, die der Held<br />
durch sein unsicheres Geschwätz beinahe verhindert<br />
(Bedfellows), schließlich das erotische<br />
BARNSTEINER FILM<br />
PERNILLA AUGUST<br />
LUDWIG PALMELL<br />
HUANG HE RIVER<br />
MISS<br />
KICKI<br />
EIN FILM VON<br />
HÅKON LIU<br />
AB 26. JULI IM KINO<br />
Spiel zweier Nachbarn, das zur Katastrophe<br />
führt (Blokes)? Jetzt schreibt man hier gerne<br />
sowas wie ‚eine Reise durch …‘, ‚ein Mix aus …‘<br />
oder betont ein Spektrum oder eine Spannbreite.<br />
Ich kann nur einen Kinoabend empfehlen,<br />
der zwar aus unterschiedlichen Teilen besteht,<br />
der sechs Anfänge hat, sechs Pointen und<br />
sechs Helden, den man aber trotzdem nicht<br />
durch sechs teilen möchte. Dazu hat man am<br />
Ende zu viel erlebt. Im besten Fall: sich sechsmal<br />
verliebt.“ (Richard Garay in SISSY 12)<br />
JITTErS –<br />
SChMETTErLINGE IM BAUCh<br />
iS 2010, Regie: Baldvin Z, edition Salzgeber<br />
„Die ordentliche Welt der<br />
beiden Englischschüler<br />
aus Island gerät ins Zittern,<br />
als sie sich an einem<br />
Abend nach der Kneipe<br />
atemholend unter einem<br />
Baum zu küssen beginnen.<br />
Das Ganze ist unspektakulär,<br />
dauert nicht<br />
lange, vielleicht eine Bildstörung. Der Aufschlag<br />
dann, aus der dünnen Luft dieses Nicht-<br />
Ortes einer School of English lässt, zurück in<br />
Island, scheinbar <strong>auf</strong> sich warten. Jitters<br />
schwenkt <strong>auf</strong> die Freundesgruppe Gabriels, deren<br />
Mitglieder alle, ihn mit eingeschlossen, in<br />
ihren jeweiligen jugendlichen Sommerferienalltagen<br />
Ordnung ins Chaos ihrer Lebenszeit<br />
zu bringen versuchen. Zusammengefasst, hier<br />
handelt es sich um einen Film, für den Zuschauende<br />
zwischen, sagen wir, vierzehn und<br />
neunzehn Jahren sein sollten, damit der Spaß<br />
daran am größten ist – gleich, wie ernsthaft<br />
Chaos und Ordnung im Film erzählt werden<br />
(Filmeschauen darf nicht, sondern sollte nach<br />
Möglichkeit Spaß bereiten). Dafür wurde Jitters<br />
verdientermaßen ausgezeichnet. Seine<br />
www.barnsteiner-film.de<br />
Hauptfigur ist ein Held, der zwar scheinbar<br />
nichts mit Bruno’s ‚Superhelden‘ (‚mit Superausstattung‘)<br />
gemein hat, dafür wohl aber für<br />
eine Mehrheit aller jugendlichen Zuschauenden<br />
als Identifikationsfigur dienen kann. Ich<br />
bezweifele nur, dass die Mehrheiten in duftigen<br />
Betten eines kuscheligen Schlafzimmers<br />
ihre späte Adoleszenz verbringen, sei’s drum.<br />
Coming-Out ist in dieser Coming-of-age-Geschichte<br />
dezentral. Und gerade das macht Jitters<br />
zu einer spannenden Bildstörung, die vielleicht<br />
in Klassenzimmern ausgetestet werden<br />
sollte.“ (Biru David Binder in SISSY 11)<br />
BITE MArKS<br />
uSA 2012, Regie: Mark Bessenger, pro-Fun Media<br />
Man muss Trash schon<br />
sehr, sehr mögen und ein<br />
großer Fan von campen<br />
halbnackten Vamps sein,<br />
um an Bite Marks Freude<br />
zu haben. Wenn das gegeben<br />
ist, hat man an diesem<br />
Festival des schlechten<br />
Geschmacks allerdings<br />
einen Höllenspaß, egal wie hanebüchen die<br />
„Zwei schwule Trapper treffen einen Trucker<br />
mit 30 Untoten <strong>auf</strong> der Ladefläche, die ihnen<br />
nächstens <strong>auf</strong> einem einsamen Schrottplatz die<br />
Klamotten vom Leib reißen, um sie zu<br />
vernaschen“-Geschichte auch sein mag. Denn<br />
Regisseur und Drehbuchautor Mark Bessenger<br />
schenkt sich und seinen Darstellern nichts, bis<br />
nicht auch das letzte Bisschen cineastisches<br />
Leben aus Bite Marks verschwunden ist. Der<br />
Film will eine Komödie sein, ist allerdings nur<br />
unfreiwillig komisch, es sei denn man steht <strong>auf</strong><br />
kompletten Krawall und will seine Blutsauger<br />
