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Neu auf DVD! - Sissy

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ahmenhandlung<br />

dete bei den Teddy Awards 2012 in Berlin „queer“ als Sammelbegriff<br />

(Umbrella Term) für alles, was nicht heterosexuell ist. Und auch in<br />

der Filmbranche scheint der Begriff eher diffus als Label verwendet<br />

zu werden – für LGTB und das Andere im Film, das Nicht-Heterosexuelle<br />

– all das <strong>auf</strong> Kosten seines eigentlich subversiven Potentials.<br />

Der Filmkritiker Lukas Foerster gibt zu, das Wort auch „manchmal<br />

als Synonym [für „schwul“, „lesbisch“ etc., — Red.] zu verwenden“.<br />

Er sehe jedoch, dass es nicht deckungsgleich sei. Wenn der Begriff<br />

also als Umbrella Term verwendet wird, ist „queer“ in der Mitte der<br />

Gesellschaft angekommen. Doch keine Avantgarde?<br />

Marc Siegel, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Goethe-<br />

Universität Frankfurt und Mitbegründer des Künstlerkollektivs<br />

CHEAP, bei dem Lukas Foerster schon mal ein Queer-Cinema-<br />

Seminar besucht hat, beschreibt „queer“ als ein „Infragestellen der<br />

Fixiertheit von Identitätspositionen.“ Für ihn hat „queer“ etwas mit<br />

Begehren, sexueller Begierde, Fantasien zu tun, aber ebenso mit<br />

sozial-politischer Identifikation und auch mit der Bereitschaft – so,<br />

wie Queer-Theoretikerin Eve Kosofsky Sedgwick es mal formuliert<br />

hat – sich selbst als „queer“ zu bezeichnen, und dabei die eigene<br />

fixierte Identität zu hinterfragen. „Queer“ ist mehr als die Repräsentation<br />

des Anderen, es geht über eine Abgrenzung von Heterosexualität<br />

hinaus, stellt Dichotomien wie männlich/weiblich und<br />

homo/hetero in Frage und erschöpft sich somit nicht in einem reinen<br />

Sichtbar-Machen.<br />

In Amerika wurde das Wort „Queer“ als Schimpfwort verwendet.<br />

In den neunziger Jahren wurde der Begriff im akademischen und<br />

politischen Diskurs resignifiziert und neu bewertet (reclaiming) – im<br />

Zuge einer Selbstermächtigung mit dem Wunsch verbunden, sich der<br />

Opferrolle zu entziehen – der Slogan dazu: „We’re here, we’re queer,<br />

get used to it!“<br />

In dem anonymen Manifesto von „Queer Nation“ vom Juni 1990<br />

mit dem Titel „Queers Read This“ steht: „Gay ist gut. Es hat seinen<br />

Platz. Aber wenn viele Lesben und Gay-Männer morgens <strong>auf</strong>wachen,<br />

fühlen wir uns wütend und angeekelt, nicht gay. […] Die Verwendung<br />

von ‚queer‘ ist ein Weg, uns daran zu erinnern, wie wir vom Rest der<br />

Welt wahrgenommen werden.“ Queer Nation verwendete vor allem<br />

das Wort als listige und ironische Waffe, die die „Queers“ von den<br />

Homophoben stehlen könnten, um sie gegen sie zu verwenden. Auch<br />

heute noch wird „queer“ gerade in der Wissenschaft kritisch diskutiert.<br />

Wenn B. Ruby Rich von „New Queer Cinema“ spricht, scheint sie<br />

auch von einem „Old Queer Cinema“ auszugehen – also einem queeres<br />

Kino vor 1990. In den Sechzigern wurde so etwas wie eine Untergrund-Film-Bewegung<br />

