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dvd dvd<br />
frühreif in<br />
dänemark<br />
von dino heicker<br />
Der dänische Coming-Out-Film „Freunde für immer“ („Venner for altid“) verursachte<br />
1987 einen ziemlichen Wirbel in der internationalen Festivalszene. unter anderem<br />
waren eine eurovision-Song-Contest-teilnehmerin und ein Handballprofi in recht<br />
offenherzigen Sexszenen mit ziemlich jungen Männern zu sehen. 25 jahre später<br />
kommt dieser verhinderte Klassiker der queeren Filmgeschichte endlich <strong>auf</strong> VHS raus.<br />
Quatsch … <strong>auf</strong> <strong>DVD</strong> natürlich.<br />
s Wieder so eine Herausforderung im Auftrag der SISSY: Ich<br />
bekomme eine Videokassette zugeschickt und kann mich erst einmal<br />
<strong>auf</strong> die Suche nach einem geeigneten Abspielgerät machen. Glücklicherweise<br />
gibt es in meinem Bekanntenkreis noch Männer mit dem<br />
nötigen Equipment. Nachdem nun der <strong>DVD</strong>-Player aus- und der<br />
Videorekorder eingestöpselt ist, kann die Kassette ihrer Bestimmung<br />
zugeführt werden. Auf der Hülle prangt ein handschriftlicher Vermerk<br />
in rot: „Mutter! Nicht rausgeben!“ Na, wenn das nicht verheißungsvoll<br />
klingt! Schauen wir also mal, was diese Mutter aller Videotapes<br />
so über die Zeiten gerettet hat.<br />
Zu Beginn des Films Freunde für immer kommt ein junger Mann<br />
neu an eine Schule. Zur Begrüßung fliegt ihm <strong>auf</strong> dem Pausenhof<br />
ein gelber Tennisball an den Kopf. Ein properer Blondschopf hat ihn<br />
geworfen, der lacht, nicht unfreundlich. Der <strong>Neu</strong>e verzieht keine<br />
Miene. Sein Name: Kristian Malmquist (Claus Bender Mortensen),<br />
Ort der Handlung: Dänemark, genauer Kopenhagen, Zeit: 1987.<br />
Als Kristian versucht, sich an der neuen Schule zurechtzufinden,<br />
gerät er in einen Zwiespalt. Da ist zum einen die Clique um den Schulhofrabauken<br />
Patrick (Thomas Sigsgaard), zum anderen der Einzelgänger<br />
Henrik (Thomas Elholm) mit Pferdeschwanzfrisur, der sich<br />
in Tai Chi übt und den die Klassenkameraden als Schwuchtel verspotten.<br />
Zwar fühlt sich Kristian zunächst zu Henrik hingezogen,<br />
hat aber Angst, er könne durch sein Faible für den gemobbten Mitschüler<br />
selbst zum Außenseiter werden. Also schließt er sich immer<br />
stärker Patrick und seinen Kumpeln an. Deren Gespräche drehen sich<br />
hauptsächlich um Mädchen beziehungsweise den Sex, den die Jungs<br />
in aller Regel noch nicht hatten, was sie aber nie zugeben würden.<br />
Ein schöner Effekt des Films ist, dass sich letztlich nicht der<br />
zu allem Überfluss auch noch als Fotomodell jobbende Henrik als<br />
schwul herausstellt, sondern der kerlige Patrick. Er ist es, der in Stefan<br />
Henszelmans Film Kristians Freund für immer wird, und die beiden<br />
jungen Männer entdecken zur selben Zeit die Liebe – der eine<br />
hetero-, der andere homosexuell.<br />
Wer heute an Dänemark denkt, hat häufig ein in sexuellen Dingen<br />
liberales Land vor dem geistigen Auge: Porno (in welcher Form auch<br />
immer) und Dänemark waren für die 1970er-Jahre quasi Synonyme.<br />
Das hatte mit der Gesetzgebung des Landes zu tun, in dem Pornografie<br />
1969 freigegeben wurde, was dazu führte, dass bis Mitte der<br />
