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Ausgabe vierzehn · Juni bis August 2012 · kostenlos<br />
s Welterschütterung: Zartes Rosa, sanftes Grün s Machomarotten: Ausgestopfte Liebestöter s <strong>Neu</strong>n Tage Paris: Anders- und<br />
Dagegensein s Fröhliches Treiben: Liebe <strong>auf</strong> VHS s Wellenritt: Musikeinsatz am Meer s Filmgeschichte: Die Q-Frage s Mutterfreuden:<br />
Kiss Kiss, Cin Cin, Bye Bye s Kernspaltung: Sich endlich lieben s Visconti: Schminke und Begehren s Die Dokwütige: Das kann doch<br />
alles nicht sein! s Very precious: Malerisch angeschossen mit nacktem Oberkörper s Amüsanter Fehler: Darf ich das? s Kostümorgie:<br />
Weltgeschichte bleibt draußen s Wasserfestspiele: Mülltüten <strong>auf</strong> Branchenköpfen s Die Archivarinnen: Kultur in elf Sprachen
Air Sculpt Brief von Andrew Christian<br />
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titeL: <strong>Neu</strong>e ViSiONeN<br />
<strong>Sissy</strong> vierzehn<br />
Zugegeben, im letzten Heft haben wir ein bisschen arg über die<br />
Berlinale gemeckert, beziehungsweise darüber, wie dort über das<br />
Kino geredet wird, das auch die SISSY interessiert. Wobei uns ja<br />
bewusst ist, dass dieses Festival eines der wenigen Foren zumindest<br />
in Deutschland ist, in dem überhaupt über „Queer Cinema“ geredet<br />
wird – und sei es auch nur in Form von Gemecker. Um diesen Impuls<br />
auch mal anders, nämlich konstruktiver, <strong>auf</strong>zugreifen, haben wir<br />
Menschen, die mit diesem Begriff arbeiten, zu einem Gespräch überredet,<br />
dessen Ergebnis wir in diesem Heft präsentieren.<br />
Die ewige Frage, was das Q-Wort<br />
überhaupt bedeutet, ist dabei die eine, ob der<br />
Begriff für Menschen, die Filme lieben, überhaupt<br />
relevant ist, die andere Leitfrage.<br />
Bei unserer Recherche trafen wir selbstkritische<br />
Filmkritiker, geschichtsbewusste Kuratoren,<br />
Fragen <strong>auf</strong>werfende Filmwissenschaftler<br />
und FilmemacherInnen, die das meiste, was<br />
heutige Queerfilme entwerfen, defensiv und<br />
rückschrittig finden.<br />
Dass so wenig darüber geredet wird, wie wir<br />
„unsere“ Geschichten filmisch erzählen,<br />
scheint daran zu liegen, dass es seit den 1990er<br />
Jahren eine gut funktionierende Nische für<br />
schwullesbisches Kino gibt, das, abgesehen<br />
vom „Zielpublikum“, nicht wahrgenommen<br />
wird, das keinerlei Austausch mehr mit dem Hilfreich beim Straßenkampf, etwas einsilbig, was das Kino angeht: Der Teddy<br />
Weltkino eingeht, aber dennoch das subjektive<br />
Gefühl vermittelt, queeres Kino sei ja präsent genug. Diese Filme<br />
werfen innerhalb und außerhalb ihrer Nische keine Fragen <strong>auf</strong>.<br />
Jenseits davon ist Queerness wiederum kein Thema – die wenigsten<br />
Cinephilen fragen sich, was in Filmen ihrer Helden wie Weerasethakul,<br />
Chéreau, Mendoza, Almodóvar, ja selbst Ozon jetzt so besonders<br />
„queer“ sei.<br />
Verstand sich die SISSY schon immer als eine Reaktion <strong>auf</strong> das immer<br />
leiser werdende Nachdenken über Queerness im Film und queere<br />
Filme in den queeren Szenepublikationen, so schien es uns nur konsequent,<br />
das Gespräch darüber wieder anzuregen. Fortsetzung folgt,<br />
ganz bestimmt.<br />
vorspann<br />
Wenn Sie SISSY kostenlos abonnieren möchten: E-Mail an abo@sissymag.de<br />
3<br />
jAN KüNeMuND
mein dvd-regal<br />
Christian Rudolph, <strong>Sissy</strong>-Leser<br />
4 5<br />
Christian rudolph
kino<br />
PaRadieS /<br />
infeRno<br />
von AlexAndrA Seitz<br />
Drei junge Männer leisten Militärdienst bei der französischen<br />
Marine. Die uniformen stammen aus den 1970ern, der einsatzort<br />
ist das Mururoa-Atoll. Was man heute über die historischen<br />
Atomwaffenexperimente Frankreichs weiß, trifft die Hauptfiguren<br />
jäh und unvermittelt. Der Anblick des unfassbaren markiert<br />
in Marion Hänsels sensitivem und homoerotisch eingefärbtem<br />
Spielfilm „Schwarzer Ozean“ die Grenze, an der sich jugendliche<br />
empfindsamkeit gegenüber einer kalten und gefühllosen<br />
Welt behaupten kann. Ab 7. juni in ausgewählten Kinos, ende<br />
juni <strong>auf</strong> <strong>DVD</strong>.<br />
s „Ich bin der Tod, der alles raubt, Erschütterer der Welten.“ Dieser<br />
Satz aus der hinduistischen Heldensaga „Bhagavadgita“ fiel Julius<br />
Robert Oppenheimer angesichts der Testexplosion einer Atombombe<br />
ein. An deren Entwicklung und Herstellung war er als Leiter des<br />
Manhattan Project in den Dreißiger und Vierziger Jahren in Los<br />
Alamos, New Mexico, maßgeblich beteiligt. Die erhaben schreckliche<br />
Schönheit des sprichwörtlich gewordenen Atompilzes, der kilometerhoch<br />
in den Himmel stieg, beeindruckte den Mann nachhaltig.<br />
Das Ausmaß und die schiere Wucht der entfesselten (Zerstörungs-)<br />
Kraft ließen ihn jedoch wie seinen Kollegen Albert Einstein bald zu<br />
einem Kritiker der Nutzung von Atomkraft durch den Menschen<br />
werden. Oppenheimer ahnte, was eine derart potente Waffe in den<br />
Händen von Politikern, Militärs, Mächtigen würde anrichten können.<br />
Leider hat man nicht <strong>auf</strong> ihn gehört. Deswegen sitzen wir nun<br />
<strong>auf</strong> unserem Heimatplaneten wie <strong>auf</strong> einem Pulverfass, <strong>auf</strong> Bruttoregistertonnen<br />
von Bomben, die uns und die Erde gleich doppelt und<br />
dreifach ins Nirvana und wieder zurück katapultieren könnten. Diese<br />
potenzielle Leichtigkeit und Leichtfertigkeit totaler Auslöschung ist<br />
eine Bedrohung, ein immer präsenter Schrecken, der nur auszuhalten<br />
ist, indem man ihn verdrängt. Was aber, wenn sie einen unmittelbar<br />
trifft, die Erkenntnis unmittelbar möglicher Vernichtung? Was, wenn<br />
mit einem Mal ein Bombenpilz voll schön-schrecklicher Erhabenheit<br />
vor einem <strong>auf</strong>stiege, immer höher und höher <strong>auf</strong>ragte, dabei immer<br />
bestimmender und ausschließlicher würde, so lange, bis alles um ihn<br />
her unbedeutend, winzig und entbehrlich erschiene?<br />
Moriaty weiß, was er gesehen hat. Und er kommt nicht damit<br />
zurecht. Der Erschütterer der Welten erschüttert ihn, den kaum<br />
Zwanzigjährigen, bis ins Mark. Moriaty tut Dienst <strong>auf</strong> einem Kriegsschiff<br />
der französischen Marine, das 1972 im pazifischen Ozean in<br />
der Nähe des Mururoa-Atolls kreuzt. Inzwischen weiß man, was die<br />
