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Neu auf DVD! - Sissy

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kino<br />

kein wirklicher Künstler (dafür sei er einfach<br />

nicht selbstbewusst genug), als relativ typischen<br />

schwulen Mann in der zweiten Hälfte<br />

des 20. Jahrhunderts. Wagnerverehrung<br />

passt zu Frys Persönlichkeitsbild wie der<br />

Arsch <strong>auf</strong> den sprichwörtlichen Eimer. Dass<br />

er sich die Frage stellt, ob er das überhaupt<br />

darf, was er da doch längst macht, ist nur ein<br />

weiterer Beleg dafür, dass er sich das eigene<br />

Leben ständig von außen bestätigen lassen<br />

muss. Emanzipiert ist anders.<br />

Damit mich niemand missversteht: Ich<br />

verehre Stephen Fry, zutiefst. Ohne Wilde,<br />

Peter’s Friends, Kingdom, seine Romane, seine<br />

Zusammenarbeit mit Hugh Laurie und vieles<br />

andere aus seinem umfangreichen Werk wäre<br />

mein Leben und das vieler, vieler anderer<br />

Menschen deutlich ärmer. Er ist, auch wenn<br />

er das nicht gerne hören würde, selbst ein<br />

komisches Genie und einer der wichtigsten<br />

schwulen Männer der letzten 50 Jahre, künst-<br />

lerisch und für die Bewegung. Nur macht ihn<br />

das eben nicht unfehlbar. Und Wagner & Me<br />

ist ein Fehler, und zwar ein großer. Weil die<br />

Fragestellung so falsch ist. Wie so oft sollte sie<br />

nicht lauten: „DARF ICH als Jude (und schwuler<br />

Mann) etwas tun (zum Beispiel Wagner<br />

hören)?“, womit man die Beweislast bei sich<br />

ablädt und selbstzerfleischend eine Antwort<br />

finden muss, sondern: „Hat etwas (zum Beispiel<br />

Wagner) mir als Jude (und schwulem<br />

Mann) ETWAS ANZUBIETEN, das mein<br />

Leben bereichert?“, was einen dazu führen<br />

kann, die Filetstücke von Wagner benutzen<br />

zu dürfen, weil es Spaß macht, und den Rest<br />

in den Fleischwolf der Geschichte werfen zu<br />

können. Frys Frage erlaubt es ihm letztendlich<br />

nicht, Wagners Leben vom Zuhörer, also<br />

sich selbst, zu trennen, weil die Beweiskette<br />

„Wagner = Antisemit = untauglich für Juden“<br />

in ihr schon enthalten ist. Das ist schade, aber<br />

macht auch nichts.<br />

FiLM KiNO text (2)<br />

Denn wer von Wagner keine Ahnung<br />

hat, kann Wagner & Me auch als kleines Fry-<br />

Festival der guten Laune gucken. Wenn er<br />

durch <strong>Neu</strong>schwanstein stolziert und Ludwig<br />

II bescheinigt, „den bizarrsten Fanbrief der<br />

Welt“ gebaut zu haben, wenn er Eva Wagner<br />

<strong>auf</strong>lauert und sie ihm sagt: „I think that’s all<br />

just happening in your own head, dear Stephen“,<br />

wenn er, während sie flieht, beseelt in<br />

die Kamera lächelt und sagt: „I just touched<br />

a Wagner, I really did“, und an 50 anderen<br />

Stellen, wird eine kindliche Sehnsucht spürbar,<br />

die man in jemandem, der <strong>auf</strong> die 60<br />

zugeht, nicht vermuten würde. Wagner ist<br />

Stephen Frys Boyband. Und seine Verehrung<br />

für den bösen, alten Mann genauso schlicht<br />

und deswegen untauglich für tiefere Analysen<br />

wie die vieler anderer schwuler Männer<br />

für Joe McIntyre oder Marky Mark. Dass er<br />

es trotzdem versucht, gereicht ihm zur Ehre,<br />

ist aber eigentlich völlig unnötig, weil Fry<br />

nur versucht, Wagner für sich mundgerecht<br />

zu machen, ihn „reinzuwaschen“ von Hitler<br />

und den Juden und allem, was damit zusammenhängt.<br />

Das versuchen Fans jetzt seit 60<br />

Jahren, die ernsthafte wissenschaftlich historische<br />

