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Neu auf DVD! - Sissy

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kino<br />

„Jetzt!“<br />

interview: JAn küneMund<br />

Vier jahre lang hat Diana Näcke den schwierigen Weg zweier gefangener Frauen<br />

in die Freiheit mit der Kamera verfolgt. immer wieder war sie allein in der „jVA für<br />

Frauen“ in Berlin-Lichtenberg und hat für „Meine Freiheit, deine Freiheit“ so intime<br />

Bilder aus einem Frauenknast gedreht wie kaum jemand zuvor. Zwangsläufig ist<br />

ihr Film, der gerade sehr erfolgreich <strong>auf</strong> Festivals läuft und am 31. Mai ins Kino<br />

kommt, auch ein philosophischer exkurs zum thema Freiheit an sich geworden. im<br />

folgenden interview erzählt Diana Näcke von ihren persönlichen erfahrungen und den<br />

nerven<strong>auf</strong>reibenden Dreharbeiten.<br />

SeBAStiAN NOACK<br />

sissy: Bist du mit einer bestimmten (Film-)Idee in den<br />

Knast gegangen oder kanntest du deine Protagonistinnen<br />

vorher?<br />

diana näcke: Nein, das war Zufall. Ich war für ein anderes<br />

Projekt im Knast und habe diese beiden Frauen gesehen,<br />

die haben mich dann nicht mehr losgelassen. Ich<br />

habe meine eigene innere Wut, die Zerrissenheit und<br />

Unruhe bei diesen beiden Frauen gesehen, aber eben<br />

nicht nur bei ihnen, sondern auch in dem, was man<br />

schnell als ‚die andere Seite‘ bezeichnet, bei den Beamten,<br />

die sie wegschließen müssen. All das trägt man in<br />

sich, diese beiden Seiten. Ich habe Antworten gesucht<br />

<strong>auf</strong> das, was uns Menschen antreibt, wo Verantwortlichkeiten<br />