1970er Jahre beinahe ein Drittel aller dänischen Filme mit Soft- oder<br />
Hardcoreszenen <strong>auf</strong>warteten. Doch so unverklemmt ging man dortzulande<br />
mit Sexualität nicht immer um, schon gar nicht, wenn es sich<br />
um Homosexualität handelte.<br />
So hat der berühmte dänische Schriftsteller Herman Bang seine<br />
eigene homosexuelle Veranlagung beziehungsweise das durch die<br />
gesellschaftliche Stigmatisierung derselben hervorgerufene Leiden<br />
in seinen Werken mehrfach chiffriert thematisiert. Ein Beispiel<br />
dafür ist sein Roman „Michael“ von 1904, in dem ein älterer Maler<br />
sein junges Modell Michael derart verehrt, dass er ihm jede neue Enttäuschung<br />
großherzig verzeiht, ja ihm schließlich sogar sein gesamtes<br />
Hab und Gut vermacht. In diesen Roman flossen nicht zuletzt<br />
eigene schmerzliche Erfahrungen des Autors mit einer schwulen Liebesbeziehung<br />
ein, die ihn mit dem jungen Schauspieler Fritz Boese<br />
verbunden hatte. Doch Bang beließ es nicht nur bei der literarischen<br />
Camouflage seines Begehrens. Anno 1909 machte sich der Schriftsteller<br />
expressis verbis „Gedanken über das Sexualitätsproblem“. Dieser<br />
gemeinsam mit seinem Berliner Arzt Max Wasbutzki <strong>auf</strong> Deutsch<br />
verfasste Text sollte, so Bangs Forderung, nach seinem Tod in einer<br />
ärztlichen Zeitschrift erscheinen. Nach jahrelangen Streitereien<br />
mit den Erben des 1912 verstorbenen Schriftstellers erschien der<br />
Text 1922 in einem <strong>auf</strong> sexualwissenschaftliche Texte spezialisierten<br />
Verlag in Bonn, während er in Dänemark erstmals 1957 in einer<br />
,Erotischen Anthologie‘ veröffentlicht wurde. Darin heißt es unter<br />
anderem: „Größeres wird der homosexuelle Dichter leisten können,<br />
wenn eine Zeit kommen wird, wo er seine Gefühle direkt auszudrücken<br />
wagt; wenn er die jetzt nötige Verkleidung überhaupt <strong>auf</strong>geben<br />
könnte, würde er erst die volle Ursprünglichkeit und die vollkommene<br />
Stärke seines Talents entfalten können.“ Dass diese Möglichkeit<br />
zu Bangs Lebzeiten nicht bestand, versteht sich von selbst. Es sollte<br />
aber noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein dauern, bis zumindest<br />
in Europa und Nordamerika die Möglichkeiten für schwule Künstler<br />
vorhanden waren, einigermaßen offen mit ihren Gefühlen umzugehen<br />
und diese kreativ umzusetzen. Bei dieser Entwicklung spielten<br />
nicht zuletzt auch skandinavische Filmemacher von Anfang an eine<br />
wichtige Rolle. So drehte beispielsweise der schwedische Regisseur<br />
Mauritz Stiller 1916 den Film Vingarne, der heute Anspruch dar<strong>auf</strong><br />
erheben kann, einer der ersten Filme mit (dezent) schwuler Thematik<br />
zu sein. Vorlage zu dem nur noch fragmentarisch erhaltenen Streifen<br />
war Bangs Roman „Michael“. Carl Theodor Dreyer, einer der größten<br />
dänischen Regisseure, sollte dann acht Jahre später für die deutsche<br />
Ufa diesen Stoff nach einem zusammen mit Fritz Langs Gattin Thea<br />
von Harbou verfassten Drehbuch neu verfilmen, Walter Slezak spielte<br />
damals den begehrten jungen Mann.<br />
Dass die Verhältnisse in den 1980er-Jahren in Dänemark für<br />
schwule Männer besser, jedoch keineswegs perfekt waren, auch das<br />