sichtbar. Selbstverständlich gab es schon<br />

davor Filme, die als „queer“ zu beschreiben wären – wie Kenneth<br />

Angers Fireworks (1947). Doch vor allem das filmische Schaffen Andy<br />

Warhols ist von zentraler Bedeutung. In seinem Werk Flesh (1968) ist<br />

ein Mann Sexualobjekt, in Kitchen (1965) hinterfragt er die Positionen<br />

Weiblichkeit und Männlichkeit, in Blowjob (1964) spielt er mit dem<br />

Genre der Pornographie: Ein Mann wird oral befriedigt und das – so<br />

der Mythos – von einem anderen Mann.<br />

Ähnliches gilt für Jack Smith, der mit Warhol eng verwurzelt<br />

war. Sein einziger vollendeter Film Flaming Creatures (1963) ist sinngebend<br />

für das „Queer Cinema“. Smith sprengt jegliche Konventionen<br />

des Kinos, lässt sich nicht festlegen, will es auch nicht. Nichts ist<br />

greifbar, die Sexualität der Performer_innen nicht mehr identifizierbar.<br />

Die Geschichte fast schon zweitrangig. Es entsteht was <strong>Neu</strong>es,<br />

Anderes, das vor allem ästhetisch und formal interessant ist.<br />

Laut dem Buch „Now You See It“ des Filmwissenschaftlers<br />

Richard Dyer lassen sich vor allem zwei Strategien des Sichtbar-<br />

Machens nicht-heterosexueller Utopien im Kino definieren: Die Konfrontationsfilme<br />

und Affirmationsfilme.<br />

Die Konfrontationsfilme spielen mit den klassischen Repräsentationsformen,<br />

wie zum Beispiel Rosa von Praunsheims Nicht der<br />

24<br />

Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt (1971)<br />

oder Frank Ripplohs Taxi zum Klo (1980), der für seine Zeit unglaublich<br />

explizit von schwulem Sex erzählt. Ähnliches gilt für Rainer<br />

Werner Fassbinders letzten Film Querelle (1982), einen Film über<br />

sexuelle Begierde.<br />

Die Affirmationsfilme stehen ebenfalls den gängigen normativen<br />

Geschlechterbildern und Familienmodellen kritisch gegenüber,<br />

unterliegen aber den gängigen Konventionen des Erzählkinos. Es<br />

geht um die positive Zuschreibung, positive LGTB-Bilder im Kino,<br />

vereinfacht um Repräsentanz. Hierzu zählen auch viele der Coming-<br />

Out-Filme, die um Verständnis für ihre homosexuelle Figuren warben<br />

und Nicht-Heterosexuellen zeigen sollten, dass sie nicht alleine<br />

sind.<br />

Vor allem der Affirmations-Strategie wurde durch das „New<br />

Queer Cinema“ eine Absage erteilt. Rotzige, punkige, experimentelle<br />

Bilder von schwulen und lesbischen Bösewichtern, Virenträgern und<br />

Serienkillern waren wenig mainstreamtauglich, schufen durch ihren<br />

Erfolg aber neue Independent-Strukturen, die wiederum schnell in<br />

den Mainstream integriert wurden.<br />

Und heute? Was passiert in der Ära des Post-„New Queer<br />

Cinema“? Reicht das Sichtbar-Machen nicht? Mittlerweile scheint<br />

das „Andere“ fern der Heterosexualität sehr präsent zu sein. Schwule<br />

und Lesben tauchen in jeder Soap-Opera <strong>auf</strong> und können gar Hauptfiguren<br />

in Filmen sein, oder etwa nicht? „Gut, dass es in Filmen sichtbar<br />

wird. Nur dieses zwanghafte ‚Wir wollen das auch‘ – das ist ähnlich<br />

wie mit der Homo-Ehe. Ich habe kein Problem damit, aber man<br />

müsste die Ehe an sich in Frage stellen“, sagt Maccarone.<br />

Der Regisseur Travis Mathews arbeitet gegen die gängigen<br />

Regeln von klassischen Pornos. Seine Filme erzählen eine Geschichte<br />

und arbeiten nicht <strong>auf</strong> den Orgasmus hin – trotzdem sind sie roh,<br />

