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Neu auf DVD! - Sissy

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Ausgabe vierzehn · Juni bis August 2012 · kostenlos<br />

s Welterschütterung: Zartes Rosa, sanftes Grün s Machomarotten: Ausgestopfte Liebestöter s <strong>Neu</strong>n Tage Paris: Anders- und<br />

Dagegensein s Fröhliches Treiben: Liebe <strong>auf</strong> VHS s Wellenritt: Musikeinsatz am Meer s Filmgeschichte: Die Q-Frage s Mutterfreuden:<br />

Kiss Kiss, Cin Cin, Bye Bye s Kernspaltung: Sich endlich lieben s Visconti: Schminke und Begehren s Die Dokwütige: Das kann doch<br />

alles nicht sein! s Very precious: Malerisch angeschossen mit nacktem Oberkörper s Amüsanter Fehler: Darf ich das? s Kostümorgie:<br />

Weltgeschichte bleibt draußen s Wasserfestspiele: Mülltüten <strong>auf</strong> Branchenköpfen s Die Archivarinnen: Kultur in elf Sprachen


Air Sculpt Brief von Andrew Christian<br />

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titeL: <strong>Neu</strong>e ViSiONeN<br />

<strong>Sissy</strong> vierzehn<br />

Zugegeben, im letzten Heft haben wir ein bisschen arg über die<br />

Berlinale gemeckert, beziehungsweise darüber, wie dort über das<br />

Kino geredet wird, das auch die SISSY interessiert. Wobei uns ja<br />

bewusst ist, dass dieses Festival eines der wenigen Foren zumindest<br />

in Deutschland ist, in dem überhaupt über „Queer Cinema“ geredet<br />

wird – und sei es auch nur in Form von Gemecker. Um diesen Impuls<br />

auch mal anders, nämlich konstruktiver, <strong>auf</strong>zugreifen, haben wir<br />

Menschen, die mit diesem Begriff arbeiten, zu einem Gespräch überredet,<br />

dessen Ergebnis wir in diesem Heft präsentieren.<br />

Die ewige Frage, was das Q-Wort<br />

überhaupt bedeutet, ist dabei die eine, ob der<br />

Begriff für Menschen, die Filme lieben, überhaupt<br />

relevant ist, die andere Leitfrage.<br />

Bei unserer Recherche trafen wir selbstkritische<br />

Filmkritiker, geschichtsbewusste Kuratoren,<br />

Fragen <strong>auf</strong>werfende Filmwissenschaftler<br />

und FilmemacherInnen, die das meiste, was<br />

heutige Queerfilme entwerfen, defensiv und<br />

rückschrittig finden.<br />

Dass so wenig darüber geredet wird, wie wir<br />

„unsere“ Geschichten filmisch erzählen,<br />

scheint daran zu liegen, dass es seit den 1990er<br />

Jahren eine gut funktionierende Nische für<br />

schwullesbisches Kino gibt, das, abgesehen<br />

vom „Zielpublikum“, nicht wahrgenommen<br />

wird, das keinerlei Austausch mehr mit dem Hilfreich beim Straßenkampf, etwas einsilbig, was das Kino angeht: Der Teddy<br />

Weltkino eingeht, aber dennoch das subjektive<br />

Gefühl vermittelt, queeres Kino sei ja präsent genug. Diese Filme<br />

werfen innerhalb und außerhalb ihrer Nische keine Fragen <strong>auf</strong>.<br />

Jenseits davon ist Queerness wiederum kein Thema – die wenigsten<br />

Cinephilen fragen sich, was in Filmen ihrer Helden wie Weerasethakul,<br />

Chéreau, Mendoza, Almodóvar, ja selbst Ozon jetzt so besonders<br />

„queer“ sei.<br />

Verstand sich die SISSY schon immer als eine Reaktion <strong>auf</strong> das immer<br />

leiser werdende Nachdenken über Queerness im Film und queere<br />

Filme in den queeren Szenepublikationen, so schien es uns nur konsequent,<br />

das Gespräch darüber wieder anzuregen. Fortsetzung folgt,<br />

ganz bestimmt.<br />

vorspann<br />

Wenn Sie SISSY kostenlos abonnieren möchten: E-Mail an abo@sissymag.de<br />

3<br />

jAN KüNeMuND


mein dvd-regal<br />

Christian Rudolph, <strong>Sissy</strong>-Leser<br />

4 5<br />

Christian rudolph


kino<br />

PaRadieS /<br />

infeRno<br />

von AlexAndrA Seitz<br />

Drei junge Männer leisten Militärdienst bei der französischen<br />

Marine. Die uniformen stammen aus den 1970ern, der einsatzort<br />

ist das Mururoa-Atoll. Was man heute über die historischen<br />

Atomwaffenexperimente Frankreichs weiß, trifft die Hauptfiguren<br />

jäh und unvermittelt. Der Anblick des unfassbaren markiert<br />

in Marion Hänsels sensitivem und homoerotisch eingefärbtem<br />

Spielfilm „Schwarzer Ozean“ die Grenze, an der sich jugendliche<br />

empfindsamkeit gegenüber einer kalten und gefühllosen<br />

Welt behaupten kann. Ab 7. juni in ausgewählten Kinos, ende<br />

juni <strong>auf</strong> <strong>DVD</strong>.<br />

s „Ich bin der Tod, der alles raubt, Erschütterer der Welten.“ Dieser<br />

Satz aus der hinduistischen Heldensaga „Bhagavadgita“ fiel Julius<br />

Robert Oppenheimer angesichts der Testexplosion einer Atombombe<br />

ein. An deren Entwicklung und Herstellung war er als Leiter des<br />

Manhattan Project in den Dreißiger und Vierziger Jahren in Los<br />

Alamos, New Mexico, maßgeblich beteiligt. Die erhaben schreckliche<br />

Schönheit des sprichwörtlich gewordenen Atompilzes, der kilometerhoch<br />

in den Himmel stieg, beeindruckte den Mann nachhaltig.<br />

Das Ausmaß und die schiere Wucht der entfesselten (Zerstörungs-)<br />

Kraft ließen ihn jedoch wie seinen Kollegen Albert Einstein bald zu<br />

einem Kritiker der Nutzung von Atomkraft durch den Menschen<br />

werden. Oppenheimer ahnte, was eine derart potente Waffe in den<br />

Händen von Politikern, Militärs, Mächtigen würde anrichten können.<br />

Leider hat man nicht <strong>auf</strong> ihn gehört. Deswegen sitzen wir nun<br />

<strong>auf</strong> unserem Heimatplaneten wie <strong>auf</strong> einem Pulverfass, <strong>auf</strong> Bruttoregistertonnen<br />

von Bomben, die uns und die Erde gleich doppelt und<br />

dreifach ins Nirvana und wieder zurück katapultieren könnten. Diese<br />

potenzielle Leichtigkeit und Leichtfertigkeit totaler Auslöschung ist<br />

eine Bedrohung, ein immer präsenter Schrecken, der nur auszuhalten<br />

ist, indem man ihn verdrängt. Was aber, wenn sie einen unmittelbar<br />

trifft, die Erkenntnis unmittelbar möglicher Vernichtung? Was, wenn<br />

mit einem Mal ein Bombenpilz voll schön-schrecklicher Erhabenheit<br />

vor einem <strong>auf</strong>stiege, immer höher und höher <strong>auf</strong>ragte, dabei immer<br />

bestimmender und ausschließlicher würde, so lange, bis alles um ihn<br />

her unbedeutend, winzig und entbehrlich erschiene?<br />

Moriaty weiß, was er gesehen hat. Und er kommt nicht damit<br />

zurecht. Der Erschütterer der Welten erschüttert ihn, den kaum<br />

Zwanzigjährigen, bis ins Mark. Moriaty tut Dienst <strong>auf</strong> einem Kriegsschiff<br />

der französischen Marine, das 1972 im pazifischen Ozean in<br />

der Nähe des Mururoa-Atolls kreuzt. Inzwischen weiß man, was die<br />

Franzosen in dieser entlegenen Gegend der Welt unternahmen; zwischen<br />

1966 und 1995 führte La Grande Nation im Südpazifik über 170<br />

Atombombentests durch. Einen dieser Tests wählt die Regisseurin<br />

Marion Hänsel als Anker ihres Films Schwarzer Ozean. Das heißt,<br />

dass die Explosion weniger Motor der Handlung als vielmehr sinnstiftendes<br />

Motiv ihres Films ist. Ein Thema im lang Verborgenen, um<br />

das herum sich etwas anderes lagert: Gefühle, Verhältnisse, Überlegungen.<br />

Das Blau des gleichmütigen Meeres. Das eintönige Grau des<br />

Dampfers. Der Ennui und die Schikanen. Zartes Rosa, sanftes Grün.<br />

6<br />

eDitiON SALZGeBeR<br />

kino<br />

7


kino<br />

Das Paradies und das Inferno. Über 50 Minuten des knapp anderthalbstündigen<br />

Films vergehen, bis sich am fernen Horizont ein Pilz<br />

entfaltet. Nichts hatte zuvor <strong>auf</strong> sein Erscheinen hingedeutet. Lange<br />

beobachtet Hänsel ihre Protagonisten – die Rekruten Moriaty, Massina,<br />

Da Maggio, die ihnen vorgesetzten Offiziere, den Schiffshund<br />

Giovanni – bei ihren alltäglichen Verrichtungen <strong>auf</strong> dem Schiff.<br />

Bis es mit einem Mal heißt: Brillen anlegen, in Deckung gehen und<br />

vom Licht wegdrehen. Als die Dampfsäule der Explosion sich in der<br />

Ferne in die Höhe bohrt, ist allenfalls ein sanftes Grollen zu hören.<br />

Aber nichts ist danach mehr so, wie es war. Diese Setzung der Nicht-<br />

Gleichgültigkeit gegenüber den Verheerungen einer Atombombenexplosion,<br />

und werde sie auch „nur“ zu Testzwecken durchgeführt,<br />

diese Rückholung des Schreckens aus zur Gewohnheit gewordener<br />

Verdrängung, diese Ernsthaftigkeit ist es, die Schwarzer Ozean letztlich<br />

ungewöhnlich macht.<br />

Für ihr Drehbuch adaptierte Hänsel zwei autobiografisch inspirierte<br />

Erzählungen Hubert Mignarellis, der sich als junger Mann<br />

freiwillig zur französischen Marine gemeldet hatte und <strong>auf</strong> dem Mururoa-Atoll<br />

eingesetzt war. Lange unterlagen die Ereignisse jener Zeit<br />

der Geheimhaltung, erst vor wenigen Jahren wurden die Akten, die<br />

sie dokumentieren, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Anlässlich<br />

der Premiere ihres Films 2010 bei den Filmfestspielen in Venedig<br />

meinte Hänsel in einem Interview, es sei ihr wichtig erschienen, eine<br />

Geschichte über diese nuklearen Tests zu erzählen. Nicht nur, weil in<br />

Frankreich kaum darüber geredet werde. Vor allem, weil sich Parallelen<br />

herstellen ließen zwischen den jungen Soldaten, die damals im<br />

Pazifik eingesetzt wurden, und jenen, die heute im Irak oder in Afghanistan<br />

Dienst tun. Jünglinge in jenem fragilen Alter an der Schwelle<br />

zum Erwachsensein, in dem das Bewusstsein von der Frage beherrscht<br />

ist, wie das Leben sich wohl gestalten und was die Zukunft bereit halten<br />

werde. Damals wie heute, so Hänsel, fänden diese Jungen sich<br />

ausgerechnet in dieser schwierigen psychologischen Phase in einer<br />

unübersichtlichen, schwer einzuschätzenden, kriegerischen Situation<br />

wieder und wüssten im Grunde nicht genau, warum sie dort seien, was<br />

eigentlich sie verteidigten und welche Waffen sie dabei einsetzten.<br />

Welche Brisanz dieser schlüssigen Überlegung im gegenwärtigen<br />

Kontext global eher verwalteter, denn befriedeter, in jedem Fall<br />

aber propagandistisch schön geredeter Krisenherde innewohnt, lässt<br />

sich daran ermessen, dass Hänsel für ihr Projekt zunächst Zusagen<br />

der Unterstützung seitens des französischen Verteidigungsministeriums<br />

sowie der Marine hatte. Diese wurden dann mit der Begründung<br />

zurückgezogen, das Drehbuch „gäbe die historische Atmosphäre und<br />

den Enthusiasmus der Mannschaften nicht akkurat wieder“. Hänsel<br />

– unwillig, sich vor den Rekrutierungskarren spannen zu lassen –<br />

drehte Schwarzer Ozean schließlich <strong>auf</strong> einem unter russischer Flagge<br />

fahrenden historischen Marineschiff vor Sardinien und Guadelupe,<br />

ein Veteran half ihr bei der Rekonstruktion der militärischen Rituale.<br />

In ihrem Werk beschäftigt sich die belgische Filmemacherin<br />

Marion Hänsel immer wieder mit der Relation zwischen Politik<br />

und menschlichen Beziehungen. Nie in Form oberflächlicher Kurzschlüsse<br />

oder simpler Darlegung vermeintlicher Ursache-Wirkungs-<br />

Muster. Erklärungen machen sich in Hänsels Filmen eher rar. Vielmehr<br />

setzt die Filmemacherin <strong>auf</strong> eine emotionale Mitwirkung ihres<br />

Publikums, <strong>auf</strong> dessen Bereitschaft, den Zusammenhang herzustellen<br />

zwischen Denken, Fühlen und Handeln ihrer Figuren, und diesen wiederum<br />

rückzubeziehen <strong>auf</strong> den jeweils gegebenen gesellschaftlichen,<br />

sozialen, politischen Kontext. Zuletzt 2006 in Als der Wind den Sand<br />

berührte (Si le vent soulève les sables), nach dem Roman „Chamelle“<br />

von Marc Durin-Valois, in dem sie einer afrikanischen Familie <strong>auf</strong> der<br />

Suche nach Wasser durch die Wüste und in den Schrecken militanter<br />

Auseinandersetzungen folgt. Oder in Dust (1985), der, beruhend <strong>auf</strong><br />

J.M. Coetzees gleichnamigem Roman, von den Gefühls- wie Machtverstrickungen<br />

zwischen abweisendem Vater, lediger Tochter und<br />

schwarzen Farmangestellten irgendwo in Südafrika handelt. Oder in<br />

Verschwörung der Kinder (Sur la terre comme au ciel, 1992), der davon<br />

erzählt, dass die Babys nicht mehr geboren werden, sondern lieber im<br />

Mutterleib sterben wollen, weil die Welt, die sie draußen erwartet, ein<br />

schrecklicher Ort ist. Immer gelingt es Hänsel, eine stark ausgeprägte<br />

emotionale Textur in ein nicht minder differenziertes soziopolitisches<br />

Biotop einzubetten, ohne plakativ oder manipulativ zu werden.<br />

Nüchternheit, Kraft, Schmucklosigkeit zeichnen Marion Hänsels<br />

Schaffen aus. Und eine Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit, die wohl auch<br />

Moriaty antreibt, das schweigsame Zentrum von Noir Océan.<br />

„Der, der es gewagt hat, den Fluss zu durchqueren, verdient ein<br />

gutes Leben!“ Dies hatte Moriaty sich einst versprochen, da war er<br />

noch ein kleiner Junge und querte als eine Art Mutprobe ganz allein<br />

einen eiskalten Fluss. Das Wasser stand ihm dabei bis zum Hals, seine<br />

Angst war groß und sein Glaube an sich selbst geriet ins Wanken.<br />

Aber er hat es geschafft und es bewiesen und das gute Leben würde<br />

Wirklichkeit werden – soviel war nunmehr ausgemacht zwischen<br />

ihm und mit wem auch immer kleine Jungen dergleichen Wetten<br />

eingehen. Dass Moriaty sich Jahre später in einer Situation wiederfindet,<br />

die ihn in einen zerstörerischen, vernichtenden, Schöpfungsverachtenden<br />

Kontext stellt, gegen den er sich nicht zur Wehr setzen<br />

kann, bricht ihm das Herz. Moriaty begreift sehr gut, dass er Verantwortung<br />

hat nicht nur für das, was er tut, sondern auch für das, was<br />

er bezeugt – in dem Fall: zu bezeugen gezwungen wird, eine Wunde,<br />

die der Erde geschlagen wird – und er ist untröstlich. Sein zwanzigster<br />

Geburtstag, den er gemeinsam mit Massina und Da Maggio <strong>auf</strong><br />

Landgang und am Strand verbringt, wird von ihm denn auch weniger<br />

gefeiert als vielmehr deprimiert zur Kenntnis genommen.<br />

Sie habe einen Film drehen wollen, sagt Hänsel, der zart sei wie<br />

der Atem eines Kindes und trotzdem <strong>auf</strong>geladen mit einer immer<br />

präsenten, unterschwelligen Gewalt. Also verstellt sie den Blick <strong>auf</strong><br />

ihre Figuren weder mit Klischees des Soldatischen noch mit wohlfeilen<br />

Vorstellungen von jungmännerhaftem Dr<strong>auf</strong>gängertum. Sie<br />

schafft stattdessen einen Raum, in dem der einzelne Charakter <strong>auf</strong><br />

subtile Weise aus der Ausschließlichkeit des militärischen Kontextes<br />

herausgeholt und vertieft wird – und dabei insgesamt doch<br />

skizzenhaft bleibt. Die üblichen Eckdaten konventioneller Charakterisierung<br />

fehlen; soziale Herkunft, Bildungsstand, Träume und<br />

Pläne bleiben Leerstellen. Auch darüberhinaus ist wenig Konkretes<br />

zu erfahren: Der übergewichtige Da Maggio, der von allen getriezt<br />

wird, ruft nachts im Schlaf nach seiner Mutter. Er schickt Fotos nach<br />

Hause, <strong>auf</strong> denen er sich wie ein Abenteurer in der großen weiten<br />

Welt präsentiert. Massina wurde von Giovanni zum Boss erwählt;<br />

einmal bekommt er Post, ein Buch voll Mathematik und einen Brief,<br />

der wider Erwarten nicht vorgelesen wird. Was hat es mit dem Buch<br />

<strong>auf</strong> sich? Wer schreibt? Ist es wichtig? Moriaty mag der Älteste der<br />

drei sein; er erzählt Massina von seiner Mutprobe, er reagiert <strong>auf</strong> das<br />

übermütige Kräftemessen der Kameraden und Da Maggios kindische<br />

Quälerei eines Kraken mit einer Mischung aus Enttäuschung und<br />

Verachtung. Alle drei werden sie im L<strong>auf</strong> des Films wie die Kinder in<br />

Tränen ausbrechen: Da Maggio, als er von den anderen beiden allein<br />

am Strand zurückgelassen wird. Massina, weil er eines Nachts das<br />

unschuldige Opfer eines gewalttätigen Angriffs wird. Moriaty, weil<br />

die angerichtete Zerstörung, deren Zeuge er wird, ihm wie Verrat am<br />

eigenen Leben vorkommt.<br />

So erscheinen Moriaty, Massina und Da Maggio als genau jene<br />

zarten, noch etwas ungebildeten, nicht ganz gefestigten Charaktere,<br />

die Jünglinge in ihrem Alter eben sind. Ihr Gefühlsleben ist komplexer<br />

als ihr Artikulationsvermögen. Ihr moralisches Empfinden mag<br />

diffus sein, aber es ist da. Es wohnt eine noch kindliche Unschuld in<br />

ihren Herzen, die sich zur Wahrhaftigkeit wandeln mag oder korrumpiert<br />

werden wird. Hänsel trifft über den Ausgang der Entwicklung<br />

ihrer Protagonisten, über deren Zukunft keine Aussage. Sie setzt aber<br />

Zeichen möglicher Bedrohung, indem sie Moriaty, Massina und Da<br />

Maggio in eine Umgebung stellt, deren hierarchische Strukturen,<br />

Mannbarkeitsrituale und mehr oder minder latente Konfliktträchtigkeit<br />

innere Verhärtung wie äußere Kontrolle erfordern. Sie entwirft<br />

einen vom Kriegerischen und von militärischer Disziplin determinierten<br />

Ort, der die eben erst entfaltete Sensibilität dieser jungen<br />

Menschen schon wieder zu ersticken droht. Die richtigen Worte wollen<br />

sich nicht mehr finden, die Sprache ist verschlagen – und sich einander<br />

mitzuteilen, ist ebenso schwierig wie überhaupt zu begreifen,<br />

was vorgeht und wie ihnen geschieht. s<br />

Schwarzer Ozean<br />

von Marion Hänsel<br />

BE/FR/DE 2010, 88 Minuten, französische<br />

OF mit deutschen UT<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino<br />

ab 7. Juni 2012<br />

8 9<br />

kino<br />

eDitiON SALZGeBeR (3)


kino<br />

UntergehendeS<br />

Begehren<br />

von ekkehArd knörer<br />

Während draußen, im juli 1798, das Volk die bisherige Ordnung zu Fall bringt,<br />

zieht sich der verliebte Kamera-Blick in die weibliche intimsphäre der Königin<br />

Marie Antoinette, ihrer favorisierten Herzogin und ihrer jungen Vorleserin<br />

zurück. ein mutmaßlich fiktionaler lesbischer Begehrensraum wird so im<br />

starbesetzten Historienfilm „Leb wohl, meine Königin“ zum instrument queerer<br />

Geschichtsschreibung. im Kino ab 31. Mai.<br />

Leb wohl, meine Königin<br />

von Benoît Jacquot<br />

FR/ES 2012, 100 Minuten, deutsche<br />

SF, frz. OF mit dt. UT<br />

Capelight Pictures, www.capelight.de<br />

Im Kino<br />

ab 31. Mai 2012<br />

www.lebwohlmeinekoenigin-film.de<br />

CApeLiGHt piCtuReS<br />

s Aufblende. Versailles, der 14. Juli 1789,<br />

der Ort, das Datum kurz als Schriftzug im<br />

Bild, erwacht wird am französischen Hof.<br />

Nichts wird groß etabliert, Weltgeschichte<br />

ja, aber nur flüsternd, auch die Uhr schlägt<br />

leise, die Uhr später Dingsymbol, hier erst<br />

einmal nur goldene Uhr, es ist früher Morgen,<br />

um sechs. Der Blick geht nicht in die<br />

Höhe, nicht in Richtung Königin oder König<br />

oder Französische Revolution, sondern unter<br />

die Kleidung, die Stiche der Flöhe, später treten<br />

dann auch noch <strong>auf</strong>: tote Ratten. Sidonie<br />

Laborde (Léa Seydoux), Marie-Antoinettes<br />

Vorleserin, kratzt sich am Arm und ahnt<br />

nichts vom Untergang ihrer Welt. Mit diesen<br />

ersten Bildern ist alles, eine Zeit, ein Milieu,<br />

der Hof von Versailles, wie <strong>auf</strong> einen Schlag<br />

da, mühelos-unangestrengt, es klopft an der<br />

Tür und die Verhältnisse beginnen sich nun,<br />

Zug für Zug, ohne große Erklärung zu erhellen.<br />

Leb wohl, meine Königin ist ein Kostümfilm,<br />

der seine Kostüme, die Fremde, die die<br />

Vergangenheit ist, von Anfang bis Ende mit<br />

Leichtigkeit trägt.<br />

Ein einziger Schwenk, der zur Titelsequenz<br />

wird: Er führt vom grauen Pöbel vor<br />

dem goldenen Zaun um das Schloss von Versailles<br />

zu von rechts in Reih und Glied ins Bild<br />

marschierenden uniformierten Musikanten.<br />

Schnitt, Titeleinblendung, die Musikanten<br />

marschieren <strong>auf</strong> die Kamera zu durchs sich<br />

öffnende goldene Tor des Schlosses, die<br />

schmutzige Masse zum einen, die saubere<br />

Ordnung zum anderen, das ist in nuce und<br />

in Bildopposition der Konflikt, während die<br />

Bewegung der Kamera klar macht, dass sich<br />

der Film nicht für die Revoltierenden, sondern<br />

für den Hof, gegen den revoltiert wird,<br />

interessiert. Aber auch da wieder nicht in<br />

klassenkämpferischer Weise. Das Porträt ist<br />

gerade und ausdrücklich nicht politisch vorstrukturiert.<br />

Es fällt ein anderer Blick, und<br />

weil dieser Blick anders fällt, wird auch die<br />

politische Geschichte anders erzählt.<br />

Sidonie Labordie ist die, deren Blick der<br />

Film unterstellt ist; sie ist die, deren Blick er<br />

sich wie ein Liebender anschmiegt, gleich zu<br />

Beginn in einer schnellen Schritts Richtung<br />

Gemächer der Königin eilenden Subjektiven,<br />

und man weiß ja, dass Benoît Jacquot ein<br />

Regisseur ist, der seine Darstellerinnen – wie<br />

sonst vielleicht nur Rudolf Thome – bedingungslos<br />

verehrt und begehrt. (In Interviews<br />

versichert er, dass das auch für seine Darsteller<br />

gelte, aber im Zentrum stehen die selten<br />

– kein Geringerer als Xavier Beauvois spielt<br />

hier als Louis XVI eine ausgesprochene<br />

Nebenrolle.)<br />

Das darf man nicht übersehen: Der<br />

Film erzählt vom Begehren, aber bei Jacquot<br />

begehrt immer auch der Film selbst. Er<br />

begehrt Sidonie, die reine Erfindung ist, eine<br />

Hinzufügung zur sonst grosso modo und<br />

mit manchen Freiheiten wahren Geschichte,<br />

und zwar begehrt er sie im Körper von Léa<br />

Seydoux, mädchenhaft frühreif, die Haare<br />

meist hochgesteckt, die leise Zahnlücke, das<br />

zu Grimassen fähige, von frech zu verstockt<br />

und zurück huschende, etwas puppenhafte<br />

Gesicht. Er begehrt Marie-Antoinette, also<br />

Diane Kruger, die in blonder Hingestrecktheit<br />

wie auch sonst immer etwas zu sehr den<br />

Eindruck macht, sie hätte für jede Szene eifrig<br />

geübt und dann noch diesen Eindruck aus<br />

ihrem Spiel eifrig wegzutrainieren versucht.<br />

(Keiner sagt, dass der Kritiker mitlieben<br />

muss.) Und er begehrt Virginie Ledoyen als<br />

die dunkelhaarige Favoritin und vielleicht<br />

auch Geliebte der Königin, Gabrielle de Polignac,<br />

die undurchsichtig und hochmütig ihr<br />

Spiel treibt mit allen, traditioneller Darstellung<br />

nach ein besonders schlimmer Fall von<br />

Ancien-Régime-Entitlement-Hochnäsigkeit.<br />

Auf alle drei wirft Jacquot mit Romain<br />

Windings lebendiger Kamera liebende Blicke<br />

und mischt sich so in ihren eigenen Liebende-<br />

Blicke-Verkehr. Sidonie liebt die Königin, die<br />

Königin liebt Gabrielle und was genau Gabrielle<br />

fühlt, denkt und will, bleibt eher unklar.<br />

Statt Politik und Geschichte also Liebe oder<br />

jedenfalls: Durchs Politische kreuzt die<br />

Liebe, das eine ist vom anderen hier nicht<br />

zu trennen. Zweimal noch tritt die Objektivität<br />

des Historischen <strong>auf</strong> im eingeblendeten<br />

Datum, der 15. und der 16. Juli im Jahre<br />

des Herrn 1789. Die Bastille ist erstürmt, der<br />

Hofstaat geht nach und nach in Auflösung<br />

über, der König berät und doch bleibt all das<br />

Hintergrund für die Dreiecksgeschichte, die<br />

wiederum ständig <strong>auf</strong> Sidonie perspektiviert.<br />

Sidonie ist Fiktion (aus der Romanvorlage<br />

von Chantal Thomas), aber als Fiktion<br />

ist sie auch Agentin einer anderen Wahrheit:<br />

Sie quert die Geschichte und queert sie. Sie<br />

gehört zum minderen Adel, ist der Königin<br />

als Vorleserin zu Diensten, darf dabei aber<br />

doch mehr als eine Bedienstete wagen. Dieses<br />

ganze innere Regiment aus Schleusen,<br />

gewinkten Befehlen der wie stets großartigen<br />

Noémie Lvovsky, Blicken zu Boden und<br />

verstohlen nach oben, das Lesen aus richtigen<br />

Büchern und falschen, das Eilen durch<br />

Gänge, das von Kerzen beleuchtete Spiel aus<br />

Lichtern und Schatten, Gabrielles Nacktheit<br />

im Schlaf, die vorbeitreibende Ratte, das<br />

Glück, Beachtung zu finden, das Unglück,<br />

nicht beachtet zu sein, dieses ganze schöne,<br />

lässig entfaltete Universum aus Konkretionen:<br />

In all diesen wunderbar unterbetont<br />

hingetupften Details ist Leb wohl, meine<br />

Königin ganz virtuoses Kammerspiel und<br />

eleganter Kostümfilm.<br />

Es bleibt aber die Frage, wie sehr es eine<br />

politische Deutung ist, wenn Jacquot hier<br />

behauptet, dass die politische Perspektive<br />

nicht die einzig mögliche ist. Implizit sagt er:<br />

Was aus Sicht der Beteiligten hauptsächlich<br />

stattfand, waren die Liebe, das Leben. Die<br />

Haupt- und Staatsaktionen, die, wie jeder<br />

weiß, den einen oder anderen Kopf kosten<br />

werden, sind das Schauspiel dahinter. Wahrscheinlich<br />

ist das wahr, ohne die Wahrheit<br />

übers Geschehen zu sein. Eine Subjektive,<br />

die ihr Recht hat, der Sidonie-Blick gegen<br />

die Politorthodoxie, das Sidonie-Begehren<br />

gegen die Hierarchie und die Heteroliebe.<br />

Jeder der filme<br />

von Benoît Jacquot<br />

seit „Villa amalia“<br />

verlangt nach einem<br />

Postscriptum, das<br />

eigentlich in die<br />

Kritik selbst mitten<br />

hineingehört, so wie<br />

die Tonspur, <strong>auf</strong> der die<br />

Musik spielt, immer<br />

mitten im film ist.<br />

Dies alles formuliert mit dem seinerseits liebenden<br />

Blick des Regisseurs, des Films <strong>auf</strong><br />

seine Figuren, ihre Wörter und Körper, von<br />

angenehmer Stofflichkeit alles. Und doch<br />

fragt man sich, was sonst daraus folgt, denn<br />

wer sich in etwas so Großes und Bedeutendes<br />

und Weltgeschichtliches wie „Versailles,<br />

14. Juli 1789“ hineinschreibt, setzt sich, ob er<br />

will oder nicht, unter den Druck, zwischen<br />

den toll gemachten Konkretionen und dem<br />

Queeren von Liebe und Politik eine Linie,<br />

eine These zu finden, die mehr sagt als: Das<br />

war der Stoff, aus dem der Alltag war, von<br />

sechs Uhr morgens bis in die Nacht, selbst in<br />

den Tagen der Revolution. Diese Linie und<br />

diese These finde ich nicht, darum hat mich<br />

der Film in letzter Instanz (und erst in dieser)<br />

dann doch ein wenig enttäuscht.<br />

P.S.: Jeder der Filme von Benoît Jacquot seit<br />

Villa Amalia verlangt nach einem Postscriptum,<br />

das eigentlich in die Kritik selbst mitten<br />

hineingehört, so wie die Tonspur, <strong>auf</strong> der die<br />

Musik spielt, immer mitten im Film ist. Wie<br />

nämlich die frei weit ins Schroffe und Eigenständige<br />

drängende Musik von Bruno Coulais<br />

– der sonst von Schlöndorffs Ulzhan bis<br />

Selicks Coraline gekonnte, aber keineswegs<br />

experimentelle Soundtracks komponiert –<br />

mit den Einstellungen korrespondiert, ist<br />

einzigartig zur Zeit, höchstens an Christoph<br />

Hochhäuslers Arbeiten mit Benedikt Schiefer<br />

könnte man denken. Mit Untermalung<br />

und Illustration hat das nichts zu tun; es ist<br />

ein Wechselverkehr: Die Bilder und Stimmungen<br />

des Films reagieren <strong>auf</strong> die im vorhinein<br />

komponierte Musik von Coulais, die <strong>auf</strong><br />

die Vision des Regisseurs vom späteren Film<br />

reagiert. Was dabei so alles passiert, wäre<br />

einmal die genaue Beschreibung Einstellung<br />

für Einstellung wert. s<br />

10 11<br />

kino


kino<br />

12<br />

eDitiON SALZGeBeR<br />

BReiTBeinig gegen<br />

TuSSi-MaRoTTen<br />

von Jenni zylkA<br />

ein eintagsmann zu sein, mag für viele Frauen reizvoll erscheinen. Die charismatische Drag-King-pionierin<br />

