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Neu auf DVD! - Sissy

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kino<br />

Wagner,<br />

eine Boyband<br />

von pAul Schulz<br />

Der englische entertainer Stephen Fry überlegt sich in „Wagner and me“, ob er als<br />

jude eine „Ring“-inszenierung in Bayreuth sehen darf und macht dabei <strong>auf</strong> amüsante<br />

Weise alles falsch. im Kino ab 21. juni.<br />

30<br />

FiLM KiNO text<br />

s Vor drei Jahren hat die schottische Band Chumbawamba <strong>auf</strong><br />

ihrem Album „ABCDEFG“ ein Lied veröffentlicht, das „Wagner at<br />

the Opera“ heißt. Es erzählt die wahre Geschichte davon, wie sich<br />

ein älterer Herr mit einer Nummer <strong>auf</strong> dem Arm während der Aufführung<br />

eines Streichquartetts von Richard Wagner in einem israelischen<br />

Opernhaus im Jahr 2000 <strong>auf</strong> seinen Stuhl stellt und solange<br />

eine Rassel schwingt, bis Sicherheitskräfte ihn an den Füßen aus dem<br />

Saal schleifen. Die letzte Strophe des Liedes geht so:<br />

For everyone we lost<br />

I swing the rattle loud and long<br />

I swing it ’til I drown out<br />

All the music and the songs<br />

This tattoo will last forever<br />

And my memory is long<br />

Here’s to no more playing Wagner at the opera<br />

Seit der „Reichskristallnacht“ 1937 war es lange Zeit verboten, Wagners<br />

Musik in Israel öffentlich <strong>auf</strong>zuführen und es ist immer noch ein<br />

Tabubruch. Der Grund ist einfach: Richard Wagner war ein Antisemit.<br />

Er hat das Wort „Judenfrage“ erfunden, als erster eine mögliche<br />

„Endlösung“ postuliert und mit als Musikwissenschaft getarnten<br />

Hetzschriften wie „Das Judenthum in der Musik“ und „Deutsche<br />

Kunst und Deutsche Politik“ schon im 19. Jahrhundert den ideologischen<br />

Nährboden gelegt, mit dem seine Landsleute 80 Jahre später<br />

jüdische Massengräber zusch<strong>auf</strong>elten. Wagner hat laut und öffentlich<br />

darüber nachgedacht, ob man seinen sehr viel erfolgreicheren<br />

jüdischen Kollegen Meyerbeer „nicht einfach beseitigen“ könne, um<br />

„wahrer deutscher Kunst“ Platz zu machen. Er war, streng ideologisch<br />

gesehen, ein echtes Schwein, ein narzisstisches, verblendetes Monster,<br />

das von seinem eigenen Genie so überzeugt war, dass er bis weit in<br />

seine 50er warten konnte, um es sich selbst und allen anderen endlich<br />

zu beweisen. Denn nachdem er schon andere reiche GönnerInnen um<br />

Teile ihres Vermögens und oft auch um einen Großteil ihres Anstands<br />

gebracht hatte, fand Wagner in Ludwig II. endlich einen Bewunderer,<br />

dessen Taschen tief genug waren, um seine gigantischen Träume<br />

zu finanzieren. Dann Bayreuth, Villa Wahnfried, der Ring, Hitler<br />

pro und Nietzsche contra, blah, alles hinlänglich bekannt. Im ersten<br />

Jahrzehnt des neuen Jahrtausends ist der Grüne Hügel der Ort, an<br />

dem sich das wallende Dekolleté der Kanzlerin und die Verklemmtheit<br />

des Außenministers Gute Nacht sagen, der Inbegriff bürgerlicher<br />

Spießigkeit, die es sich leistet, die jungen Wilden einzufliegen, um sie<br />

den alten Meister inszenieren zu lassen und dann zu buhen oder Tränen<br />

des stillen Dankes zu vergießen, weil man nach fünf Stunden <strong>auf</strong><br />

unbequemen Stühlen endlich wieder <strong>auf</strong>stehen darf.<br />

Wie Sie, liebe Leser, vielleicht schon merken: Ich hasse Wagner.<br />

Das was andere „Überwältigungsmusik“ nennen, gibt mir das Gefühl,<br />

jemand würfe mir über Stunden immer größer und immer schwerer<br />

werdende Torten ins längst wunde Gesicht und hätte eine diebische<br />

Freude daran. Wagner-Libretti gehören zum Miesesten, was man in<br />

sogenanntem Deutsch überhaupt lesen kann. Wo andere überschwellende<br />

Wortkaskaden ins emotional Bodenlose stürzen sehen und sich<br />

einfach mitreißen lassen, schreie ich nach einem, oder besser gleich<br />

mehreren, Lektoren. Wo manche ein sturmgelocktes Genie sehen,<br />

sehe ich einen ekelhaften, missgünstigen Zwerg, der sich bei nichts<br />

und niemandem in seinem Leben je beherrscht hat und Glück genug<br />

hatte, nützliche, meistens relativ kaputte Idioten zu finden, die ihm<br />

seinen Irrsinn zu Lebzeiten bezahlten, um den nach seinem Tod noch<br />

zum Kult auszubauen. Wäre Wagner ein Roman, er hätte 6000 wirre<br />

Seiten und niemand würde ihn lesen, weil man so viel selbstverliebtes<br />

Gerede eben überhaupt nur mit musikalischer Untermalung aushält.<br />

Ich kenne niemanden, der Wagner wirklich verehrt, von dem ich<br />

nicht finde, dass er in Therapie gehört. Wagner ist Folter und Men-<br />

schen, die Wagner lieben, lassen sich gerne foltern. Womit wir bei<br />

Stephen Fry wären.<br />

Denn der hat einen Dokumentarfilm gedreht, der Wagner & Me<br />

heißt, in dem er ein paar hoch interessante Fragen <strong>auf</strong>wirft: Darf man<br />