Franzosen in dieser entlegenen Gegend der Welt unternahmen; zwischen<br />
1966 und 1995 führte La Grande Nation im Südpazifik über 170<br />
Atombombentests durch. Einen dieser Tests wählt die Regisseurin<br />
Marion Hänsel als Anker ihres Films Schwarzer Ozean. Das heißt,<br />
dass die Explosion weniger Motor der Handlung als vielmehr sinnstiftendes<br />
Motiv ihres Films ist. Ein Thema im lang Verborgenen, um<br />
das herum sich etwas anderes lagert: Gefühle, Verhältnisse, Überlegungen.<br />
Das Blau des gleichmütigen Meeres. Das eintönige Grau des<br />
Dampfers. Der Ennui und die Schikanen. Zartes Rosa, sanftes Grün.<br />
6<br />
eDitiON SALZGeBeR<br />
kino<br />
7
kino<br />
Das Paradies und das Inferno. Über 50 Minuten des knapp anderthalbstündigen<br />
Films vergehen, bis sich am fernen Horizont ein Pilz<br />
entfaltet. Nichts hatte zuvor <strong>auf</strong> sein Erscheinen hingedeutet. Lange<br />
beobachtet Hänsel ihre Protagonisten – die Rekruten Moriaty, Massina,<br />
Da Maggio, die ihnen vorgesetzten Offiziere, den Schiffshund<br />
Giovanni – bei ihren alltäglichen Verrichtungen <strong>auf</strong> dem Schiff.<br />
Bis es mit einem Mal heißt: Brillen anlegen, in Deckung gehen und<br />
vom Licht wegdrehen. Als die Dampfsäule der Explosion sich in der<br />
Ferne in die Höhe bohrt, ist allenfalls ein sanftes Grollen zu hören.<br />
Aber nichts ist danach mehr so, wie es war. Diese Setzung der Nicht-<br />
Gleichgültigkeit gegenüber den Verheerungen einer Atombombenexplosion,<br />
und werde sie auch „nur“ zu Testzwecken durchgeführt,<br />
diese Rückholung des Schreckens aus zur Gewohnheit gewordener<br />
Verdrängung, diese Ernsthaftigkeit ist es, die Schwarzer Ozean letztlich<br />
ungewöhnlich macht.<br />
Für ihr Drehbuch adaptierte Hänsel zwei autobiografisch inspirierte<br />
Erzählungen Hubert Mignarellis, der sich als junger Mann<br />
freiwillig zur französischen Marine gemeldet hatte und <strong>auf</strong> dem Mururoa-Atoll<br />
eingesetzt war. Lange unterlagen die Ereignisse jener Zeit<br />
der Geheimhaltung, erst vor wenigen Jahren wurden die Akten, die<br />
sie dokumentieren, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Anlässlich<br />
der Premiere ihres Films 2010 bei den Filmfestspielen in Venedig<br />
meinte Hänsel in einem Interview, es sei ihr wichtig erschienen, eine<br />
Geschichte über diese nuklearen Tests zu erzählen. Nicht nur, weil in<br />
Frankreich kaum darüber geredet werde. Vor allem, weil sich Parallelen<br />
herstellen ließen zwischen den jungen Soldaten, die damals im<br />
Pazifik eingesetzt wurden, und jenen, die heute im Irak oder in Afghanistan<br />
Dienst tun. Jünglinge in jenem fragilen Alter an der Schwelle<br />
zum Erwachsensein, in dem das Bewusstsein von der Frage beherrscht<br />
ist, wie das Leben sich wohl gestalten und was die Zukunft bereit halten<br />
werde. Damals wie heute, so Hänsel, fänden diese Jungen sich<br />
ausgerechnet in dieser schwierigen psychologischen Phase in einer<br />
unübersichtlichen, schwer einzuschätzenden, kriegerischen Situation<br />
wieder und wüssten im Grunde nicht genau, warum sie dort seien, was<br />
eigentlich sie verteidigten und welche Waffen sie dabei einsetzten.<br />
Welche Brisanz dieser schlüssigen Überlegung im gegenwärtigen<br />
Kontext global eher verwalteter, denn befriedeter, in jedem Fall<br />
aber propagandistisch schön geredeter Krisenherde innewohnt, lässt<br />
sich daran ermessen, dass Hänsel für ihr Projekt zunächst Zusagen<br />
der Unterstützung seitens des französischen Verteidigungsministeriums<br />
sowie der Marine hatte. Diese wurden dann mit der Begründung<br />
zurückgezogen, das Drehbuch „gäbe die historische Atmosphäre und<br />
den Enthusiasmus der Mannschaften nicht akkurat wieder“. Hänsel<br />
– unwillig, sich vor den Rekrutierungskarren spannen zu lassen –<br />
drehte Schwarzer Ozean schließlich <strong>auf</strong> einem unter russischer Flagge<br />
fahrenden historischen Marineschiff vor Sardinien und Guadelupe,<br />
ein Veteran half ihr bei der Rekonstruktion der militärischen Rituale.<br />
In ihrem Werk beschäftigt sich die belgische Filmemacherin<br />
Marion Hänsel immer wieder mit der Relation zwischen Politik<br />
und menschlichen Beziehungen. Nie in Form oberflächlicher Kurzschlüsse<br />
oder simpler Darlegung vermeintlicher Ursache-Wirkungs-<br />
Muster. Erklärungen machen sich in Hänsels Filmen eher rar. Vielmehr<br />
setzt die Filmemacherin <strong>auf</strong> eine emotionale Mitwirkung ihres<br />
Publikums, <strong>auf</strong> dessen Bereitschaft, den Zusammenhang herzustellen<br />
zwischen Denken, Fühlen und Handeln ihrer Figuren, und diesen wiederum<br />
rückzubeziehen <strong>auf</strong> den jeweils gegebenen gesellschaftlichen,<br />
sozialen, politischen Kontext. Zuletzt 2006 in Als der Wind den Sand<br />
berührte (Si le vent soulève les sables), nach dem Roman „Chamelle“<br />
von Marc Durin-Valois, in dem sie einer afrikanischen Familie <strong>auf</strong> der<br />
Suche nach Wasser durch die Wüste und in den Schrecken militanter<br />
Auseinandersetzungen folgt. Oder in Dust (1985), der, beruhend <strong>auf</strong><br />
J.M. Coetzees gleichnamigem Roman, von den Gefühls- wie Machtverstrickungen<br />
zwischen abweisendem Vater, lediger Tochter und<br />
schwarzen Farmangestellten irgendwo in Südafrika handelt. Oder in<br />
Verschwörung der Kinder (Sur la terre comme au ciel, 1992), der davon<br />
erzählt, dass die Babys nicht mehr geboren werden, sondern lieber im<br />
Mutterleib sterben wollen, weil die Welt, die sie draußen erwartet, ein<br />
schrecklicher Ort ist. Immer gelingt es Hänsel, eine stark ausgeprägte<br />
emotionale Textur in ein nicht minder differenziertes soziopolitisches<br />
Biotop einzubetten, ohne plakativ oder manipulativ zu werden.<br />
Nüchternheit, Kraft, Schmucklosigkeit zeichnen Marion Hänsels<br />
Schaffen aus. Und eine Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit, die wohl auch<br />
Moriaty antreibt, das schweigsame Zentrum von Noir Océan.<br />
„Der, der es gewagt hat, den Fluss zu durchqueren, verdient ein<br />
gutes Leben!“ Dies hatte Moriaty sich einst versprochen, da war er<br />
noch ein kleiner Junge und querte als eine Art Mutprobe ganz allein<br />
einen eiskalten Fluss. Das Wasser stand ihm dabei bis zum Hals, seine<br />
Angst war groß und sein Glaube an sich selbst geriet ins Wanken.<br />
Aber er hat es geschafft und es bewiesen und das gute Leben würde<br />