liegen. Aber ich habe begreifen müssen, dass Verantwortung<br />

genau so ein Konstrukt ist wie Freiheit. Es<br />

existiert faktisch nicht, es gibt nur ein Gefühl dazu, eine<br />

Einstellung, ein Moment, ein Verhalten. Salema hat sich<br />

vor meinen Augen einmal einen Goldenen Schuss gesetzt.<br />

In solchen Situationen reicht das Nachdenken über Freiheit<br />

nicht mehr, da stehst Du eben mittendrin und hasst<br />

dieses Konstrukt und Dich dafür, dass Du Freiheit selbst<br />

als allumfassend wahrnimmst und den Menschen, der<br />

Dir gerade gesagt hat: „Lass mich sterben, das ist meine<br />

Freiheit und ich will, dass Du das filmst.“ Aber man kann<br />

doch einen Menschen nicht einfach so sterben lassen.<br />

Ich habe Hilfe geholt, danach hat Salema sechs Wochen<br />

nicht mehr mit mir gesprochen. Das passt gar nicht alles<br />

in diesen Film. Den Wahnsinn Dokfilm, vier Jahre lang<br />

und dann erst mal zwei Jahre lang ohne Geld, nimmst Du<br />

nicht <strong>auf</strong> Dich, wenn Du nicht einen eigenen ganz ganz<br />

starken inneren Antrieb hast.<br />

Du hast dich <strong>auf</strong> Kübra und Salema konzentriert. Wofür<br />

stehen sie für dich?<br />

Es waren Kübra und Salema, die mich von Anfang an<br />

begeistert haben und die für einen Dokumentarfilm<br />

wichtige Offenheit mitbrachten. Die beiden stehen allerdings<br />

für viele dieser Frauen, die einfach das Pech hatten,<br />

in eine so krasse Biografie hineingeboren zu werden.<br />

Was nicht heißen soll, jeder mit krasser Biografie wird<br />

kriminell. Es geht nicht darum, ihre Straftaten zu rechtfertigen.<br />

Ich wollte einfach verstehen, wo der Punkt war,<br />

wo man den Bezug verliert, wann man in den Abgrund<br />

springt, der Moment, wo einem alles scheißegal wird.<br />

Ob solche Dinge auch klare Entscheidungen sind und vor<br />

allem, durch was sie beeinflusst werden. Dieses System<br />

Knast macht Dich kaputt, es hilft Dir nicht. Kübra hat<br />

mal gesagt: „Was passiert denn? Die Tür geht zu für vier<br />

Jahre, aber wenn Du rauskommst, bist Du noch derselbe<br />

Mensch, wenn nicht sogar schlimmer …“ Und trotzdem<br />

gibt es da auch noch mehr, man lacht da auch …<br />

Wie intensiv hast du in diesen drei Jahren an dem Film<br />

gearbeitet? Wie sahen die Produktionsbedingungen aus?<br />

Oh je, das war krass. Hätte ich am Anfang gewusst,<br />

was das heißt, hätte ich – glaube ich – nicht angefangen.<br />

Als ob man in einen Strudel gerät. Andres Veiel hat<br />

mich mal eine Dokwütige genannt, er war in der Jury<br />

des Bayrischen Dokumentarfilmwettbewerbes, wo ich<br />

einen Preis für das Treatment gewonnen habe. Ich hab<br />

damals nicht verstanden, was er meint, weil das normal<br />

für mich war, mich so durchzuboxen. Er hat es liebevoll<br />

gemeint, in Anlehnung an seinen Film Die Spielwütigen,<br />

eine Bezeichnung für jemanden, der extrem für das, was<br />

er macht, brennt, mit voller Leidenschaft dabei ist, die<br />

aber auch gewisse Gefahren in sich birgt. Man kann sich<br />

nämlich verlieren, vor allem <strong>auf</strong> der Gratwanderung zwischen<br />

Nähe und Distanz. Du lernst bei so einem Film fürs<br />

Leben. Danach kannst Du fast alles stemmen. Wie auch<br />

immer, ich habe mein Saxophon verk<strong>auf</strong>t, meine Taucherausrüstung,<br />

meine Gitarre, alles, was ich an Wert hatte,<br />

um mir Kamera- und Tonequipment besorgen zu können.<br />

Ich hatte keine Ahnung von Ton und keine Ahnung von<br />

Kamera, geschweige denn von Szenen-Auflösung. Ich<br />

musste einfach drehen. Und ich wusste, dass viel passieren<br />

wird. Kübra hat mich manchmal nachts angerufen<br />

und gesagt: „Jetzt!“ Und dann musste ich eben los, egal<br />

wann und egal wie. Da kannst Du nicht noch einen Tonmann<br />

oder eine Kamerafrau anrufen. Und es gab eben<br />

kein Geld. Und wenn man realistisch ist, wer gibt einem<br />

Debüt-Filmemacher ohne Filmschulhintergrund Geld?<br />

Alle Entscheidungen waren aus heutiger Sicht richtig.<br />

Das gedrehte Material hat dann überzeugt, vor allem die<br />

Kraft der beiden Protagonistinnen und wahrscheinlich<br />

auch meine Dokwütigkeit, zuerst die Produktionsfirma,<br />

dann das ZDF.<br />

Aber das Schönste dabei ist: Kübra und Salema lieben<br />

den Film und sie sind stolz <strong>auf</strong> ihn. Sie haben sonst nichts,<br />

<strong>auf</strong> das sie stolz sind, zumindest bis zu diesem Moment.<br />

Sie kriegen das erste Mal im Leben Respekt für das, was<br />

sie sind. Kübra hat den Film im Knast anschauen müssen<br />

und ihn regungslos verfolgt. Am Ende hat sie sehr<br />

geweint, weil sie drei Jahre ihres Lebens an sich vorbeiziehen<br />

gesehen hat und ihr Bild von sich verändern<br />

musste.<br />

In dem Film sieht man einen sehr offenen Umgang mit<br />

Drogen innerhalb des Gefängnisses. War das eine Offenheit<br />

dir gegenüber oder sind Drogen dort wirklich so präsent?<br />

Es ist so: In jedem Knast dieser Welt gibt es Drogen. Vor<br />

allem aber da, wo drogenabhängige Frauen sitzen. Die<br />

JVA Lichtenberg ist der größte Frauenknast Berlins,<br />

in dem vor allem drogenabhängige Frauen ihre Strafen<br />

verbüßen müssen. Das heißt, diese Frauen finden <strong>auf</strong>grund<br />

des enormen Suchtdrucks immer wieder Wege,<br />

Drogen illegal in den Knast zu schmuggeln. Ich habe<br />

ihre Kreativität, was das betrifft, zur Genüge kennen<br />

gelernt. Natürlich ist das illegal, nur wird die Knastleitung<br />

dieses Problems nicht Herr. Trotzdem hat sich die<br />

Knastleitung entschieden, Spritzenautomaten zu installieren,<br />

um zumindest die Hepatitis-C- und HIV-Infektionsgefahr<br />

einzudämmen. Das wird oft angegriffen. Ich<br />

finde das aber richtig und gut. Aber die Frauen dürfen<br />

natürlich nichts reinschmuggeln und auch nichts besitzen,<br />

geschweige denn Drogen konsumieren. Das ist ein<br />

Paradox. Natürlich gibt es auch Sanktionen und Anzeigen<br />

gegen sie. Ich wollte das nicht im Film zum Thema<br />

machen, das kann eine Reportage besser. Deshalb habe<br />

ich es subtil erzählt und das Spritzen in der Zelle wie<br />

26 27<br />

kino

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