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kino kino<br />
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BARNSteiNeR FiLM MUtterLIeBe<br />
aUf aBwegen<br />
von MichAel eckhArdt<br />
Die großartige schwedische Charakterschaupielerin und<br />
Regisseurin pernilla August spielt in diesem Debütspielfilm<br />
„Miss Kicki“, die sich <strong>auf</strong> die Suche nach dem späten Glück<br />
begibt und ihren fremden Sohn mitnimmt. in taiwan entdeckt<br />
sie die Mutterliebe, ihr Sohn dagegen die erste zu einem<br />
anderen jungen. Lauwarme Mutter-Sohn-Beziehungen<br />
gibt es bekanntlich nicht. Lauwarme Filme darüber schon.<br />
„Miss Kicki“ (Kinostart 26. juli) gehört nicht dazu.<br />
s Mütter und Söhne. Da sei zuallererst nun wirklich nicht an den<br />
ollen Heidi-Kabel-Fernsehschwank gedacht, eher an eine Art metaphysisches<br />
Bündnis, denn die Konstellation „Mutter und Sohn“ ist<br />
eine spezielle. Sie darf gar als Fundament für alles Grundsätzliche<br />
betrachtet werden: Ohne Mütter gibt es keine Söhne und ohne Söhne<br />
keine neuen Mütter. Ja, schon klar, da ächzt das Psychologiegebälk,<br />
da spuckt die Feministin wütend den Kautabak <strong>auf</strong>s Linoleum, aber<br />
doch und ganz im Ernst: Das Verhältnis von Mutter und Sohn ist ein<br />
besonderes, ein sich über alles in der Gesellschaft, in der Familie, im<br />
Zwischenmenschlichen ordnendes Bündnis. Ein Sohn löst sich nie<br />
ganz von seiner Mutter, der Frau, die ihn gebar, ihn <strong>auf</strong>zog, schützte,<br />
prägte und im besten Fall davor bewahrte, ein Abbild seines Vaters<br />
zu werden. Natürlich gilt auch hier und sogar insbesondere: Das Maß<br />
von allem entscheidet, ob diese Bande später von Dankbarkeit oder<br />
Abscheu geprägt ist. Ein lauwarmes Mutter-Sohn-Verhältnis scheint<br />
nicht möglich, ist es doch vor allem auch ein zärtlicher, ein bittersüßer,<br />
ein zweifelsfrei fragiler Bund, es gilt eine Art Geheimabsprache.<br />
Das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn ist – in den häufigeren Fällen<br />
– durch eine unbeirrbare Liebe geprägt. Eine an sich nicht trennbare<br />
Allianz, weswegen – und das ganze Freudsche Gezerre um Ödipus<br />
lassen wir jetzt mal aus – bei Verletzung, Trennung oder Verlust<br />
das Leben des anderen in Schieflage gerät. Jeder Sohn, der seine Mutter,<br />
jede Mutter, die ihren Sohn verlor, weiß, wovon hier geschrieben<br />
steht. Manche kommen da wieder halbwegs heil raus, andere nicht.<br />
Von solch vulnerabler Komplexität wussten schon große Filmemacher<br />
zu erzählen, man denke nur an Bertolucci, Bergman, Almodóvar,<br />
Sheridan und Ozon. Und nun reiht sich da ein Regieneuling<br />
ein, Håkon Liu heißt er, und man möchte wirklich nicht glauben, dass<br />
Miss Kicki sein erster Langfilm ist. Warum? Nun, weil Liu viel von<br />
vielem versteht: Ihm gelingt es <strong>auf</strong> geradezu augenreibende Weise,<br />
ganz verschiedene Erzählstränge zu einem homogenen Ganzen zu<br />
verknüpfen, er vermag es, geerdet an exotischen Orten zu erzählen,<br />
und er führt ein ganz wunderbares Schauspielerensemble zu Höchstleistungen.<br />
Und das Schönste an seinem Erstling – Miss Kicki trifft<br />
voll <strong>auf</strong> die 12, also mitten ins Herz. Doch dazu später, denn erst einmal<br />
erzählt Håkon Liu diszipliniert und chronologisch: Bereits die<br />
ersten Bilder suggerieren Einsamkeit, Sehnsucht, Orientierungslosigkeit.<br />
Eine Frau am Fenster, draußen schneit es, sie raucht, trinkt<br />
Wein, sie langweilt sich. Dann leuchtet ihr Gesicht <strong>auf</strong>, sie chattet mit<br />
einem Taiwanesen, er umschwärmt sie, gratuliert ihr zum Geburtstag<br />
und insistiert, sie solle ihn besuchen. Hoch die Tassen, „Kiss Kiss,<br />
Cin Cin, Bye Bye …“<br />
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