als Jude – und Fry ist einer – Wagner lieben? War Wagner überhaupt<br />

ein Antisemit? Hat Hitler Wagner einfach nur falsch verstanden?<br />

Lässt sich ein künstlerisches Werk von seinem Verursacher trennen?<br />

Meine Antwort <strong>auf</strong> all diese Fragen ist in der Reinfolge: Ja, Ja, Nein<br />

und noch nicht, Fry macht es sich nicht ganz so einfach. Allerdings<br />

offenbart der einzig wahre Erbe von Peter Ustinov in anderthalb<br />

Stunden unabsichtlich, dass auch er in seiner Liebe zu Wagner vernünftigen<br />

Argumenten längst nicht mehr zugänglich ist, besonders<br />

nicht den eigenen. Was den Film zu einem spannenden, aber letztendlich<br />

gründlich schiefgegangenen Experiment macht.<br />

Von vorn: Fry spaziert – ganz der schwule, englische Bonvivant<br />

– über den Grünen Hügel, berichtet von seinen ersten, frühen Begegnungen<br />

mit Wagners Musik und der daraus resultierenden Verehrung,<br />

möchte gern endlich auch eine Wagner-Oper am Ort ihrer Entstehung<br />

sehen, besucht schüchtern die Proben, schüttelt erschüttert<br />

die Hand der Festivalleiterin und fragt sich und den Zuschauer die<br />

ganze Zeit, ob er als Jude hier sein darf oder ob er dabei die Seinigen<br />

verrät. Das ist süß, aber auch ein bisschen peinlich. Weil Fry so gern<br />

fry spaziert – ganz der schwule, englische<br />

Bonvivant – über den grünen hügel<br />

kino<br />

dazugehören möchte, dass er eine Swastika und das Bild ermordeter<br />

Juden in der neuen Ring-Inszenierung zu einer ernsthaften Auseinandersetzung<br />

mit dem antisemitischen Gehalt von Wagners Schriften<br />

hochjazzt; weil er sich im Wesentlichen nur Protagonisten sucht,<br />

die ihm in seiner Sinnsuche zustimmen; weil er nach Nürnberg fährt,<br />

wo er versucht, Hitler und Wagner auseinander zu dividieren, sich<br />

aber gleichzeitig nicht traut, die Führerkanzel zu betreten, von der<br />

Hitler Wagner-Aufführungen abnahm; weil er sich in Russland einen<br />

Regisseur sucht, der ihm natürlich sagt, Wagner sei universell, nicht<br />

deutsch; weil er KZ-Überlebende besucht, die im Lager im Orchester<br />

arbeiten mussten und sie fragt, ob denn da auch Wagner gespielt<br />

worden sei; weil er zum Schluss vor der Wagner-Büste in Bayreuth<br />

beschließt, Wagners Musik sei, Wagner hin oder her, eben doch „On<br />

the side of the angels“ und grundgut. Grundgütiger! Man schämt<br />

sich als Außenstehender hinlänglich für so viel Naivität, bewundert<br />

Fry aber auch ein bisschen für sein Beharren <strong>auf</strong> dem gewünschten<br />

Ergebnis, egal, was so gesagt wird. Und fragt sich immer lauter,<br />

warum er dabei so einen Bogen um seine Sexualität macht.<br />

Denn aus dem zweiten Band seiner Memoiren „The Fry Chronicles“<br />

kann man erfahren, dass es sein erster Freund war, der Frys<br />

„Wagner education“ vervollständigte, indem er ihn eine Woche nach<br />

London einlud, in der sie gemeinsam den Ring sahen. „A life changing<br />

event“ nennt unser Stephen das. Ich wage das anzuzweifeln.<br />

Ich glaube, dass viele schwule Männer – und Fry ist einer – Wagner<br />

deshalb lieben, weil er so gut in ihr Leben passt. Ohne allzu sehr<br />

psychologisieren zu wollen: Wagner muss sich hier seinen Platz gar<br />

nicht suchen und dabei raumgreifend die Ellenbogen ausfahren: Das<br />

Gefühl, nicht dazuzugehören, die riesige emotionale Leerstelle, die<br />

nach Auffüllung schreit, der Hang zum Überschwang, das Bedürfnis,<br />

einer verschworenen Gemeinschaft anzugehören, es ist bei vielen<br />

von uns alles schon da. So auch bei Fry, den man als smarten, unfassbar<br />

gebildeten Fortsatz von Oscar Wilde und als „the smartest living<br />

Englishman“ (The Guardian) sehen kann, aber in seinen Selbstentäußerungen,<br />

seiner Drogensucht, seinem komplizierten Sexleben, seinem<br />

Hang zu Bonmot und ständiger Ironisierung, seiner Schüchternheit<br />

und der permanenten Behauptung, er sei eben bloß Entertainer,<br />

31

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