Auseinandersetzung mit dem Phänomen<br />

füllt längst Regale. Und ist immer von<br />

der einen Haltung geprägt: Ja, Wagner war<br />

Antisemit, aber doch nicht wirklich oder nur<br />

ein bisschen, und er war damit im 19. Jahrhundert<br />

in Europa ja weiß Gott nicht alleine,<br />

und das hat doch mit der Musik alles nichts<br />

zu tun, und er war ja lange tot, als Auschwitz<br />

<strong>auf</strong>gemacht hat, und eigentlich ist ja Cosima<br />

die Böse und Orff und Strauß waren ja auch<br />

nicht besser und werden auch in Israel<br />

gespielt, und das ist doch alles lange her, und<br />

das geht dann tausende Seiten lang relativierend<br />

so weiter. Geschenkt. Wagner war Antisemit.<br />

Er hat „Das Judenthum in der Musik“<br />

1950 unter Pseudonym veröffentlicht und 20<br />

Jahre später unter eigenem Namen noch einmal,<br />

nur in verschärfter Form, er hatte genau<br />

solche jüdischen Freunde wie Ronald Reagan<br />

oder Bush jr. schwule Freunde haben, und die<br />

Wirkungen lassen sich von den Hebeln eben<br />

nicht trennen, ohne dass man die Maschine<br />

kaputt macht. Wagner & Me ist ein Lehrstück<br />

darin, dass man sich nicht wundern<br />

darf, wenn man als Letzter gebissen wird,<br />

wenn man die alten, schlafenden Hunde der<br />

Geschichte weckt und versucht, ihnen neue<br />

Tricks beizubringen. s<br />

wagner & Me<br />

von Stephen Fry<br />

GB 2010, 89 Minuten, englische OF<br />

mit deutschen UT<br />

Film Kino Text, www.filmkinotext.de<br />

Im Kino<br />

ab 21. Juni 2012<br />

der Moment<br />

SchriftSteller Sehen filme: thomaS Böhme<br />

Der 1955 in Leipzig geborene Lyriker, Romancier, essayist und<br />

Fotograf thomas Böhme ist ein begeisterter Kinogeher. in seinen<br />

Gedichten beschäftigte er sich schon mal mit Fassbinder, in<br />

seinem Roman „Der Schnakenhascher“ wird sogar eine erotische<br />

Begegnung mit „Flipper“ geschildert. in unserer literarischen Rubrik<br />

nähert sich Böhme einigen Momenten aus Visconti-Filmen in<br />

Gedichtform.<br />

Die Bühne Luchino Viscontis ist voll von Trauernden.<br />

Doch tragen sie ihre Trauer wie Purpurmäntel<br />

und lüpfen ihre Strohhüte unter Baldachinen<br />

und schweren, mit Kerzen bestückten Lüstern<br />

deren Wachs ihnen über die Stirn rinnt.<br />

Die lautlosen Schritte <strong>auf</strong> Teppichböden<br />

die hallenden über Steinfliesen und gewachstes Parkett<br />

sind Schritte der Einsamkeit. Und dem Aroma<br />

aus zerl<strong>auf</strong>ener Schminke und heißem Begehren<br />

ist immer schon etwas Modergeruch beigemischt.<br />

Wenn der trunkene König die Bühne betritt<br />

stolpernd über die braunen Jungs von der SA<br />

drängen von Ferne das Rauschen der Ballkleider<br />

der Fischweiber wirres Gekeife und die Schüsse<br />

eines Exekutionskommandos hinein in den Saal.<br />

Wenn der Monsun den faulen Atem der Cholera<br />

über den Strand weht, eine Bettelcanzone den Abend erstickt<br />

fällt das verspätete Aufschauen von einer schlampig<br />

gefalteten Zeitung, fallen die bitteren Brillengläser<br />

der ewig Ungestillten demnach kaum ins Gewicht.<br />

der Schnakenhascher<br />

von Thomas Böhme<br />

Edition Cornelius, Halle 2010<br />

heikles handwerk<br />

von Thomas Böhme<br />

Gedichte, Poetenladen Verlag,<br />

Leipzig 2010<br />

101 asservate<br />

von Thomas Böhme<br />

Connewitzer Verlagsbuchhandlung,<br />

Leipzig 2012<br />

32 33<br />

film-flirt

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