Diane torr bietet das seit jahren an und lädt die unterschiedlichsten Frauen zu Workshops ein. Katarina<br />

peters war mit der Kamera dabei und hat einen differenzierten und sehr lustigen Film über Geschlecht als<br />

Gesten-Set gemacht. „Man For A Day“, der eröffnungsfilm der diesjährigen Berlinale-Sektion „perspektive“,<br />

kommt am 19. juli für mehr als einen tag ins Kino.<br />

s „Walk like man / Talk like a man / Walk like a man my son / No<br />

woman’s worth / Crawling on the earth / So walk like a man my son“.<br />

Das sagt Frankie Valli.<br />

„You’ll stumble in my footsteps / Keep the same appointments I<br />

kept / If you try walking in my shoes“. Das sagt Dave Gahan von Depeche<br />

Mode.<br />

„Der Mann besitzt das Stück Boden, <strong>auf</strong> das er tritt.“ Das sagt<br />

Diane Torr. Dann stapft sie, natürlich in flachen Männerschuhen<br />

(unter anderem wegen der größeren Bodenhaftung), in der Fabriketage<br />

herum. Ein Dutzend andere Frauen stapfen mit. Und versuchen,<br />

den Boden allein durch amtliches Auftreten kleinzukriegen.<br />

Was klingt wie Selbsterfahrung mit esoterischem gegenseitigen<br />

Oberarmstreicheln, ist – <strong>auf</strong>grund des Themas – eher das Gegenteil:<br />

Bei einem „Drag King“-Workshop von Diane Torr geht es um Gender-Bewusstwerden<br />

durch handfestes Erleben. „Gender is gestures“,<br />

sagt die US-amerikanische Performancekünstlerin, die 1948 geboren<br />

wurde, in den 70ern nach New York ging und seit 1989 Gender-<br />

Bender-Workshops anbietet. Die Filmemacherin Katarina Peters hat<br />

einen der einwöchigen Workshops in Berlin begleitet, hat die Kamera<br />

<strong>auf</strong> sämtliche Teilnehmerinnen des Experiments gerichtet und ihre<br />

unterschiedlichen Agenden gefilmt: Susann, die junge, blonde Ex-<br />

Miss Oberhavel, Ex-Miss Prenzlau, Ex-Miss Spreewald, die zu Hause<br />

noch einige andere Miss-Titel herumliegen hat, und die Männer einfach<br />

„nicht versteht“; Theresa, die 50plus-Mutter von drei Söhnen, die<br />

sich zwar „nie dekorieren wollte“, sämtliche Spielarten der sichtbaren<br />

Weiblichkeit immer abgelehnt hat, sich dennoch mit dem Thema<br />

beschäftigen will, vielleicht auch, um typisch weibliche Attribute<br />

wieder genießen – oder einsetzen - zu können; Eva-Maria, die Politikberaterin,<br />

die bei im Rampenlicht stehenden PolitikerInnen den<br />

unbeirrten Machtwillen bewundert und sich fragt, ob männlicheres<br />

Verhalten oder das Fehlen der weiblichen Unsicherheit bezüglich des<br />

Aussehens und der Gesten diesen verstärken kann; Rosa, die eine<br />

Tochter hat und vor ihrem gewalttätigen Ex schon zweimal ins Frauenhaus<br />

flüchten musste; Tal, die nicht für eine Butch gehalten werden<br />

will, weil sie sich selbst eher als „<strong>Sissy</strong>“, als Waschlappen, sieht.<br />

Die „Physiophilosophin“ Diane Torr ist eine beflissene, unterhaltsame<br />

Beobachterin von angeblich geschlechtsspezifischem Körperverhalten.<br />

Ihr Workshop baut sich in mehreren Stufen <strong>auf</strong>, die auch<br />

den Film chronologisch gliedern: Nachdem die Teilnehmerinnen<br />

ihre Motive für den Workshop klargestellt haben, schaut man sich<br />

um, sucht Männertypen, die man darstellen will. Dianes Mann heißt<br />

Multiple Ex-Miss Susann als Andi<br />

Danny King, trägt Anzug und Krawatte und ist eine „Komposition aus<br />

Stereotypen“ sagt Diane, wenn er die Augen bewegt, dreht er den Kopf<br />

mit, wenn er vor einer Gruppe Menschen steht, wippt er sich manchmal<br />

nachdrücklich <strong>auf</strong> die Zehenspitzen und macht sich damit größer<br />

und bedeutsamer. Er glaubt, dass Männer den Frauen von Natur aus<br />

überlegen sind, und seine Ehefrau kümmert sich um die Kinder, während<br />

er arbeiten geht. (An manchen Wochenenden nimmt er ihr aber<br />

auch mal etwas Arbeit ab, da muss man fair bleiben.)<br />

Solche Männer leben immer noch unter uns, erklärt Torr anschließend,<br />

schaut nur mal in sämtliche Chefetagen. Er darf ruhig etwas<br />

übertrieben sein, der Mann, den man imitiert, informiert sie die amüsierten<br />

Workshopteilnehmerinnen, man muss ihn nicht mal mögen:<br />

„Es geht nicht darum, der beste Mann zu sein, sondern darum, aus der<br />

Frauenrolle herauszukommen.“<br />

Dazu gehört am Anfang auch ein Körperbewusstwerden, eine Art<br />

Bewegungsfindung; Stellt euch vor, ihr seid Einzeller, sagt Torr, und<br />

lässt die Teilnehmerinnen wild in der Fabriketage herumkreuchen<br />

und -fleuchen. Regisseurin Peters hat diesen merkwürdigen Tanz mit<br />

der Wärmekamera gefilmt, und umschifft so elegant die vom Betrachter<br />

oft empfundene Peinlichkeit Erwachsener, die sich einfach mal<br />

ganz frei bewegen sollen. Nach dem Einzellertanz und der Mannsbildsuche<br />

geht es ans Verkleiden, Brüste wegbinden, Baggy-Hosen<br />

über ausgestopfte Liebestöter streifen, sich in Anzüge, Hüte werfen,<br />

dann die fisseligen Härchen, die man mit Körperkleber zu farbechten<br />

Koteletten, Bartflaum und Bärten komponieren kann. Die Männer<br />

werden vorgestellt, man muss sich also auch Biografie, Namen, Alter,<br />

Job, Status für seinen männlichen Counterpart ausgedacht haben.<br />

dinge so tragen, als wüsste man um<br />

die muskulöse Stärke im oberkörper<br />

kino<br />

Hernach geht Torr mit ihren Teilnehmerinnen ans Eingemachte:<br />

An die Körpersprache. Mimik: Nicht lächeln, „du kannst dir einfach<br />

von innen <strong>auf</strong> die Wangen beißen“, rät ein designierter Drag King dem<br />

anderen. Die Sprachmelodie des landläufigen Mannes geht am Ende<br />

eines Satzes entschieden nach unten, nicht fragend und beifallheischend<br />

nach oben. Breitbeinig sitzen, nicht zu sehr oder zu blumig<br />

mit den Händen herumfuchteln, Dinge so tragen, als wüsste man um<br />

die muskulöse Stärke im Oberkörper. Peters’ Dokumentarfilm lässt<br />

sich dabei immer wieder Zeit, die Frauen nach ihren Erfahrungen zu<br />

befragen. Sie zeigt den Moment, an dem das erste Mal ernst gemacht<br />

13


kino kino<br />

Workshopleiterin Diane Torr (mit Krawatte), Teilnehmerinnen<br />

wird, an dem der Man For A Day in Drag nach Hause, zu Freunden,<br />

Eltern, Kindern geht, wie Susanns Eltern über ihren zierlichen Sohn<br />

kichern, und Rosas Tochter der Mutter über das bärtige Kinn streicht.<br />

Das Besondere an den nachvollziehbaren und vorstellbaren<br />

Erlebnissen ist das Format, das Torr in über 20 Jahren Man-for-aday-Performances<br />

optimiert hat: Es am eigenen Leib zu erfahren,<br />

unterscheidet sich eben doch davon, es nur nachzulesen oder drüber<br />

zu fachsimpeln. Denn theoretisch weiß jede Frau, wie man sich<br />

behauptet, hat eventuell seit Jahren schon gegen ungerechtes Verhalten<br />

zwischen den Geschlechtern gekämpft, kontrolliert bereits einige<br />

der typischen Attitüden, die immer wieder genannt werden, wenn es<br />

um Unterschiede in der Körpersprache geht: Kopf schief legen, Hinterngewackel,<br />

besänftigendes oder zustimmendes Lächeln. Vielleicht<br />

hat sie sich von sämtlichen Angewohnheiten losgesagt, vielleicht aber<br />

setzt sie jene Tussi-Marotten sogar längst so ein, wie sie es möchte,<br />

und ist damit höchst zufrieden.<br />

Und selbstverständlich kann eine Woche falscher Bart und falscher<br />

Schwanz bei allem Pseudotestosteron keiner Frau jahrzehntelanges<br />

gelebtes Mannsein beibiegen. Genauso wenig wie umgekehrt.<br />

Peters’ Film macht deutlich, dass das aber auch nicht das Ziel ist.<br />

Allein das Erkennen der „Gender-Identitäten“ ist interessant genug,<br />

um sich damit zu beschäftigen.<br />

Und so fragt man sich, welche Frauen zugeschriebenen unsinnigen<br />

Eigenschaften man selbst mit sich herumschleppt: Macht man<br />

Männern tatsächlich <strong>auf</strong> der Straße unwillkürlich Platz? Ist man<br />

unsicherer, als man sein müsste? Wenn man sich <strong>auf</strong> die Fingernägel<br />

schaut, streckt man dabei die Finger und schaut <strong>auf</strong> den Handrücken,<br />

oder guckt man <strong>auf</strong> die geballte Faust? Oh Gott, was bedeutet es, wenn<br />

man beides macht? Oder ist das ohnehin nicht eigentlich scheißegal,<br />

so lange es einem gut geht?<br />

eDitiON SALZGeBeR (2)<br />

Peters’ Film geht über den Workshop hinaus. Monate später hat<br />

die Regisseurin einige der Teilnehmerinnen besucht. Susann, die<br />

multiple Ex-Miss, hat ihre Haarfarbe inzwischen von Blond zu Braun<br />

gezaubert, ist Mutter eines Kindes geworden und trifft sich anscheinend<br />

noch immer von Zeit zu Zeit mit einer der Workshop-Kolleginnen,<br />

um Männlichkeit zu demonstrieren: Peters zeigt, wie Susann<br />

als Alter ego Andi zusammen mit einer Freundin, ebenfalls als Mann<br />

ausstaffiert, in eine Tabledance-Bar geht, um sich dort wie die anderen<br />

Männer von gelenkigen Tangaslipträgerinnen antanzen zu lassen.<br />

Wieso sie das macht, wird offen gelassen. So muss man selbst<br />

überlegen, ob es die pure Lust am Drag oder die subjektiv empfundene<br />

größere Freiheit einer Frau ist, deren Weiblichkeit normalerweise<br />

so stark strahlt, dass sie ihr vielleicht manchmal auch im Weg<br />

sein könnte. Die Politikberaterin Eva-Maria möchte ihre Erkenntnisse<br />

über Machtdemonstrationen, Sicherheit und Signifikanz nicht<br />

missen. Und die Israeli Tal fährt zwar erst mit Fake-Koteletten zu<br />

ihrer irritierten Familie, sitzt aber später im Kleid Hand in Hand mit<br />

ihrer Freundin zufrieden in Berlin herum und scheint sich mit ihrer<br />

unsichtbaren <strong>Sissy</strong>-Seite angefreundet zu haben.<br />

Torr selbst, die der Regisseurin großzügig Einblick in Fotos und<br />

Filmmaterial aus der Vergangenheit gewährte, und von der als kleine<br />

Ausflüge in die Körpersprache immer wieder Ausschnitte aus älteren<br />

Performances, aus ihrer Vergangenheit als Gogotänzerin geschnitten<br />

werden, macht mit ihrer erwachsenen Tochter eine gemütliche Italienreise.<br />

Während die beiden in Blumenkleidern durch die Altstadt<br />

flanieren, sinniert die Tochter darüber, warum andere Menschen sich<br />

stets Sorgen wegen ihrer angeblich ungewöhnlichen Kindheit machten:<br />

Ist eine alleinerziehende Mutter, die die Grenzen der Gender-<br />

Identitäten erforscht, denn wirklich problematischer als ein Macho-<br />

Vater?<br />

Aber wie wäre es wohl umgekehrt? Wenn 15 Männer bei einer<br />

Drag Queen eine Woche lang das Stöckeln übten? Außer einem kurzweiligen<br />

Erfahrungsgewinn bestimmt sehr anders. Erstens, weil<br />

Unisex-Mode seit Jahrzehnten aus Männerklamotten (flache Schuhe,<br />

Hose, T-Shirt) besteht, während Rock und Pumps ausschließlich von<br />

Frauen getragen werden. Das bedeutet, dass ein Mann in Damengarderobe<br />

von vorneherein eine stärkere Aussage macht. Zweitens, weil<br />

es eine funktionierende, oft queere Drag-Queen-Kultur gibt, die häufig<br />

eine exaltiert feminine Attitude beinhaltet, und schon längst spaß-<br />

und lustvoll zelebriert wird, genauso wie der große sexuelle Fetischbereich<br />

Frauenklamotten bei Heteros. Drittens, weil es für den Rest<br />

der Männer, die keine wie auch immer geartete Freude am Tragen<br />

von Frauenkleidung haben, auch keine Notwendigkeit gibt, dies zu<br />

tun, um ihre Position zu verbessern: Sie sind ohnehin oben.<br />

Dass Peters die Denkanregungen, die Torr mit ihren Workshops<br />

gibt, in Szene setzt, ohne albern, plakativ oder flach zu werden – denn<br />

die angesprochenen, überspitzten Verhaltensweisen müssen all das<br />

manchmal sein – ist das Verdienst ihres Dokumentarfilms. Zudem<br />

kommt sie ohne zuviel Psychologisierungen aus, ohne so augenzwinkernde<br />

wie ärgerliche Frauen-Venus-, Männer-Mars-Schubladen. In<br />

Torrs Fall kann das Aufzeigen von Unterschieden zwischen männlichen<br />

und weiblichen Verhaltensweisen zu besserem Verständnis führen.<br />

Sogar, wenn der Kerl, der da gerade vor einem wichtigtuerisch<br />

<strong>auf</strong> den Zehenspitzen wippt, ein totales Arschloch ist. s<br />

Man for a day<br />

von Katarina Peters<br />

DE 2012, 96 Minuten, deutsch/<br />

englisch/hebräische Fassung mit<br />

deutschen Untertiteln<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino<br />

ab 19. Juli 2012<br />

gesang des Meeres<br />

von nicky nAiSh<br />

Aus der Schaumkrone des Nischen kinos erleben wir die Geburt eines neuen Genres, denn nach „tan Lines“,<br />

„Shelter“ und „Newcastle“ erzählt auch „Off Shore“ eine homoerotische Surfergeschichte. Dass Musik in<br />

Surferfilmen eine große Rolle spielt, ist bekannt. Doch für unsere Autorin bildet sich in „Off Shore“ von Sven<br />

j. Matten (Start in ausgewählen Kinos am 5. juli) schnell ein etwas monotoner Ohrwurm heraus.<br />

s Dünen, Wellen, Strand und Surfer. Ein<br />

Schiff bringt Andi nach Fuerteventura. Tina,<br />

die Surf-Lehrerin, holt Andi ab. Andi vertraut<br />

ihr direkt seine Geschichte an: Sein<br />

Vater, den er nie kennen gelernt hat, war Surfer<br />

und lebt irgendwo <strong>auf</strong> der Insel. Um ihm<br />

nahe zu kommen, hat sich Andi in einen Surfkurs<br />

eingebucht. Direkt nach seiner Ankunft<br />

macht sich Andi schließlich <strong>auf</strong>, um seinen<br />

Vater zu suchen und findet ihn auch sofort.<br />

Doch bis er es schafft, ihn anzusprechen,<br />

nimmt er erst einmal Surfstunden bei Tina,<br />

die offenbar bereits Gefühle für ihn hegt. Am<br />

Strand begegnet Andi einem jungen athletischen<br />

Surfer, Pedro, dessen Ausstrahlung<br />

ihn magisch anzieht. Dünen, Wellen, Strand<br />

und Surfer.<br />

Andi wird seinen Vater noch einmal <strong>auf</strong>suchen,<br />

sich vor ihn stellen und sagen: „Hallo<br />

Vater!“ Und der Vater wird ihn sofort freundlich<br />

<strong>auf</strong>nehmen, was Andi verwirrt. Schließlich<br />

lässt sich Andi <strong>auf</strong> die Begegnung mit<br />

dem Vater und auch <strong>auf</strong> Tina ein, immer wieder<br />

durcheinandergebracht von der Begegnung<br />

mit dem jungen geheimnisvollen Pedro,<br />

der ihn bei einer flüchtigen Begegnung liebevoll<br />

berührt und seine nassen Locken in<br />

der Abendsonne schüttelt. Dünen, Wellen,<br />

Strand und Surfer.<br />

Andi und Tina sitzen in der Abendsonne<br />

am Strand, bei Gitarrenmusik und Lagerfeuer.<br />

Am nächsten Morgen erwacht Andi in<br />

Tinas Bett. Nachdem das Eis mit Tina gebrochen<br />

ist, wagt sich Andi alleine mit seinem<br />

Surfbrett ins Meer. Und da kommt Pedro<br />

und beginnt einen spielerischen Ringkampf<br />

mit Andi im flachen Wasser. Dünen, Wellen,<br />

Strand und Surfer.<br />

Als Andi zu einer erneuten Verabredung<br />

mit seinem Vater <strong>auf</strong>bricht, erscheint dieser<br />

nicht. Andi ist sauer, sucht ihn und stellt ihn<br />

zur Rede. Dazu singt eine Männerstimme:<br />

„You pull out my strength …“ Und genau<br />

das macht dieser Film. Wie überhaupt alles<br />

in diesem Film wörtlich genommen werden<br />

muss. Die Handlung wird über Dialoge<br />

erzählt. Die Emotionen, die man den Schauspielern<br />

nicht ansehen kann, werden über<br />

Musik und über eine Anreihung von schönen<br />

Bildern erzeugt, die Dünen, Wellen, Strand<br />

und Surfer zeigen. Bei Filmminute 45 sind<br />

bereits über 20 Songs angeklungen.<br />

Als Andi schließlich Pedro zum Surfen<br />

trifft, beginnen beide ein Gespräch über<br />

pRO-FuN MeDiA<br />

Väter. Auf Song 21 verkündet Pedro mit<br />

wehendem Haar und Tränen in den Augen:<br />

„Ich glaube, er möchte gerne lieben, aber<br />

er schafft es nicht.“ Kurze Stille, dann sagt<br />

Pedro unter erneutem Musikeinsatz: „Er hat<br />

mir nie gesagt, dass er mich lieb hat!“ Dünen,<br />

Wellen, Strand und Surfer.<br />

Bei ausklingendem Song 23 sitzt Andi mit<br />

seinem Vater im Auto und bei Musikeinsatz 24<br />

läuft Andi davon. Andi trifft schließlich Tina<br />

bei Geigenmusik und mit Song 26 besäuft er<br />

sich bis zum Blackout. Das waren 10 Minuten<br />

Film mit sechs verschiedene Musikstücken.<br />

Trotzdem surfen Tonebene und Bildebene in<br />

der Regel aneinander vorbei.<br />

Der dramaturgische Höhepunkt des Filmes:<br />

Gerade als Andi Pedro im Wasser küssen<br />

will, verrät ihm Pedro sein Geheimnis. Dar<strong>auf</strong>hin<br />

stolpert Andi unter Schock durch die<br />

Dünen und sieht immer wieder wie im Fieber<br />

ein lachendes Grüppchen <strong>auf</strong>tauchen, bestehend<br />

aus seinem Vater, Pedro und Tina. Jetzt<br />

wird auch noch Sigmund Freud verfilmt.<br />

Also Psychoanalyse mit Happyend: Der<br />

einsichtige Vater mit versonnenem Lächeln<br />

zu Andi: „Warum bleibst Du eigentlich<br />

nicht länger hier?“ Und Pedro mit Surfbrett<br />

unterm Arm: „Hey Tiger, komm! Bist<br />

Du bereit?“ Musikeinsatz. Dünen, Wellen,<br />

Strand und Surfer. s<br />

Off Shore<br />

von Sven J. Matten<br />

DE 2011, 89 Minuten, dt. OF<br />

Pro-Fun Media, www.pro-fun.de<br />

Im Kino<br />

ab 5. Juli 2012<br />

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kino kino<br />

16<br />

BARNSteiNeR FiLM MUtterLIeBe<br />

aUf aBwegen<br />

von MichAel eckhArdt<br />

Die großartige schwedische Charakterschaupielerin und<br />

Regisseurin pernilla August spielt in diesem Debütspielfilm<br />

„Miss Kicki“, die sich <strong>auf</strong> die Suche nach dem späten Glück<br />

begibt und ihren fremden Sohn mitnimmt. in taiwan entdeckt<br />

sie die Mutterliebe, ihr Sohn dagegen die erste zu einem<br />

anderen jungen. Lauwarme Mutter-Sohn-Beziehungen<br />

gibt es bekanntlich nicht. Lauwarme Filme darüber schon.<br />

„Miss Kicki“ (Kinostart 26. juli) gehört nicht dazu.<br />

s Mütter und Söhne. Da sei zuallererst nun wirklich nicht an den<br />

ollen Heidi-Kabel-Fernsehschwank gedacht, eher an eine Art metaphysisches<br />

Bündnis, denn die Konstellation „Mutter und Sohn“ ist<br />

eine spezielle. Sie darf gar als Fundament für alles Grundsätzliche<br />

betrachtet werden: Ohne Mütter gibt es keine Söhne und ohne Söhne<br />

keine neuen Mütter. Ja, schon klar, da ächzt das Psychologiegebälk,<br />

da spuckt die Feministin wütend den Kautabak <strong>auf</strong>s Linoleum, aber<br />

doch und ganz im Ernst: Das Verhältnis von Mutter und Sohn ist ein<br />

besonderes, ein sich über alles in der Gesellschaft, in der Familie, im<br />

Zwischenmenschlichen ordnendes Bündnis. Ein Sohn löst sich nie<br />

ganz von seiner Mutter, der Frau, die ihn gebar, ihn <strong>auf</strong>zog, schützte,<br />

prägte und im besten Fall davor bewahrte, ein Abbild seines Vaters<br />

zu werden. Natürlich gilt auch hier und sogar insbesondere: Das Maß<br />

von allem entscheidet, ob diese Bande später von Dankbarkeit oder<br />

Abscheu geprägt ist. Ein lauwarmes Mutter-Sohn-Verhältnis scheint<br />

nicht möglich, ist es doch vor allem auch ein zärtlicher, ein bittersüßer,<br />

ein zweifelsfrei fragiler Bund, es gilt eine Art Geheimabsprache.<br />

Das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn ist – in den häufigeren Fällen<br />

– durch eine unbeirrbare Liebe geprägt. Eine an sich nicht trennbare<br />

Allianz, weswegen – und das ganze Freudsche Gezerre um Ödipus<br />

lassen wir jetzt mal aus – bei Verletzung, Trennung oder Verlust<br />

das Leben des anderen in Schieflage gerät. Jeder Sohn, der seine Mutter,<br />

jede Mutter, die ihren Sohn verlor, weiß, wovon hier geschrieben<br />

steht. Manche kommen da wieder halbwegs heil raus, andere nicht.<br />

Von solch vulnerabler Komplexität wussten schon große Filmemacher<br />

zu erzählen, man denke nur an Bertolucci, Bergman, Almodóvar,<br />

Sheridan und Ozon. Und nun reiht sich da ein Regieneuling<br />

ein, Håkon Liu heißt er, und man möchte wirklich nicht glauben, dass<br />

Miss Kicki sein erster Langfilm ist. Warum? Nun, weil Liu viel von<br />

vielem versteht: Ihm gelingt es <strong>auf</strong> geradezu augenreibende Weise,<br />

ganz verschiedene Erzählstränge zu einem homogenen Ganzen zu<br />

verknüpfen, er vermag es, geerdet an exotischen Orten zu erzählen,<br />

und er führt ein ganz wunderbares Schauspielerensemble zu Höchstleistungen.<br />

Und das Schönste an seinem Erstling – Miss Kicki trifft<br />

voll <strong>auf</strong> die 12, also mitten ins Herz. Doch dazu später, denn erst einmal<br />

erzählt Håkon Liu diszipliniert und chronologisch: Bereits die<br />

ersten Bilder suggerieren Einsamkeit, Sehnsucht, Orientierungslosigkeit.<br />

Eine Frau am Fenster, draußen schneit es, sie raucht, trinkt<br />

Wein, sie langweilt sich. Dann leuchtet ihr Gesicht <strong>auf</strong>, sie chattet mit<br />

einem Taiwanesen, er umschwärmt sie, gratuliert ihr zum Geburtstag<br />

und insistiert, sie solle ihn besuchen. Hoch die Tassen, „Kiss Kiss,<br />

Cin Cin, Bye Bye …“<br />

17


kino kino<br />

Es bleibt beim einsamen Vorglühen für ihre behauptete Geburtstagsfeier<br />

mit ein paar Freunden. Wenig später liegt Miss Kicki, so<br />

heißt die Dame, schlafend-trunken <strong>auf</strong> ihrem klappbaren Zweisitzer.<br />