explizit. „Meine Filme I Want Your Love und In Their Room resultieren<br />

aus einer Frustration über den Zustand des Gay Cinema und<br />

wie die Darstellungen darin nichts über mein Leben aussagt. Es ging<br />

erst mal um Präsenz – darunter litten aber oft die Produktion und die<br />

Geschichte“, sagt Mathews.<br />

Offenbar unterscheidet Mathews hier zwischen „Queer“ und<br />

„Gay“ Cinema, wobei „Gay Cinema“ dann auch bei ihm eher die<br />

Affirmationsfilmen meint. „In den letzten zwanzig Jahren hatte ich<br />

das Gefühl, dass es den Geschichten an Authentizität mangelt. Es<br />

gab Aids-Filme, Coming-Out-Filme, und dann kam das neue Queer<br />

Cinema“, sagt er.<br />

Für ihn ist das Erzählen einer Liebesgeschichte politisch, die<br />

gerade nicht Probleme mit der Suche nach der sexuellen Identität<br />

thematisiert. „Verpflichtet zu sein, eine historische Geschichte über<br />

Aktivismus, Aids oder Coming-Out zu machen, ist sehr defensiv“,<br />

meint Mathews. Er zeigt hingegen die alltäglichen Probleme, die<br />

Männer mit Sex und Beziehungen haben. Seine Figuren sind dreidimensional<br />

und haben hohen Identifikationswert.<br />

Ähnliches gilt für Andrew Haighs und seinen Film Weekend<br />

(2011), der die Geschichte zweier Männer nach einem One-Night-<br />

Stand erzählt. Dass die Männer scheitern, liegt nicht an ihrer Homosexualität<br />

oder an einer homophoben Gesellschaft, sondern an verschiedenen<br />

Beziehungsmodellen. Sowohl Haigh als auch Mathews<br />

eint ihre Affinität zur dokumentarischen Form. Beide machen nicht<br />

die sexuelle Identität zum Thema, sie wird vorausgesetzt, nicht problematisiert<br />

und schon gar nicht tabuisiert. Hier liegt das „Queere“ in<br />

der Verweigerung des Identitätsdiskurses.<br />

Während vor allem Weekend in der englischsprachigen Presse<br />

Anerkennung fand, blieb es in Deutschland bei vereinzelten Rezensionen<br />

– ähnliches gilt für Mathews’ Filme. Offenbar herrscht hierzulande<br />

immer noch die Idee von einer Art Nische. Queeres Kino, schön<br />

und gut, doch sollen die Filme <strong>auf</strong> ihren eigenen Festivals l<strong>auf</strong>en, die<br />

Kritiken in den eigenen „Special Interest“-Magazinen stehen und der<br />

Vertrieb im eigenen Verleih l<strong>auf</strong>en.<br />

rahmenhandlung<br />

Die „Vernischung“ des „Queer Cinema“ ist vielleicht eins der<br />

größten Probleme heutzutage. Es sorgt auch dafür, dass viele Regisseure_innen<br />

nach ein oder zwei „queeren“ Filmen das Sujet (wenn<br />

man davon sprechen mag) wechseln und sich in den Mainstream<br />

werfen. Das beste Beispiel hierfür ist der amerikanische Regisseur<br />

John Cameron Mitchell, der nach Hedwig & The Angry Inch (1998)<br />

und Shortbus (2006) mit Rabbit Hole (2010) in Hollywood angekommen<br />

ist.<br />

Auch Geld ist ein Problem: Oft entstehen queere Filme unter katastrophalen<br />

finanziellen Bedingungen. Die „queeren“ Regisseure_<br />

innen suchen nach neuen Modellen der Bezahlung. Mathews ließ sein<br />

Spielfilm von einer Pornofirma finanzieren, und um sein Dokureihe<br />

In Their Room – London zu drehen, griff er <strong>auf</strong> Crowdfunding zurück.<br />