absolut beknackt. Aber solche Leute soll es ja<br />
geben, wie sonst wäre der Erfolg der Twilight-<br />
Reihe zu erklären? Seufz. ps<br />
Triff uns <strong>auf</strong> dem CSD<br />
und <strong>auf</strong> www.iwwit.de<br />
BULLhEAD<br />
Be 2011, Regie: Michaël R. Roskam, Rapid eye Movies<br />
Um in der Logik des Gezeigten<br />
zu bleiben, müsste<br />
man jetzt sagen: Ein<br />
kraftvoller Film! Allein<br />
die Geschichte haut einen<br />
um: Auf abgeschiedenen<br />
flandrischen Weideställen<br />
wird der Natur mit<br />
Wachstumshormonen<br />
nach geholfen, eine <strong>auf</strong> den Handel damit spezialisierte<br />
Mafia macht Geschäfte und übt<br />
Druck aus, staatliche Behörden (die „Hormonjäger“)<br />
versuchen, die illegalen Netzwerke zu<br />
durchtrennen und schleusen ihre Spitzel ein.<br />
In diesem gewalttätigen und ziemlich dumpfen<br />
Milieu wird die Geschichte eines entmannten<br />
Jungen erzählt, der seiner eigenen Natur mit<br />
entsprechenden Substanzen nachhilft und dabei<br />
zum Stier wird. Ein Fest ist das für jede<br />
Genderforscherin, zumal die Männer in diesem<br />
Film nichts anderes zu interessieren<br />
scheint als ihre Männlichkeit, ob sie nun als<br />
Gangster, Bullen, Schwule, Flamen, Wallonen,<br />
Opfer, Mörder oder Schwachsinnige agieren.<br />
Aber ob der Film selbst Eier hat, ist die Frage.<br />
Phasenweise wirkt er selbst wie nach einer<br />
Hormonbehandlung, scheint mit einer künstlichen<br />
Muskelschicht über einer ziemlich<br />
schwachbrüstigen Haltung seinen eigenen Figuren<br />
und Themen gegenüber ausgestattet.<br />
Zeitlupen, Streicherorgien, <strong>auf</strong>geputschtes<br />
Schauspiel drücken ordentlich <strong>auf</strong> die Tube,<br />
wo man sich eigentlich an den vernachlässigten,<br />
aber geheimnisvollen Landschaften und<br />
der unglaublichen Hauptfigur, die Matthias<br />
Schoenaerts so gebrochen verkörpert, satt sehen<br />
möchte. (Die schönste Szene: der Rinderzüchter<br />
in der Parfümerie). Am Ende ist das<br />
natürlich (?) eine Geschmacksfrage. Schoena-<br />
erts wurde gleich danach vom nächsten Regisseur<br />
des Testosteron-Arthauskinos engagiert<br />
– Jacques Audiards (Der Prophet) Film Rust<br />
And Bone hatte gerade in Cannes Premiere. Da<br />
geht’s nicht um Rinder, sondern gleich um<br />
Wale. Think bigger. jk<br />
LUCIAS rEISE<br />
it/ AR 2010, Regie: Stefano pasetto, pro-Fun Media<br />
Die Figuren in dieser Girlmeets-Girl-Konstellation<br />
könnten kaum unterschiedlicher<br />
sein: Die lebenslustige<br />
Lea, die in einer<br />
tristen Hühnerfabrik<br />
arbeitet, kein Geld hat,<br />
um ihr undichtes Dach zu<br />
reparieren und sich doch<br />
über jede noch so schwierige Situation mit einer<br />
witzigen Bemerkung rettet. Und Stewardess<br />
Lucia, Gattin eines reichen Arztes, die lebt<br />
wie im goldenen Käfig. Oberflächlich hat sie<br />
alles, was das Herz begehrt, doch eine Fehlgeburt<br />
und ein Selbstmordversuch machen deutlich,<br />
dass ihr Mann zwar Geld, aber kein Gehör<br />
für ihre Probleme hat.<br />
Über das Klavierspiel kommen die beiden<br />
Frauen sich näher. Lucia, deren Arzt ihr dringend<br />
rät, zu lachen und das Leben zu genießen,<br />
gibt Lea Unterricht und lässt sich nach anfänglichem<br />
Fremdeln von ihrer Impulsivität anstecken.<br />
Aus Freundschaft wird Sex, wie als Abschiedsgruß<br />
von Lea, deren Traum von einem<br />
Job als Meeresbiologin in Südamerika plötzlich<br />
erfüllt wird. Kurzerhand reist die Klavierlehrerin<br />
ihr hinterher – und muss feststellen,<br />
dass Leas Freiheitsstreben größere Folgen hat,<br />
als ihr lieb ist.<br />
In Lucias Reise steht die Liebesbeziehung zwischen<br />
zwei Frauen nicht im Mittelpunkt, sie ist<br />
nur der Katalysator eines größeren Selbstfin-