Man spürt es bereits, und man erfährt es kurz dar<strong>auf</strong>: Sie<br />

hat hier keine Freunde, ist ziemlich allein, war wohl lange weg.<br />

Am nächsten Tag bleiben nur das Wegräumen der Weinpulle, das<br />

Zusammendrücken der Pizzaschachtel, das Putzen der Herdplatten.<br />

Doch dann kommt Leben in die Bude: Kickis Mutter taucht <strong>auf</strong>,<br />

kurzer Austausch von einigen sanften Gemeinheiten, dann ist Viktor<br />

da. Etwas schüchtern, linkisch, sympathisch verloren und mit<br />

ein paar Geschenken. Die zwei singen Kicki ein wenig hölzern ein<br />

Geburtstagsständchen, dann nimmt die Mutter ihre Tochter kurz<br />

zur Seite. Man sieht, wie Kicki sich windet, wie schwer es ihr fällt,<br />

und fragt sich, was ist da eigentlich geschehen? Doch Håkon Liu mit<br />

seinem beeindruckenden Gespür für filmische Syntax verrät nichts<br />

zu früh, Kicki erfüllt ihrer Mutter den Wunsch und lädt Viktor zu<br />

einer gemeinsamen Reise ein. Zum Kennenlernen, Anvertrauen,<br />

Beschnuppern. Eine Woche nach Taipeh. Kicki hat die Anschrift von<br />

Chang dabei, ihrem Chatflirt.<br />

Natürlich hat man so seine Ahnung, die Blicke, die ungelenken,<br />

von scheuer Liebe geprägten Umarmungen verraten es, doch Håkon<br />

Liu als Freund der Ellipse löst seine Aussparungen fristgerecht <strong>auf</strong>.<br />

Kicki war sehr lange im Ausland, bei ihrer Mutter ließ sie den vierjährigen<br />

Viktor zurück – ihren Sohn. Das Wissen darum stellt Kicki<br />

in ein differenziertes Licht. Warum tut eine Frau, eine Mutter so<br />

etwas? Um darüber mehr zu erfahren, gibt es eben Filme wie diesen,<br />

die einen an die Hand nehmen, in dem Fall in ein fernes Land führen,<br />

um Seelen zu entblättern, in einer Sorgfalt, wie es allenfalls großen<br />

Romanciers zuzutrauen wäre.<br />

In einer Absteige kommen Kicki und Viktor unter, „very cheap!“,<br />

versichert der umtriebige Betreiber. Es ist schön, welch einfache Mit-<br />

tel greifen, um die <strong>Neu</strong>gier <strong>auf</strong>einander, die Scheu voreinander, die<br />

Angst umeinander zu bebildern – die dünnen Zimmerwände, durch<br />

die liebevolle und noch etwas unsichere Gutenacht-Rufe kriechen.<br />

Der nächste Tag bringt eine Trennung – Viktor erkundet die Stadt,<br />

Kicki sucht das Büro von Chang <strong>auf</strong>. Hier entstehen nun Parallelgeschichten:<br />

Der Junge verläuft sich, trifft <strong>auf</strong> den hilfsbereiten Didi,<br />

auch er im Teen-Alter. Viktor misstraut der Hilfe des Taiwanesen –<br />

ein gebranntes Kind. Doch Didi kann er vertrauen, man sieht es an<br />

dessen Augen. Er nimmt ihn mit in seine Bude, kocht ihm Nudeln,<br />

zeigt ihm das Meer, Viktor bringt ihm dafür Schwedisch bei. Dann<br />

gibt es da immer wieder diese merkwürdig-eindeutigen Blicke zwischen<br />

den beiden.<br />

Kicki hingegen wagt nicht den letzten Schritt, sie beobachtet<br />

Chang nur aus der Ferne. Sie braucht sicher einen zweiten Anl<strong>auf</strong>.<br />

Dass sie damit Viktor unverblümt brüskiert, ihm regelrecht wehtut,<br />

indem sie abends vorschlägt, am nächsten Tag wieder getrennte<br />

Wege zu gehen, passt zu ihrem auch egoistischen Wesen. Kicki ist ein<br />

großes Kind, das um Aufmerksamkeit buhlt, das Zärtlichkeit braucht,<br />

selbst wenn es die nur im Suff mit dem durchaus sympathischen<br />

Hotelbetreiber gibt. Der hat übrigens Kickis Wesen ganz gut erkannt:<br />

„Sad inside, happy outside!“ Er tickt wohl ganz ähnlich. Viktor enttarnt<br />

die Pläne seiner Mutter, er fühlt sich instrumentalisiert, ist verletzt<br />

und richtig sauer. Kicki kriegt von Chang eine Abfuhr, die ihr<br />

zusetzt, die sie aber auch für ihre mädchenhafte Naivität und ihren<br />

mütterlichen Egoismus abstraft. Chang gibt ihr Geld, mit der Bitte,<br />

ihn nie wieder zu kontaktieren. Diskret im Schutzumschlag vor den<br />

Augen seiner Frau und Kinder … Life sucks!<br />

Hier nun explodiert der Film förmlich zu einer ganz großen Ballade<br />

über zerbrochenes Vertrauen, verletzte Seelen und diese ewig<br />

pochende Sehnsucht. Da scheut sich Håkon Liu auch nicht vor der<br />

ungebremsten Symbolik aus einsamen Hotelzimmern, dem dazu pas-<br />

senden Platzregen und den richtigen Songs. Doch das Leben geht weiter, und so fahren die<br />

beiden mit Didi kurz dar<strong>auf</strong> an den Sun Moon Lake. Håkon Liu weigert sich auch hier, dem<br />

Märchenhaften seiner Geschichte <strong>auf</strong> den Leim zu gehen. So lässt er Viktor im Boot ein wenig<br />

träumen, Didi streichelt ihm in diesem sehr schönen Moment zärtlich den Bauch, nur um ihm<br />

kurz dar<strong>auf</strong> zu sagen, dass es da trotzdem ein ganz nettes Mädchen gibt.<br />

Miss Kicki entpuppt sich als herzzerreißende Parabel über das Glück in seiner ganzen Zerbrechlichkeit.<br />

Ohne Pilcher-Anstrich wird davon erzählt, wie schwer es zu finden und wie<br />

viel schwerer es zu halten ist. Vom Ponyhof wagte sich Viktor ohnehin nicht zu träumen, da<br />

ist er schon Realist genug, aber die eigene Insel mit Didi als Präsident, die hätte doch drin sein<br />

dürfen!<br />

Es ist Liu hoch anzurechnen, dass er sich nicht für die Blaupause einer Schmonzette entschied,<br />

denn wie kann es anders sein, als dass es richtig kracht, wenn sich eben Mutter und<br />

Sohn, dieses untrennbare Gestirn, neu begegnen, nach so langer Zeit, nach so vielen unterschiedlichen<br />

Erfahrungen und dennoch im richtigen Moment, als beider Leben neue Fahrt<br />

braucht und richtig Fahrt gewinnt. Und auch wenn Kicki manchmal ein großes Kind, eine<br />

ziemliche Bitch gar ist, sie weiß genau, was mit ihrem Sohn gerade passiert, was mit ihm und<br />

Didi geschieht. Das ist so angenehm selbstverständlich und ohne all das sattgehörte Outing-<br />

Gedöns erzählt. Und auch Didi ist keineswegs nur Randfigur. Seine Geschichte ist zentral,<br />

sie schwebt über dem zerbrechlichen Glück von Viktor und Kicki, denn er hat seine Mama<br />

früh verloren. Der Vater trinkt und spielt. Es gibt ihn eigentlich gar nicht. Das ist auch eine<br />

Parallele zu Viktors Leben. Damit wird Miss Kicki fast nebenher auch zu einem Film über<br />

die Absenz, das Versagen der heutigen Väter. Das hier zu vertiefen, führte zu weit, nur das<br />

gehört jetzt noch hierhin: Miss Kicki ist atemberaubend gespielt. Von allen! Ludwig Palmell<br />

spielt als Viktor seine erste große Kinorolle. In dieser Mischung aus Unsicherheit, Hoffnung,<br />

Verliebtheit und Misstrauen rührt er den Zuschauer an, dieser Blick, dieses Hände-in-den-<br />

Taschen, diese vorgeschobene Oberlippe – perfekt. Der junge Huang He River hält da gut mit<br />

– da reicht ein Blick aus den auch von Kicki als schön erkannten Augen, die Didis zerrissenen<br />

Familienhintergrund bestens illustrieren! Und dann natürlich Pernilla August! Eine große,<br />

die bisher vielleicht größte Pernilla August. Unvergleichbar, wie uneitel, wie kämpferisch,<br />

wie selbstvergessen sie die sture, die ängstliche, die liebeshungrige und über Umwege zu<br />

echter Mutterliebe fähige Kicki spielt. Man könnt beim Schreiben schon wieder heulen. s<br />

BARNSteiNeR FiLM (2)<br />

Miss Kicki<br />

von Håkon Liu<br />

SE/TW 2009, 85 Minuten,<br />

Originalfassung mit deutschen UT<br />

Barnsteiner Film,<br />

www.barnsteiner-film.de<br />

Im Kino<br />

ab 26. Juli 2012<br />

18 19


kino<br />

WiR Sind<br />

Kein<br />

PRoduKT<br />

von JAn küneMund<br />

Zwei jungs fahren nach paris, gehen in einen Club und verl<strong>auf</strong>en<br />

sich im Wald. Was sie an Zurückweisungen, Desillusionierungen<br />

und Faustschlägen erfahren, wird durch den Zauber der<br />

Filmsprache <strong>auf</strong>gehoben. Hélèna Klotzs magisches Spielfilmdebüt<br />

„Atomic Age“ schafft ihren jugendlichen Helden einen<br />

poetischen Freiraum für große Gesten und große Worte und<br />

grenzt sich damit selbst vom handelsüblichen Coming-of-Age-<br />

Film ab. im Kino ab 18. August.<br />

atomic age<br />

von Héléna Klotz<br />

FR 2011, 70 Minuten, französische OF<br />

mit deutschen UT<br />

Pro-Fun Media, www.pro-fun.de<br />

Im Kino<br />

ab 16. August 2012<br />

s Songs. An einem kalten und grauen Morgen in Chicago wird ein<br />

armes Baby geboren und die Mutter denkt: nicht noch eins. In the<br />

Ghetto. As the snow falls … singt Victor <strong>auf</strong> der Zugfahrt nach Paris,<br />

beim Vorglühen mit Wodka Red Bull und seinem Freund Rainer.<br />

Aber eigentlich hört er gerade die Stone Roses. Diese Band aus Manchester,<br />

aus einer Zeit, als er noch lange nicht geboren war. Kindheit<br />

und Jugend im urbanen Zusammenhang, ob in Chicago, Manchester<br />

oder Paris – dieses Thema ist schnell gesetzt in diesem schnellen<br />

Film.<br />

groß und klein. Zum ersten Mal taucht der Eiffelturm <strong>auf</strong>, ein unwirkliches<br />

Bild am Nachthimmel, weit weg. Ein großes Zeichen für eine<br />

kleine Geschichte, zumal <strong>auf</strong> der Tonspur ein amerikanischer Präsident<br />

(Reagan? Bush Sr.?) gerade ungläubig davon erzählt, dass man in<br />

der UdSSR zehn Jahre lang <strong>auf</strong> ein Auto warten musste. Aus diesen<br />

Andeutungen großer Gesten bahnt sich die unglaublich tolle Kamera<br />

von Hélène Louvart (Pina, Im Alter von Ellen) im Gefolge von Victor<br />

und Rainer ihren Weg in die bunte Höhle eines Pariser Clubs und<br />

filmt das Tanzlicht wie einen Eiffelturm. Reflexe von Stroboskopblitzen<br />

<strong>auf</strong> verschwitzter jugendlicher Haut, in kunstvoll verwuschelten<br />

Haaren von Mädchen und Jungs, einige schauen, andere haben die<br />

Augen geschlossenen, die Kamera blinzelt ins Licht, der Ton geht<br />

von der Tanzfläche ab und mischt im Off Dialoge und Musik. Zum<br />

ersten Mal blitzt Victor bei einem Mädchen ab. Er weiß, dass sie ihn<br />

will, aber sie redet nicht mit ihm, also existiert er nicht. Kompliziert.<br />

Erstes Krisengespräch der beiden Jungs. Victor, der <strong>auf</strong>brausende<br />

Schönling, der in unbeobachteten Momenten noch ein Kind ist, geht<br />

<strong>auf</strong> Konfrontation mit der Welt. Rainer, der Fremde, Introvertierte,<br />

Orts- und Elternlose, die „Schwuchtel“ (wie ihn jeder sofort etikettiert)<br />

zieht sich zurück, lernt im Einschlafen Gedichte und macht sich<br />

dadurch seine Träume selbst. Am Anfang, noch im Zug, schenkt er<br />

Victor seinen Schal und streicht ihm über’s Haar.<br />

abgrenzungen. Für Rainer ist der Sänger der Stone Roses ein Affe und<br />

der Junge, der ihn <strong>auf</strong> der Tanzfläche anmacht, hat einen Fischblick.<br />

– Wor<strong>auf</strong> stehst du? – Jedenfalls nicht <strong>auf</strong> dich. Alle anderen haben<br />

scheiß Klamotten an, alle dieselben. Alle Mädchen wollen Jennifer<br />

oder Loana heißen, bloß nicht Rose, ein schöner & altmodischer Name.<br />

Doch so klar das Urteil über „die anderen“ ist – die beiden Jungs kommen<br />

doch nicht an sie heran. Und was sie selbst sind, wissen sie nicht<br />

und wollen sie nicht wissen, Hauptsache, die innere Leere geht weg,<br />

etwas passiert oder etwas wird besser. Victor blitzt ein zweites Mal<br />

ab, er sagt: „Du bist schön“, das Mädchen antwortet: „Warum?“ Rainer<br />

möchte ein schwuler Matrose sein und niemals das Schiff verlassen,<br />

vielleicht doch lieber nicht schwul, aber <strong>auf</strong> jeden Fall Matrose.<br />

Die Kamera erfasst diese tanzenden Ich-Rätsel in ausgeschnittenen<br />

Porträts vor beweglichen Lichtern, am Ende vervielfältigen sich die<br />

Gesichter in Kaleidoskopen. Sie folgt Victor und Rainer raus aus dem<br />

Club, in die schwarze Pariser Nacht.<br />

Sprache und fäuste. Auftritt Theo, gespielt von Niels Schneider, dem<br />

„Herzensbrecher“ aus Xavier Dolans gleichnamigem Film. Eine<br />

Szene wie aus einem Koltès-Stück, brutal, großkotzig, verzweifelt<br />

und verletzend. Theo und Victor zünden sich Zigaretten an und liefern<br />

sich einen Kampf, erst mit Worten, dann mit Fäusten. Wer hat’s<br />

raus, wer ist cooler, wer trifft den anderen am empfindlichsten. Theo<br />

protzt mit Auto und Check, Victor verleumdet ihn als „Produkt“: der<br />

gleiche Haarschnitt, die gleichen Klamotten, die gleichen Träume, die<br />

gleichen Bauchmuskeln wie alle, zum Gebrauch und anschließendem<br />

Wegwurf, wenn du kein Parfüm <strong>auf</strong>legst, stinkst du nach Scheiße. Die<br />

Traurigkeit über sich wird zum Hass <strong>auf</strong> andere, der schöne Schal,<br />

das Geschenk von Rainer, geht dabei dr<strong>auf</strong>. Diese Szene dauert ewig,<br />

ein rasender Stillstand. Orientierungslos, handlungsunfähig scheinen<br />

Jungs und Kamera, kein Mätzchen à la Dolan, kein Rollen-Posing,<br />

kein Sehnsuchtsbilderklau aus der umliegenden Filmgeschichte. Atomic<br />

Age traut zwei unsicheren Jungs große Worte zu, große Bilder,<br />

große Blicke. „Hohle Pseudo-Philosophie“, stöhnte da das Auf-dem-<br />

Teppich-Bleiber-Feuilleton. Dabei ist die Sprache das einzige, was<br />

Victor und Rainer zur Verfügung haben <strong>auf</strong> ihrem Drift durch die<br />

Nacht. Die Dinge existieren nicht, wenn man nicht darüber spricht<br />

(Victor). Bei Rainer sind das Träume oder Gedichte, er redet von toten<br />

Soldaten, die vom Gras gewiegt werden, von Selbstmördern, die sich<br />

in die Seine stürzen, dann aber von dort bis nach Afrika schwimmen,<br />

von der einzig wahren Amour Fou, die sich zwischen Wind, Sternen,<br />

Totems und Zauberern enthüllt. Der Eiffelturm scheint wieder <strong>auf</strong>,<br />

sein Scheinwerferlicht wird vom Nebel verschluckt.<br />

Kernspaltung. In der blauen Stunde nehmen die beiden eine Abkürzung<br />

zu Victor nach Hause, wo aus Ideen endlich Körper werden<br />

dürfen. Da kommt der Film allerdings nie an. Die Abkürzung führt<br />

schnurstracks und märchengemäß durch einen Zauberwald, in dem<br />

Käuze rufen, Bäche plätschern und Bäume rascheln. Der Stadt sollten<br />

die Lichter ausgehen, wünscht sich Rainer. Und endlich können sich<br />

zwei Menschen sagen, dass sie sich lieben, sich beruhigen und einschlafen.<br />

Nach der ersten Kernspaltung war für die Menschen alles<br />

anders. Seitdem befindet man sich im Atomzeitalter und weiß nicht,<br />

wann es wieder <strong>auf</strong>hört.<br />

atomic age ist ein eigenwilliger Film, intim und großspurig, formlos<br />

und konsequent zugleich. Er nimmt seine Protagonisten ernst und ist<br />

entschieden in sie verliebt, enthebt sie aber gleichzeitig einer scharf<br />

konturierten Welt. Die poetische Nachtstimmung, die mitatmende<br />

Kamera und der knisternde Soundtrack liegen wie ein melancholischer<br />

Hauch über der kleinen Geschichte, in der es eigentlich um<br />

Jugendliche geht, bei denen noch gar nichts passiert ist. Die bewusstseinsverändernde<br />

Filmsprache er innert an Werner Schroeter, der ja<br />

zuletzt auch nur noch entrückte Nächte verfilmt hat. Gleichzeitig will<br />

dieser Film mehr, er will ein Statement sein gegen die Logik hübsch<br />

<strong>auf</strong>gelöster Coming-of-Age-Geschichten, mag seine Jugendlichen<br />

nicht ambitionslos, angepasst, unpolitisch oder rebellisch finden,<br />

sondern spielt die Flucht in die Hipster-Unverbindlichkeiten (kein<br />

Produkt sein, kein Labelträger, kein User) als traurige Rettungsmaßnahme<br />

vor der drohenden Bewegungslosigkeit zurück. Die Poesie des<br />

Films ist mitfühlend: Sie ist als Freiraum für Sprache, Identitäten und<br />

Körper gedacht. Und wenn das auch nur heißen sollte, dass sie sich<br />

für einen kurzen Moment verl<strong>auf</strong>en dürfen. s<br />

20 21<br />

kino<br />

pRO-FuN MeDiA (2)


ahmenhandlung<br />

22<br />

eDitiON SALZGeBeR<br />

geT uSed<br />

To iT<br />

von enrico ippolito<br />

ein paar Leute reden ab und zu vom „Queer Cinema“, aber<br />

niemand kann genau sagen, was das ist. Da sich alles Queere<br />

grundsätzlich von festen Konzepten und identitären Fixierungen<br />

befreien will, hat sich das mit klaren Definitionen eben<br />

erledigt. und trotzdem muss es doch etwas geben, was diesen<br />

Begriff immer wieder ins Spiel bringt, nötig macht, präziser<br />

erscheinen lässt als z.B. „schwul“, „lesbisch“ oder all die<br />

anderen Kategorien für „nicht-heterosexuell“. Aber was wiederum<br />

hat das Ganze mit Kino zu tun? Hat Kino eine sexuelle<br />

identität? Gibt es ein Kino, das sich identitären Zuschreibungen<br />

entziehen will? SiSSY hat sich <strong>auf</strong> Recherche begeben und<br />

Regisseurinnen, Kuratorinnen, journalistinnen und Wissenschaftlerinnen<br />

die verzwickte Q-Frage gestellt.<br />

s Wolken am Himmel. Über den Wolken schweben androgynen<br />

Figuren. Zoom <strong>auf</strong> den Protagonisten, Dialoge, eine Frau interpretiert<br />

für die Zuschauer das Gesagte. Hinter ihr schweben immer<br />

noch die androgynen Figuren. Das alles in Schwarzweiß. Nach zwei<br />

Minuten ist klar: Es handelt sich um ein Filmset. So beginnt Swoon<br />

(1992) von Tom Kalin. Welchem Genre würde man Kalins Erstlingswerk<br />

über zwei Männer und deren sadomasochistische Beziehung<br />

zuschreiben? Ist es ein Film Noir? Ein Drama? „New Queer Cinema“?<br />

„Queer Cinema“? Die Genredebatten im Film sind müßig und oft<br />

zwecklos. Doch was soll das überhaupt sein, „Queer Cinema“? Existiert<br />

es überhaupt als Kategorie? Ist es ein Genre? Oder gar eine<br />

Bewegung?<br />

Terminologisch eingekreist, geht „Queer Cinema“ von B. Ruby<br />

Richs Begriff des „New Queer Cinema“ aus, den die Kulturtheoretikerin<br />

in den <strong>Neu</strong>nzigern prägte. Sie sah eine große Gemeinsamkeit<br />

in vielen queeren Filmen an Anfang dieses Jahrzehnts, einen Stil –<br />

der nicht nur als inhaltliche Kategorie, sondern auch formal verstanden<br />

werden sollte. Rich sah das <strong>Neu</strong>e im New Queer Cinema darin,<br />

dass die Filmemacher_innen mit dem etablierten „humanistischen<br />

Ansatz“ brachen. „In erster Linie sind [diese Filme] voller Lust“,<br />

schrieb sie in ihrem Aufsatz „New Queer Cinema“ in der britischen<br />

Filmzeitschrift „Sight & Sound“.<br />

B. Ruby Rich war vor allem fasziniert von Tom Kalins Swoon,<br />

Derek Jarmans Edward II (1991), Todd Haynes Poison (1991), Jeannie<br />

Livingstons Paris is Burning (1990) und The Living End (1992) von<br />

Gregg Araki. Alles Filme, die zwischen 1990 und 1992 in den Kinos<br />

oder erfolgreich <strong>auf</strong> Festivals liefen. „Queer is hot!“, formulierte Rich<br />

fast schon ketzerisch in ihrem Artikel. Neben dem Erfolg hatten die<br />

Filme jedoch noch eine Gemeinsamkeit: Sie alle sprengten das konventionelle<br />

Kino und brachten eine neue Ästhetik und Art der Erzählung<br />

hervor. „New Queer Cinema“-Filme waren anders, sie machten<br />

Lust, probierten sich am Medium Film aus. Rich sah darin eine<br />

„Homo Pomo“, eine Art homosexuelle Postmoderne.<br />

„I Want Your Love“ von Travis Mathews (2011)<br />

rahmenhandlung<br />

Michael Aaron definiert das „New Queer Cinema“ in seinem<br />

gleichnamigen Buch wie folgt: „Erstens geben die Filme den Marginalisierten<br />

eine Stimme. […] Zweitens, die Filme sind nicht entschuldigend,<br />

was die Schwäche oder gar Verbrechen ihre Charaktere angehen.<br />

[…] Drittens, die Filme widersetzen sich der Unantastbarkeit der<br />

Vergangenheit, vor allem der homophoben. […] Viertens, die Filme<br />

widersetzen sich der filmischen Konventionen in Form, Inhalt und<br />

Genre. […] Und letztens, die Filme widersetzen sich in vielfältiger<br />

Weise dem Tod.“<br />

Zwanzig Jahre später ist die Diskussion verstummt, gilt fast schon<br />

als anachronistisch. „New Queer Cinema“ ist schon längst aus dem<br />

filmischen Diskurs verschwunden. Der Wunsch nach einer Kategorisierung<br />

eines „Queer Cinema“ besteht, es bleiben vor allem Fragen<br />

zurück: Ist der queere Filme immer Avantgarde? Oder ist ein queerer<br />

Film einfach das Sichtbar-Machen von schwulen, lesbischen, bisexuellen<br />

und transidentischen (LGTB-) Inhalten?<br />

Wieland Speck, Leiter der Berlinale-Panorama-Sektion, bemüht<br />

sich, „queeren“ Filmen ein Forum zu geben. Und er engagiert sich für<br />

den Teddy Award, einen Preis für queere Filme. Interessanterweise<br />

haben viele Vertreter des „New Queer Cinema“, wie Kalin, Jarman<br />

oder Haynes, bereits einen Teddy Award gewonnen. „Queeres soll<br />

präsent sein“, sagt Speck. Ihm geht es vor allem um das emanzipatorische<br />

Moment, gar um die Repräsentanz von queeren Elementen,<br />

um das Sichtbar-Machen. Für Speck ist „Queer Cinema“ kein eigener<br />

Begriff, „New Queer Cinema“ allerdings schon. Wie er die Filme für<br />

sein Programm aussuche, sei unvermittelbar, sagt er. Und dennoch<br />

fällt <strong>auf</strong>, dass es vor allem Filme in das Panorama-Programm schaffen,<br />

die sich mit den Themenkomplexen Coming-Out, Diskriminierung<br />

und sexuelle Identitätsfindung beschäftigen. Das politische<br />

Moment ist hier ganz offensichtlich inhaltlich verankert. Damit wäre<br />

queeres Kino nicht zwingend experimentell, sondern vor allem thematisch<br />

zu denken.<br />

Für die Filmemacherin Angelina Maccarone besteht die Gefahr<br />

für das queere Kino in einer Rückwärtsgewandtheit. „Wir befinden<br />

uns in einem gewaltigen Backlash“, sagt sie. Man müsse sich von dem<br />

Gedanken der Progression im queeren Kino verabschieden, sagt sie,<br />

weil eine Sehnsucht nach alten Werten herrsche. Als Maccarone<br />

ihren ersten Film Kommt Mausi raus?! (1995) drehte, war die Wahl<br />

des Genres für sie eine „subversive“ Entscheidung, denn lesbische<br />

Komödien gab es damals eigentlich nicht.<br />

Und heute gilt ein Film wie Parada von Srdjan Dragojevic als radikal<br />

und mutig: Die Komödie, in welcher schwule Aktivisten Exkombattanten<br />

als Sicherheitskräfte für den Belgrader Gay Pride 2010<br />

anheuern, gewann bei der Verleihung der diesjährigen Teddy Awards<br />

den Publikumpreis der Zeitschrift „Siegessäule“.<br />

Subversiv? Wohl kaum – weder inhaltlich noch ästhetisch ist der<br />

Film interessant. Dragojevic bedient sich veralteter Klischees und der<br />

alten Dichotomie homosexuell/heterosexuell und erinnert damit an<br />

eine schlechten Version von Ein Käfig voller Narren. „Parada ist kein<br />

Film für liberal denkende Menschen, sondern für Homophobe. Diese<br />

Leute erreicht man nicht mit einem hermetischen Kunstfilm, sondern<br />

mit Unterhaltung“, sagte Dragojevic in einem Interview in der „taz“<br />

(12.2.2012).<br />

Wieland Speck, der den kontroversen Film in die Panaroma-Sektion<br />

<strong>auf</strong>nahm, steht hinter Parada. „Es bewirkt was, macht was mit<br />

den Menschen. Jede Abarbeitung ist gewinnbringend“, sagt Speck.<br />

Das stimmt zwar, aber sollte man 34 Jahre nach Ein Käfig voller Narren<br />

international nicht weiter im Diskurs über das Sichtbar-Machen<br />

von LGTB-Figuren im Film sein? Also doch Backlash?<br />

Vielleicht beginnt das Problem des „Queer Cinema“ schon mit<br />

dem Begriff „Queer“. Wenn „Queer“ die Norm in Frage stellt, dann<br />

muss das „Queer Cinema“ dies erst recht tun. Gleichzeitig wird der<br />

Begriff „queer“ aber längst schon im Mainstream verwendet. Dilek<br />

Kolat, Senatorin für Arbeit, Frauen und Integration in Berlin, verwen-<br />

23


ahmenhandlung<br />

dete bei den Teddy Awards 2012 in Berlin „queer“ als Sammelbegriff<br />

(Umbrella Term) für alles, was nicht heterosexuell ist. Und auch in<br />

der Filmbranche scheint der Begriff eher diffus als Label verwendet<br />

zu werden – für LGTB und das Andere im Film, das Nicht-Heterosexuelle<br />

– all das <strong>auf</strong> Kosten seines eigentlich subversiven Potentials.<br />