Wirklichkeit werden – soviel war nunmehr ausgemacht zwischen<br />
ihm und mit wem auch immer kleine Jungen dergleichen Wetten<br />
eingehen. Dass Moriaty sich Jahre später in einer Situation wiederfindet,<br />
die ihn in einen zerstörerischen, vernichtenden, Schöpfungsverachtenden<br />
Kontext stellt, gegen den er sich nicht zur Wehr setzen<br />
kann, bricht ihm das Herz. Moriaty begreift sehr gut, dass er Verantwortung<br />
hat nicht nur für das, was er tut, sondern auch für das, was<br />
er bezeugt – in dem Fall: zu bezeugen gezwungen wird, eine Wunde,<br />
die der Erde geschlagen wird – und er ist untröstlich. Sein zwanzigster<br />
Geburtstag, den er gemeinsam mit Massina und Da Maggio <strong>auf</strong><br />
Landgang und am Strand verbringt, wird von ihm denn auch weniger<br />
gefeiert als vielmehr deprimiert zur Kenntnis genommen.<br />
Sie habe einen Film drehen wollen, sagt Hänsel, der zart sei wie<br />
der Atem eines Kindes und trotzdem <strong>auf</strong>geladen mit einer immer<br />
präsenten, unterschwelligen Gewalt. Also verstellt sie den Blick <strong>auf</strong><br />
ihre Figuren weder mit Klischees des Soldatischen noch mit wohlfeilen<br />
Vorstellungen von jungmännerhaftem Dr<strong>auf</strong>gängertum. Sie<br />
schafft stattdessen einen Raum, in dem der einzelne Charakter <strong>auf</strong><br />
subtile Weise aus der Ausschließlichkeit des militärischen Kontextes<br />
herausgeholt und vertieft wird – und dabei insgesamt doch<br />
skizzenhaft bleibt. Die üblichen Eckdaten konventioneller Charakterisierung<br />
fehlen; soziale Herkunft, Bildungsstand, Träume und<br />
Pläne bleiben Leerstellen. Auch darüberhinaus ist wenig Konkretes<br />
zu erfahren: Der übergewichtige Da Maggio, der von allen getriezt<br />
wird, ruft nachts im Schlaf nach seiner Mutter. Er schickt Fotos nach<br />
Hause, <strong>auf</strong> denen er sich wie ein Abenteurer in der großen weiten<br />
Welt präsentiert. Massina wurde von Giovanni zum Boss erwählt;<br />
einmal bekommt er Post, ein Buch voll Mathematik und einen Brief,<br />
der wider Erwarten nicht vorgelesen wird. Was hat es mit dem Buch<br />
<strong>auf</strong> sich? Wer schreibt? Ist es wichtig? Moriaty mag der Älteste der<br />
drei sein; er erzählt Massina von seiner Mutprobe, er reagiert <strong>auf</strong> das<br />
übermütige Kräftemessen der Kameraden und Da Maggios kindische<br />
Quälerei eines Kraken mit einer Mischung aus Enttäuschung und<br />
Verachtung. Alle drei werden sie im L<strong>auf</strong> des Films wie die Kinder in<br />
Tränen ausbrechen: Da Maggio, als er von den anderen beiden allein<br />
am Strand zurückgelassen wird. Massina, weil er eines Nachts das<br />
unschuldige Opfer eines gewalttätigen Angriffs wird. Moriaty, weil<br />
die angerichtete Zerstörung, deren Zeuge er wird, ihm wie Verrat am<br />
eigenen Leben vorkommt.<br />
So erscheinen Moriaty, Massina und Da Maggio als genau jene<br />
zarten, noch etwas ungebildeten, nicht ganz gefestigten Charaktere,<br />
die Jünglinge in ihrem Alter eben sind. Ihr Gefühlsleben ist komplexer<br />
als ihr Artikulationsvermögen. Ihr moralisches Empfinden mag<br />
diffus sein, aber es ist da. Es wohnt eine noch kindliche Unschuld in<br />
ihren Herzen, die sich zur Wahrhaftigkeit wandeln mag oder korrumpiert<br />
werden wird. Hänsel trifft über den Ausgang der Entwicklung<br />
ihrer Protagonisten, über deren Zukunft keine Aussage. Sie setzt aber<br />
Zeichen möglicher Bedrohung, indem sie Moriaty, Massina und Da<br />
Maggio in eine Umgebung stellt, deren hierarchische Strukturen,<br />
Mannbarkeitsrituale und mehr oder minder latente Konfliktträchtigkeit<br />
innere Verhärtung wie äußere Kontrolle erfordern. Sie entwirft<br />
einen vom Kriegerischen und von militärischer Disziplin determinierten<br />
Ort, der die eben erst entfaltete Sensibilität dieser jungen<br />
Menschen schon wieder zu ersticken droht. Die richtigen Worte wollen<br />
sich nicht mehr finden, die Sprache ist verschlagen – und sich einander<br />
mitzuteilen, ist ebenso schwierig wie überhaupt zu begreifen,<br />
was vorgeht und wie ihnen geschieht. s<br />
Schwarzer Ozean<br />
von Marion Hänsel<br />
BE/FR/DE 2010, 88 Minuten, französische<br />
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Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />
Im Kino<br />
ab 7. Juni 2012<br />
8 9<br />
kino<br />
eDitiON SALZGeBeR (3)
kino<br />
UntergehendeS<br />
Begehren<br />
von ekkehArd knörer<br />
Während draußen, im juli 1798, das Volk die bisherige Ordnung zu Fall bringt,<br />
zieht sich der verliebte Kamera-Blick in die weibliche intimsphäre der Königin<br />
Marie Antoinette, ihrer favorisierten Herzogin und ihrer jungen Vorleserin<br />
zurück. ein mutmaßlich fiktionaler lesbischer Begehrensraum wird so im<br />
starbesetzten Historienfilm „Leb wohl, meine Königin“ zum instrument queerer<br />
Geschichtsschreibung. im Kino ab 31. Mai.<br />
Leb wohl, meine Königin<br />
von Benoît Jacquot<br />
FR/ES 2012, 100 Minuten, deutsche<br />
SF, frz. OF mit dt. UT<br />
Capelight Pictures, www.capelight.de<br />
Im Kino<br />
ab 31. Mai 2012<br />
www.lebwohlmeinekoenigin-film.de<br />
CApeLiGHt piCtuReS<br />
s Aufblende. Versailles, der 14. Juli 1789,<br />
der Ort, das Datum kurz als Schriftzug im<br />
Bild, erwacht wird am französischen Hof.<br />
Nichts wird groß etabliert, Weltgeschichte<br />
ja, aber nur flüsternd, auch die Uhr schlägt<br />
leise, die Uhr später Dingsymbol, hier erst<br />
einmal nur goldene Uhr, es ist früher Morgen,<br />
um sechs. Der Blick geht nicht in die<br />
Höhe, nicht in Richtung Königin oder König<br />
oder Französische Revolution, sondern unter<br />
die Kleidung, die Stiche der Flöhe, später treten<br />
dann auch noch <strong>auf</strong>: tote Ratten. Sidonie<br />
Laborde (Léa Seydoux), Marie-Antoinettes<br />
Vorleserin, kratzt sich am Arm und ahnt<br />
nichts vom Untergang ihrer Welt. Mit diesen<br />
ersten Bildern ist alles, eine Zeit, ein Milieu,<br />
der Hof von Versailles, wie <strong>auf</strong> einen Schlag<br />
da, mühelos-unangestrengt, es klopft an der<br />
Tür und die Verhältnisse beginnen sich nun,<br />
Zug für Zug, ohne große Erklärung zu erhellen.<br />
Leb wohl, meine Königin ist ein Kostümfilm,<br />
der seine Kostüme, die Fremde, die die<br />
Vergangenheit ist, von Anfang bis Ende mit<br />
Leichtigkeit trägt.<br />
Ein einziger Schwenk, der zur Titelsequenz<br />