Natürlich tauchen von Zeit zu Zeit Filme auch in Hollywood <strong>auf</strong>,<br />

die Homosexuelle als Hauptfiguren zeigen, siehe Milk (2008) oder<br />

Brokeback Mountain (2005). In beiden Fällen änderte sich das Rezeptionsverhalten<br />

und auch die Kritiker-Resonanz deutlich. Das gleiche<br />

gilt für Tom Tykwers Film Drei (2010), der von einem Ehepaar<br />

erzählt, das sich in den gleichen Mann verliebt. Die Kritik durchweg<br />

positiv, überschlug sich vor Freude, lobte Tykwers Mut, eine solche<br />

Geschichte zu erzählen.<br />

Aber sind Drei, Brokeback Mountain oder Milk queere Filme? Sie<br />

alle überschreiten keine gegenwärtigen filmischen Grenzen – weder<br />

in der Narration noch in der Ästhetik. Das Sichtbar-Machen hier ist<br />

reine Repräsentanz von queeren Inhalten, aber noch lange nicht progressiv.<br />

Was diese drei Beispiele zeigen, ist, dass das konventionelle<br />

Erzählkino offenbar über ein Zeigen von LGTB-Inhalten nicht hinaus<br />

kommt.<br />

Doch „Queer Cinema“ kann mehr. „Queer Cinema hat die Möglichkeit,<br />

die Darstellung von Gender und Sexualität neu zu denken“,<br />

sagt Marc Siegel. Ist das auch mit einer klassischen Narration möglich?<br />

„Es passiert meistens im Avantgardekino“, meint er. Wichtig sei,<br />

dass die Narration des Films nicht dar<strong>auf</strong> gerichtet sei, eine schwules<br />

oder lesbisches Subjekt am Ende <strong>auf</strong>zubauen, oder durchgehend zu<br />

porträtieren. Anstelle eindeutiger Identitäten könnten stattdessen<br />

perverses Begehren stehen oder einzelne Aspekte aus der queeren<br />

Kultur.<br />

Für B. Ruby Rich war das „New Queer Cinema“ „ein Moment,<br />

keine Bewegung.“ Doch queeres Kino muss mehr sein als nur einem<br />

Moment verhaftet oder ein Zusammenspiel diverser und zufällig<br />

<strong>auf</strong>einander treffender Faktoren – es muss über den Zeitgeist hinaus<br />

gehen.<br />

Wenn der queere Film nur ein Sichtbar-Machen der verschiedenen<br />

sexuellen Identitäten und Lebensformen ist, verliert er seinen<br />

rebellischen Charakter. Dennoch muss queeres Kino präsent sein,<br />

weil es vor allem das eigene Medium und dessen Konventionen sprengen<br />

kann. Dafür müsste das „Queer Cinema“ immer experimentell<br />

sein. Kein „Queer Cinema“ ohne Avantgarde? s<br />

--enrico<br />

Ippolito ist Volontär bei der taz. wieland Speck wird zwischen<br />

dem 7. und 17. Februar 2013 eine neue Berlinale-Panorama-Ausgabe mit<br />

einer großen Anzahl queerer Filme präsentieren. angelina Maccarones<br />

experimentelles Dokumentarfilmporträt der Schauspielerin Charlotte<br />

Rampling („The Look“) ist gerade <strong>auf</strong> <strong>DVD</strong> erschienen. Lukas foerster<br />

ist Redakteur der Filmkolumne „Im Kino“ <strong>auf</strong> perlentaucher.de, die<br />

jeden Mittwoch zwei aktuell startende Kinofilme vorstellt. Marc Siegel<br />

hat gerade zusammen mit Susanne Sachsse im Berliner HAU das<br />

Festival „Camp/Anti-Camp“ organisiert. travis Mathews’ „In Their<br />

Room“-Filme sind <strong>auf</strong> <strong>DVD</strong> erhältlich. Das nächste Queer-Film-Festival<br />

in Deutschland ist das Berliner XPOSed, das vom 20. – 22. Juni<br />

stattfindet (www.xposedfilmfestival.com).<br />

---<br />

25<br />

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<strong>Neu</strong> <strong>auf</strong> <strong>DVD</strong>!<br />

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in die verstörende Welt eines brillanten, aber auch gequälten Mannes.<br />

William S. Burroughs ist die Ikone der Beat Generation und war der<br />

erste Schriftsteller, der die amerikanische Drogen- und Schwulen-<br />

kultur der 50er und 60er Jahre beschrieb. Burroughs‘ bekanntester<br />

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