Der Filmkritiker Lukas Foerster gibt zu, das Wort auch „manchmal<br />

als Synonym [für „schwul“, „lesbisch“ etc., — Red.] zu verwenden“.<br />

Er sehe jedoch, dass es nicht deckungsgleich sei. Wenn der Begriff<br />

also als Umbrella Term verwendet wird, ist „queer“ in der Mitte der<br />

Gesellschaft angekommen. Doch keine Avantgarde?<br />

Marc Siegel, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Goethe-<br />

Universität Frankfurt und Mitbegründer des Künstlerkollektivs<br />

CHEAP, bei dem Lukas Foerster schon mal ein Queer-Cinema-<br />

Seminar besucht hat, beschreibt „queer“ als ein „Infragestellen der<br />

Fixiertheit von Identitätspositionen.“ Für ihn hat „queer“ etwas mit<br />

Begehren, sexueller Begierde, Fantasien zu tun, aber ebenso mit<br />

sozial-politischer Identifikation und auch mit der Bereitschaft – so,<br />

wie Queer-Theoretikerin Eve Kosofsky Sedgwick es mal formuliert<br />

hat – sich selbst als „queer“ zu bezeichnen, und dabei die eigene<br />

fixierte Identität zu hinterfragen. „Queer“ ist mehr als die Repräsentation<br />

des Anderen, es geht über eine Abgrenzung von Heterosexualität<br />

hinaus, stellt Dichotomien wie männlich/weiblich und<br />

homo/hetero in Frage und erschöpft sich somit nicht in einem reinen<br />

Sichtbar-Machen.<br />

In Amerika wurde das Wort „Queer“ als Schimpfwort verwendet.<br />

In den neunziger Jahren wurde der Begriff im akademischen und<br />

politischen Diskurs resignifiziert und neu bewertet (reclaiming) – im<br />

Zuge einer Selbstermächtigung mit dem Wunsch verbunden, sich der<br />

Opferrolle zu entziehen – der Slogan dazu: „We’re here, we’re queer,<br />

get used to it!“<br />

In dem anonymen Manifesto von „Queer Nation“ vom Juni 1990<br />

mit dem Titel „Queers Read This“ steht: „Gay ist gut. Es hat seinen<br />

Platz. Aber wenn viele Lesben und Gay-Männer morgens <strong>auf</strong>wachen,<br />

fühlen wir uns wütend und angeekelt, nicht gay. […] Die Verwendung<br />

von ‚queer‘ ist ein Weg, uns daran zu erinnern, wie wir vom Rest der<br />

Welt wahrgenommen werden.“ Queer Nation verwendete vor allem<br />

das Wort als listige und ironische Waffe, die die „Queers“ von den<br />

Homophoben stehlen könnten, um sie gegen sie zu verwenden. Auch<br />

heute noch wird „queer“ gerade in der Wissenschaft kritisch diskutiert.<br />

Wenn B. Ruby Rich von „New Queer Cinema“ spricht, scheint sie<br />

auch von einem „Old Queer Cinema“ auszugehen – also einem queeres<br />

Kino vor 1990. In den Sechzigern wurde so etwas wie eine Untergrund-Film-Bewegung<br />

sichtbar. Selbstverständlich gab es schon<br />

davor Filme, die als „queer“ zu beschreiben wären – wie Kenneth<br />

Angers Fireworks (1947). Doch vor allem das filmische Schaffen Andy<br />

Warhols ist von zentraler Bedeutung. In seinem Werk Flesh (1968) ist<br />

ein Mann Sexualobjekt, in Kitchen (1965) hinterfragt er die Positionen<br />

Weiblichkeit und Männlichkeit, in Blowjob (1964) spielt er mit dem<br />

Genre der Pornographie: Ein Mann wird oral befriedigt und das – so<br />

der Mythos – von einem anderen Mann.<br />

Ähnliches gilt für Jack Smith, der mit Warhol eng verwurzelt<br />

war. Sein einziger vollendeter Film Flaming Creatures (1963) ist sinngebend<br />

für das „Queer Cinema“. Smith sprengt jegliche Konventionen<br />

des Kinos, lässt sich nicht festlegen, will es auch nicht. Nichts ist<br />

greifbar, die Sexualität der Performer_innen nicht mehr identifizierbar.<br />

Die Geschichte fast schon zweitrangig. Es entsteht was <strong>Neu</strong>es,<br />

Anderes, das vor allem ästhetisch und formal interessant ist.<br />

Laut dem Buch „Now You See It“ des Filmwissenschaftlers<br />

Richard Dyer lassen sich vor allem zwei Strategien des Sichtbar-<br />

Machens nicht-heterosexueller Utopien im Kino definieren: Die Konfrontationsfilme<br />

und Affirmationsfilme.<br />

Die Konfrontationsfilme spielen mit den klassischen Repräsentationsformen,<br />

wie zum Beispiel Rosa von Praunsheims Nicht der<br />

24<br />

Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt (1971)<br />

oder Frank Ripplohs Taxi zum Klo (1980), der für seine Zeit unglaublich<br />

explizit von schwulem Sex erzählt. Ähnliches gilt für Rainer<br />

Werner Fassbinders letzten Film Querelle (1982), einen Film über<br />

sexuelle Begierde.<br />

Die Affirmationsfilme stehen ebenfalls den gängigen normativen<br />

Geschlechterbildern und Familienmodellen kritisch gegenüber,<br />

unterliegen aber den gängigen Konventionen des Erzählkinos. Es<br />

geht um die positive Zuschreibung, positive LGTB-Bilder im Kino,<br />

vereinfacht um Repräsentanz. Hierzu zählen auch viele der Coming-<br />

Out-Filme, die um Verständnis für ihre homosexuelle Figuren warben<br />

und Nicht-Heterosexuellen zeigen sollten, dass sie nicht alleine<br />

sind.<br />

Vor allem der Affirmations-Strategie wurde durch das „New<br />

Queer Cinema“ eine Absage erteilt. Rotzige, punkige, experimentelle<br />

Bilder von schwulen und lesbischen Bösewichtern, Virenträgern und<br />

Serienkillern waren wenig mainstreamtauglich, schufen durch ihren<br />

Erfolg aber neue Independent-Strukturen, die wiederum schnell in<br />

den Mainstream integriert wurden.<br />

Und heute? Was passiert in der Ära des Post-„New Queer<br />

Cinema“? Reicht das Sichtbar-Machen nicht? Mittlerweile scheint<br />

das „Andere“ fern der Heterosexualität sehr präsent zu sein. Schwule<br />

und Lesben tauchen in jeder Soap-Opera <strong>auf</strong> und können gar Hauptfiguren<br />

in Filmen sein, oder etwa nicht? „Gut, dass es in Filmen sichtbar<br />

wird. Nur dieses zwanghafte ‚Wir wollen das auch‘ – das ist ähnlich<br />

wie mit der Homo-Ehe. Ich habe kein Problem damit, aber man<br />

müsste die Ehe an sich in Frage stellen“, sagt Maccarone.<br />

Der Regisseur Travis Mathews arbeitet gegen die gängigen<br />

Regeln von klassischen Pornos. Seine Filme erzählen eine Geschichte<br />

und arbeiten nicht <strong>auf</strong> den Orgasmus hin – trotzdem sind sie roh,<br />

explizit. „Meine Filme I Want Your Love und In Their Room resultieren<br />

aus einer Frustration über den Zustand des Gay Cinema und<br />

wie die Darstellungen darin nichts über mein Leben aussagt. Es ging<br />

erst mal um Präsenz – darunter litten aber oft die Produktion und die<br />

Geschichte“, sagt Mathews.<br />

Offenbar unterscheidet Mathews hier zwischen „Queer“ und<br />

„Gay“ Cinema, wobei „Gay Cinema“ dann auch bei ihm eher die<br />

Affirmationsfilmen meint. „In den letzten zwanzig Jahren hatte ich<br />

das Gefühl, dass es den Geschichten an Authentizität mangelt. Es<br />

gab Aids-Filme, Coming-Out-Filme, und dann kam das neue Queer<br />

Cinema“, sagt er.<br />

Für ihn ist das Erzählen einer Liebesgeschichte politisch, die<br />

gerade nicht Probleme mit der Suche nach der sexuellen Identität<br />

thematisiert. „Verpflichtet zu sein, eine historische Geschichte über<br />

Aktivismus, Aids oder Coming-Out zu machen, ist sehr defensiv“,<br />

meint Mathews. Er zeigt hingegen die alltäglichen Probleme, die<br />

Männer mit Sex und Beziehungen haben. Seine Figuren sind dreidimensional<br />

und haben hohen Identifikationswert.<br />

Ähnliches gilt für Andrew Haighs und seinen Film Weekend<br />

(2011), der die Geschichte zweier Männer nach einem One-Night-<br />

Stand erzählt. Dass die Männer scheitern, liegt nicht an ihrer Homosexualität<br />

oder an einer homophoben Gesellschaft, sondern an verschiedenen<br />

Beziehungsmodellen. Sowohl Haigh als auch Mathews<br />

eint ihre Affinität zur dokumentarischen Form. Beide machen nicht<br />

die sexuelle Identität zum Thema, sie wird vorausgesetzt, nicht problematisiert<br />

und schon gar nicht tabuisiert. Hier liegt das „Queere“ in<br />

der Verweigerung des Identitätsdiskurses.<br />

Während vor allem Weekend in der englischsprachigen Presse<br />

Anerkennung fand, blieb es in Deutschland bei vereinzelten Rezensionen<br />

– ähnliches gilt für Mathews’ Filme. Offenbar herrscht hierzulande<br />

immer noch die Idee von einer Art Nische. Queeres Kino, schön<br />

und gut, doch sollen die Filme <strong>auf</strong> ihren eigenen Festivals l<strong>auf</strong>en, die<br />

Kritiken in den eigenen „Special Interest“-Magazinen stehen und der<br />

Vertrieb im eigenen Verleih l<strong>auf</strong>en.<br />

rahmenhandlung<br />

Die „Vernischung“ des „Queer Cinema“ ist vielleicht eins der<br />

größten Probleme heutzutage. Es sorgt auch dafür, dass viele Regisseure_innen<br />

nach ein oder zwei „queeren“ Filmen das Sujet (wenn<br />

man davon sprechen mag) wechseln und sich in den Mainstream<br />

werfen. Das beste Beispiel hierfür ist der amerikanische Regisseur<br />

John Cameron Mitchell, der nach Hedwig & The Angry Inch (1998)<br />

und Shortbus (2006) mit Rabbit Hole (2010) in Hollywood angekommen<br />

ist.<br />

Auch Geld ist ein Problem: Oft entstehen queere Filme unter katastrophalen<br />

finanziellen Bedingungen. Die „queeren“ Regisseure_<br />

innen suchen nach neuen Modellen der Bezahlung. Mathews ließ sein<br />

Spielfilm von einer Pornofirma finanzieren, und um sein Dokureihe<br />

In Their Room – London zu drehen, griff er <strong>auf</strong> Crowdfunding zurück.<br />

Natürlich tauchen von Zeit zu Zeit Filme auch in Hollywood <strong>auf</strong>,<br />

die Homosexuelle als Hauptfiguren zeigen, siehe Milk (2008) oder<br />

Brokeback Mountain (2005). In beiden Fällen änderte sich das Rezeptionsverhalten<br />

und auch die Kritiker-Resonanz deutlich. Das gleiche<br />

gilt für Tom Tykwers Film Drei (2010), der von einem Ehepaar<br />

erzählt, das sich in den gleichen Mann verliebt. Die Kritik durchweg<br />

positiv, überschlug sich vor Freude, lobte Tykwers Mut, eine solche<br />

Geschichte zu erzählen.<br />

Aber sind Drei, Brokeback Mountain oder Milk queere Filme? Sie<br />

alle überschreiten keine gegenwärtigen filmischen Grenzen – weder<br />

in der Narration noch in der Ästhetik. Das Sichtbar-Machen hier ist<br />

reine Repräsentanz von queeren Inhalten, aber noch lange nicht progressiv.<br />

Was diese drei Beispiele zeigen, ist, dass das konventionelle<br />

Erzählkino offenbar über ein Zeigen von LGTB-Inhalten nicht hinaus<br />

kommt.<br />

Doch „Queer Cinema“ kann mehr. „Queer Cinema hat die Möglichkeit,<br />

die Darstellung von Gender und Sexualität neu zu denken“,<br />

sagt Marc Siegel. Ist das auch mit einer klassischen Narration möglich?<br />

„Es passiert meistens im Avantgardekino“, meint er. Wichtig sei,<br />

dass die Narration des Films nicht dar<strong>auf</strong> gerichtet sei, eine schwules<br />

oder lesbisches Subjekt am Ende <strong>auf</strong>zubauen, oder durchgehend zu<br />

porträtieren. Anstelle eindeutiger Identitäten könnten stattdessen<br />

perverses Begehren stehen oder einzelne Aspekte aus der queeren<br />

Kultur.<br />

Für B. Ruby Rich war das „New Queer Cinema“ „ein Moment,<br />

keine Bewegung.“ Doch queeres Kino muss mehr sein als nur einem<br />

Moment verhaftet oder ein Zusammenspiel diverser und zufällig<br />

<strong>auf</strong>einander treffender Faktoren – es muss über den Zeitgeist hinaus<br />

gehen.<br />

Wenn der queere Film nur ein Sichtbar-Machen der verschiedenen<br />

sexuellen Identitäten und Lebensformen ist, verliert er seinen<br />

rebellischen Charakter. Dennoch muss queeres Kino präsent sein,<br />

weil es vor allem das eigene Medium und dessen Konventionen sprengen<br />

kann. Dafür müsste das „Queer Cinema“ immer experimentell<br />

sein. Kein „Queer Cinema“ ohne Avantgarde? s<br />

--enrico<br />

Ippolito ist Volontär bei der taz. wieland Speck wird zwischen<br />

dem 7. und 17. Februar 2013 eine neue Berlinale-Panorama-Ausgabe mit<br />

einer großen Anzahl queerer Filme präsentieren. angelina Maccarones<br />

experimentelles Dokumentarfilmporträt der Schauspielerin Charlotte<br />

Rampling („The Look“) ist gerade <strong>auf</strong> <strong>DVD</strong> erschienen. Lukas foerster<br />

ist Redakteur der Filmkolumne „Im Kino“ <strong>auf</strong> perlentaucher.de, die<br />

jeden Mittwoch zwei aktuell startende Kinofilme vorstellt. Marc Siegel<br />

hat gerade zusammen mit Susanne Sachsse im Berliner HAU das<br />

Festival „Camp/Anti-Camp“ organisiert. travis Mathews’ „In Their<br />

Room“-Filme sind <strong>auf</strong> <strong>DVD</strong> erhältlich. Das nächste Queer-Film-Festival<br />

in Deutschland ist das Berliner XPOSed, das vom 20. – 22. Juni<br />

stattfindet (www.xposedfilmfestival.com).<br />

---<br />

25<br />

good!movies präsentiert<br />

<strong>Neu</strong> <strong>auf</strong> <strong>DVD</strong>!<br />

Sehen Sie den Film auch online<br />

<strong>auf</strong> www.goodmovies.de<br />

William S. Burroughs – A Man Within<br />

Ein intimer Dokumentarfilm, der ungeahnte Einblicke verschafft<br />

in die verstörende Welt eines brillanten, aber auch gequälten Mannes.<br />

William S. Burroughs ist die Ikone der Beat Generation und war der<br />

erste Schriftsteller, der die amerikanische Drogen- und Schwulen-<br />

kultur der 50er und 60er Jahre beschrieb. Burroughs‘ bekanntester<br />

Roman »Naked Lunch« gehört zu den wichtigsten literarischen<br />

Werken des 20sten Jahrhunderts und hat Generationen von<br />

Schriftstellern inspiriert.<br />

Ein Zusammenschnitt aus exklusivem Archivmaterial von Burroughs,<br />

sowie Interviews mit einigen seiner engsten Freunde, unter ihnen<br />

John Waters, Patti Smith, Laurie Anderson, David Cronenberg,<br />

Iggy Pop, Gus Van Sant und viele mehr!


kino<br />

„Jetzt!“<br />

interview: JAn küneMund<br />

Vier jahre lang hat Diana Näcke den schwierigen Weg zweier gefangener Frauen<br />

in die Freiheit mit der Kamera verfolgt. immer wieder war sie allein in der „jVA für<br />

Frauen“ in Berlin-Lichtenberg und hat für „Meine Freiheit, deine Freiheit“ so intime<br />

Bilder aus einem Frauenknast gedreht wie kaum jemand zuvor. Zwangsläufig ist<br />

ihr Film, der gerade sehr erfolgreich <strong>auf</strong> Festivals läuft und am 31. Mai ins Kino<br />

kommt, auch ein philosophischer exkurs zum thema Freiheit an sich geworden. im<br />

folgenden interview erzählt Diana Näcke von ihren persönlichen erfahrungen und den<br />

nerven<strong>auf</strong>reibenden Dreharbeiten.<br />

SeBAStiAN NOACK<br />

sissy: Bist du mit einer bestimmten (Film-)Idee in den<br />

Knast gegangen oder kanntest du deine Protagonistinnen<br />

vorher?<br />

diana näcke: Nein, das war Zufall. Ich war für ein anderes<br />

Projekt im Knast und habe diese beiden Frauen gesehen,<br />

die haben mich dann nicht mehr losgelassen. Ich<br />

habe meine eigene innere Wut, die Zerrissenheit und<br />

Unruhe bei diesen beiden Frauen gesehen, aber eben<br />

nicht nur bei ihnen, sondern auch in dem, was man<br />

schnell als ‚die andere Seite‘ bezeichnet, bei den Beamten,<br />

die sie wegschließen müssen. All das trägt man in<br />

sich, diese beiden Seiten. Ich habe Antworten gesucht<br />

<strong>auf</strong> das, was uns Menschen antreibt, wo Verantwortlichkeiten<br />

liegen. Aber ich habe begreifen müssen, dass Verantwortung<br />

genau so ein Konstrukt ist wie Freiheit. Es<br />

existiert faktisch nicht, es gibt nur ein Gefühl dazu, eine<br />

Einstellung, ein Moment, ein Verhalten. Salema hat sich<br />

vor meinen Augen einmal einen Goldenen Schuss gesetzt.<br />

In solchen Situationen reicht das Nachdenken über Freiheit<br />

nicht mehr, da stehst Du eben mittendrin und hasst<br />

dieses Konstrukt und Dich dafür, dass Du Freiheit selbst<br />

als allumfassend wahrnimmst und den Menschen, der<br />

Dir gerade gesagt hat: „Lass mich sterben, das ist meine<br />

Freiheit und ich will, dass Du das filmst.“ Aber man kann<br />

doch einen Menschen nicht einfach so sterben lassen.<br />

Ich habe Hilfe geholt, danach hat Salema sechs Wochen<br />

nicht mehr mit mir gesprochen. Das passt gar nicht alles<br />

in diesen Film. Den Wahnsinn Dokfilm, vier Jahre lang<br />

und dann erst mal zwei Jahre lang ohne Geld, nimmst Du<br />

nicht <strong>auf</strong> Dich, wenn Du nicht einen eigenen ganz ganz<br />

starken inneren Antrieb hast.<br />

Du hast dich <strong>auf</strong> Kübra und Salema konzentriert. Wofür<br />

stehen sie für dich?<br />

Es waren Kübra und Salema, die mich von Anfang an<br />

begeistert haben und die für einen Dokumentarfilm<br />

wichtige Offenheit mitbrachten. Die beiden stehen allerdings<br />

für viele dieser Frauen, die einfach das Pech hatten,<br />

in eine so krasse Biografie hineingeboren zu werden.<br />

Was nicht heißen soll, jeder mit krasser Biografie wird<br />

kriminell. Es geht nicht darum, ihre Straftaten zu rechtfertigen.<br />

Ich wollte einfach verstehen, wo der Punkt war,<br />

wo man den Bezug verliert, wann man in den Abgrund<br />

springt, der Moment, wo einem alles scheißegal wird.<br />

Ob solche Dinge auch klare Entscheidungen sind und vor<br />

allem, durch was sie beeinflusst werden. Dieses System<br />

Knast macht Dich kaputt, es hilft Dir nicht. Kübra hat<br />

mal gesagt: „Was passiert denn? Die Tür geht zu für vier<br />

Jahre, aber wenn Du rauskommst, bist Du noch derselbe<br />

Mensch, wenn nicht sogar schlimmer …“ Und trotzdem<br />

gibt es da auch noch mehr, man lacht da auch …<br />

Wie intensiv hast du in diesen drei Jahren an dem Film<br />

gearbeitet? Wie sahen die Produktionsbedingungen aus?<br />

Oh je, das war krass. Hätte ich am Anfang gewusst,<br />

was das heißt, hätte ich – glaube ich – nicht angefangen.<br />

Als ob man in einen Strudel gerät. Andres Veiel hat<br />

mich mal eine Dokwütige genannt, er war in der Jury<br />

des Bayrischen Dokumentarfilmwettbewerbes, wo ich<br />

einen Preis für das Treatment gewonnen habe. Ich hab<br />

damals nicht verstanden, was er meint, weil das normal<br />

für mich war, mich so durchzuboxen. Er hat es liebevoll<br />

gemeint, in Anlehnung an seinen Film Die Spielwütigen,<br />

eine Bezeichnung für jemanden, der extrem für das, was<br />

er macht, brennt, mit voller Leidenschaft dabei ist, die<br />

aber auch gewisse Gefahren in sich birgt. Man kann sich<br />

nämlich verlieren, vor allem <strong>auf</strong> der Gratwanderung zwischen<br />

Nähe und Distanz. Du lernst bei so einem Film fürs<br />

Leben. Danach kannst Du fast alles stemmen. Wie auch<br />

immer, ich habe mein Saxophon verk<strong>auf</strong>t, meine Taucherausrüstung,<br />

meine Gitarre, alles, was ich an Wert hatte,<br />

um mir Kamera- und Tonequipment besorgen zu können.<br />

Ich hatte keine Ahnung von Ton und keine Ahnung von<br />

Kamera, geschweige denn von Szenen-Auflösung. Ich<br />

musste einfach drehen. Und ich wusste, dass viel passieren<br />

wird. Kübra hat mich manchmal nachts angerufen<br />

und gesagt: „Jetzt!“ Und dann musste ich eben los, egal<br />

wann und egal wie. Da kannst Du nicht noch einen Tonmann<br />

oder eine Kamerafrau anrufen. Und es gab eben<br />

kein Geld. Und wenn man realistisch ist, wer gibt einem<br />

Debüt-Filmemacher ohne Filmschulhintergrund Geld?<br />

Alle Entscheidungen waren aus heutiger Sicht richtig.<br />

Das gedrehte Material hat dann überzeugt, vor allem die<br />

Kraft der beiden Protagonistinnen und wahrscheinlich<br />

auch meine Dokwütigkeit, zuerst die Produktionsfirma,<br />

dann das ZDF.<br />

Aber das Schönste dabei ist: Kübra und Salema lieben<br />

den Film und sie sind stolz <strong>auf</strong> ihn. Sie haben sonst nichts,<br />

<strong>auf</strong> das sie stolz sind, zumindest bis zu diesem Moment.<br />

Sie kriegen das erste Mal im Leben Respekt für das, was<br />

sie sind. Kübra hat den Film im Knast anschauen müssen<br />

und ihn regungslos verfolgt. Am Ende hat sie sehr<br />

geweint, weil sie drei Jahre ihres Lebens an sich vorbeiziehen<br />

gesehen hat und ihr Bild von sich verändern<br />

musste.<br />

In dem Film sieht man einen sehr offenen Umgang mit<br />

Drogen innerhalb des Gefängnisses. War das eine Offenheit<br />

dir gegenüber oder sind Drogen dort wirklich so präsent?<br />

Es ist so: In jedem Knast dieser Welt gibt es Drogen. Vor<br />

allem aber da, wo drogenabhängige Frauen sitzen. Die<br />

JVA Lichtenberg ist der größte Frauenknast Berlins,<br />

in dem vor allem drogenabhängige Frauen ihre Strafen<br />

verbüßen müssen. Das heißt, diese Frauen finden <strong>auf</strong>grund<br />

des enormen Suchtdrucks immer wieder Wege,<br />

Drogen illegal in den Knast zu schmuggeln. Ich habe<br />

ihre Kreativität, was das betrifft, zur Genüge kennen<br />

gelernt. Natürlich ist das illegal, nur wird die Knastleitung<br />

dieses Problems nicht Herr. Trotzdem hat sich die<br />

Knastleitung entschieden, Spritzenautomaten zu installieren,<br />

um zumindest die Hepatitis-C- und HIV-Infektionsgefahr<br />

einzudämmen. Das wird oft angegriffen. Ich<br />

finde das aber richtig und gut. Aber die Frauen dürfen<br />

natürlich nichts reinschmuggeln und auch nichts besitzen,<br />

geschweige denn Drogen konsumieren. Das ist ein<br />

Paradox. Natürlich gibt es auch Sanktionen und Anzeigen<br />

gegen sie. Ich wollte das nicht im Film zum Thema<br />

machen, das kann eine Reportage besser. Deshalb habe<br />

ich es subtil erzählt und das Spritzen in der Zelle wie<br />

26 27<br />

kino


kino<br />

Salema Wad’deres (oben), Kübra Baytok<br />

selbstverständlich gezeigt. Die Frauen handhaben<br />

das so, es gehört zu ihrem Alltag. Es ist<br />

nur noch nie in dieser Selbstverständlichkeit<br />

in einem deutschen Knast gefilmt worden.<br />

Ich durfte mich in diesem Knast frei<br />

bewegen, ich habe einfach mit den Frauen<br />

unbeobachtet teilweise sogar acht Stunden<br />

am Stück <strong>auf</strong> der Zelle bzw. der jeweiligen<br />

Station verbringen können. So wurde ich zu<br />

so etwas, was halt immer da ist, die Frau mit<br />

der Kamera gehörte zum Inventar. Ich war<br />

ja alleine, ohne Crew. Und dann passiert das<br />

einfach, dass Du in deren Alltag eingebunden<br />

bist und das Heroin gehört dazu. Es ist<br />

ein offenes Geheimnis, was der Bevölkerung<br />

nicht so klar ist, dem Justizsystem allerdings<br />

schon. Das ist es auch nicht, was ich für einen<br />

Skandal halte. Ich finde es dagegen ungeheuerlich,<br />

dass es in Berlin keinen Ort für weibliche<br />

jugendliche Straftäter im Alter von 14 bis<br />

21 Jahren gibt. Jemand wie Kübra wird dann<br />

halt mit 14 Jahren im Erwachsenenstrafvollzug<br />

für drogenabhängige Frauen untergebracht,<br />

obwohl laut Gesetzgeber Jugendstrafen<br />

getrennt vom Erwachsenenstrafrecht<br />

vollzogen werden muss. Und dann kommen<br />

diese kleinen Mädchen auch mit Heroin in<br />

Kontakt. Die Frauen setzen eben auch anderen<br />

die Spritze. So ist das eben. Das ist der<br />

eigentliche Skandal und unverzeihlich, wie<br />

ich finde. Und Drogenabhängige sind nicht<br />

wirklich in einem Knast gut <strong>auf</strong>gehoben, es<br />

ist eine Krankheit, die eben auch Kriminalität<br />

mit sich bringt. Es ist eine Sucht.<br />

Im Gegensatz zur Drogensucht spielt Sexualität<br />

in deinem Film kaum eine Rolle. Salema<br />

erwähnt einmal, dass sie mit Heroin angefangen<br />

hat, um „in der Welt“ ihrer abhängigen<br />

Freundin sein zu können. Habt ihr ansons-<br />

eDitiON SALZGeBeR (2)<br />

ten nicht über Sexualität und Beziehungen<br />

gesprochen – oder ist das dann doch der<br />

Bereich, der im Gefängnis tabu ist?<br />

Na, klar haben wir darüber gesprochen, das<br />

machen wir bis heute, leider sind viele schöne<br />

Szenen dazu der Dramaturgie des Filmes<br />

und seinem Rhythmus zum Opfer gefallen.<br />

Einiges haben wir auch herausgenommen,<br />

um die Protagonisten zu schützen. Kübra ist<br />

Muslimin und egal, was sie in ihrem Leben<br />

schon für Dinge gemacht hat, sie wollte auch<br />

ihre Familie schützen und einige Dinge<br />

waren ihr heilig. Wenn Du eine Biografie<br />

hast wie Kübra, gewöhnst du dir an, in verschiedene<br />

Welten und Persönlichkeiten zu<br />

schlüpfen. Um nicht durchzudrehen, weil<br />

die Dinge zu ertragen, die einem passiert<br />

sind, manchmal unmöglich ist. Natürlich<br />

gibt es auch Liebe im Knast, auch Sexualität.<br />

Viele Frauen haben Beziehungen untereinander.<br />

Kübra hatte das meines Wissens nach<br />

nie. Salema, die Frauen liebt, ist da offener.<br />

Aber sie hat Angst, Angst davor wieder so<br />

schwere Verluste zu erleiden, dass sie nicht<br />

mehr <strong>auf</strong>stehen kann. Ich habe sie im Knast<br />

vor der Kamera gefragt, was Liebe für sie ist.<br />

Ihre Antwort war: „Ich habe noch nie einem<br />

Menschen gesagt, dass ich ihn liebe. Liebe<br />

ist für mich so unselbstverständlich, dass<br />

ich das nicht mal aussprechen kann.“ Als ich<br />

Salema vor zwei Wochen besucht habe, war<br />

sie gerade wieder am Boden zerstört, weil<br />

sich ihre neue Freundin gerade das Leben<br />

genommen hatte. Da haut es Dich einfach<br />

nur weg und Du kannst nichts tun und ehrlich<br />

gesagt, kann ich verstehen, warum sich<br />

Salema wegbeamt. In Salemas Leben scheinen<br />

sich Dinge <strong>auf</strong> gespenstische und absolut<br />

unvorstellbar schmerzhafte Art zu wiederholen.<br />

Sie hatte ja ihre erste Liebe mit fünfzehn<br />

genauso verloren, das Mädchen starb in<br />

ihren Armen, sie hatte sich einen Goldenen<br />

Schuss gesetzt. Dabei wollte sie sich gar nicht<br />

mehr <strong>auf</strong> einen Menschen so tief einlassen.<br />

Danach ist sie wieder abgestürzt. Wenn man<br />

das so hört, denkt man immer: Das kann doch<br />

alles nicht sein! Und trotzdem sind diese beiden<br />

Menschen <strong>auf</strong> beeindruckende Weise so<br />

stark, wie ich es niemals sein könnte. s<br />

Meine freiheit, deine freiheit<br />

von Diana Näcke<br />

DE 2011, 84 Minuten, deutsche OF<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino ab 31. Mai<br />