wird: Er führt vom grauen Pöbel vor<br />
dem goldenen Zaun um das Schloss von Versailles<br />
zu von rechts in Reih und Glied ins Bild<br />
marschierenden uniformierten Musikanten.<br />
Schnitt, Titeleinblendung, die Musikanten<br />
marschieren <strong>auf</strong> die Kamera zu durchs sich<br />
öffnende goldene Tor des Schlosses, die<br />
schmutzige Masse zum einen, die saubere<br />
Ordnung zum anderen, das ist in nuce und<br />
in Bildopposition der Konflikt, während die<br />
Bewegung der Kamera klar macht, dass sich<br />
der Film nicht für die Revoltierenden, sondern<br />
für den Hof, gegen den revoltiert wird,<br />
interessiert. Aber auch da wieder nicht in<br />
klassenkämpferischer Weise. Das Porträt ist<br />
gerade und ausdrücklich nicht politisch vorstrukturiert.<br />
Es fällt ein anderer Blick, und<br />
weil dieser Blick anders fällt, wird auch die<br />
politische Geschichte anders erzählt.<br />
Sidonie Labordie ist die, deren Blick der<br />
Film unterstellt ist; sie ist die, deren Blick er<br />
sich wie ein Liebender anschmiegt, gleich zu<br />
Beginn in einer schnellen Schritts Richtung<br />
Gemächer der Königin eilenden Subjektiven,<br />
und man weiß ja, dass Benoît Jacquot ein<br />
Regisseur ist, der seine Darstellerinnen – wie<br />
sonst vielleicht nur Rudolf Thome – bedingungslos<br />
verehrt und begehrt. (In Interviews<br />
versichert er, dass das auch für seine Darsteller<br />
gelte, aber im Zentrum stehen die selten<br />
– kein Geringerer als Xavier Beauvois spielt<br />
hier als Louis XVI eine ausgesprochene<br />
Nebenrolle.)<br />
Das darf man nicht übersehen: Der<br />
Film erzählt vom Begehren, aber bei Jacquot<br />
begehrt immer auch der Film selbst. Er<br />
begehrt Sidonie, die reine Erfindung ist, eine<br />
Hinzufügung zur sonst grosso modo und<br />
mit manchen Freiheiten wahren Geschichte,<br />
und zwar begehrt er sie im Körper von Léa<br />
Seydoux, mädchenhaft frühreif, die Haare<br />
meist hochgesteckt, die leise Zahnlücke, das<br />
zu Grimassen fähige, von frech zu verstockt<br />
und zurück huschende, etwas puppenhafte<br />
Gesicht. Er begehrt Marie-Antoinette, also<br />
Diane Kruger, die in blonder Hingestrecktheit<br />
wie auch sonst immer etwas zu sehr den<br />
Eindruck macht, sie hätte für jede Szene eifrig<br />
geübt und dann noch diesen Eindruck aus<br />
ihrem Spiel eifrig wegzutrainieren versucht.<br />
(Keiner sagt, dass der Kritiker mitlieben<br />
muss.) Und er begehrt Virginie Ledoyen als<br />
die dunkelhaarige Favoritin und vielleicht<br />
auch Geliebte der Königin, Gabrielle de Polignac,<br />
die undurchsichtig und hochmütig ihr<br />
Spiel treibt mit allen, traditioneller Darstellung<br />
nach ein besonders schlimmer Fall von<br />
Ancien-Régime-Entitlement-Hochnäsigkeit.<br />
Auf alle drei wirft Jacquot mit Romain<br />
Windings lebendiger Kamera liebende Blicke<br />
und mischt sich so in ihren eigenen Liebende-<br />
Blicke-Verkehr. Sidonie liebt die Königin, die<br />
Königin liebt Gabrielle und was genau Gabrielle<br />
fühlt, denkt und will, bleibt eher unklar.<br />
Statt Politik und Geschichte also Liebe oder<br />
jedenfalls: Durchs Politische kreuzt die<br />
Liebe, das eine ist vom anderen hier nicht<br />
zu trennen. Zweimal noch tritt die Objektivität<br />
des Historischen <strong>auf</strong> im eingeblendeten<br />
Datum, der 15. und der 16. Juli im Jahre<br />
des Herrn 1789. Die Bastille ist erstürmt, der<br />
Hofstaat geht nach und nach in Auflösung<br />
über, der König berät und doch bleibt all das<br />
Hintergrund für die Dreiecksgeschichte, die<br />
wiederum ständig <strong>auf</strong> Sidonie perspektiviert.<br />
Sidonie ist Fiktion (aus der Romanvorlage<br />
von Chantal Thomas), aber als Fiktion<br />
ist sie auch Agentin einer anderen Wahrheit:<br />
Sie quert die Geschichte und queert sie. Sie<br />
gehört zum minderen Adel, ist der Königin<br />
als Vorleserin zu Diensten, darf dabei aber<br />
doch mehr als eine Bedienstete wagen. Dieses<br />
ganze innere Regiment aus Schleusen,<br />
gewinkten Befehlen der wie stets großartigen<br />
Noémie Lvovsky, Blicken zu Boden und<br />
verstohlen nach oben, das Lesen aus richtigen<br />
Büchern und falschen, das Eilen durch<br />
Gänge, das von Kerzen beleuchtete Spiel aus<br />
Lichtern und Schatten, Gabrielles Nacktheit<br />
im Schlaf, die vorbeitreibende Ratte, das<br />
Glück, Beachtung zu finden, das Unglück,<br />
nicht beachtet zu sein, dieses ganze schöne,<br />
lässig entfaltete Universum aus Konkretionen:<br />
In all diesen wunderbar unterbetont<br />
hingetupften Details ist Leb wohl, meine<br />
Königin ganz virtuoses Kammerspiel und<br />
eleganter Kostümfilm.<br />
Es bleibt aber die Frage, wie sehr es eine<br />
politische Deutung ist, wenn Jacquot hier<br />
behauptet, dass die politische Perspektive<br />
nicht die einzig mögliche ist. Implizit sagt er:<br />
Was aus Sicht der Beteiligten hauptsächlich<br />
stattfand, waren die Liebe, das Leben. Die<br />
Haupt- und Staatsaktionen, die, wie jeder<br />
weiß, den einen oder anderen Kopf kosten<br />
werden, sind das Schauspiel dahinter. Wahrscheinlich<br />
ist das wahr, ohne die Wahrheit<br />
übers Geschehen zu sein. Eine Subjektive,<br />
die ihr Recht hat, der Sidonie-Blick gegen<br />
die Politorthodoxie, das Sidonie-Begehren<br />
gegen die Hierarchie und die Heteroliebe.<br />
Jeder der filme<br />
von Benoît Jacquot<br />
seit „Villa amalia“<br />
verlangt nach einem<br />
Postscriptum, das<br />
eigentlich in die<br />
Kritik selbst mitten<br />
hineingehört, so wie<br />
die Tonspur, <strong>auf</strong> der die<br />
Musik spielt, immer<br />
mitten im film ist.<br />
Dies alles formuliert mit dem seinerseits liebenden<br />
Blick des Regisseurs, des Films <strong>auf</strong><br />
seine Figuren, ihre Wörter und Körper, von<br />
angenehmer Stofflichkeit alles. Und doch<br />
fragt man sich, was sonst daraus folgt, denn<br />
wer sich in etwas so Großes und Bedeutendes<br />
und Weltgeschichtliches wie „Versailles,<br />
14. Juli 1789“ hineinschreibt, setzt sich, ob er<br />
will oder nicht, unter den Druck, zwischen<br />
den toll gemachten Konkretionen und dem<br />
Queeren von Liebe und Politik eine Linie,<br />
eine These zu finden, die mehr sagt als: Das<br />
war der Stoff, aus dem der Alltag war, von<br />
sechs Uhr morgens bis in die Nacht, selbst in<br />
den Tagen der Revolution. Diese Linie und<br />