macht Freunde für immer deutlich. Das dem Film vorangestellte englische<br />
Motto „Innocence is no excuse“ ist Programm. So reagiert der im<br />
doppelten Sinne ,unschuldige‘ Kristian – anfangs ist er ebenso unberührt<br />
wie unbedacht – hochgradig verstört, als sein bester Freund<br />
Patrick vor seinen Augen mit dem älteren Mads knutscht. Letzterer<br />
wird übrigens von dem Handballprofi und Olympioniken Morten Stig<br />
Christensen dargestellt. Prompt rückt Kristian von seinem Freund ab<br />
und lässt sich <strong>auf</strong> einen One-Night-Stand mit einer reifen Sängerin<br />
(Lill Lindfors) ein, die ihn <strong>auf</strong> ihrem Hotelzimmer vernascht. Auch<br />
damit verweist der Film <strong>auf</strong> Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit:<br />
1976 war in Dänemark das Schutzalter für männliche Jugendliche<br />
<strong>auf</strong> 15 Jahre gesenkt worden, wovon eben nicht nur schwule<br />
Männer profitierten.<br />
Und dass bei aller Liberalität der Gesetzgebung die gesellschaftliche<br />
Wirklichkeit für Schwule in Dänemark Ende um 1985 durchaus<br />
noch so ihre Diskriminierungen bereithielt, wird ebenso wenig<br />
verschwiegen. Auf einer Veranstaltung zur beruflichen Orientierung<br />
outet sich Patrick vor der versammelten Schülerschaft. Auf die allgemein<br />
gehaltene Frage nach besonderen Qualifikationen lautet seine<br />
Antwort, er sei schwul. Prompt gerät der Referent ins Stottern und<br />
die Schuldirektorin löst die Versammlung kurzerhand <strong>auf</strong>. Immerhin<br />
führt dieser Vorfall bei Kristian dazu, sich mit Patrick zu solidarisieren<br />
und eine Flugblattaktion <strong>auf</strong> die Beine zu stellen, um das Fehlverhalten<br />
der Schulleiterin öffentlich zu machen. So ist seine Freund-<br />
schaft mit Patrick zwar gerettet, doch wie es mit seinem Verbleib<br />
an der Schule aussieht, bleibt offen. Indem alle Darsteller in bunten<br />
Kostümen <strong>auf</strong> einer Bühne im Park gemeinsam ein Lied anstimmen,<br />
endet der Film einigermaßen surrealistisch im Stil der Musikvideos<br />
jener Zeit.<br />
Für einen kurzen Augenblick ist in diesem fröhlichen Treiben<br />
auch Regisseur Henszelman zu sehen, dessen erster Spielfilm Freunde<br />
für immer war. Zwei Jahre zuvor hatte der Absolvent der dänischen<br />
Filmhochschule, die er zeitgleich mit Lars von Trier besucht hatte,<br />
mit dem Kurzfilm Try To Remember <strong>auf</strong> sich <strong>auf</strong>merksam gemacht,<br />
seiner Examensarbeit, die 1985 auch <strong>auf</strong> der Berlinale vorgestellt<br />
wurde. Sein zweiter, 1989 gedrehter Spielfilm Dagens Donna sollte<br />
dann einmal mehr homoerotische Verwicklungen zum Inhalt haben,<br />
wobei hier zwei liebende Frauen im Mittelpunkt standen. Im selben<br />
Jahr war Dänemark dann auch weltweit das erste Land, das gleichgeschlechtliche<br />
Partnerschaften zuließ. Henszelman blieb jedoch keine<br />
Zeit für weitere Filme, er starb am 2. Oktober 1990 im Alter von 31<br />
Jahren an den Folgen von Aids. s<br />
freunde für immer<br />
von Stefan Henszelman<br />
DK 1986, 94 Minuten, dänische OF<br />
mit deutschen UT<br />
ab august <strong>auf</strong> dVd<br />
bei der Edition Salzgeber,<br />
www.salzgeber.de<br />
36 37<br />
eDitiON SALZGeBeR (2)