Harry Baer und Günther K<strong>auf</strong>mann in „Whity“ von Rainer Werner Fassbinder (1971)<br />

eVen<br />

RighT<br />

noW<br />

von hArry BAer<br />

Am 10. Mai starb der Schauspieler Günther K<strong>auf</strong>mann in Berlin.<br />

in der presse war viel von einem prozess, von Gefängnis und<br />

Dschungelcamp die Rede, wenig von den mit stets verliebtem<br />

Blick inszenierten Auftritten in vielen Fassbinder-Filmen. Wir<br />

haben Harry Baer, Wegbegleiter und Kollege, um einen persönlicheren<br />

Nachruf <strong>auf</strong> den „weißen Neger vom Hasenberg“ (so<br />

der titel von K<strong>auf</strong>manns Autobiografie) gebeten.<br />

whity<br />

von Rainer Werner Fassbinder<br />

DE 1971, 92 Minuten, dt. OF<br />

götter der Pest<br />

von Rainer Werner Fassbinder<br />

DE 1970, 88 Minuten, dt. OF<br />

alle drei <strong>auf</strong> dVd bei Studiocanal, www.studiocanal.de<br />

niklashauser fart<br />

von Michael Fengler<br />

DE 1970, 86 Minuten, dt. OF<br />

StuDiOCANAL<br />

s Servus Günther,<br />

in Bonn, oder besser gesagt Bad Godesberg, haben wir am 4. Juni<br />

2005 zum 60. Geburtstag von Rainer Werner Fassbinder sein Stück<br />

„Katzelmacher“ <strong>auf</strong>geführt. Nur an einem einzigen Abend, der auch<br />

eingehüllt war von Liedern, die der Peer Raben geschrieben hatte.<br />

Das Motto des Abends war „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin“, und<br />

die Regie hat damals Werner Schroeter geführt. Die Freunde triffst<br />

du ja demnächst <strong>auf</strong> deiner langen Reise.<br />

Günther, ich habe dich eigentlich erst richtig wahrgenommen,<br />

als wir beide in dem Schwarzweißfilm Götter der Pest böse Buben<br />

gespielt haben. In München war das, im Herbst 1969. Ich wurde ja<br />

nur in einem banalen, mit Neon beleuchteten Supermarkt am Rotkreuzplatz<br />

erschossen, während du nachts in der Sonnenstrasse,<br />

angeschossen, malerisch und mit nacktem Oberkörper, an den Sch<strong>auf</strong>enstern<br />

mit Hochzeitsgewändern entlang torkeln durftest. Sogar in<br />

die Wohnung von der Carla hattest du es noch geschafft und konntest<br />

das Miststück erledigen, vor deinem Abtritt mit den Worten: „Life is<br />

very precious … even right now“. Da war ich schon ein wenig neidisch,<br />

weil eigentlich ja ich die Hauptrolle hatte und dann mit so einen blöden<br />

Satz enden musste: „Schuster, bleibe bei deinen Leisten“. Das war<br />

nicht so schön für mich, aber dafür konntest du ja eh nichts. Da hatte<br />

ich aber auch noch gar nicht so richtig begriffen, wie sehr sich der<br />

Rainer in Dich verknallt hatte. Bei den Dreharbeiten zu Baal vom<br />

Schlöndorff hat es gefunkt zwischen euch beiden. Wahrscheinlich<br />

wusstest du es auch noch nicht so richtig, wie das alles geht mit der<br />

Liebe unter Männern; aber ihr hattet euren Spaß und wir das Nachsehen.<br />

Durch den Film Katzelmacher gab es ja Kohle ohne Ende und<br />

der Rainer hat dir jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Immerhin<br />

durftest du einige Sportwagen zerlegen, die nicht ganz billig<br />

waren: Stingrays von Corvette. Sogar einen Western hat er für dich<br />

gemacht: Whity! In dem Film bist du richtig gut und darfst auch noch<br />

den Titelsong beisteuern, den der Willy (Peer Raben) erfunden hatte,<br />

weil er auch in dich verknallt war, aber Rainer war halt zu Lebzeiten<br />

immer der Matchwinner. Ich werde mal wieder bestraft für entgangenes<br />

Liebesglück und zum Albino degradiert, der auch noch von dir<br />

erschossen wird. Wenigstens hattest du Tränen in den Augen, auch<br />

wenn die Anweisung vom Regisseur kam.<br />

In der Niklashauser Fart spieltest du einen <strong>auf</strong>sässigen Bauernführer<br />

und siegst und siegst. Ums Haar verbrenne ich fast <strong>auf</strong> einem<br />

Scheiterh<strong>auf</strong>en. Die Pyrotechnik hat damals der Charlie Bumm-<br />

Bumm gemacht, den triffst du übrigens auch noch.<br />

Danach wurde es ruhiger mit Rainer und dir, im Amerikanischen<br />

Freund hattest du die Titelrolle nicht bekommen, obwohl sie eigentlich<br />

für dich geschrieben war. Warst wohl nicht ganz artig … Aber<br />

besetzt hat er dich danach immer wieder, auch weil die Liebe wohl<br />

nicht wirklich erloschen war. Noch in Querelle hattest du ’ne wichtige<br />

Rolle. Bei Rainers letzter Geburtstagsfeier in der „Deutschen Eiche“<br />

habt ihr euch lange mitten im Lokal geküsst, das war der beste Beweis<br />

für den Spruch: „Alte Liebe rostet nicht“. Das war Ende Mai 1982.<br />

Bei dem Stück „Katzelmacher“ in Bad Godesberg hast du die Rolle<br />

vom Rainer im Film gespielt. Bei dem Satz: „Du … Augen wie Sterne“<br />

warst du ihm noch nie so nahe.<br />

Habe dich lange nicht mehr gesehen. Aber so spielt Leben. Schade. s<br />

--harry<br />

Baer hat eines der schönsten Bücher über Fassbinders Leben und<br />

Werk geschrieben: „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin – Das atemlose<br />

Leben des Rainer Werner Fassbinder“ (Kiepenheuer & Witsch, Köln).<br />

---<br />

28 29<br />

nachruf


kino<br />

Wagner,<br />

eine Boyband<br />

von pAul Schulz<br />

Der englische entertainer Stephen Fry überlegt sich in „Wagner and me“, ob er als<br />

jude eine „Ring“-inszenierung in Bayreuth sehen darf und macht dabei <strong>auf</strong> amüsante<br />

Weise alles falsch. im Kino ab 21. juni.<br />

30<br />

FiLM KiNO text<br />

s Vor drei Jahren hat die schottische Band Chumbawamba <strong>auf</strong><br />

ihrem Album „ABCDEFG“ ein Lied veröffentlicht, das „Wagner at<br />

the Opera“ heißt. Es erzählt die wahre Geschichte davon, wie sich<br />

ein älterer Herr mit einer Nummer <strong>auf</strong> dem Arm während der Aufführung<br />

eines Streichquartetts von Richard Wagner in einem israelischen<br />

Opernhaus im Jahr 2000 <strong>auf</strong> seinen Stuhl stellt und solange<br />

eine Rassel schwingt, bis Sicherheitskräfte ihn an den Füßen aus dem<br />

Saal schleifen. Die letzte Strophe des Liedes geht so:<br />

For everyone we lost<br />

I swing the rattle loud and long<br />

I swing it ’til I drown out<br />

All the music and the songs<br />

This tattoo will last forever<br />

And my memory is long<br />

Here’s to no more playing Wagner at the opera<br />

Seit der „Reichskristallnacht“ 1937 war es lange Zeit verboten, Wagners<br />

Musik in Israel öffentlich <strong>auf</strong>zuführen und es ist immer noch ein<br />

Tabubruch. Der Grund ist einfach: Richard Wagner war ein Antisemit.<br />

Er hat das Wort „Judenfrage“ erfunden, als erster eine mögliche<br />

„Endlösung“ postuliert und mit als Musikwissenschaft getarnten<br />

Hetzschriften wie „Das Judenthum in der Musik“ und „Deutsche<br />

Kunst und Deutsche Politik“ schon im 19. Jahrhundert den ideologischen<br />

Nährboden gelegt, mit dem seine Landsleute 80 Jahre später<br />

jüdische Massengräber zusch<strong>auf</strong>elten. Wagner hat laut und öffentlich<br />

darüber nachgedacht, ob man seinen sehr viel erfolgreicheren<br />

jüdischen Kollegen Meyerbeer „nicht einfach beseitigen“ könne, um<br />

„wahrer deutscher Kunst“ Platz zu machen. Er war, streng ideologisch<br />

gesehen, ein echtes Schwein, ein narzisstisches, verblendetes Monster,<br />

das von seinem eigenen Genie so überzeugt war, dass er bis weit in<br />

seine 50er warten konnte, um es sich selbst und allen anderen endlich<br />

zu beweisen. Denn nachdem er schon andere reiche GönnerInnen um<br />

Teile ihres Vermögens und oft auch um einen Großteil ihres Anstands<br />

gebracht hatte, fand Wagner in Ludwig II. endlich einen Bewunderer,<br />

dessen Taschen tief genug waren, um seine gigantischen Träume<br />

zu finanzieren. Dann Bayreuth, Villa Wahnfried, der Ring, Hitler<br />

pro und Nietzsche contra, blah, alles hinlänglich bekannt. Im ersten<br />

Jahrzehnt des neuen Jahrtausends ist der Grüne Hügel der Ort, an<br />

dem sich das wallende Dekolleté der Kanzlerin und die Verklemmtheit<br />

des Außenministers Gute Nacht sagen, der Inbegriff bürgerlicher<br />

Spießigkeit, die es sich leistet, die jungen Wilden einzufliegen, um sie<br />

den alten Meister inszenieren zu lassen und dann zu buhen oder Tränen<br />

des stillen Dankes zu vergießen, weil man nach fünf Stunden <strong>auf</strong><br />

unbequemen Stühlen endlich wieder <strong>auf</strong>stehen darf.<br />

Wie Sie, liebe Leser, vielleicht schon merken: Ich hasse Wagner.<br />

Das was andere „Überwältigungsmusik“ nennen, gibt mir das Gefühl,<br />

jemand würfe mir über Stunden immer größer und immer schwerer<br />

werdende Torten ins längst wunde Gesicht und hätte eine diebische<br />

Freude daran. Wagner-Libretti gehören zum Miesesten, was man in<br />

sogenanntem Deutsch überhaupt lesen kann. Wo andere überschwellende<br />

Wortkaskaden ins emotional Bodenlose stürzen sehen und sich<br />

einfach mitreißen lassen, schreie ich nach einem, oder besser gleich<br />

mehreren, Lektoren. Wo manche ein sturmgelocktes Genie sehen,<br />

sehe ich einen ekelhaften, missgünstigen Zwerg, der sich bei nichts<br />

und niemandem in seinem Leben je beherrscht hat und Glück genug<br />

hatte, nützliche, meistens relativ kaputte Idioten zu finden, die ihm<br />

seinen Irrsinn zu Lebzeiten bezahlten, um den nach seinem Tod noch<br />

zum Kult auszubauen. Wäre Wagner ein Roman, er hätte 6000 wirre<br />

Seiten und niemand würde ihn lesen, weil man so viel selbstverliebtes<br />

Gerede eben überhaupt nur mit musikalischer Untermalung aushält.<br />

Ich kenne niemanden, der Wagner wirklich verehrt, von dem ich<br />

nicht finde, dass er in Therapie gehört. Wagner ist Folter und Men-<br />

schen, die Wagner lieben, lassen sich gerne foltern. Womit wir bei<br />

Stephen Fry wären.<br />

Denn der hat einen Dokumentarfilm gedreht, der Wagner & Me<br />

heißt, in dem er ein paar hoch interessante Fragen <strong>auf</strong>wirft: Darf man<br />

als Jude – und Fry ist einer – Wagner lieben? War Wagner überhaupt<br />

ein Antisemit? Hat Hitler Wagner einfach nur falsch verstanden?<br />

Lässt sich ein künstlerisches Werk von seinem Verursacher trennen?<br />

Meine Antwort <strong>auf</strong> all diese Fragen ist in der Reinfolge: Ja, Ja, Nein<br />

und noch nicht, Fry macht es sich nicht ganz so einfach. Allerdings<br />

offenbart der einzig wahre Erbe von Peter Ustinov in anderthalb<br />

Stunden unabsichtlich, dass auch er in seiner Liebe zu Wagner vernünftigen<br />

Argumenten längst nicht mehr zugänglich ist, besonders<br />

nicht den eigenen. Was den Film zu einem spannenden, aber letztendlich<br />

gründlich schiefgegangenen Experiment macht.<br />

Von vorn: Fry spaziert – ganz der schwule, englische Bonvivant<br />

– über den Grünen Hügel, berichtet von seinen ersten, frühen Begegnungen<br />

mit Wagners Musik und der daraus resultierenden Verehrung,<br />

möchte gern endlich auch eine Wagner-Oper am Ort ihrer Entstehung<br />

sehen, besucht schüchtern die Proben, schüttelt erschüttert<br />

die Hand der Festivalleiterin und fragt sich und den Zuschauer die<br />

ganze Zeit, ob er als Jude hier sein darf oder ob er dabei die Seinigen<br />

verrät. Das ist süß, aber auch ein bisschen peinlich. Weil Fry so gern<br />

fry spaziert – ganz der schwule, englische<br />

Bonvivant – über den grünen hügel<br />

kino<br />

dazugehören möchte, dass er eine Swastika und das Bild ermordeter<br />

Juden in der neuen Ring-Inszenierung zu einer ernsthaften Auseinandersetzung<br />

mit dem antisemitischen Gehalt von Wagners Schriften<br />

hochjazzt; weil er sich im Wesentlichen nur Protagonisten sucht,<br />

die ihm in seiner Sinnsuche zustimmen; weil er nach Nürnberg fährt,<br />

wo er versucht, Hitler und Wagner auseinander zu dividieren, sich<br />

aber gleichzeitig nicht traut, die Führerkanzel zu betreten, von der<br />

Hitler Wagner-Aufführungen abnahm; weil er sich in Russland einen<br />

Regisseur sucht, der ihm natürlich sagt, Wagner sei universell, nicht<br />

deutsch; weil er KZ-Überlebende besucht, die im Lager im Orchester<br />

arbeiten mussten und sie fragt, ob denn da auch Wagner gespielt<br />

worden sei; weil er zum Schluss vor der Wagner-Büste in Bayreuth<br />

beschließt, Wagners Musik sei, Wagner hin oder her, eben doch „On<br />

the side of the angels“ und grundgut. Grundgütiger! Man schämt<br />

sich als Außenstehender hinlänglich für so viel Naivität, bewundert<br />

Fry aber auch ein bisschen für sein Beharren <strong>auf</strong> dem gewünschten<br />

Ergebnis, egal, was so gesagt wird. Und fragt sich immer lauter,<br />

warum er dabei so einen Bogen um seine Sexualität macht.<br />

Denn aus dem zweiten Band seiner Memoiren „The Fry Chronicles“<br />

kann man erfahren, dass es sein erster Freund war, der Frys<br />

„Wagner education“ vervollständigte, indem er ihn eine Woche nach<br />

London einlud, in der sie gemeinsam den Ring sahen. „A life changing<br />

event“ nennt unser Stephen das. Ich wage das anzuzweifeln.<br />

Ich glaube, dass viele schwule Männer – und Fry ist einer – Wagner<br />

deshalb lieben, weil er so gut in ihr Leben passt. Ohne allzu sehr<br />

psychologisieren zu wollen: Wagner muss sich hier seinen Platz gar<br />

nicht suchen und dabei raumgreifend die Ellenbogen ausfahren: Das<br />

Gefühl, nicht dazuzugehören, die riesige emotionale Leerstelle, die<br />

nach Auffüllung schreit, der Hang zum Überschwang, das Bedürfnis,<br />

einer verschworenen Gemeinschaft anzugehören, es ist bei vielen<br />

von uns alles schon da. So auch bei Fry, den man als smarten, unfassbar<br />

gebildeten Fortsatz von Oscar Wilde und als „the smartest living<br />

Englishman“ (The Guardian) sehen kann, aber in seinen Selbstentäußerungen,<br />

seiner Drogensucht, seinem komplizierten Sexleben, seinem<br />

Hang zu Bonmot und ständiger Ironisierung, seiner Schüchternheit<br />

und der permanenten Behauptung, er sei eben bloß Entertainer,<br />

31


kino<br />

kein wirklicher Künstler (dafür sei er einfach<br />

nicht selbstbewusst genug), als relativ typischen<br />

schwulen Mann in der zweiten Hälfte<br />

des 20. Jahrhunderts. Wagnerverehrung<br />

passt zu Frys Persönlichkeitsbild wie der<br />

Arsch <strong>auf</strong> den sprichwörtlichen Eimer. Dass<br />

er sich die Frage stellt, ob er das überhaupt<br />

darf, was er da doch längst macht, ist nur ein<br />

weiterer Beleg dafür, dass er sich das eigene<br />

Leben ständig von außen bestätigen lassen<br />

muss. Emanzipiert ist anders.<br />

Damit mich niemand missversteht: Ich<br />

verehre Stephen Fry, zutiefst. Ohne Wilde,<br />

Peter’s Friends, Kingdom, seine Romane, seine<br />

Zusammenarbeit mit Hugh Laurie und vieles<br />

andere aus seinem umfangreichen Werk wäre<br />

mein Leben und das vieler, vieler anderer<br />

Menschen deutlich ärmer. Er ist, auch wenn<br />

er das nicht gerne hören würde, selbst ein<br />

komisches Genie und einer der wichtigsten<br />

schwulen Männer der letzten 50 Jahre, künst-<br />

lerisch und für die Bewegung. Nur macht ihn<br />

das eben nicht unfehlbar. Und Wagner & Me<br />

ist ein Fehler, und zwar ein großer. Weil die<br />

Fragestellung so falsch ist. Wie so oft sollte sie<br />

nicht lauten: „DARF ICH als Jude (und schwuler<br />

Mann) etwas tun (zum Beispiel Wagner<br />

hören)?“, womit man die Beweislast bei sich<br />

ablädt und selbstzerfleischend eine Antwort<br />

finden muss, sondern: „Hat etwas (zum Beispiel<br />

Wagner) mir als Jude (und schwulem<br />

Mann) ETWAS ANZUBIETEN, das mein<br />

Leben bereichert?“, was einen dazu führen<br />

kann, die Filetstücke von Wagner benutzen<br />

zu dürfen, weil es Spaß macht, und den Rest<br />

in den Fleischwolf der Geschichte werfen zu<br />

können. Frys Frage erlaubt es ihm letztendlich<br />

nicht, Wagners Leben vom Zuhörer, also<br />

sich selbst, zu trennen, weil die Beweiskette<br />

„Wagner = Antisemit = untauglich für Juden“<br />

in ihr schon enthalten ist. Das ist schade, aber<br />

macht auch nichts.<br />

FiLM KiNO text (2)<br />

Denn wer von Wagner keine Ahnung<br />

hat, kann Wagner & Me auch als kleines Fry-<br />

Festival der guten Laune gucken. Wenn er<br />

durch <strong>Neu</strong>schwanstein stolziert und Ludwig<br />

II bescheinigt, „den bizarrsten Fanbrief der<br />

Welt“ gebaut zu haben, wenn er Eva Wagner<br />

<strong>auf</strong>lauert und sie ihm sagt: „I think that’s all<br />

just happening in your own head, dear Stephen“,<br />

wenn er, während sie flieht, beseelt in<br />

die Kamera lächelt und sagt: „I just touched<br />

a Wagner, I really did“, und an 50 anderen<br />

Stellen, wird eine kindliche Sehnsucht spürbar,<br />

die man in jemandem, der <strong>auf</strong> die 60<br />

zugeht, nicht vermuten würde. Wagner ist<br />

Stephen Frys Boyband. Und seine Verehrung<br />

für den bösen, alten Mann genauso schlicht<br />

und deswegen untauglich für tiefere Analysen<br />

wie die vieler anderer schwuler Männer<br />

für Joe McIntyre oder Marky Mark. Dass er<br />

es trotzdem versucht, gereicht ihm zur Ehre,<br />

ist aber eigentlich völlig unnötig, weil Fry<br />

nur versucht, Wagner für sich mundgerecht<br />

zu machen, ihn „reinzuwaschen“ von Hitler<br />

und den Juden und allem, was damit zusammenhängt.<br />

Das versuchen Fans jetzt seit 60<br />

Jahren, die ernsthafte wissenschaftlich historische<br />

Auseinandersetzung mit dem Phänomen<br />

füllt längst Regale. Und ist immer von<br />

der einen Haltung geprägt: Ja, Wagner war<br />

Antisemit, aber doch nicht wirklich oder nur<br />

ein bisschen, und er war damit im 19. Jahrhundert<br />

in Europa ja weiß Gott nicht alleine,<br />

und das hat doch mit der Musik alles nichts<br />

zu tun, und er war ja lange tot, als Auschwitz<br />

<strong>auf</strong>gemacht hat, und eigentlich ist ja Cosima<br />

die Böse und Orff und Strauß waren ja auch<br />

nicht besser und werden auch in Israel<br />

gespielt, und das ist doch alles lange her, und<br />

das geht dann tausende Seiten lang relativierend<br />

so weiter. Geschenkt. Wagner war Antisemit.<br />

Er hat „Das Judenthum in der Musik“<br />

1950 unter Pseudonym veröffentlicht und 20<br />

Jahre später unter eigenem Namen noch einmal,<br />

nur in verschärfter Form, er hatte genau<br />

solche jüdischen Freunde wie Ronald Reagan<br />

oder Bush jr. schwule Freunde haben, und die<br />

Wirkungen lassen sich von den Hebeln eben<br />

nicht trennen, ohne dass man die Maschine<br />

kaputt macht. Wagner & Me ist ein Lehrstück<br />

darin, dass man sich nicht wundern<br />

darf, wenn man als Letzter gebissen wird,<br />

wenn man die alten, schlafenden Hunde der<br />

Geschichte weckt und versucht, ihnen neue<br />

Tricks beizubringen. s<br />

wagner & Me<br />

von Stephen Fry<br />

GB 2010, 89 Minuten, englische OF<br />

mit deutschen UT<br />

Film Kino Text, www.filmkinotext.de<br />

Im Kino<br />

ab 21. Juni 2012<br />

der Moment<br />

SchriftSteller Sehen filme: thomaS Böhme<br />

Der 1955 in Leipzig geborene Lyriker, Romancier, essayist und<br />

Fotograf thomas Böhme ist ein begeisterter Kinogeher. in seinen<br />

Gedichten beschäftigte er sich schon mal mit Fassbinder, in<br />

seinem Roman „Der Schnakenhascher“ wird sogar eine erotische<br />

Begegnung mit „Flipper“ geschildert. in unserer literarischen Rubrik<br />

nähert sich Böhme einigen Momenten aus Visconti-Filmen in<br />

Gedichtform.<br />

Die Bühne Luchino Viscontis ist voll von Trauernden.<br />

Doch tragen sie ihre Trauer wie Purpurmäntel<br />

und lüpfen ihre Strohhüte unter Baldachinen<br />

und schweren, mit Kerzen bestückten Lüstern<br />

deren Wachs ihnen über die Stirn rinnt.<br />

Die lautlosen Schritte <strong>auf</strong> Teppichböden<br />

die hallenden über Steinfliesen und gewachstes Parkett<br />

sind Schritte der Einsamkeit. Und dem Aroma<br />

aus zerl<strong>auf</strong>ener Schminke und heißem Begehren<br />

ist immer schon etwas Modergeruch beigemischt.<br />

Wenn der trunkene König die Bühne betritt<br />

stolpernd über die braunen Jungs von der SA<br />

drängen von Ferne das Rauschen der Ballkleider<br />

der Fischweiber wirres Gekeife und die Schüsse<br />

eines Exekutionskommandos hinein in den Saal.<br />

Wenn der Monsun den faulen Atem der Cholera<br />

über den Strand weht, eine Bettelcanzone den Abend erstickt<br />

fällt das verspätete Aufschauen von einer schlampig<br />

gefalteten Zeitung, fallen die bitteren Brillengläser<br />

der ewig Ungestillten demnach kaum ins Gewicht.<br />

der Schnakenhascher<br />

von Thomas Böhme<br />

Edition Cornelius, Halle 2010<br />

heikles handwerk<br />

von Thomas Böhme<br />

Gedichte, Poetenladen Verlag,<br />

Leipzig 2010<br />

101 asservate<br />

von Thomas Böhme<br />

Connewitzer Verlagsbuchhandlung,<br />

Leipzig 2012<br />

32 33<br />

film-flirt


wir verreisen<br />

„Hors le murs“ von David Lambert (2012)<br />

es regnet <strong>auf</strong><br />

unsere Liebe<br />

von JAn küneMund<br />

Vorschau <strong>auf</strong> kommende Attraktionen: Streifzüge durch das queere programm der<br />

internationalen Wasserfestspiele von Cannes.<br />

FiLMS BOutiQue<br />

s Regen in Cannes. Stilettos versinken in vollgesogenen roten Teppichen.<br />

Straßenhändler verlangen 30 Euro für Regenschirme, die nur<br />

einen Schauer lang halten. Wichtige Filmbranchenvertreter betreten<br />

mit Mülltüten <strong>auf</strong> dem Kopf das Carlton. Im großen Leichtbau-Aufsatz-Kino<br />

<strong>auf</strong> dem Dach des Festivalpalastes läuft gerade die Premiere<br />

von Sébastien Lifshitz’ Dokumentarfilm Les Invisibles (Wettbewerb,<br />

außer Konkurrenz), in dem bezaubernde alte Schwule und<br />

Lesben von den Stürmen erzählen, die über ihr bewegtes, offen homosexuelles<br />

Leben hinweggefegt sind – während draußen Wind <strong>auf</strong><br />

das Kino prallt, Notausgangtüren <strong>auf</strong>bläht, die Tonspur überdeckt<br />

und den sonst geübt ins sichere Schwarz eines Kinos Flüchtenden<br />

sich angreifbar und ausgesetzt fühlen lässt. In Xavier Dolans neuem<br />

Exzess Laurence Anyways (Un Certain Regard) werden handgreifliche<br />

Bilder für Überwältigungen, ein Wasserfall beispielsweise, der<br />

sich – mitten im Wohnzimmer – über eine von ihren Emotionen fortgespülte<br />

Frau ergießt, gleich mitgeliefert. In De rouilles et d’os (Wettbewerb)<br />

schließlich wird die elfenhafte Marion Cotillard von einem<br />

Wal entzweigeteilt und durch den dauererigierten Drive des Wunderkörperschauspielers<br />

Matthias Schoenaerts wieder heile gemacht.<br />

Der verwehte Zuschauer wird von Bildern mitgerissen, in denen sich<br />

buchstäblich alles überstürzt.<br />

Wie fragil ein Menschenleben ist, wie augenschlagskurz das<br />

Glück, wie vergänglich das Verliebtsein, wie zerbrechlich die Normalität,<br />

wie zart ein Körper, das brach alles als Komplex banger<br />

Fragen des queeren Filmprogramms der stürmischen Filmfestspiele<br />

von Cannes und seiner Marktvorführungen über einen herein, wenn<br />

man sich dem äußeren Sturm und den inneren Angriffen auszusetzen<br />

traute. Wie naturgemäß schwankend die Temperaturen der Filme<br />

selbst auch ausfielen, ausruhen, fallen lassen in abgesicherte Identitätserzählungen<br />

konnte man sich nie.<br />

Zu bösartig und abgrundtief verständnislos reagiert die Umwelt<br />

<strong>auf</strong> die Geschlechtstransformation von Laurence, die Cannes-Darling<br />