diese These finde ich nicht, darum hat mich<br />
der Film in letzter Instanz (und erst in dieser)<br />
dann doch ein wenig enttäuscht.<br />
P.S.: Jeder der Filme von Benoît Jacquot seit<br />
Villa Amalia verlangt nach einem Postscriptum,<br />
das eigentlich in die Kritik selbst mitten<br />
hineingehört, so wie die Tonspur, <strong>auf</strong> der die<br />
Musik spielt, immer mitten im Film ist. Wie<br />
nämlich die frei weit ins Schroffe und Eigenständige<br />
drängende Musik von Bruno Coulais<br />
– der sonst von Schlöndorffs Ulzhan bis<br />
Selicks Coraline gekonnte, aber keineswegs<br />
experimentelle Soundtracks komponiert –<br />
mit den Einstellungen korrespondiert, ist<br />
einzigartig zur Zeit, höchstens an Christoph<br />
Hochhäuslers Arbeiten mit Benedikt Schiefer<br />
könnte man denken. Mit Untermalung<br />
und Illustration hat das nichts zu tun; es ist<br />
ein Wechselverkehr: Die Bilder und Stimmungen<br />
des Films reagieren <strong>auf</strong> die im vorhinein<br />
komponierte Musik von Coulais, die <strong>auf</strong><br />
die Vision des Regisseurs vom späteren Film<br />
reagiert. Was dabei so alles passiert, wäre<br />
einmal die genaue Beschreibung Einstellung<br />
für Einstellung wert. s<br />
10 11<br />
kino
kino<br />
12<br />
eDitiON SALZGeBeR<br />
BReiTBeinig gegen<br />
TuSSi-MaRoTTen<br />
von Jenni zylkA<br />
ein eintagsmann zu sein, mag für viele Frauen reizvoll erscheinen. Die charismatische Drag-King-pionierin<br />
Diane torr bietet das seit jahren an und lädt die unterschiedlichsten Frauen zu Workshops ein. Katarina<br />
peters war mit der Kamera dabei und hat einen differenzierten und sehr lustigen Film über Geschlecht als<br />
Gesten-Set gemacht. „Man For A Day“, der eröffnungsfilm der diesjährigen Berlinale-Sektion „perspektive“,<br />
kommt am 19. juli für mehr als einen tag ins Kino.<br />
s „Walk like man / Talk like a man / Walk like a man my son / No<br />
woman’s worth / Crawling on the earth / So walk like a man my son“.<br />
Das sagt Frankie Valli.<br />
„You’ll stumble in my footsteps / Keep the same appointments I<br />
kept / If you try walking in my shoes“. Das sagt Dave Gahan von Depeche<br />
Mode.<br />
„Der Mann besitzt das Stück Boden, <strong>auf</strong> das er tritt.“ Das sagt<br />
Diane Torr. Dann stapft sie, natürlich in flachen Männerschuhen<br />
(unter anderem wegen der größeren Bodenhaftung), in der Fabriketage<br />
herum. Ein Dutzend andere Frauen stapfen mit. Und versuchen,<br />
den Boden allein durch amtliches Auftreten kleinzukriegen.<br />
Was klingt wie Selbsterfahrung mit esoterischem gegenseitigen<br />
Oberarmstreicheln, ist – <strong>auf</strong>grund des Themas – eher das Gegenteil:<br />
Bei einem „Drag King“-Workshop von Diane Torr geht es um Gender-Bewusstwerden<br />
durch handfestes Erleben. „Gender is gestures“,<br />
sagt die US-amerikanische Performancekünstlerin, die 1948 geboren<br />
wurde, in den 70ern nach New York ging und seit 1989 Gender-<br />
Bender-Workshops anbietet. Die Filmemacherin Katarina Peters hat<br />
einen der einwöchigen Workshops in Berlin begleitet, hat die Kamera<br />
<strong>auf</strong> sämtliche Teilnehmerinnen des Experiments gerichtet und ihre<br />
unterschiedlichen Agenden gefilmt: Susann, die junge, blonde Ex-<br />
Miss Oberhavel, Ex-Miss Prenzlau, Ex-Miss Spreewald, die zu Hause<br />
noch einige andere Miss-Titel herumliegen hat, und die Männer einfach<br />
„nicht versteht“; Theresa, die 50plus-Mutter von drei Söhnen, die<br />
sich zwar „nie dekorieren wollte“, sämtliche Spielarten der sichtbaren<br />
Weiblichkeit immer abgelehnt hat, sich dennoch mit dem Thema<br />
beschäftigen will, vielleicht auch, um typisch weibliche Attribute<br />
wieder genießen – oder einsetzen - zu können; Eva-Maria, die Politikberaterin,<br />
die bei im Rampenlicht stehenden PolitikerInnen den<br />
unbeirrten Machtwillen bewundert und sich fragt, ob männlicheres<br />
Verhalten oder das Fehlen der weiblichen Unsicherheit bezüglich des<br />
Aussehens und der Gesten diesen verstärken kann; Rosa, die eine<br />
Tochter hat und vor ihrem gewalttätigen Ex schon zweimal ins Frauenhaus<br />
flüchten musste; Tal, die nicht für eine Butch gehalten werden<br />
will, weil sie sich selbst eher als „<strong>Sissy</strong>“, als Waschlappen, sieht.<br />
Die „Physiophilosophin“ Diane Torr ist eine beflissene, unterhaltsame<br />
Beobachterin von angeblich geschlechtsspezifischem Körperverhalten.<br />
Ihr Workshop baut sich in mehreren Stufen <strong>auf</strong>, die auch<br />
den Film chronologisch gliedern: Nachdem die Teilnehmerinnen<br />
ihre Motive für den Workshop klargestellt haben, schaut man sich<br />
um, sucht Männertypen, die man darstellen will. Dianes Mann heißt<br />
Multiple Ex-Miss Susann als Andi<br />
Danny King, trägt Anzug und Krawatte und ist eine „Komposition aus<br />
Stereotypen“ sagt Diane, wenn er die Augen bewegt, dreht er den Kopf<br />
mit, wenn er vor einer Gruppe Menschen steht, wippt er sich manchmal<br />
nachdrücklich <strong>auf</strong> die Zehenspitzen und macht sich damit größer<br />
und bedeutsamer. Er glaubt, dass Männer den Frauen von Natur aus<br />
überlegen sind, und seine Ehefrau kümmert sich um die Kinder, während<br />
er arbeiten geht. (An manchen Wochenenden nimmt er ihr aber<br />
auch mal etwas Arbeit ab, da muss man fair bleiben.)<br />
Solche Männer leben immer noch unter uns, erklärt Torr anschließend,<br />
schaut nur mal in sämtliche Chefetagen. Er darf ruhig etwas<br />
übertrieben sein, der Mann, den man imitiert, informiert sie die amüsierten<br />
Workshopteilnehmerinnen, man muss ihn nicht mal mögen:<br />
„Es geht nicht darum, der beste Mann zu sein, sondern darum, aus der<br />
Frauenrolle herauszukommen.“<br />
Dazu gehört am Anfang auch ein Körperbewusstwerden, eine Art<br />
Bewegungsfindung; Stellt euch vor, ihr seid Einzeller, sagt Torr, und<br />
lässt die Teilnehmerinnen wild in der Fabriketage herumkreuchen<br />
und -fleuchen. Regisseurin Peters hat diesen merkwürdigen Tanz mit<br />
der Wärmekamera gefilmt, und umschifft so elegant die vom Betrachter<br />
oft empfundene Peinlichkeit Erwachsener, die sich einfach mal<br />
ganz frei bewegen sollen. Nach dem Einzellertanz und der Mannsbildsuche<br />
geht es ans Verkleiden, Brüste wegbinden, Baggy-Hosen<br />
über ausgestopfte Liebestöter streifen, sich in Anzüge, Hüte werfen,<br />
dann die fisseligen Härchen, die man mit Körperkleber zu farbechten<br />
