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Neu auf DVD! - Sissy

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dvd<br />

gute alte<br />

hipsterschule<br />

von JAn küneMund<br />

„er war schwul, er nahm Drogen, er erschoss seine Frau und<br />

er sah nicht allzu gut aus.“ Diese Steilvorlage in indirekter<br />

Schmährede von john Waters macht sich der porträtfilm<br />

„William S. Burroughs – A Man Within“ zum programm, um<br />

Nostalgikern und unwissenden den ultimativen schwulen<br />

Rebellen und Antispießer der modernen Literatur vorzustellen.<br />

Wir können nicht anders, als in diesen Heldengesang<br />

einzustimmen. On the Road, à la recherche du temps perdu,<br />

sozusagen<br />

s Auf einer gymnasialen Studienfahrt Anfang der 90er (neun Tage<br />

Paris), drückte mir mein Heterofreund, der damals <strong>auf</strong> Lou Reed<br />

und Velvet Underground stand, „Naked Lunch“ von Burroughs in die<br />

Hand. Schon <strong>auf</strong> der Hinfahrt im Bus fing ich an zu lesen. Später lasen<br />

wir beide das Buch laut vor, damit auch unser Zimmergenosse, der<br />

Sitzenbleiber aus der Hippiefamilie, was davon hatte. Während die<br />

Mädchen aus der Klasse nach Eurodisney wollten, zu Dönald Döck,<br />

verließen wir das unromantische Hostel im chinesischen Viertel, um<br />

um 11 Uhr morgens in einem Kellerkino am Centre Pompidou Trash<br />

von Warhol/Morrisey zu sehen, danach wahlweise den toten Jim<br />

Morrison oder den toten Oscar Wilde zu besuchen und jeden Mittag<br />

im gleichen Imbiss einer alten Vietnamesin schlecht zu essen. „Naked<br />

Lunch“ half uns sehr bei diesem Alternativprogramm. Mein Heterofreund<br />

wollte danach Schriftsteller werden. Das Hippiekind Drogen<br />

nehmen. Und ich schwulen Sex haben. Das war alles so schnell<br />

vor Ort nicht umsetzbar.<br />

Aber Freiräume taten sich <strong>auf</strong>, Gegengifte zum westdeutschen<br />

Kleinstadtleben zwischen Mathe-Dreiminus und Jägermeistercolaparties,<br />

Ahnungen, was das ultimativ Gegensätzliche zu den Anforderungen<br />

des noch überschaubaren Lebens sein könnte. Ich jedenfalls<br />

„studierte“ gerade schwule Sexszenen bei Genet und Pasolini<br />

und hatte dadurch einen erweiterten Literaturbegriff. Und Glück mit<br />

meinen Heterofreunden, denn ansonsten las man ja damals eher den<br />

schrecklichen Bukowski. Und so lag über unserer pubertären Studienfahrt<br />

also plötzlich der knarzende Ton des Beat-Literaten William<br />

S., der von Parasiten faselte, das Bewusstsein und die Sprache<br />

erweitern wollte, Jungs jagte und <strong>auf</strong> alles einen ziemlichen Hals<br />

hatte. Inspiriert davon landeten wir drei sehr bewusst in einer Pariser<br />

Schwulenbar mit nackten Kellnern, wo meine Heterofreunde ziemlichen<br />

Spaß hatten, Cocteauzeichnungen an den Wänden betrachteten<br />

38<br />

und kostenlos ausliegende Kondome einsteckten, während ich mir<br />

Burroughs-Lookalikes mit schlechten Zähnen und schlechtem Atem<br />

vom Hals hielt, denn ich war jung und hatte noch keinen Respekt vor<br />

dem Alter. Vielleicht doch erst noch ein bisschen lesen und dann was<br />

in die Praxis umsetzen, überlegte ich, während meine Heterofreunde<br />

knutschten.<br />

Ich kann diese nostalgische Erinnerung mühelos einarbeiten<br />

in das Annäherungsgewebe des Burroughs-Films von Yony Leyser,<br />

in dem sich diverse Menschen, denen Burroughs beim Anders- und<br />

Dagegen-Sein half, versuchen, einen Reim <strong>auf</strong> diesen unmöglichen<br />

Menschen zu machen und der Regisseur wiederum Bilder dafür<br />

sucht. Fantastisches Material hat er zu bieten: sachliche Waffen-<br />

und Schlangenhändler, wehmütige Freunde, lebenskluge Tunten,<br />

exaltierte Biografen wundern und spreizen sich, das hört gar nicht<br />

mehr <strong>auf</strong>, Genesis P-Orridge schürzt raunend große rote Lippen,<br />

Patti Smith singt ein Schlaflied und alle reden vom schlechten Sex<br />

und den guten Drogen des William S. Burroughs. Pope of Dope, King<br />

of Punk, Shotgun Artist. Held der Gegenkultur. Heiliger der Misfits.<br />

Gay Rights Movement? Burroughs war keinen Tag im Leben „gay“<br />

und niemals Teil einer Bewegung. Das war besser als die nervigen<br />

Hippies wie Ginsberg, findet John Waters. Und doch sind die Szenen<br />

zwischen Ginsberg und Burroughs das Berührendste am ganzen<br />

Film: „Warst du eigentlich mal sexuell an mir interessiert?“ – „Nein.“<br />

– „Aber ich war doch mal ganz süß!“ …<br />

Auf der Rückbank im Bus nach Hause, wahrscheinlich <strong>auf</strong> der<br />

Périphérique, die letzten Seiten, so laut, dass der Französischlehrer<br />

es hören konnte: „Eine dröhnende Woge von Presslufthämmern in<br />

der purpurbraunen Abenddämmerung, vergiftet vom fauligen metallischen<br />

Gestank der Abwässer … die jungen Gesichter der Arbeiter<br />

verschwimmen in der gelben Aura von Karbidlampen … geborstene<br />

Rohre ragen aus der Erde … Sie krempeln mal wieder die Stadt um.“<br />

Und jetzt? „Howl“ wird verfilmt als schlecht animierte Zensuranklage.<br />

Ausgerechnet Walter Salles dreht On The Road. Und Burroughs<br />

kriegt einen Erinnerungsfilm. Noch immer scheinen gegenkulturell<br />

interessierte Jugendliche Beatliteratur im Gepäck zu haben.<br />

Mein Heterofreund, der Schriftsteller werden wollte, hat später<br />

mal Drehbücher für Sat.1 geschrieben und organisiert jetzt alternative<br />

Stadtführungen. Über die Drogenkarriere des Hippies weiß ich<br />

nichts. Und ich schreibe über einen Film über Burroughs. s<br />

william S. Burroughs –<br />

a Man within<br />

von Yony Leyser<br />

US 2010, 87 Minuten, englische OF<br />

mit deutschen UT<br />

<strong>auf</strong> dVd bei <strong>Neu</strong>e Visionen,<br />

www.neuevisionen.de<br />

dvd<br />

39<br />

<strong>Neu</strong>e ViSiONeN

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