Dolan drei Stunden lang in eruptiven hysterischen Anfällen durchexerziert.<br />

Um die Entscheidung geht es, die in einer Autowaschanlage<br />

der verstörten Freundin präsentiert wird, und einen Weg zurück gibt<br />

es danach nicht mehr. Wird die Beziehung halten, das ist die Frage,<br />

wird das nonkonforme, punkige, hübsche, junge Paar zusammenbleiben,<br />

wenn sich die Körper und die inneren Koordinaten ändern, wenn<br />

man plötzlich gemeinsam aus der Welt fällt und die eigene dagegen<br />

noch gar nicht entworfen hat. Dolans oberflächliche und doch so<br />

gefährdete Bilder werden nie zum Schutzraum für seine Geschichte,<br />

keine zweite Haut für den makellosen Jungen, der zur Frau mit Makel<br />

wird. Melvil Poupaud, der glatteste unter den schönen jungen französischen<br />

Schauspielern, ist in seiner plötzlichen Angreifbarkeit kaum<br />

auszuhalten. Der Film kommt nicht von der Stelle, wächst <strong>auf</strong> dieser<br />

Stelle aber über sich hinaus. Wieder liegt ihm ein narzisstisches<br />

Begehren als greller Fixpunkt zugrunde, doch findet er in der Figur<br />

der Frau, die sich leidenschaftlich an ihm abarbeitet, einen grandiosen<br />

Widerspruch.<br />

Ein ganz anderes Paar versinkt in Hors le murs (Semaine de la<br />

Critique) im Strudel seiner Unmöglichkeit. Iliar, Bassist und Kellner,<br />

Post-Coming-Out-Posterboy, legt sich einen betrunkenen Kneipengast<br />

ins Bett, der sich ab sofort mit (porzellanheller) Haut und (blonden)<br />

Haaren kompromisslos an ihn hängt. Paulo ist ein Irrlicht, ständig<br />

<strong>auf</strong> der Suche nach Menschen, die sich um ihn kümmern, doch in<br />

dieser Suche so klar und entschieden, dass Maß und Realismus keine<br />

Größen mehr für ihn darstellen. Wie Matila Malliarakis das spielt,<br />

hat man noch nicht gesehen, ein Strich in der Landschaft, der für das,<br />

was er will, durch Wände zu gehen gewohnt ist und plötzlich damit<br />

klarkommen muss, dass manche Wände ihm standhalten. Was als<br />

charmante Liebesgeschichte anfängt, die für alle Standards (erster<br />

Kuss, erster Sex, erster Zweifel) tatsächlich neue Bilder findet, erhält<br />

in der zweiten Hälfte einen furchtbar traurigen Sog, der dennoch<br />

ganz aus der schönen Eigensinnigkeit der Figuren entwickelt wird.<br />

Aufgewühlt lässt man sich danach vom warmen Regen <strong>auf</strong> der Croisette<br />

weiter <strong>auf</strong>weichen.<br />

Lauter Liebes-Zerreißproben auch in den versteckten Vorführungen<br />

der noch nicht öffentlich präsentierbaren Filme. Da können<br />

zum Beispiel ein israelischer Anwalt und ein palästinensischer Student<br />

einfach nicht ankommen gegen Homophobie, Polizeigewalt,<br />

Erpressung, Mütter, Grenzen, Strukturen. Eine Liebe <strong>auf</strong> den ersten<br />

Blick, eine Beziehung mit letzter Kraft. Woanders hat Eytan Fox seine<br />

Geschichte von Yossi weitererzählt, der sich einst in den Soldaten<br />

Jagger verliebte und diesen durch eine Mine verlor, seitdem in Traurigkeit<br />

versunken, dick, ängstlich, lebensunlustig geworden ist – bis<br />

er einen findet, der diesen Panzer (vielleicht) zu durchbrechen vermag.<br />

Es gibt eine Brokeback-Mountain-Szene darin: wie Yossi zufällig<br />

Jaggers Mutter trifft, sich an deren Wohnzimmertisch setzt, nicht<br />

anders kann als die Liebe zu ihrem toten Sohn zuzugeben, diesen<br />

damit posthum zu outen und alle in seinen Traurigkeitsstrudel mitzureißen<br />

– bis Jaggers Vater die Initiative ergreift und Yossi in Jaggers<br />

unberührtes Jugendzimmer lässt, als stilles Zeichen des Mitgefühls.<br />

Ganz woanders, in einem Film, der noch gar nicht fertig ist, wird<br />

die Liebe zweier kubanischer Jungs schlicht und einfach dadurch<br />

erdrückt werden, dass sie kaum was zu essen haben, die Bedürfnisse<br />

ihrer Familien, ihrer Frauen und ihrer Freier befriedigen müssen und<br />

gar keine Möglichkeiten haben, ihren eigenen nachzugehen. Was <strong>auf</strong><br />

Soap-Niveau erzählt wird, aber zwischendurch eine ungeheure Komplexität<br />

erreicht, in der er diese beiden zerbrechlichen Jungs handlungsunfähig<br />

macht, ohne ihnen seine Liebe zu entziehen.<br />

Und dann gab es da noch im windstillen Raum eines kleinen<br />

Innenstadt-Kinos die Komödie eines lebensunfähigen schwulen<br />

Wirrkopfs, der zu allem Überfluss von traurigen Geistern heimgesucht<br />

wird. Die Geschichte liegt so schief wie ihr Held, aber es kommen<br />

immer wieder Bilder an die Oberfläche, die man vor lauter Verrücktheit<br />

gar nicht an die stürmische Luft lassen möchte. Ein riesiger<br />

Keller voller alternder Transsexueller, die an Nähmaschine sitzen<br />

und über das geheime Wissen der Stadt verfügen, zum Beispiel.<br />

Dass man am Ende in einem Film landet, der in einem Hotel spielt,<br />

an dem ein Hochwasser tragender Mekong vorbeifließt, scheint geradezu<br />

zwangsläufig zu sein. Der Regisseur Apichatpong Weerasethakul<br />

instruiert einen Gitarristen zu einer langen Probe melancholischer<br />

Folksongs, schlägt seinem Lieblingsschauspieler vor, das sexy<br />

Disco-Shirt und die Jeans mit der großen Schrittwölbung für den<br />

Film (Mekong Hotel, Wettbewerb, außer Konkurrenz) anzuziehen,<br />

lässt in einer Dreiergeschichte dann einen Eingeweide fressenden<br />

Geist die Menschenkörper wechseln und entlässt uns am Ende mit<br />

einem Ballett mehrerer Wasserscooter, die den großen schnellen<br />

Fluss im Sonnenuntergang vermessen. Spätestens hier ist man so<br />

hypnotisiert, dass man willenlos in den Fluss springen und sich heraustreiben<br />

lassen möchte aus dem durchnässten Chichi des Festivals.<br />

Wer am Ende die „Queer Palm“, den queeren Filmpreis des Festivals,<br />

gewonnen hat, stand zu Redaktionsschluss noch nicht fest. s<br />

34 35<br />

wir verreisen


dvd dvd<br />

frühreif in<br />

dänemark<br />

von dino heicker<br />

Der dänische Coming-Out-Film „Freunde für immer“ („Venner for altid“) verursachte<br />

1987 einen ziemlichen Wirbel in der internationalen Festivalszene. unter anderem<br />

waren eine eurovision-Song-Contest-teilnehmerin und ein Handballprofi in recht<br />

offenherzigen Sexszenen mit ziemlich jungen Männern zu sehen. 25 jahre später<br />

kommt dieser verhinderte Klassiker der queeren Filmgeschichte endlich <strong>auf</strong> VHS raus.<br />

Quatsch … <strong>auf</strong> <strong>DVD</strong> natürlich.<br />

s Wieder so eine Herausforderung im Auftrag der SISSY: Ich<br />

bekomme eine Videokassette zugeschickt und kann mich erst einmal<br />

<strong>auf</strong> die Suche nach einem geeigneten Abspielgerät machen. Glücklicherweise<br />

gibt es in meinem Bekanntenkreis noch Männer mit dem<br />

nötigen Equipment. Nachdem nun der <strong>DVD</strong>-Player aus- und der<br />

Videorekorder eingestöpselt ist, kann die Kassette ihrer Bestimmung<br />

zugeführt werden. Auf der Hülle prangt ein handschriftlicher Vermerk<br />

in rot: „Mutter! Nicht rausgeben!“ Na, wenn das nicht verheißungsvoll<br />

klingt! Schauen wir also mal, was diese Mutter aller Videotapes<br />

so über die Zeiten gerettet hat.<br />

Zu Beginn des Films Freunde für immer kommt ein junger Mann<br />

neu an eine Schule. Zur Begrüßung fliegt ihm <strong>auf</strong> dem Pausenhof<br />

ein gelber Tennisball an den Kopf. Ein properer Blondschopf hat ihn<br />

geworfen, der lacht, nicht unfreundlich. Der <strong>Neu</strong>e verzieht keine<br />

Miene. Sein Name: Kristian Malmquist (Claus Bender Mortensen),<br />

Ort der Handlung: Dänemark, genauer Kopenhagen, Zeit: 1987.<br />

Als Kristian versucht, sich an der neuen Schule zurechtzufinden,<br />

gerät er in einen Zwiespalt. Da ist zum einen die Clique um den Schulhofrabauken<br />

Patrick (Thomas Sigsgaard), zum anderen der Einzelgänger<br />

Henrik (Thomas Elholm) mit Pferdeschwanzfrisur, der sich<br />

in Tai Chi übt und den die Klassenkameraden als Schwuchtel verspotten.<br />

Zwar fühlt sich Kristian zunächst zu Henrik hingezogen,<br />

hat aber Angst, er könne durch sein Faible für den gemobbten Mitschüler<br />

selbst zum Außenseiter werden. Also schließt er sich immer<br />

stärker Patrick und seinen Kumpeln an. Deren Gespräche drehen sich<br />

hauptsächlich um Mädchen beziehungsweise den Sex, den die Jungs<br />

in aller Regel noch nicht hatten, was sie aber nie zugeben würden.<br />

Ein schöner Effekt des Films ist, dass sich letztlich nicht der<br />

zu allem Überfluss auch noch als Fotomodell jobbende Henrik als<br />

schwul herausstellt, sondern der kerlige Patrick. Er ist es, der in Stefan<br />

Henszelmans Film Kristians Freund für immer wird, und die beiden<br />

jungen Männer entdecken zur selben Zeit die Liebe – der eine<br />

hetero-, der andere homosexuell.<br />

Wer heute an Dänemark denkt, hat häufig ein in sexuellen Dingen<br />

liberales Land vor dem geistigen Auge: Porno (in welcher Form auch<br />

immer) und Dänemark waren für die 1970er-Jahre quasi Synonyme.<br />

Das hatte mit der Gesetzgebung des Landes zu tun, in dem Pornografie<br />

1969 freigegeben wurde, was dazu führte, dass bis Mitte der<br />

1970er Jahre beinahe ein Drittel aller dänischen Filme mit Soft- oder<br />

Hardcoreszenen <strong>auf</strong>warteten. Doch so unverklemmt ging man dortzulande<br />

mit Sexualität nicht immer um, schon gar nicht, wenn es sich<br />

um Homosexualität handelte.<br />

So hat der berühmte dänische Schriftsteller Herman Bang seine<br />

eigene homosexuelle Veranlagung beziehungsweise das durch die<br />

gesellschaftliche Stigmatisierung derselben hervorgerufene Leiden<br />

in seinen Werken mehrfach chiffriert thematisiert. Ein Beispiel<br />

dafür ist sein Roman „Michael“ von 1904, in dem ein älterer Maler<br />

sein junges Modell Michael derart verehrt, dass er ihm jede neue Enttäuschung<br />

großherzig verzeiht, ja ihm schließlich sogar sein gesamtes<br />

Hab und Gut vermacht. In diesen Roman flossen nicht zuletzt<br />

eigene schmerzliche Erfahrungen des Autors mit einer schwulen Liebesbeziehung<br />

ein, die ihn mit dem jungen Schauspieler Fritz Boese<br />

verbunden hatte. Doch Bang beließ es nicht nur bei der literarischen<br />

Camouflage seines Begehrens. Anno 1909 machte sich der Schriftsteller<br />

expressis verbis „Gedanken über das Sexualitätsproblem“. Dieser<br />

gemeinsam mit seinem Berliner Arzt Max Wasbutzki <strong>auf</strong> Deutsch<br />

verfasste Text sollte, so Bangs Forderung, nach seinem Tod in einer<br />

ärztlichen Zeitschrift erscheinen. Nach jahrelangen Streitereien<br />

mit den Erben des 1912 verstorbenen Schriftstellers erschien der<br />

Text 1922 in einem <strong>auf</strong> sexualwissenschaftliche Texte spezialisierten<br />

Verlag in Bonn, während er in Dänemark erstmals 1957 in einer<br />

,Erotischen Anthologie‘ veröffentlicht wurde. Darin heißt es unter<br />

anderem: „Größeres wird der homosexuelle Dichter leisten können,<br />

wenn eine Zeit kommen wird, wo er seine Gefühle direkt auszudrücken<br />

wagt; wenn er die jetzt nötige Verkleidung überhaupt <strong>auf</strong>geben<br />

könnte, würde er erst die volle Ursprünglichkeit und die vollkommene<br />

Stärke seines Talents entfalten können.“ Dass diese Möglichkeit<br />

zu Bangs Lebzeiten nicht bestand, versteht sich von selbst. Es sollte<br />

aber noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein dauern, bis zumindest<br />

in Europa und Nordamerika die Möglichkeiten für schwule Künstler<br />

vorhanden waren, einigermaßen offen mit ihren Gefühlen umzugehen<br />

und diese kreativ umzusetzen. Bei dieser Entwicklung spielten<br />

nicht zuletzt auch skandinavische Filmemacher von Anfang an eine<br />

wichtige Rolle. So drehte beispielsweise der schwedische Regisseur<br />

Mauritz Stiller 1916 den Film Vingarne, der heute Anspruch dar<strong>auf</strong><br />

erheben kann, einer der ersten Filme mit (dezent) schwuler Thematik<br />

zu sein. Vorlage zu dem nur noch fragmentarisch erhaltenen Streifen<br />

war Bangs Roman „Michael“. Carl Theodor Dreyer, einer der größten<br />

dänischen Regisseure, sollte dann acht Jahre später für die deutsche<br />

Ufa diesen Stoff nach einem zusammen mit Fritz Langs Gattin Thea<br />

von Harbou verfassten Drehbuch neu verfilmen, Walter Slezak spielte<br />

damals den begehrten jungen Mann.<br />

Dass die Verhältnisse in den 1980er-Jahren in Dänemark für<br />

schwule Männer besser, jedoch keineswegs perfekt waren, auch das<br />

macht Freunde für immer deutlich. Das dem Film vorangestellte englische<br />

Motto „Innocence is no excuse“ ist Programm. So reagiert der im<br />

doppelten Sinne ,unschuldige‘ Kristian – anfangs ist er ebenso unberührt<br />

wie unbedacht – hochgradig verstört, als sein bester Freund<br />

Patrick vor seinen Augen mit dem älteren Mads knutscht. Letzterer<br />

wird übrigens von dem Handballprofi und Olympioniken Morten Stig<br />

Christensen dargestellt. Prompt rückt Kristian von seinem Freund ab<br />

und lässt sich <strong>auf</strong> einen One-Night-Stand mit einer reifen Sängerin<br />

(Lill Lindfors) ein, die ihn <strong>auf</strong> ihrem Hotelzimmer vernascht. Auch<br />

damit verweist der Film <strong>auf</strong> Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit:<br />

1976 war in Dänemark das Schutzalter für männliche Jugendliche<br />

<strong>auf</strong> 15 Jahre gesenkt worden, wovon eben nicht nur schwule<br />

Männer profitierten.<br />

Und dass bei aller Liberalität der Gesetzgebung die gesellschaftliche<br />

Wirklichkeit für Schwule in Dänemark Ende um 1985 durchaus<br />

noch so ihre Diskriminierungen bereithielt, wird ebenso wenig<br />

verschwiegen. Auf einer Veranstaltung zur beruflichen Orientierung<br />

outet sich Patrick vor der versammelten Schülerschaft. Auf die allgemein<br />

gehaltene Frage nach besonderen Qualifikationen lautet seine<br />

Antwort, er sei schwul. Prompt gerät der Referent ins Stottern und<br />

die Schuldirektorin löst die Versammlung kurzerhand <strong>auf</strong>. Immerhin<br />

führt dieser Vorfall bei Kristian dazu, sich mit Patrick zu solidarisieren<br />

und eine Flugblattaktion <strong>auf</strong> die Beine zu stellen, um das Fehlverhalten<br />

der Schulleiterin öffentlich zu machen. So ist seine Freund-<br />

schaft mit Patrick zwar gerettet, doch wie es mit seinem Verbleib<br />

an der Schule aussieht, bleibt offen. Indem alle Darsteller in bunten<br />

Kostümen <strong>auf</strong> einer Bühne im Park gemeinsam ein Lied anstimmen,<br />

endet der Film einigermaßen surrealistisch im Stil der Musikvideos<br />

jener Zeit.<br />

Für einen kurzen Augenblick ist in diesem fröhlichen Treiben<br />

auch Regisseur Henszelman zu sehen, dessen erster Spielfilm Freunde<br />

für immer war. Zwei Jahre zuvor hatte der Absolvent der dänischen<br />

Filmhochschule, die er zeitgleich mit Lars von Trier besucht hatte,<br />

mit dem Kurzfilm Try To Remember <strong>auf</strong> sich <strong>auf</strong>merksam gemacht,<br />

seiner Examensarbeit, die 1985 auch <strong>auf</strong> der Berlinale vorgestellt<br />

wurde. Sein zweiter, 1989 gedrehter Spielfilm Dagens Donna sollte<br />

dann einmal mehr homoerotische Verwicklungen zum Inhalt haben,<br />

wobei hier zwei liebende Frauen im Mittelpunkt standen. Im selben<br />

Jahr war Dänemark dann auch weltweit das erste Land, das gleichgeschlechtliche<br />

Partnerschaften zuließ. Henszelman blieb jedoch keine<br />

Zeit für weitere Filme, er starb am 2. Oktober 1990 im Alter von 31<br />

Jahren an den Folgen von Aids. s<br />

freunde für immer<br />

von Stefan Henszelman<br />

DK 1986, 94 Minuten, dänische OF<br />

mit deutschen UT<br />

ab august <strong>auf</strong> dVd<br />

bei der Edition Salzgeber,<br />

www.salzgeber.de<br />

36 37<br />

eDitiON SALZGeBeR (2)


dvd<br />

gute alte<br />

hipsterschule<br />

von JAn küneMund<br />

„er war schwul, er nahm Drogen, er erschoss seine Frau und<br />

er sah nicht allzu gut aus.“ Diese Steilvorlage in indirekter<br />

Schmährede von john Waters macht sich der porträtfilm<br />

„William S. Burroughs – A Man Within“ zum programm, um<br />

Nostalgikern und unwissenden den ultimativen schwulen<br />

Rebellen und Antispießer der modernen Literatur vorzustellen.<br />

Wir können nicht anders, als in diesen Heldengesang<br />

einzustimmen. On the Road, à la recherche du temps perdu,<br />

sozusagen<br />

s Auf einer gymnasialen Studienfahrt Anfang der 90er (neun Tage<br />

Paris), drückte mir mein Heterofreund, der damals <strong>auf</strong> Lou Reed<br />

und Velvet Underground stand, „Naked Lunch“ von Burroughs in die<br />

Hand. Schon <strong>auf</strong> der Hinfahrt im Bus fing ich an zu lesen. Später lasen<br />

wir beide das Buch laut vor, damit auch unser Zimmergenosse, der<br />

Sitzenbleiber aus der Hippiefamilie, was davon hatte. Während die<br />

Mädchen aus der Klasse nach Eurodisney wollten, zu Dönald Döck,<br />

verließen wir das unromantische Hostel im chinesischen Viertel, um<br />

um 11 Uhr morgens in einem Kellerkino am Centre Pompidou Trash<br />

von Warhol/Morrisey zu sehen, danach wahlweise den toten Jim<br />

Morrison oder den toten Oscar Wilde zu besuchen und jeden Mittag<br />

im gleichen Imbiss einer alten Vietnamesin schlecht zu essen. „Naked<br />

Lunch“ half uns sehr bei diesem Alternativprogramm. Mein Heterofreund<br />

wollte danach Schriftsteller werden. Das Hippiekind Drogen<br />

nehmen. Und ich schwulen Sex haben. Das war alles so schnell<br />

vor Ort nicht umsetzbar.<br />

Aber Freiräume taten sich <strong>auf</strong>, Gegengifte zum westdeutschen<br />

Kleinstadtleben zwischen Mathe-Dreiminus und Jägermeistercolaparties,<br />

Ahnungen, was das ultimativ Gegensätzliche zu den Anforderungen<br />

des noch überschaubaren Lebens sein könnte. Ich jedenfalls<br />

„studierte“ gerade schwule Sexszenen bei Genet und Pasolini<br />

und hatte dadurch einen erweiterten Literaturbegriff. Und Glück mit<br />

meinen Heterofreunden, denn ansonsten las man ja damals eher den<br />

schrecklichen Bukowski. Und so lag über unserer pubertären Studienfahrt<br />

also plötzlich der knarzende Ton des Beat-Literaten William<br />

S., der von Parasiten faselte, das Bewusstsein und die Sprache<br />

erweitern wollte, Jungs jagte und <strong>auf</strong> alles einen ziemlichen Hals<br />

hatte. Inspiriert davon landeten wir drei sehr bewusst in einer Pariser<br />

Schwulenbar mit nackten Kellnern, wo meine Heterofreunde ziemlichen<br />

Spaß hatten, Cocteauzeichnungen an den Wänden betrachteten<br />

38<br />

und kostenlos ausliegende Kondome einsteckten, während ich mir<br />

Burroughs-Lookalikes mit schlechten Zähnen und schlechtem Atem<br />

vom Hals hielt, denn ich war jung und hatte noch keinen Respekt vor<br />

dem Alter. Vielleicht doch erst noch ein bisschen lesen und dann was<br />

in die Praxis umsetzen, überlegte ich, während meine Heterofreunde<br />

knutschten.<br />

Ich kann diese nostalgische Erinnerung mühelos einarbeiten<br />

in das Annäherungsgewebe des Burroughs-Films von Yony Leyser,<br />

in dem sich diverse Menschen, denen Burroughs beim Anders- und<br />

Dagegen-Sein half, versuchen, einen Reim <strong>auf</strong> diesen unmöglichen<br />

Menschen zu machen und der Regisseur wiederum Bilder dafür<br />

sucht. Fantastisches Material hat er zu bieten: sachliche Waffen-<br />

und Schlangenhändler, wehmütige Freunde, lebenskluge Tunten,<br />

exaltierte Biografen wundern und spreizen sich, das hört gar nicht<br />

mehr <strong>auf</strong>, Genesis P-Orridge schürzt raunend große rote Lippen,<br />

Patti Smith singt ein Schlaflied und alle reden vom schlechten Sex<br />

und den guten Drogen des William S. Burroughs. Pope of Dope, King<br />

of Punk, Shotgun Artist. Held der Gegenkultur. Heiliger der Misfits.<br />

Gay Rights Movement? Burroughs war keinen Tag im Leben „gay“<br />

und niemals Teil einer Bewegung. Das war besser als die nervigen<br />

Hippies wie Ginsberg, findet John Waters. Und doch sind die Szenen<br />

zwischen Ginsberg und Burroughs das Berührendste am ganzen<br />

Film: „Warst du eigentlich mal sexuell an mir interessiert?“ – „Nein.“<br />

– „Aber ich war doch mal ganz süß!“ …<br />

Auf der Rückbank im Bus nach Hause, wahrscheinlich <strong>auf</strong> der<br />

Périphérique, die letzten Seiten, so laut, dass der Französischlehrer<br />

es hören konnte: „Eine dröhnende Woge von Presslufthämmern in<br />

der purpurbraunen Abenddämmerung, vergiftet vom fauligen metallischen<br />

Gestank der Abwässer … die jungen Gesichter der Arbeiter<br />

verschwimmen in der gelben Aura von Karbidlampen … geborstene<br />

Rohre ragen aus der Erde … Sie krempeln mal wieder die Stadt um.“<br />

Und jetzt? „Howl“ wird verfilmt als schlecht animierte Zensuranklage.<br />

Ausgerechnet Walter Salles dreht On The Road. Und Burroughs<br />

kriegt einen Erinnerungsfilm. Noch immer scheinen gegenkulturell<br />

interessierte Jugendliche Beatliteratur im Gepäck zu haben.<br />

Mein Heterofreund, der Schriftsteller werden wollte, hat später<br />

mal Drehbücher für Sat.1 geschrieben und organisiert jetzt alternative<br />

Stadtführungen. Über die Drogenkarriere des Hippies weiß ich<br />

nichts. Und ich schreibe über einen Film über Burroughs. s<br />

william S. Burroughs –<br />

a Man within<br />

von Yony Leyser<br />

US 2010, 87 Minuten, englische OF<br />

mit deutschen UT<br />

<strong>auf</strong> dVd bei <strong>Neu</strong>e Visionen,<br />

www.neuevisionen.de<br />

dvd<br />

39<br />

<strong>Neu</strong>e ViSiONeN


frisch ausgepackt frisch ausgepackt<br />

neu <strong>auf</strong> dVd<br />

von MAike Schultz (MS), pAul Schulz (pS) und JAn küneMund (Jk)<br />

AUf DEr SUChE<br />

De/FR 2011, Regie: jan Krüger, edition Salzgeber<br />

„Schon eine Woche lang<br />

fehlt von Simon jegliche<br />

Spur. In der Klinik, in der<br />

er als Arzt arbeitet, hat er<br />

sich Urlaub genommen,<br />

sein Appartement ist un<strong>auf</strong>geräumt,<br />

der Kühlschrank<br />

nicht geleert. Seit<br />

er nach Frankreich gegangen<br />

ist, hatte Valerie nicht mehr viel Kontakt<br />

zu ihrem Sohn. Sie hat Jens aus Berlin<br />

kommen lassen, den Ex-Freund von Simon,<br />

dem er bis zuletzt nahe stand – näher jedenfalls<br />

als ihr, der Mutter. Schon die erste Begegnung<br />

ist <strong>auf</strong>geladen von latenter Eifersucht und<br />

Misstrauen. Jens wird Valeries Verbündeter<br />

<strong>auf</strong> einer Reise ins Ungewisse, aber auch Konkurrent<br />

im Kampf um das Vorrecht an Simons<br />

Leben, der sich irgendwann beiden entzogen<br />

hat. (…) Für Jens wird die Suche zum Selbstzweck.<br />

Es geht nicht mehr darum, jemanden<br />

oder etwas zu finden, vielmehr muss der träge<br />

begehrende Leib in Bewegung gehalten, dem<br />

emotionalen Vakuum entgegengestellt werden.<br />

Im dunkelsten Bild des Films presst sich Jens<br />

an einen jungen Kerl aus dem Maghreb, den er<br />

<strong>auf</strong> dem Fußballplatz <strong>auf</strong>gegabelt hat. Doch der<br />