Koteletten, Bartflaum und Bärten komponieren kann. Die Männer<br />
werden vorgestellt, man muss sich also auch Biografie, Namen, Alter,<br />
Job, Status für seinen männlichen Counterpart ausgedacht haben.<br />
dinge so tragen, als wüsste man um<br />
die muskulöse Stärke im oberkörper<br />
kino<br />
Hernach geht Torr mit ihren Teilnehmerinnen ans Eingemachte:<br />
An die Körpersprache. Mimik: Nicht lächeln, „du kannst dir einfach<br />
von innen <strong>auf</strong> die Wangen beißen“, rät ein designierter Drag King dem<br />
anderen. Die Sprachmelodie des landläufigen Mannes geht am Ende<br />
eines Satzes entschieden nach unten, nicht fragend und beifallheischend<br />
nach oben. Breitbeinig sitzen, nicht zu sehr oder zu blumig<br />
mit den Händen herumfuchteln, Dinge so tragen, als wüsste man um<br />
die muskulöse Stärke im Oberkörper. Peters’ Dokumentarfilm lässt<br />
sich dabei immer wieder Zeit, die Frauen nach ihren Erfahrungen zu<br />
befragen. Sie zeigt den Moment, an dem das erste Mal ernst gemacht<br />
13
kino kino<br />
Workshopleiterin Diane Torr (mit Krawatte), Teilnehmerinnen<br />
wird, an dem der Man For A Day in Drag nach Hause, zu Freunden,<br />
Eltern, Kindern geht, wie Susanns Eltern über ihren zierlichen Sohn<br />
kichern, und Rosas Tochter der Mutter über das bärtige Kinn streicht.<br />
Das Besondere an den nachvollziehbaren und vorstellbaren<br />
Erlebnissen ist das Format, das Torr in über 20 Jahren Man-for-aday-Performances<br />
optimiert hat: Es am eigenen Leib zu erfahren,<br />
unterscheidet sich eben doch davon, es nur nachzulesen oder drüber<br />
zu fachsimpeln. Denn theoretisch weiß jede Frau, wie man sich<br />
behauptet, hat eventuell seit Jahren schon gegen ungerechtes Verhalten<br />
zwischen den Geschlechtern gekämpft, kontrolliert bereits einige<br />
der typischen Attitüden, die immer wieder genannt werden, wenn es<br />
um Unterschiede in der Körpersprache geht: Kopf schief legen, Hinterngewackel,<br />
besänftigendes oder zustimmendes Lächeln. Vielleicht<br />
hat sie sich von sämtlichen Angewohnheiten losgesagt, vielleicht aber<br />
setzt sie jene Tussi-Marotten sogar längst so ein, wie sie es möchte,<br />
und ist damit höchst zufrieden.<br />
Und selbstverständlich kann eine Woche falscher Bart und falscher<br />
Schwanz bei allem Pseudotestosteron keiner Frau jahrzehntelanges<br />
gelebtes Mannsein beibiegen. Genauso wenig wie umgekehrt.<br />
Peters’ Film macht deutlich, dass das aber auch nicht das Ziel ist.<br />
Allein das Erkennen der „Gender-Identitäten“ ist interessant genug,<br />
um sich damit zu beschäftigen.<br />
Und so fragt man sich, welche Frauen zugeschriebenen unsinnigen<br />
Eigenschaften man selbst mit sich herumschleppt: Macht man<br />
Männern tatsächlich <strong>auf</strong> der Straße unwillkürlich Platz? Ist man<br />
unsicherer, als man sein müsste? Wenn man sich <strong>auf</strong> die Fingernägel<br />
schaut, streckt man dabei die Finger und schaut <strong>auf</strong> den Handrücken,<br />
oder guckt man <strong>auf</strong> die geballte Faust? Oh Gott, was bedeutet es, wenn<br />
man beides macht? Oder ist das ohnehin nicht eigentlich scheißegal,<br />
so lange es einem gut geht?<br />
eDitiON SALZGeBeR (2)<br />
Peters’ Film geht über den Workshop hinaus. Monate später hat<br />
die Regisseurin einige der Teilnehmerinnen besucht. Susann, die<br />
multiple Ex-Miss, hat ihre Haarfarbe inzwischen von Blond zu Braun<br />
gezaubert, ist Mutter eines Kindes geworden und trifft sich anscheinend<br />
noch immer von Zeit zu Zeit mit einer der Workshop-Kolleginnen,<br />
um Männlichkeit zu demonstrieren: Peters zeigt, wie Susann<br />
als Alter ego Andi zusammen mit einer Freundin, ebenfalls als Mann<br />
ausstaffiert, in eine Tabledance-Bar geht, um sich dort wie die anderen<br />
Männer von gelenkigen Tangaslipträgerinnen antanzen zu lassen.<br />
Wieso sie das macht, wird offen gelassen. So muss man selbst<br />
überlegen, ob es die pure Lust am Drag oder die subjektiv empfundene<br />
größere Freiheit einer Frau ist, deren Weiblichkeit normalerweise<br />
so stark strahlt, dass sie ihr vielleicht manchmal auch im Weg<br />
sein könnte. Die Politikberaterin Eva-Maria möchte ihre Erkenntnisse<br />
über Machtdemonstrationen, Sicherheit und Signifikanz nicht<br />
missen. Und die Israeli Tal fährt zwar erst mit Fake-Koteletten zu<br />
ihrer irritierten Familie, sitzt aber später im Kleid Hand in Hand mit<br />
ihrer Freundin zufrieden in Berlin herum und scheint sich mit ihrer<br />
unsichtbaren <strong>Sissy</strong>-Seite angefreundet zu haben.<br />
Torr selbst, die der Regisseurin großzügig Einblick in Fotos und<br />
Filmmaterial aus der Vergangenheit gewährte, und von der als kleine<br />
Ausflüge in die Körpersprache immer wieder Ausschnitte aus älteren<br />
Performances, aus ihrer Vergangenheit als Gogotänzerin geschnitten<br />
werden, macht mit ihrer erwachsenen Tochter eine gemütliche Italienreise.<br />
Während die beiden in Blumenkleidern durch die Altstadt<br />
flanieren, sinniert die Tochter darüber, warum andere Menschen sich<br />
stets Sorgen wegen ihrer angeblich ungewöhnlichen Kindheit machten:<br />
Ist eine alleinerziehende Mutter, die die Grenzen der Gender-<br />
Identitäten erforscht, denn wirklich problematischer als ein Macho-<br />
Vater?<br />
Aber wie wäre es wohl umgekehrt? Wenn 15 Männer bei einer<br />
Drag Queen eine Woche lang das Stöckeln übten? Außer einem kurzweiligen<br />
Erfahrungsgewinn bestimmt sehr anders. Erstens, weil<br />
Unisex-Mode seit Jahrzehnten aus Männerklamotten (flache Schuhe,<br />
Hose, T-Shirt) besteht, während Rock und Pumps ausschließlich von<br />
Frauen getragen werden. Das bedeutet, dass ein Mann in Damengarderobe<br />
von vorneherein eine stärkere Aussage macht. Zweitens, weil<br />
es eine funktionierende, oft queere Drag-Queen-Kultur gibt, die häufig<br />
eine exaltiert feminine Attitude beinhaltet, und schon längst spaß-<br />
und lustvoll zelebriert wird, genauso wie der große sexuelle Fetischbereich<br />
Frauenklamotten bei Heteros. Drittens, weil es für den Rest<br />
der Männer, die keine wie auch immer geartete Freude am Tragen<br />
von Frauenkleidung haben, auch keine Notwendigkeit gibt, dies zu<br />
tun, um ihre Position zu verbessern: Sie sind ohnehin oben.<br />
Dass Peters die Denkanregungen, die Torr mit ihren Workshops<br />
gibt, in Szene setzt, ohne albern, plakativ oder flach zu werden – denn<br />