fremde Körper bleibt uneingenommen. Die<br />

schwarzen Augen sind für die Suchenden unlesbar.<br />

Sie stürzen hinein und verlieren sich,<br />

weil sie sich längst schon selbst <strong>auf</strong>gegeben haben.“<br />

(Gunther Geltinger in SISSY 11)<br />

DIE hAUT, IN DEr ICh WOhNE<br />

eS 2011, Regie: pedro Almodóvar, universum Film<br />

„In der Hülle eines zahlreiche<br />

Vorbilder edler<br />

und billigster Machart<br />

dieses Genres zitierenden<br />

Horror-Streifens begibt<br />

sich der Regisseur <strong>auf</strong><br />

eine Forschungsreise<br />

über und unter das größte<br />

Organ des menschlichen<br />

Körpers, die anstatt Klarheit immer weitere<br />

Fragezeichen produziert − und die, wie von<br />

Kritikerseite anlässlich der Ur<strong>auf</strong>führung in<br />

Cannes auch schon bemängelt wurde, zunächst<br />

eine geradezu wissenschaftliche Kälte<br />

ausstrahlt. Je weiter die Handlung allerdings<br />

zu ihrem Gänsehautfinale vordringt, desto<br />

mehr geht sie einem unter die Haut. Und wie<br />

40<br />

nicht selten bei Almodóvar verläuft sie nicht<br />

linear, sondern schälen sich ihre (psycho-)logischen<br />

Voraussetzungen und inneren Zusammenhänge<br />

wie beim Häuten einer Zwiebel<br />

erst allmählich in Form zahlreicher kunstvoller<br />

Rückblenden her aus. Typisch auch, dass<br />

die Geschichte nur in ihrer spezifischen filmischen<br />

Verpackung zu überzeugen vermag und<br />

in ihrer schnöden verbalen Nacherzählung<br />

geradezu haarsträubend wirkt.“ (Christoph<br />

Meyring in SISSY 11)<br />

WILLIAM S. BUrrOUGhS –<br />

A MAN WIThIN<br />

uS 2010, Regie: Yony Leyser, indigo/Good Movies!<br />

„Noch immer scheinen gegenkulturell<br />

interessierte<br />

Jugendliche Beatliteratur<br />

im Gepäck zu haben. Mein<br />

Heterofreund, der Schriftsteller<br />

werden wollte, hat<br />

später mal Drehbücher für<br />

Sat.1 geschrieben und organisiert<br />

jetzt alternative<br />

Stadtführungen.“ (Siehe Seite 38.)<br />

Off BEAT<br />

CH 2011, Regie: jan Gassmann, edition Salzgeber<br />

Rapper Lukas wird von<br />

seinem Produzenten Mischa,<br />

mit dem er auch<br />

eine Affäre hat, fallengelassen.<br />

Außerdem muss er<br />

mitansehen, wie sein<br />

Bruder Sämi <strong>auf</strong> der Bühne<br />

und bei Mischa seinen<br />

Platz einnimmt. „Der Regisseur<br />

hat seinen Spielern die zu drehende<br />

Szene jeweils mündlich erzählt und die Figuren<br />

danach miteinander konfrontiert. Diese<br />

herangehensweise habe dem Filmteam ‚immer<br />

wieder dokumentarische Geschenke beschert‘<br />

– möglicherweise <strong>auf</strong> Kosten der Dialoge. Andererseits<br />

führen die Aufnahmen mit einer<br />

sensiblen Handkamera und die Maxime, möglichst<br />

nur mit vorhandenem Licht zu drehen,<br />

zu eindrücklich düsteren, authentischen<br />

Stadtbildern, wie man sie aus der schönen sauberen<br />

Schweiz selten sieht. ‚Mich fasziniert<br />

das Unperfekte, Dreckige und selbst erlebte<br />

viel mehr als die perfekte Kamerafahrt‘, fasst<br />

Gassmann zusammen. Gepaart mit den Rapeinlagen,<br />

den Studiosessions und einem<br />

grandiosen Gesangsduell der beiden Brüder<br />

resultiert daraus ein dichter, oftmals poetischer<br />

Musik- und Milieufilm, der die tot geglaubten<br />

Keller einer geschichtsträchtigen<br />

Zürcher Subkultur wieder <strong>auf</strong>leben lässt.“ (Simon<br />

Froehling in SISSY 12).<br />

NOOrDZEE, TEXAS<br />

Be 2011, Regie: Bavo Defurne, edition Salzgeber<br />

„Die Welt, die in Noordzee,<br />

Texas kippt, ist die<br />

von Pim, der mit seiner<br />

Mutter Yvette in einem<br />

windschiefen Haus in einem<br />

kleinen Ort an der<br />

Nordseeküste wohnt,<br />

demselben Kaff, in dem<br />

auch Defurne <strong>auf</strong>gewachsen<br />

ist. Yvette ist Akkordeonspielerin und benimmt<br />

sich wenig mütterlich. Vielleicht ist ihr<br />

Kind deswegen so still. Sein bester Freund ist<br />

drei Jahre älter, heißt Gino und ist genau so,<br />

wie man sich jemanden vorstellt, der Gino<br />

heißt: Wildes schwarzes Haar über glühenden<br />

Augen, Lederjacke, Motorrad, kranke Mutter,<br />

die er sehr liebt, um die er sich aber wenig<br />

kümmert. Außerdem hat er eine Schwester, Sabrina.<br />

Sie ist ziemlich in Pim verliebt. Der<br />

merkt davon nichts, denn er hat nur Gino im<br />

Kopf, und wenn sie nachts im Zelt am Strand<br />

alleine sind oder mit dem Motorrad an einen<br />

abgelegenen Küstenstreifen fahren, hat er Gino<br />

auch noch ganz woanders. (…) Das Grundgefühl<br />

in Defurnes Werk ist, auch wenn er das<br />

vielleicht nicht gerne hört, der Wunsch danach,<br />

die Welt durch Liebe zu heilen. Es geht<br />

immer um Schmerz und die Möglichkeit, dass<br />

er irgendwann <strong>auf</strong>hört, um Sehnsucht und den<br />

Wunsch danach, dass sie gestillt werden möge,<br />

um Schönheit und die wahnwitzige Vorstellung,<br />

sie könnte von Dauer sein. Schwule Träume<br />

eben.“ (Paul Schulz in SISSY 13)<br />

ThE LOOK – ChArLOTTE rAMPLING<br />

De/ FR 2011, Regie: Angelina Maccarone, indigo / Good<br />

Movies!<br />

„Maccarone, seit ihrem<br />

Debüt Kommt Mausi<br />

raus?! und späteren<br />

Schmuckstücken wie<br />

Fremde Haut und Verfolgt<br />

verlässliche Heldin des<br />

nichtheterosexuellen Kinos,<br />

will hier nicht die Lebensgeschichte<br />

der Ram-<br />

p ling erzählen. Ihre wichtigsten Filme werden<br />

gestreift, Viscontis Die Verdammten natürlich,<br />

und die beiden François-Ozon-Werke Unter<br />

dem Sand und Swimming Pool, aber klassisch<br />

Biografisches, Anekdoten aus Kindheit und Jugend<br />

etwa, gibt es kaum. Es geht darum, wie<br />

diese Frau die Welt sieht, wie sie sich sieht, und<br />

wie wir sie sehen. Die Kühle. Das Monster. Die<br />

Verführerin. Die Künstlerin. Die Geheimnisvolle.<br />

All das ist sie und das spielt sie, im Film<br />

und im Leben. Hauptsache nicht belanglos.<br />

Lieber ein Monster als nett, sagt sie an einer<br />

Stelle, und dafür liebt man sie.“ (Daniel Sander<br />

in SISSY 11)<br />

AUSENTE<br />

AR 2011, Regie: Marco Berger, pro-Fun Media<br />

„Die Story von Ausente<br />

folgt entlang der ersten<br />

zwei Drittel einer Art<br />

queerem Lolita-Motiv:<br />

Ein junger Mann täuscht<br />

während des Schwimmunterrichts<br />

Schmerzen im<br />

Auge vor. Sein Ziel ist es,<br />

von seinem Lehrer, einem<br />

eher un<strong>auf</strong>fälligen, ruhigen Mann, zum Arzt<br />

gefahren zu werden. In seiner Inszenierung erinnert<br />

das alles an einen Thriller mit dem bekannten<br />

Motiv des unbescholtenen Menschen,<br />

in dessen Leben sich unverhofft ein Fremder<br />

einnistet, der die Freundlichkeit seines Gastgebers<br />

ausnutzt. Doch hier führt Ausente den Zuschauer<br />

in die Irre, um bald eine zweite, noch<br />

tragischere Seite zu offenbaren: Kurz nach der<br />

Konfrontation zwischen Lehrer und Schüler<br />

dreht sich die Erzählung um 180 Grad und Berger<br />

rollt alles Geschehene noch einmal neu <strong>auf</strong>.<br />

Plötzlich wird klar, dass die intime Begegnung<br />

mit dem Jungen bei Sebastián mehr Spuren<br />

hinterlassen hat als bislang verraten. Tiefe<br />

Spuren. Und so widmet sich der zweite Teil des<br />

Films den Leiden eines Mannes, in dem unverhofft<br />

eine Sehnsucht geweckt wurde, die sich<br />

nie einlösen lassen wird. Was der Film vorher<br />

spannungsvoll als ein Zu-viel an (vor allem kör-<br />

PETER KERN-<br />

COLLECTION<br />

Jeder kriegt<br />

sein Fett weg!<br />

www.fi lmgalerie451.de<br />

perlicher) Nähe kommuniziert hat, ist nun<br />

plötzlich ein Viel-zu-wenig. Allerdings ist es<br />

diese Abwesenheit von Nähe und Sex, welche<br />

die eigentliche Spannung des Filmes ausmacht<br />

und das Begehren sowohl <strong>auf</strong> der Leinwand als<br />

auch beim Zuschauer sogar noch verstärkt.“<br />

(Hanno Stecher in SISSY 12)<br />

BEAUTY<br />

ZA / FR 2011, Regie: Oliver Hermanus, pro-Fun Media<br />

Ein Familienvater aus der<br />

weißen südafrikanischen<br />

Mittelschicht entwickelt<br />

eine unausgesprochene<br />

Leidenschaft für den jungen<br />

Freund seiner Tochter.<br />

„Immer wieder verknüpft<br />

der Film<br />

Über wachungsbilder mit<br />

dem Blick von François: am Strand, an dem<br />

Christian mit einer jungen Frau liegt, in einem<br />

Restaurant, wo zwei Männer miteinander<br />

sprechen und sich küssen. Die Kamera bleibt<br />

jederzeit kalt und unbeteiligt. Sie nimmt den<br />

verrauschten Porno, in dem zwei gut aussehende<br />

Boys mechanisch miteinander ficken, mit<br />

der selben Gleichgültigkeit zur Kenntnis wie<br />

die animalisch grunzenden Männer, die es vor<br />

dem Fernseher miteinander treiben. Bevor die<br />

Figuren des Films irgendeinen Ort in einen<br />

Schauplatz von Gefühlen, Hoffnungen, Ängsten<br />

verwandeln, ist die Kamera oft schon da:<br />

Sie liegt in einem Auto, in das gleich jemand<br />

einsteigen wird, sie steht in einem Büro, das<br />

gleich einer betritt, sie hat sich schon in einem<br />

noch leeren Hotelzimmer niedergelassen. Und<br />

wenn die Filmfiguren längst schon wieder weg<br />

sind, glotzt die Kamera mit der gleichen <strong>Neu</strong>tralität<br />

in die Gegend: Ob hier gerade etwas geschehen<br />

ist, oder ob gleich etwas geschehen<br />

wird, spielt für automatische Bild<strong>auf</strong>zeichnung<br />

keine Rolle. Die erfüllten oder enttäuschten<br />

Konventionen der Montage und die erfüllten<br />

oder enttäuschten Erwartungen der Zuschauer_innen<br />

sind es, die all das mit Sinn überfluten.“<br />

(André Wendler in SISSY 13)<br />

präsentiert neu <strong>auf</strong> <strong>DVD</strong> und als Download:<br />

„amerikanisches independent-kino, wie man es so<br />

wahrhaftig schon lange nicht mehr gesehen hat.“<br />

hamburger morgenpost<br />

Prod. Sprachen subtitles Ländercode System L<strong>auf</strong>zeit Bildformat Tonformat<br />

D Deutsch English 0 NTSC 152 min 16:9, 4:3 ???<br />

1986 – 2010 English<br />

Code-free<br />

Farbe, s/w<br />

Extras: 8 pages booklet with A-Z index<br />

Dieser Bild/Tonträger ist nur für private Vorführungen bestimmt. Öffentliche Vorführung, Sendung und Vervielfältigungen<br />

jeglicher Art sind untersagt. Vermietung oder Verleih nur mit schriftlicher Genehmigung der Filmgalerie 451.<br />

© 2010 Filmgalerie 451, Berlin | Gestaltung: Moniteurs, Berlin | Screendesign + Authoring: k2film<br />

www.filmgalerie451.de<br />

Wendy (Michelle Williams) ist mit ihrem<br />

Hund Lucy <strong>auf</strong> dem Weg nach Alaska, in<br />

der Hoffnung dort einen gut bezahlten<br />

Sommer-Job zu finden. Als ihr Auto in<br />

einer Kleinstadt in Oregon seinen Geist<br />

<strong>auf</strong>gibt und das knappe Budget keine<br />

Reparatur erlaubt, sieht sich Wendy mit<br />

mehr als einem Problem konfrontiert.<br />

Denn sie wird beim Stehlen von Hundefutter<br />

erwischt, und während sie in Polizeigewahrsam<br />

ist, verschwindet auch noch<br />

Lucy.<br />

♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥<br />

„ein vollkommenheit dieses f ilms ist<br />

weder kalkuliert noch eingepaukt.<br />

es ist die stimmigkeit von lyrik.<br />

wie von selbst setzen sich ihre diskreten<br />

bilder zueinander in beziehung<br />

und schliesslich unter die haut.“<br />

frankfurter rundschau<br />

„amerikanisches independentkinogheth,<br />

wie man es so wahr-<br />

haftig schon lange nicht mehr<br />

gesehen hat.“ Hamburger morgenpoSt<br />

ISBN 978-3-941540-31-6<br />

domenica<br />

45367<br />

peter Kern-<br />

coLLection<br />

Jeder kriegt<br />

sein Fett weg!<br />

CODEPENDENT LESBIAN<br />

SPACE ALIEN SEEKS SAME<br />

uS 2011, Regie: Madeleine Olnek, pro-Fun Media<br />

Immer wenn man glaubt,<br />

so ziemlich jede queere<br />

Lovestory schon gesehen<br />

zu haben, kommt eine<br />

Idee aus den USA und beweist<br />

das Gegenteil. Auch<br />

wenn die Assoziationen<br />

bei diesem Sci-Fi-Trash<br />

nur so sprießen, ihre Mischung<br />

macht’s: Schon der Trailer wirkt, als<br />

hätte Regisseurin Madeleine Olnek eine Invasion<br />

à la Iron Sky und die Bastelfreude von Ijon<br />

Tichy mit dem Soundtrack von Raumschiff<br />

Edelweiß kombiniert. Nach einem dicken Joint<br />

vermutlich. Denn anstatt einer lesbischen Fantasie<br />

von Star-Trek-Figuren entsprechen ihre<br />

Protagonistinnen eher Nosferatus kleinen<br />

Schwestern, mit ihren Glatzen und den hoch<br />

gestellten Umhangskragen.<br />

Sie stammen vom Planeten Zots und werden<br />

zur Erde verbannt, weil ihre Gefühlswellen<br />

angeblich die Ozonschicht zerstören. Ihre Mission:<br />

Sich von Erdlingen das Herz brechen zu<br />

lassen, denn erst gefühlskalt gestellt und damit<br />

ungefährlich für das Ökosystem dürfen sie<br />

nach Hause zurück. Dabei scheint es zunächst<br />

eher abwegig, dass diese Wesen überhaupt<br />

emotional agieren. Sie verziehen keine Miene,<br />

reden monoton wie Roboter und ihr Lachen<br />

entpuppt sich beim ersten (Kino-)Date als mechanisch-lautes<br />

Ausrufen der Wörter „Ha! Ha!<br />

Ha!“ Ins Herz schließt man Zoinx, Barr und<br />

Zylar dann aber doch. Zum Beispiel, weil sie<br />

stundenlang vor einer selbstdrehenden Dessertauslage<br />

stehen. Zum Heulen, wie der ersehnte<br />

Käsekuchen sich immer wieder von ihnen fortbewegt!<br />

Und all das nur, um sich mit traurigen<br />

Szenen abzustumpfen und so das Liebesverbot<br />

zu umgehen.<br />

Kein Wunder, dass diese Low-Budget-Produktion<br />

ein Publikumshit beim Sundance Festival<br />

2011 war. Sogar Geheimagenten sowie die<br />

echte Nachricht eines Ufos über Chelsea spie-<br />

Die Lebensgeschichte<br />

von Deutschlands<br />

prominentester Hure<br />

DOMENICA DOMENICA<br />

mit der echten<br />

Domenica!<br />

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anDrea FerréoL<br />

nicoLette Krebitz<br />

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Hans michael rehberg<br />

christoph Schlingensief<br />

„Ein spektakulärer Film!“


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len darin eine Rolle. Auch lesbische Klischees<br />

nimmt Madeleine Olnek klug <strong>auf</strong>s Korn: Barr<br />

und Zylar stellen Lichtjahre von der Heimat<br />

entfernt fest, dass sie eigentlich ganz gut zusammen<br />

passen, wäre da nicht Zylars unverbesserlicher<br />

Hang zur Polygamie. Und dann ist<br />

da noch Erdling Jane, die hinterm Tresen eines<br />

New Yorker Schreibwarenladens verstaubt und<br />

von der großen Liebe träumt. Da kommt Zoinx<br />

gerade richtig. Wen stören schon Kiemen und<br />

ein extravaganter Tanzstil, wenn man endlich<br />

nicht mehr allein einschlafen muss?<br />

Lisa Haas, die schon als wandelnder Geldschein<br />

im schrulligen Kurzfilm Dyke Dollar<br />

amüsierte, gibt das Nerd Girl, als spiele sie sich<br />

selbst und nicht in einer Schwarzweiß-Komödie<br />

über Außerirdische. Die, ganz nebenbei,<br />

eine der charmantesten physischen Liebesbekundungen<br />

der Filmgeschichte serviert. Kultverdächtiges<br />

Zitat inklusive: „Du hast meine<br />

Nase so zärtlich berührt, dass die Haut sich<br />

geschält hat.“ (MS)<br />

SING! INGE, SING!<br />

De 2011, Regie: Marc Boettcher, edition Salzgeber<br />

„Es gab einen Star in<br />

Deutschland, den kennt<br />

heute niemand mehr.<br />

Eine Jazzsängerin, die<br />

nur eine kaum vorbereitete<br />

Platte machen konnte,<br />

eine Diva ohne Gefolgschaft.<br />

Jemand, der zur<br />

falschen Zeit am falschen<br />

Ort war, um es mit Cole Porter zu sagen (beide<br />

wussten, wovon sie sprachen). (…) Marc Boettcher<br />

fährt unglaubliches Material <strong>auf</strong>, um vom<br />

Leben der Inge Brandenburg zu erzählen, die<br />

Leinwand quillt über davon, sie muss manchmal<br />

geteilt werden, um alles unterzubringen.<br />

Jeder wichtige Augenblick ist dokumentiert,<br />

42<br />

das ganze Nachkriegsdeutschland zieht an einem<br />

vorbei, miefige Innenstädte, anständige<br />

Bürger, Musiker mit Brille, im Anzug. Irgendwann<br />

bellt Hitler, Bomben fallen <strong>auf</strong> Vietnam,<br />

in der linken Bildhälfte dreht sich Inges erste<br />

Single ‚Goody, goody!‘ Ein Band im Schlagerfilm<br />

<strong>auf</strong> Schlittschuhen. Das alles ein liebevoller<br />

Irrsinn, aus dem immer wieder Inge Brandenburgs<br />

blitzende Augen <strong>auf</strong>scheinen, ihr<br />

riesiger Mund mit den perfekten Zähne und<br />

ihre Stimme zu hören ist, neben der alles andere<br />

sofort stillsteht und <strong>auf</strong>horcht.“ (Jan Künemund<br />

in SISSY 11)<br />

SEChS MAL VErLIEBT<br />

CH/uK/Au/uS 2009–10, edition Salzgeber<br />

„Kann man mit ziemlich<br />

willkürlichen Vergleichen<br />

tatsächlich das Staunen,<br />

den Witz, die Verwirrung<br />

und das<br />

Angemacht-Sein beschreiben,<br />

dass mich hier<br />

in sechs verschiedenen<br />

Geschichten ergreift?<br />

Muss ich nicht einfach das Besondere erwähnen,<br />

das jede einzelne davon auszeichnet? Die<br />

durchgeknallte Fischi-in-den-1980ern-Szenerie<br />

in Franswa Sharl zum Beispiel oder die verstörende<br />

emotionale Zer ris senheit, die sich am<br />

Ende von L’Ami enthüllt, nachdem man zuerst<br />

eine nette kleine Gay-Teenie-Romanze zu sehen<br />

glaubte? Die Geschichte einer Erniedrigung,<br />

die sich am Ende als Kick entpuppt<br />

(Spring), die großartige Beziehung eines Jungen<br />

und seiner Mutter, die es beide nicht erwarten<br />

können, flachgelegt zu werden (Cappuccino),<br />

die glasklar in den Bildern<br />

durchgespielte Liebesbeziehung, die der Held<br />

durch sein unsicheres Geschwätz beinahe verhindert<br />

(Bedfellows), schließlich das erotische<br />

BARNSTEINER FILM<br />

PERNILLA AUGUST<br />

LUDWIG PALMELL<br />

HUANG HE RIVER<br />

MISS<br />

KICKI<br />

EIN FILM VON<br />

HÅKON LIU<br />

AB 26. JULI IM KINO<br />

Spiel zweier Nachbarn, das zur Katastrophe<br />

führt (Blokes)? Jetzt schreibt man hier gerne<br />

sowas wie ‚eine Reise durch …‘, ‚ein Mix aus …‘<br />

oder betont ein Spektrum oder eine Spannbreite.<br />

Ich kann nur einen Kinoabend empfehlen,<br />

der zwar aus unterschiedlichen Teilen besteht,<br />

der sechs Anfänge hat, sechs Pointen und<br />

sechs Helden, den man aber trotzdem nicht<br />

durch sechs teilen möchte. Dazu hat man am<br />

Ende zu viel erlebt. Im besten Fall: sich sechsmal<br />

verliebt.“ (Richard Garay in SISSY 12)<br />

JITTErS –<br />

SChMETTErLINGE IM BAUCh<br />

iS 2010, Regie: Baldvin Z, edition Salzgeber<br />

„Die ordentliche Welt der<br />

beiden Englischschüler<br />

aus Island gerät ins Zittern,<br />

als sie sich an einem<br />

Abend nach der Kneipe<br />

atemholend unter einem<br />

Baum zu küssen beginnen.<br />

Das Ganze ist unspektakulär,<br />

dauert nicht<br />

lange, vielleicht eine Bildstörung. Der Aufschlag<br />

dann, aus der dünnen Luft dieses Nicht-<br />

Ortes einer School of English lässt, zurück in<br />

Island, scheinbar <strong>auf</strong> sich warten. Jitters<br />

schwenkt <strong>auf</strong> die Freundesgruppe Gabriels, deren<br />

Mitglieder alle, ihn mit eingeschlossen, in<br />

ihren jeweiligen jugendlichen Sommerferienalltagen<br />

Ordnung ins Chaos ihrer Lebenszeit<br />

zu bringen versuchen. Zusammengefasst, hier<br />

handelt es sich um einen Film, für den Zuschauende<br />

zwischen, sagen wir, vierzehn und<br />

neunzehn Jahren sein sollten, damit der Spaß<br />

daran am größten ist – gleich, wie ernsthaft<br />

Chaos und Ordnung im Film erzählt werden<br />

(Filmeschauen darf nicht, sondern sollte nach<br />

Möglichkeit Spaß bereiten). Dafür wurde Jitters<br />

verdientermaßen ausgezeichnet. Seine<br />

www.barnsteiner-film.de<br />

Hauptfigur ist ein Held, der zwar scheinbar<br />

nichts mit Bruno’s ‚Superhelden‘ (‚mit Superausstattung‘)<br />

gemein hat, dafür wohl aber für<br />

eine Mehrheit aller jugendlichen Zuschauenden<br />

als Identifikationsfigur dienen kann. Ich<br />

bezweifele nur, dass die Mehrheiten in duftigen<br />

Betten eines kuscheligen Schlafzimmers<br />

ihre späte Adoleszenz verbringen, sei’s drum.<br />

Coming-Out ist in dieser Coming-of-age-Geschichte<br />

dezentral. Und gerade das macht Jitters<br />

zu einer spannenden Bildstörung, die vielleicht<br />

in Klassenzimmern ausgetestet werden<br />

sollte.“ (Biru David Binder in SISSY 11)<br />

BITE MArKS<br />

uSA 2012, Regie: Mark Bessenger, pro-Fun Media<br />

Man muss Trash schon<br />

sehr, sehr mögen und ein<br />

großer Fan von campen<br />

halbnackten Vamps sein,<br />

um an Bite Marks Freude<br />

zu haben. Wenn das gegeben<br />

ist, hat man an diesem<br />

Festival des schlechten<br />

Geschmacks allerdings<br />

einen Höllenspaß, egal wie hanebüchen die<br />

„Zwei schwule Trapper treffen einen Trucker<br />

mit 30 Untoten <strong>auf</strong> der Ladefläche, die ihnen<br />

nächstens <strong>auf</strong> einem einsamen Schrottplatz die<br />

Klamotten vom Leib reißen, um sie zu<br />

vernaschen“-Geschichte auch sein mag. Denn<br />

Regisseur und Drehbuchautor Mark Bessenger<br />

schenkt sich und seinen Darstellern nichts, bis<br />

nicht auch das letzte Bisschen cineastisches<br />

Leben aus Bite Marks verschwunden ist. Der<br />

Film will eine Komödie sein, ist allerdings nur<br />

unfreiwillig komisch, es sei denn man steht <strong>auf</strong><br />

kompletten Krawall und will seine Blutsauger<br />

absolut beknackt. Aber solche Leute soll es ja<br />

geben, wie sonst wäre der Erfolg der Twilight-<br />

Reihe zu erklären? Seufz. ps<br />

Triff uns <strong>auf</strong> dem CSD<br />

und <strong>auf</strong> www.iwwit.de<br />

BULLhEAD<br />

Be 2011, Regie: Michaël R. Roskam, Rapid eye Movies<br />

Um in der Logik des Gezeigten<br />

zu bleiben, müsste<br />

man jetzt sagen: Ein<br />

kraftvoller Film! Allein<br />

die Geschichte haut einen<br />

um: Auf abgeschiedenen<br />

flandrischen Weideställen<br />

wird der Natur mit<br />

Wachstumshormonen<br />

nach geholfen, eine <strong>auf</strong> den Handel damit spezialisierte<br />

Mafia macht Geschäfte und übt<br />

Druck aus, staatliche Behörden (die „Hormonjäger“)<br />

versuchen, die illegalen Netzwerke zu<br />

durchtrennen und schleusen ihre Spitzel ein.<br />

In diesem gewalttätigen und ziemlich dumpfen<br />

Milieu wird die Geschichte eines entmannten<br />

Jungen erzählt, der seiner eigenen Natur mit<br />

entsprechenden Substanzen nachhilft und dabei<br />

zum Stier wird. Ein Fest ist das für jede<br />

Genderforscherin, zumal die Männer in diesem<br />

Film nichts anderes zu interessieren<br />

scheint als ihre Männlichkeit, ob sie nun als<br />

Gangster, Bullen, Schwule, Flamen, Wallonen,<br />

Opfer, Mörder oder Schwachsinnige agieren.<br />

Aber ob der Film selbst Eier hat, ist die Frage.<br />

Phasenweise wirkt er selbst wie nach einer<br />

Hormonbehandlung, scheint mit einer künstlichen<br />

Muskelschicht über einer ziemlich<br />

schwachbrüstigen Haltung seinen eigenen Figuren<br />

und Themen gegenüber ausgestattet.<br />

Zeitlupen, Streicherorgien, <strong>auf</strong>geputschtes<br />

Schauspiel drücken ordentlich <strong>auf</strong> die Tube,<br />

wo man sich eigentlich an den vernachlässigten,<br />

aber geheimnisvollen Landschaften und<br />

der unglaublichen Hauptfigur, die Matthias<br />

Schoenaerts so gebrochen verkörpert, satt sehen<br />

möchte. (Die schönste Szene: der Rinderzüchter<br />

in der Parfümerie). Am Ende ist das<br />

natürlich (?) eine Geschmacksfrage. Schoena-<br />

erts wurde gleich danach vom nächsten Regisseur<br />

des Testosteron-Arthauskinos engagiert<br />

– Jacques Audiards (Der Prophet) Film Rust<br />

And Bone hatte gerade in Cannes Premiere. Da<br />

geht’s nicht um Rinder, sondern gleich um<br />

Wale. Think bigger. jk<br />

LUCIAS rEISE<br />

it/ AR 2010, Regie: Stefano pasetto, pro-Fun Media<br />

Die Figuren in dieser Girlmeets-Girl-Konstellation<br />

könnten kaum unterschiedlicher<br />

sein: Die lebenslustige<br />

Lea, die in einer<br />

tristen Hühnerfabrik<br />

arbeitet, kein Geld hat,<br />

um ihr undichtes Dach zu<br />

reparieren und sich doch<br />

über jede noch so schwierige Situation mit einer<br />

witzigen Bemerkung rettet. Und Stewardess<br />

Lucia, Gattin eines reichen Arztes, die lebt<br />

wie im goldenen Käfig. Oberflächlich hat sie<br />

alles, was das Herz begehrt, doch eine Fehlgeburt<br />

und ein Selbstmordversuch machen deutlich,<br />

dass ihr Mann zwar Geld, aber kein Gehör<br />

für ihre Probleme hat.<br />

Über das Klavierspiel kommen die beiden<br />

Frauen sich näher. Lucia, deren Arzt ihr dringend<br />

rät, zu lachen und das Leben zu genießen,<br />

gibt Lea Unterricht und lässt sich nach anfänglichem<br />

Fremdeln von ihrer Impulsivität anstecken.<br />

Aus Freundschaft wird Sex, wie als Abschiedsgruß<br />

von Lea, deren Traum von einem<br />

Job als Meeresbiologin in Südamerika plötzlich<br />

erfüllt wird. Kurzerhand reist die Klavierlehrerin<br />

ihr hinterher – und muss feststellen,<br />

dass Leas Freiheitsstreben größere Folgen hat,<br />

als ihr lieb ist.<br />

In Lucias Reise steht die Liebesbeziehung zwischen<br />

zwei Frauen nicht im Mittelpunkt, sie ist<br />

nur der Katalysator eines größeren Selbstfin-


frisch ausgepackt profil<br />

dungsprozesses. Was beide verbindet, ist ihre<br />

Zerbrechlichkeit hinter vermeintlicher Stärke:<br />

Lea, die nicht im Plural denken kann, vor einem<br />

Heiratsantrag abhaut und einem Vater gefallen<br />

möchte, der sich nicht um sie kümmert.<br />

Und Lucia, die eine Diagnose verdrängt, ihre<br />

Gedanken lieber <strong>auf</strong> Zettel schreibt und diese<br />

anschließend zerknüllt, anstatt sich jemandem<br />

anzuvertrauen.<br />

Sie beide haben einen Befreiungsschlag bitter<br />

nötig. „Was verschlägt einen hierher, die Flucht<br />

vor etwas?“, fragt Lea sie, viele Kilometer von<br />

Zuhause entfernt. „Oder man folgt einem inneren<br />

Ruf, so wie wir. Nur ist der Unterschied<br />

zwischen beiden Gründen nicht immer so<br />

klar“, antwortet Lucia.<br />

In wunderschönen Aufnahmen der kargen<br />

Landschaft von Patagonien und Feuerland hadern<br />

sie mit ihrem Schicksal. Ein Happy End,<br />

das wird schnell klar, muss hier nicht zwangsläufig<br />

gemeinsam stattfinden. Zu oft schweift<br />

die Kamera zurück nach Buenos Aires, um<br />

einzufangen, was der Weggang der beiden<br />

bei den Zurückgelassenen auslöst. Nicht vom<br />

Outing-Prozess zweier Menschen, die aus heterosexuellen<br />

Verhältnissen kommen, erzählt<br />

Regisseur Stefano Pasetto. Sondern von ihrer<br />

Suche nach einem Leben, das sie wirklich führen<br />

möchten. ms<br />

LA-LA LAND<br />

uSA 2012, Regie: Casper Andreas, pro-Fun Media<br />

La-La Land ist eine Literaturverfilmung.<br />

Andy<br />

Zeffers Roman „Going<br />

Down in LA-LA-Land“ ist<br />

eine hübsche, fiese Abrechnung<br />

mit Hollywood:<br />

Adam kommt aus der Provinz<br />

in die Filmhauptstadt<br />

der USA und landet<br />

in einem Strudel aus miesen Jobs, anzüglichen<br />

Angeboten, Prostitution, Pornografie und<br />

Freunden, die nichts interessiert außer Ruhm<br />

und Geld. Ein schlimmes Leben. Aber halt, LA-<br />

LA Land ist eine Komödie mit bitteren Untertönen<br />

und lässt sich, genau wie sein Hauptcharakter,<br />

den Spaß an der Sache durch die<br />

furchtbaren Umstände nicht verderben. Regisseur<br />

und Drehbuchautor Caspar Andreas<br />

schafft den Spagat zwischen sehr, sehr unterschiedlichen<br />

emotionalen Tönen mühelos und<br />

lässt sich dabei noch nicht einmal vom nicht<br />

vorhandenen Talent seines Hauptdarstellers<br />

Matthew Ludwinski unterkriegen, der ungefähr<br />

zwei Dinge spielen kann, dafür aber bei<br />

beiden sehr hübsch aussieht. Die Nebenrollen<br />

füllen einige der bekanntesten Hollywoodhomos<br />

Amerikas, z.B. Alec Mapa und Bruce<br />

Vilanch. Ingesamt: sehr vergnüglich, stellenweise<br />

genüsslich gemein und ein Fleischerladen<br />

für Oberkörper. Könnte alles schlimmer<br />

sein. ps<br />

44<br />

EATING OUT 5: ThE OPEN WEEKEND<br />

uSA 2012, Regie: Q. Allan Brocka, pro-Fun Media<br />

Es hört einfach nicht <strong>auf</strong>.<br />

Fünf (!) Teile hat die Eating-Out-Reiheinzwischen<br />

und Mastermind Q.<br />

Allan Brocka hat so gut<br />

wie jedes schwule Porno-<br />

Setting durch: Drama<br />

Camps, Studentenwohnheime,<br />

CSDs etc. Weil die<br />

„schöne Jungs erzählen dreckige Witze und<br />

ziehen sich dabei aus“-Filmchen aber jedes Mal<br />

ein solch durchschlagender Erfolg sind, geht es<br />

immer, immer, immer weiter. In The Open<br />

Weekend treffen unsere Helden Zack und Casey<br />

in einem Resort in Palm Springs <strong>auf</strong>einander,<br />

in das Zack und sein neuer Freund Benji<br />

eigentlich gefahren sind, um ihre Beziehung<br />

für ein Wochenende zu öffnen. Das Unvermeidbare<br />

geschieht: Sexuelles Kuddelmuddel<br />

vom Allerfeinsten, man muss ab und an zurückspulen<br />

um zu verstehen, wer da jetzt gerade<br />

für wen und warum die Hosen runter gelassen<br />

hat. Das Schöne: Lesben und Transsexuelle<br />

sind immer ein selbstverständlicher Teil des<br />

sexuellen Gesamtpakets, da gibt es gar keine<br />

Diskussion, und die Witze erreichen oft den<br />

politisch unkorrekten Derbheitsgrad von John<br />

Waters. Auf Teil sechs werden wir wohl nicht<br />

lange warten müssen. ps<br />

DIE BANKIErSfrAU<br />

FR 1980, Regie: Francis Girod, Studiocanal<br />

Die Sissi-Trilogie gibt es<br />

schon als Schneekugeledition,<br />

aber dieser Film<br />

hier erscheint dieser Tage<br />

tatsächlich erstmals <strong>auf</strong><br />

<strong>DVD</strong>. Eine gereifte, autoritäre,<br />

makellose Romy<br />

Schneider spielt am Ende<br />

ihrer Karriere die lesbische<br />

Bank-Chefin Emma Eckhert, die immer<br />

wieder zur „Schande“ erklärt wird und sich<br />

doch nie klein kriegen lässt. Inszeniert wird<br />

das in großer Kulisse als beschwingtes Biopic,<br />

in dem alles in Geldwert gemessen wird: „Ich<br />

treibe dich hoch wie eine Aktie!“, sagt Emma<br />

zu ihrem Geliebten; „Als ich dir meine erste<br />

Million gab, hast du mich geliebt!“, beklagt<br />

sich die Freundin. Die Frauenfigur, die Romy<br />

Schneider weniger spielt als ausstrahlt, hat für<br />

jedes Spiel einen Einsatz und zockt besser als<br />

alle anderen. Mit dem Geld von Vätern, Männern,<br />

Geliebten setzt sie sich ins Visier der altherrischen<br />

Konkurrenten, die mit sich selbst<br />

Schach spielen und hilflose Intrigen anzetteln.<br />

Vertrauen kann die Bankiersfrau <strong>auf</strong> ein<br />

Netzwerk kluger Frauen, emanzipierter Männer<br />

und ihres allwissenden Sohnes, vor dessen<br />

Augen sie schließlich durch eine Gewehrkugel<br />

der Ewiggestrigen hingerichtet wird. Vorher<br />

war die Kamera vor Ehrfurcht in die Untersicht<br />

abgesackt, eine Inszenierung, wie sie<br />

sonst Heiligen und Diktatoren zugestanden<br />

wird.<br />

In den altmodischen Kulissen wirbelt der Star<br />

Staub <strong>auf</strong>, veredelt das Design, erwirtschaftet<br />

Zinsen und Mehrwerte. Und doch schafft es<br />

Romy Schneider, diese Anwältin der kleinen<br />

Leute, die Rebellin der Finanzwirtschaft und<br />

Inbegriff weiblicher Freiheit als Mensch erscheinen<br />

zu lassen. Wie schon Claude Sautet<br />

über seine Lieblingsschauspielerin gesagt hat:<br />

„Sie hat eine Art von Anständigkeit, die aus ihr<br />

selbst herausstrahlt und die sie unabhängig<br />

macht.“ jk<br />

die Sichtbarmacherinnen<br />

von dAnielA zySk<br />

Normalerweise stellen wir in der Rubrik „profil“ ja Kinos oder insitutionen vor, in denen man nicht-heterosexuelle Filme sehen<br />

oder erwerben kann. Aber bevor man weiß, was man sehen will, muss man ja erst mal wissen, was es gibt. Was insbesondere<br />

die lesbischen Spuren in der Filmgeschichte angeht, kann man sich dank ingeborg Boxhammer und Christiane Leidinger über<br />

mangelnde informationen nicht beklagen: ihr Webportal lesbengeschichte.de ist gerade in der Rubrik „Frauen und Film“ allwissend<br />

und sehr hilfreich – und das in elf Sprachen!<br />

„Lesbian desire is everywhere,<br />

even as it may be nowhere.“<br />

Martha Vicinus<br />

s Mit diesem Satz wird die Webseite www.<br />

lesbengeschichte.de eigenleitet und dies ist<br />

auch Programm und Inhalt dieses wichtigen<br />

Online-Auftritts der zwei verantwortlichen<br />

Macherinnen Ingeborg Boxhammer und<br />

Christiane Leidinger. In thematisch unterteilten<br />

Bereichen wird an die deutsche Lesbengeschichte<br />

erinnert und vieles ausführlich<br />

vorgestellt, was zu ihrer Sichtbarkeit<br />

beiträgt oder beigetragen hat.<br />

So finden sich unter „Politik und Subkultur“<br />

Informationen über die Anfänge der lesbischen<br />

Subkultur zu Zeiten des Kaiserreichs<br />

bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Dort<br />

erfährt eine/r z.B., dass bereits am 9. Oktober<br />

1904 die selbstbewusste Anna Rüling<br />

(eigentlich: „Theo Anna Sprüngli“) sich und<br />

andere Lesben als homosexuell bezeichnete<br />

und somit die weltbekannte „erste lesbenpolitische<br />

Rede“ schuf.<br />

Unterlegt sind die zahlreichen Informationen<br />

mit verschiedenen Fotobeiträgen damaliger<br />

Frauenzeitschriften wie „Die Freundin“<br />

oder „Frauen-Liebe und Leben“. Auch einige<br />

spannende „Zitate“ früherer Feministinnen<br />

und Vorkämpferinnen der Frauenbewegung<br />

lassen sich nachlesen: Johanna Elberskirchen<br />

verkündete z.B. im Jahre 1904 über die<br />

Diskriminierung von Homosexuellen: „Sind<br />

wir Frauen der Emanzipation homosexuell<br />

– nun dann lasse man uns doch! Dann sind<br />

wir es doch mit gutem Recht. Wen geht’s an?<br />

Doch nur die, die es sind.“ Selbst über 100<br />

Jahre später haben diese starken und kämpferischen<br />

Worte nicht an Kraft verloren.<br />

Die „biografischen Skizzen“ präsentieren<br />

Porträts interessanter Frauen, die mit ihrem<br />

Leben und Wirken in frühen Jahren des 20.<br />

Jahrhunderts einen wichtigen Grundstein<br />

zur Sichtbarkeit lesbischen Lebens in der<br />

heuten Zeit gesetzt haben. Es kann dort nach<br />

Biografien vor und nach 1945 gesucht werden.<br />

Interessantes und historisch Wertvolles<br />

verspricht auch die Kategorie „Regionalgeschichte“,<br />

in der die historischen Anfänge der<br />

Berliner Lesbenszene anhand einer Einführung<br />

des Lesbenclubs „Die lustigen <strong>Neu</strong>n“<br />

in den Zeiten des Nationalsozialismus und<br />

der damit verbundenen Repressionen dokumentiert<br />

werden. Im Umfeld dieses Kegelclubs,<br />

der im Jahr 1924 gegründet worden<br />

war, gab es trotz schwieriger Umstände Veranstaltungen<br />

mit bis zu 200 Gästen – wenn<br />

auch streng beobachtet von der Gestapo. Die<br />

Überwachungsprotokolle dienen aber eben<br />

SCReeNSHOt: LeSBeNGeSCHiCHte.De<br />

Jahre später als Zeitzeugnis über das Selbstverständnis<br />

lesbischer Frauen zu dieser Zeit.<br />

Der Bereich „Lesben und Film“ erscheint<br />

besonders umfangreich. Detailliert und in<br />

Spielfilm- und Dokumentationslisten untergliedert,<br />

liegt hier sicher eine der umfassendsten<br />

Sammlungen von lesbenrelevanten<br />

deutschen oder deutschsprachigen Filmproduktionen<br />

vor.<br />

Beginnend mit einem Spielfilm aus dem<br />

Jahr 1911 (Das Barmädel), der offenbar<br />

wegen „frivoler schwuler Liebesszenen“ verboten<br />

wurde, bis hin zu aktuellen Kino- und<br />

TV-Filmen wie Das traurige Leben der Gloria<br />

S. oder auch der Tatort: Im Abseits aus<br />

dem Jahr 2011, lassen sich hier etliche Filminhalte<br />

nachlesen. Die Sammlung wird von<br />

Ingeborg Boxhammer regelmäßig erweitert,<br />

die sich mit ihrem Buch „Das Begehren im<br />

Blick – Streifzüge durch 100 Jahre Lesbenfilmgeschichte“<br />

(2007) einen Namen als Lesbenforscherin<br />

und Filmkritikerin gemacht<br />

hat. Für sie und ihre Arbeitspartnerin, die<br />

Berliner Politologin Christiane Leidinger,<br />

ist das Projekt „Lesbenfilmgeschichte“, das<br />

im November 2005 online geschaltet wurde,<br />

sicher eine Lebens<strong>auf</strong>gabe. Die zwei Frauen<br />

leisten damit ihren eigenen bemerkenswerten<br />

Beitrag zur Sichtbarkeit von lesbischen<br />

Leben, der sicherlich kommende Generationen<br />

von lesbischen Frauen nachhaltig positiv<br />

beeinflussen wird. s<br />

www.lesbengeschichte.de<br />

--daniela<br />

Zysk ist Vorstandsmitglied der Filminitiative<br />

„Homochrom e.V.“, die ab Juli neben<br />

der erfolgreichen schwulen auch eine lesbische<br />

Filmreihe starten wird (www.homochrom.de/<br />

lesbisch). Außerdem stellt sie am 1. Juni ihr<br />

eigenes Onlinemagazin für „Lesben, Bisexuelle<br />

und alle Frauen die Frauen lieben“ vor:<br />

www.phenomenelle.de. Dort gibt es natürlich<br />

auch Filmempfehlungen.<br />

---<br />

45


abspann<br />

dVd-BezugSqueLLen<br />

Nicht-heterosexuelle <strong>DVD</strong>s erhalten Sie unter anderem in den folgenden Läden. Die Auswahl<br />

wird l<strong>auf</strong>end ergänzt. Bitte helfen Sie uns dabei!<br />

BerLIn B_BOOKS Lübbenerstr. 14, 030/6117844 · BrUnO’S Bülowstr.<br />

106, 030/61500385 · SatUrn POtSdaMer PLatZ Alte Potsdamer Straße 7 ·<br />

BrUnO’S Schönhauser Allee 131, 030/61500387 · dUSSMann Friedrichstr.<br />

90 · gaLerIe JanSSen Pariser Str. 45, 030/8811590 · Kadewe Tauentzienstr.<br />

21–24 · MedIa MarKt aLeXa Grunerstr. 20 · MedIa MarKt neUKöLLn Karl-<br />

Marx-Str. 66 · negatIVeLand Dunckerstr. 9 · PrInZ eISenherZ BUchLaden<br />

Lietzenburger Str. 9a, 030/3139936 · SatUrn aLeXanderPLatZ Alexanderplatz<br />

7 · SatUrn eUrOPacenter Tauentzienstr. 9 · VIdeO wOrLd Kottbusser<br />

Damm 73 · VIdeOdrOM Fürbringer Str. 17 BOchUM SatUrn Kortumstr.<br />

72 darMStadt SatUrn Ludwigplatz 6 dOrtMUnd LItfaSS<br />

der BUchLaden Münsterstr. 107, 0231/834724 düSSeLdOrf BOOKXXX<br />

Bismarckstr. 86, 0211/356750 · MedIa MarKt Friedrichstr. 129–133 · SatUrn<br />

Königsallee 56 · SatUrn Am Wehrhahn 1 eSSen MüLLer Limbecker Str.<br />

59–65 franKfUrt/MaIn OScar wILde BUchhandLUng Alte Gasse 51,<br />

069/281260 · SatUrn Zeil 121 haMBUrg BUchLaden MännerSchwarM<br />

Lange Reihe 102, 040/436093 · BrUnO’S Lange Reihe/Danziger Str. 70,<br />

040/98238081 · MedIa MarKt Paul-Nevermann-Platz 15 KöLn BrUnO’S<br />

Kettengasse 20, 0221/2725637 · MedIa MarKt Hohe Str. 121 · SatUrn Hansaring<br />

97 · SatUrn Hohe Str. 41–53 LeIPZIg LehMannS BUchhand-<br />

LUng Grimmaische Str. 10 · MüLLer Petersstr. 28 · SatUrn haUPtBahnhOf<br />

Willy-Brandt-Platz 1 MannheIM der andere BUchLaden M2<br />

1, 0621/21755 München BrUnO’S Thalkirchner Str. 4, 089/97603858<br />

· LILLeMOr’S fraUenBUchLaden Barerstr. 70, 089/2721205 · SatUrn<br />

Schwanthalerstr. 115 · SatUrn <strong>Neu</strong>hauser Str. 39 nürnBerg MüLLer<br />

Königstr. 26 StUttgart BUchLaden erLKönIg Nesenbachstr. 52,<br />

0711/639139 trIer MedIa MarKt Ostallee 3–5 tüBIngen fraUen-<br />

BUchLaden thaLeStrIS Bursagasse 2, 07071/26590 wIen BUchhand-<br />

LUng LöwenherZ Berggasse 8, + 43/1/13172982 würZBUrg<br />

Dominikanerplatz 4<br />

MüLLer<br />

KinoS<br />

Nicht-heterosexuelle Filme können Sie unter anderem in den folgenden Kinos sehen. Die Auswahl<br />

wird l<strong>auf</strong>end ergänzt. Bitte helfen Sie uns dabei!<br />

aachen aPOLLO Pontstr. 141, 0241/9008484 aaLen KInO aM KOcher<br />

Schleifbrückenstr. 15, 07361/5559994 aSchaffenBUrg caSInO<br />

fILMtheater Ohmbachsgasse 1, 06021/4510772 aUgSBUrg cIneMaXX<br />

Willy-Brandt-Platz 2, 01805/24636299 Bad füSSIng fILMgaLerIe<br />

Sonnenstr. 4, 08531/980555 BaMBerg LIchtSPIeL Untere Königstr.<br />

34, 0951/26785 BerLIn acUd Veteranenstr. 21, 030/44359498 · arSenaL<br />

Potsdamer Str. 2, 030/26955100 · KInO InternatIOnaL Karl-Marx-<br />

Allee 33, 030/24756011 · XenOn KInO Kolonnenstr. 5–6, 030/78001530<br />

· cIneMaXX POtSdaMer PLatZ Potsdamer Str. 5, 01805/24636299 · eIS-<br />

ZeIt Zeughofstr. 20, 030/6116016 · fSK aM OranIenPLatZ Segitzdamm 2,<br />

030/6142464 · tILSIter LIchtSPIeLe Richard-Sorge-Str. 25a, 030/4268129<br />

· ZUKUnft Laskerstr. 5, 0176/57861079 BIeLefeLd cIneMaXX Ostwestfalenplatz<br />

1, 0521/5833583 BOchUM endStatIOn KInO IM Bhf.<br />

Langendreer Wallbaumweg 108, 0234/6871620 BraUnSchweIg c1<br />

cIneMa Lange Str. 60 BreMen cIty 46 Birkenstr. 1, 0421/44963582<br />

· cIneMaXX Breitenweg 27, 01805/24636299 dOrtMUnd SchaU-<br />

BUrg Brückstr. 66, 0231/9565606 · SweetSIXteen Immermannstr.<br />

29, 0231/9106623 dreSden KId – KInO IM dach Schandauer Str.<br />

64, 0351/3107373 · cIneMaXX Hüblerstr. 8, 01805/24636299 erLangen<br />

Manhattan Güterhallenstr. 4, 09131/22223 eSSen cIneMaXX<br />

Berliner Platz 4–5, 01805/24636299 eSSLIngen KOMMUnaLeS KInO<br />

Maille 4–9, 0711/31059510 franKfUrt/MaIn LeSBISch-SchwULeS<br />

KULtUrhaUS Klingerstr. 6, 069/293045 · MaL Seh’n Adlerflychtstr.<br />

6, 069/5970845 · OrfeOS erBen Hamburger Allee 45, 069/70769100<br />

freIBUrg KOMMUnaLeS KInO Urachstr. 40, 0761/709033 göttIngen<br />

KInO LUMIère Geismar Landstr. 19, 0551/484523 haLLe LUX<br />

KInO aM ZOO Seebener Str. 172, 0345/5238631 haMBUrg MetrOPOLIS<br />

KInO Steindamm 52–54, 040/342353 · cIneMaXX wandSBeK Quarree 8–10,<br />

01805/24636299 · B-MOVIe Brigittenstr. 5, 040/4305867 · 3001 Schanzenstr.<br />

75–77, 040/437679 hannOVer cIneMaXX Nikolaistr. 8, 01805/24636299<br />

· KInO IM KünStLerhaUS Sophienstr. 2, 0511/16845522 · KInO IM SPrengeL<br />

K.-M.-Kilian-Weg 2, 0511/703814 KarLSrUhe KIneMatheK KarLSrUhe<br />

KInO IM PrInZ-MaX-PaLaIS Karlstr. 10, 0721/25041 · SchaUBUrg Marienstr.<br />

16, 0721/3500018 KIeL dIe PUMPe – KOMMUnaLeS KInO Haßstr.<br />

22, 0431/2007650 · traUM KInO Grasweg 48, 0431/544450 KöLn fILM-<br />

PaLette Lübecker Str. 15, 0221/122112 · KöLner fILMhaUS Maybachstr.<br />

111, 0221/2227100 KOnStanZ ZeBra KInO Joseph-Belli-Weg<br />

5, 07531/60162 LeIPZIg PaSSage KInO Hainstr. 19 a, 0341/2173865<br />

· SchaUBühne LIndenfeLS Karl-Heine-Str., 0341/4846211 Magde-<br />

BUrg cIneMaXX Kantstr. 6, 01805/24636299 MannheIM cIneMa<br />

QUadrat Collinistr. 5, 0621/1223454 MarBUrg cInePLeX Biegenstr.<br />

1a, 06421/17300 München neUeS arena fILMtheater Hans-Sachs-<br />

Str. 7, 089/2603265 · cIty KInO Sonnenstr. 12, 089/591983 · cIneMaXX<br />

Isartorplatz 8, 01805/24636299 MünSter cIneMa fILMtheater Warendorfer<br />

Str. 45–47, 0251/30300 nürnBerg KOMMKInO Königstr.<br />

93, 0911/2448889 OffenBUrg fOrUM Hauptstr. 111, 0781/4350 OLdenBUrg<br />

cIne K Bahnhofstr. 11, 0441/2489646 · cIneMaXX Stau 79–85,<br />

01805/24636299 POtSdaM thaLIa arthOUSe Rudolf-Breitscheid-<br />

Str. 50, 0331/7437020 regenSBUrg wIntergarten Andreasstr. 28,<br />

0941/2980963 SaarBrücKen KInO achteInhaLB Nauwieser Str. 19,<br />

0681/3908880 · KInO IM fILMhaUS Mainzer Str. 8, 0681/372570 SchweInfUrt<br />

KUK – KInO Und KneIPe Ignaz-Schön-Str. 32, 09721/82358 StUttgart<br />

cIneMaXX an der LIederhaLLe Robert-Bosch-Platz 1,<br />

01805/24636299 trIer BrOadway fILMtheater Paulinstr. 18,<br />

0651/96657200 weIterStadt KOMMUnaLeS KInO Carl-Ulrich-Str. 9–11<br />

/ Bürgerzentrum, 06150/12185<br />

46<br />

IMPreSSUM<br />

herausgeber Björn Koll<br />

Verlag Salzgeber & Co. Medien GmbH<br />

Mehringdamm 33 · 10961 Berlin<br />

Telefon 030 / 285 290 90 · Telefax 030 / 285 290 99<br />

Redaktion Jan Künemund, presse@salzgeber.de<br />

art director Johann Peter Werth, werth@salzgeber.de<br />

autoren Harry Baer, Thomas Böhme, Michael Eckhardt, Dino Heicker, Enrico<br />

Ippolito, Ekkehard Knörer, Jan Künemund, Diana Näcke, Nicky Naish,<br />

Christian Rudolph, Paul Schulz, Maike Schultz, Alexandra Seitz, Jenni<br />

Zylka, Daniela Zysk<br />

dank an Friedrich Kröhnke, Sebastian Noack<br />

anzeigen Jan Nurja, nurja@salzgeber.de<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste 01/2012 (www.sissymag.de/media).<br />

SISSY erscheint alle drei Monate, jeweils für den Zeitraum Dezember/<br />

Januar/Februar – März/April/Mai – Juni/Juli/August – September/<br />

Oktober/November. Auflage: 40.000 Exemplare (Druck<strong>auf</strong>lage).<br />

druck Möller Druck, Berlin<br />

Rechte Vervielfältigung, Speicherung, Weiterverarbeitung oder Nutzung sowohl<br />

der Texte als auch der Bilder zu kommerziellen Zwecken bedürfen einer<br />

schriftlichen Genehmigung des Herausgebers.<br />

Bezugsquellen Hier liegt die SISSY kostenlos aus: deutschlandweit in den schwullesbischen<br />

Buchläden und in den CinemaxX-Kinos in Augsburg, Berlin,<br />

Bielefeld, Bremen, Dresden, Essen, Hamburg, Hannover, Magdeburg,<br />

Mannheim, München, Münster, Oldenburg, Stuttgart. potsdam<br />

Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“. berlin BarbieBar,<br />

Deutsche Film- und Fernsehakademie, La Dolce Vita Naturkost. bochum<br />

Orlando. kiel Birdcage. hamburg Café Gnosa, Café unter den Linden,<br />

Jimmy Elsass. köln Café Era, Bastard Bar, Kunsthochschule für<br />

Medien. münchen Moro, Kraftakt, Sub e.V. stuttgart Rubens Home,<br />

Jakobstube. frankfurt/main Bar Central. leipzig Rosa Archiv, Rosa<br />

Linde e.V.. düsseldorf Café Seitensprung. hannover Café Caldo, Café<br />

Konrad. mainz Bar jeder Sicht. nürnberg Fliederlich e.V., Café Fatal.<br />

dresden Gerede e.V. Wenn Sie die SISSY ebenfalls auslegen möchten,<br />

freuen wir uns. Eine kurze E-Mail genügt!<br />

haftung Für gelistete Termine können wir keine Garantie geben.<br />

Die Angaben entsprechen dem Stand des Drucklegungstages.<br />

Bildnachweise Die Bildrechte liegen bei den jeweiligen Anbietern.<br />

abo Sie können SISSY kostenfrei abonnieren: abo@sissymag.de<br />

auch das noch …<br />

Regisseurin Katarina Peters bei den Dreharbeiten zu „Man For A Day“.<br />

ISSN 1868-4009<br />

eDitiON SALZGeBeR<br />

»Ein großartiges Stück Kino,<br />

aus dem man als Zuschauer<br />

berührter, schlauer und<br />

besser unterhalten rausgeht,<br />

als man es zu Beginn des Films<br />

gewesen ist.«<br />

M Ä N N ER<br />

»Nur wenige Coming-of-Age-<br />

Geschichten sind in so<br />

poetischen und zugleich<br />

so wahrhaftigen Bildern<br />

erzählt wie diese.«<br />

H A MBURGER MORGENPOST<br />

»Ein liebenswertes,<br />

hoffnungsfrohes und<br />

souveränes Debüt!«<br />

FIL MDIENST<br />

»Der Film erzählt<br />

berührend und dicht<br />

von Freundschaft,<br />

Familie und der<br />

Gefühlsachterbahn<br />

erster Liebe.«<br />

T I P<br />

JETZT AUF <strong>DVD</strong>


DIANE TORR<br />

EIN FILM VON KATARINA PETERS<br />

»Starke Protagonistinnen,<br />

denen man stundenlang<br />

dabei zusehen könnte, wie sie<br />

ganz neue Facetten ihrer<br />

Persönlichkeiten entdecken.«<br />

schnitt<br />

»Sensible Einblicke<br />

in ganz unterschiedliche<br />

Frauenleben, eine neue<br />

Sicht <strong>auf</strong> den Alltag!«<br />

3sat<br />

AB 19. JULI IM KINO!

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