die angesprochenen, überspitzten Verhaltensweisen müssen all das<br />
manchmal sein – ist das Verdienst ihres Dokumentarfilms. Zudem<br />
kommt sie ohne zuviel Psychologisierungen aus, ohne so augenzwinkernde<br />
wie ärgerliche Frauen-Venus-, Männer-Mars-Schubladen. In<br />
Torrs Fall kann das Aufzeigen von Unterschieden zwischen männlichen<br />
und weiblichen Verhaltensweisen zu besserem Verständnis führen.<br />
Sogar, wenn der Kerl, der da gerade vor einem wichtigtuerisch<br />
<strong>auf</strong> den Zehenspitzen wippt, ein totales Arschloch ist. s<br />
Man for a day<br />
von Katarina Peters<br />
DE 2012, 96 Minuten, deutsch/<br />
englisch/hebräische Fassung mit<br />
deutschen Untertiteln<br />
Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />
Im Kino<br />
ab 19. Juli 2012<br />
gesang des Meeres<br />
von nicky nAiSh<br />
Aus der Schaumkrone des Nischen kinos erleben wir die Geburt eines neuen Genres, denn nach „tan Lines“,<br />
„Shelter“ und „Newcastle“ erzählt auch „Off Shore“ eine homoerotische Surfergeschichte. Dass Musik in<br />
Surferfilmen eine große Rolle spielt, ist bekannt. Doch für unsere Autorin bildet sich in „Off Shore“ von Sven<br />
j. Matten (Start in ausgewählen Kinos am 5. juli) schnell ein etwas monotoner Ohrwurm heraus.<br />
s Dünen, Wellen, Strand und Surfer. Ein<br />
Schiff bringt Andi nach Fuerteventura. Tina,<br />
die Surf-Lehrerin, holt Andi ab. Andi vertraut<br />
ihr direkt seine Geschichte an: Sein<br />
Vater, den er nie kennen gelernt hat, war Surfer<br />
und lebt irgendwo <strong>auf</strong> der Insel. Um ihm<br />
nahe zu kommen, hat sich Andi in einen Surfkurs<br />
eingebucht. Direkt nach seiner Ankunft<br />
macht sich Andi schließlich <strong>auf</strong>, um seinen<br />
Vater zu suchen und findet ihn auch sofort.<br />
Doch bis er es schafft, ihn anzusprechen,<br />
nimmt er erst einmal Surfstunden bei Tina,<br />
die offenbar bereits Gefühle für ihn hegt. Am<br />
Strand begegnet Andi einem jungen athletischen<br />
Surfer, Pedro, dessen Ausstrahlung<br />
ihn magisch anzieht. Dünen, Wellen, Strand<br />
und Surfer.<br />
Andi wird seinen Vater noch einmal <strong>auf</strong>suchen,<br />
sich vor ihn stellen und sagen: „Hallo<br />
Vater!“ Und der Vater wird ihn sofort freundlich<br />
<strong>auf</strong>nehmen, was Andi verwirrt. Schließlich<br />
lässt sich Andi <strong>auf</strong> die Begegnung mit<br />
dem Vater und auch <strong>auf</strong> Tina ein, immer wieder<br />
durcheinandergebracht von der Begegnung<br />
mit dem jungen geheimnisvollen Pedro,<br />
der ihn bei einer flüchtigen Begegnung liebevoll<br />
berührt und seine nassen Locken in<br />
der Abendsonne schüttelt. Dünen, Wellen,<br />
Strand und Surfer.<br />
Andi und Tina sitzen in der Abendsonne<br />
am Strand, bei Gitarrenmusik und Lagerfeuer.<br />
Am nächsten Morgen erwacht Andi in<br />
Tinas Bett. Nachdem das Eis mit Tina gebrochen<br />
ist, wagt sich Andi alleine mit seinem<br />
Surfbrett ins Meer. Und da kommt Pedro<br />
und beginnt einen spielerischen Ringkampf<br />
mit Andi im flachen Wasser. Dünen, Wellen,<br />
Strand und Surfer.<br />
Als Andi zu einer erneuten Verabredung<br />
mit seinem Vater <strong>auf</strong>bricht, erscheint dieser<br />
nicht. Andi ist sauer, sucht ihn und stellt ihn<br />
zur Rede. Dazu singt eine Männerstimme:<br />
„You pull out my strength …“ Und genau<br />
das macht dieser Film. Wie überhaupt alles<br />
in diesem Film wörtlich genommen werden<br />
muss. Die Handlung wird über Dialoge<br />
erzählt. Die Emotionen, die man den Schauspielern<br />
nicht ansehen kann, werden über<br />
Musik und über eine Anreihung von schönen<br />
Bildern erzeugt, die Dünen, Wellen, Strand<br />
und Surfer zeigen. Bei Filmminute 45 sind<br />
bereits über 20 Songs angeklungen.<br />
Als Andi schließlich Pedro zum Surfen<br />
trifft, beginnen beide ein Gespräch über<br />
pRO-FuN MeDiA<br />
Väter. Auf Song 21 verkündet Pedro mit<br />
wehendem Haar und Tränen in den Augen:<br />
„Ich glaube, er möchte gerne lieben, aber<br />
er schafft es nicht.“ Kurze Stille, dann sagt<br />
Pedro unter erneutem Musikeinsatz: „Er hat<br />
mir nie gesagt, dass er mich lieb hat!“ Dünen,<br />
Wellen, Strand und Surfer.<br />
Bei ausklingendem Song 23 sitzt Andi mit<br />
seinem Vater im Auto und bei Musikeinsatz 24<br />
läuft Andi davon. Andi trifft schließlich Tina<br />
bei Geigenmusik und mit Song 26 besäuft er<br />
sich bis zum Blackout. Das waren 10 Minuten<br />
Film mit sechs verschiedene Musikstücken.<br />
Trotzdem surfen Tonebene und Bildebene in<br />
der Regel aneinander vorbei.<br />
Der dramaturgische Höhepunkt des Filmes:<br />
Gerade als Andi Pedro im Wasser küssen<br />
will, verrät ihm Pedro sein Geheimnis. Dar<strong>auf</strong>hin<br />
stolpert Andi unter Schock durch die<br />
Dünen und sieht immer wieder wie im Fieber<br />
ein lachendes Grüppchen <strong>auf</strong>tauchen, bestehend<br />
aus seinem Vater, Pedro und Tina. Jetzt<br />
wird auch noch Sigmund Freud verfilmt.<br />
Also Psychoanalyse mit Happyend: Der<br />
einsichtige Vater mit versonnenem Lächeln<br />
zu Andi: „Warum bleibst Du eigentlich<br />
nicht länger hier?“ Und Pedro mit Surfbrett<br />
unterm Arm: „Hey Tiger, komm! Bist<br />
Du bereit?“ Musikeinsatz. Dünen, Wellen,<br />
Strand und Surfer. s<br />
Off Shore<br />
von Sven J. Matten<br />
DE 2011, 89 Minuten, dt. OF<br />
Pro-Fun Media, www.pro-fun.de<br />
Im Kino<br />
ab 5. Juli 2012<br />
14 15
kino kino<br />
16<br />
BARNSteiNeR FiLM MUtterLIeBe<br />
aUf aBwegen<br />
von MichAel eckhArdt<br />
Die großartige schwedische Charakterschaupielerin und<br />
Regisseurin pernilla August spielt in diesem Debütspielfilm<br />
„Miss Kicki“, die sich <strong>auf</strong> die Suche nach dem späten Glück<br />
begibt und ihren fremden Sohn mitnimmt. in taiwan entdeckt<br />
sie die Mutterliebe, ihr Sohn dagegen die erste zu einem<br />
anderen jungen. Lauwarme Mutter-Sohn-Beziehungen<br />
gibt es bekanntlich nicht. Lauwarme Filme darüber schon.<br />
„Miss Kicki“ (Kinostart 26. juli) gehört nicht dazu.<br />
s Mütter und Söhne. Da sei zuallererst nun wirklich nicht an den<br />
ollen Heidi-Kabel-Fernsehschwank gedacht, eher an eine Art metaphysisches<br />
Bündnis, denn die Konstellation „Mutter und Sohn“ ist<br />
eine spezielle. Sie darf gar als Fundament für alles Grundsätzliche<br />
betrachtet werden: Ohne Mütter gibt es keine Söhne und ohne Söhne<br />
keine neuen Mütter. Ja, schon klar, da ächzt das Psychologiegebälk,<br />
da spuckt die Feministin wütend den Kautabak <strong>auf</strong>s Linoleum, aber<br />
doch und ganz im Ernst: Das Verhältnis von Mutter und Sohn ist ein<br />
besonderes, ein sich über alles in der Gesellschaft, in der Familie, im<br />
Zwischenmenschlichen ordnendes Bündnis. Ein Sohn löst sich nie<br />
ganz von seiner Mutter, der Frau, die ihn gebar, ihn <strong>auf</strong>zog, schützte,<br />
prägte und im besten Fall davor bewahrte, ein Abbild seines Vaters<br />
zu werden. Natürlich gilt auch hier und sogar insbesondere: Das Maß<br />
von allem entscheidet, ob diese Bande später von Dankbarkeit oder<br />
Abscheu geprägt ist. Ein lauwarmes Mutter-Sohn-Verhältnis scheint<br />
nicht möglich, ist es doch vor allem auch ein zärtlicher, ein bittersüßer,<br />
ein zweifelsfrei fragiler Bund, es gilt eine Art Geheimabsprache.<br />
Das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn ist – in den häufigeren Fällen<br />
– durch eine unbeirrbare Liebe geprägt. Eine an sich nicht trennbare<br />
Allianz, weswegen – und das ganze Freudsche Gezerre um Ödipus<br />
lassen wir jetzt mal aus – bei Verletzung, Trennung oder Verlust<br />
das Leben des anderen in Schieflage gerät. Jeder Sohn, der seine Mutter,<br />
jede Mutter, die ihren Sohn verlor, weiß, wovon hier geschrieben<br />
steht. Manche kommen da wieder halbwegs heil raus, andere nicht.<br />
Von solch vulnerabler Komplexität wussten schon große Filmemacher<br />
zu erzählen, man denke nur an Bertolucci, Bergman, Almodóvar,<br />
Sheridan und Ozon. Und nun reiht sich da ein Regieneuling<br />
ein, Håkon Liu heißt er, und man möchte wirklich nicht glauben, dass<br />
Miss Kicki sein erster Langfilm ist. Warum? Nun, weil Liu viel von<br />
vielem versteht: Ihm gelingt es <strong>auf</strong> geradezu augenreibende Weise,<br />
ganz verschiedene Erzählstränge zu einem homogenen Ganzen zu<br />
verknüpfen, er vermag es, geerdet an exotischen Orten zu erzählen,<br />
und er führt ein ganz wunderbares Schauspielerensemble zu Höchstleistungen.<br />
Und das Schönste an seinem Erstling – Miss Kicki trifft<br />
voll <strong>auf</strong> die 12, also mitten ins Herz. Doch dazu später, denn erst einmal<br />
erzählt Håkon Liu diszipliniert und chronologisch: Bereits die<br />
ersten Bilder suggerieren Einsamkeit, Sehnsucht, Orientierungslosigkeit.<br />
Eine Frau am Fenster, draußen schneit es, sie raucht, trinkt<br />
Wein, sie langweilt sich. Dann leuchtet ihr Gesicht <strong>auf</strong>, sie chattet mit<br />
einem Taiwanesen, er umschwärmt sie, gratuliert ihr zum Geburtstag<br />
und insistiert, sie solle ihn besuchen. Hoch die Tassen, „Kiss Kiss,<br />
Cin Cin, Bye Bye …“<br />
17
kino kino<br />
Es bleibt beim einsamen Vorglühen für ihre behauptete Geburtstagsfeier<br />
mit ein paar Freunden. Wenig später liegt Miss Kicki, so<br />
heißt die Dame, schlafend-trunken <strong>auf</strong> ihrem klappbaren Zweisitzer.<br />
Man spürt es bereits, und man erfährt es kurz dar<strong>auf</strong>: Sie<br />
hat hier keine Freunde, ist ziemlich allein, war wohl lange weg.<br />
Am nächsten Tag bleiben nur das Wegräumen der Weinpulle, das<br />
Zusammendrücken der Pizzaschachtel, das Putzen der Herdplatten.<br />
Doch dann kommt Leben in die Bude: Kickis Mutter taucht <strong>auf</strong>,<br />
kurzer Austausch von einigen sanften Gemeinheiten, dann ist Viktor<br />
da. Etwas schüchtern, linkisch, sympathisch verloren und mit<br />
ein paar Geschenken. Die zwei singen Kicki ein wenig hölzern ein<br />
Geburtstagsständchen, dann nimmt die Mutter ihre Tochter kurz<br />
zur Seite. Man sieht, wie Kicki sich windet, wie schwer es ihr fällt,<br />
und fragt sich, was ist da eigentlich geschehen? Doch Håkon Liu mit<br />
seinem beeindruckenden Gespür für filmische Syntax verrät nichts<br />
zu früh, Kicki erfüllt ihrer Mutter den Wunsch und lädt Viktor zu<br />
einer gemeinsamen Reise ein. Zum Kennenlernen, Anvertrauen,<br />
Beschnuppern. Eine Woche nach Taipeh. Kicki hat die Anschrift von<br />
Chang dabei, ihrem Chatflirt.<br />
Natürlich hat man so seine Ahnung, die Blicke, die ungelenken,<br />
von scheuer Liebe geprägten Umarmungen verraten es, doch Håkon<br />
Liu als Freund der Ellipse löst seine Aussparungen fristgerecht <strong>auf</strong>.<br />
Kicki war sehr lange im Ausland, bei ihrer Mutter ließ sie den vierjährigen<br />
Viktor zurück – ihren Sohn. Das Wissen darum stellt Kicki<br />
in ein differenziertes Licht. Warum tut eine Frau, eine Mutter so<br />
etwas? Um darüber mehr zu erfahren, gibt es eben Filme wie diesen,<br />
die einen an die Hand nehmen, in dem Fall in ein fernes Land führen,<br />
um Seelen zu entblättern, in einer Sorgfalt, wie es allenfalls großen<br />
Romanciers zuzutrauen wäre.<br />
In einer Absteige kommen Kicki und Viktor unter, „very cheap!“,<br />
versichert der umtriebige Betreiber. Es ist schön, welch einfache Mit-<br />
tel greifen, um die <strong>Neu</strong>gier <strong>auf</strong>einander, die Scheu voreinander, die<br />
Angst umeinander zu bebildern – die dünnen Zimmerwände, durch<br />
die liebevolle und noch etwas unsichere Gutenacht-Rufe kriechen.<br />
Der nächste Tag bringt eine Trennung – Viktor erkundet die Stadt,<br />
Kicki sucht das Büro von Chang <strong>auf</strong>. Hier entstehen nun Parallelgeschichten:<br />
Der Junge verläuft sich, trifft <strong>auf</strong> den hilfsbereiten Didi,<br />
auch er im Teen-Alter. Viktor misstraut der Hilfe des Taiwanesen –<br />
ein gebranntes Kind. Doch Didi kann er vertrauen, man sieht es an<br />
dessen Augen. Er nimmt ihn mit in seine Bude, kocht ihm Nudeln,<br />
zeigt ihm das Meer, Viktor bringt ihm dafür Schwedisch bei. Dann<br />
gibt es da immer wieder diese merkwürdig-eindeutigen Blicke zwischen<br />
den beiden.<br />
Kicki hingegen wagt nicht den letzten Schritt, sie beobachtet<br />
Chang nur aus der Ferne. Sie braucht sicher einen zweiten Anl<strong>auf</strong>.<br />
Dass sie damit Viktor unverblümt brüskiert, ihm regelrecht wehtut,<br />
indem sie abends vorschlägt, am nächsten Tag wieder getrennte<br />
Wege zu gehen, passt zu ihrem auch egoistischen Wesen. Kicki ist ein<br />
großes Kind, das um Aufmerksamkeit buhlt, das Zärtlichkeit braucht,<br />
selbst wenn es die nur im Suff mit dem durchaus sympathischen<br />
Hotelbetreiber gibt. Der hat übrigens Kickis Wesen ganz gut erkannt:<br />
„Sad inside, happy outside!“ Er tickt wohl ganz ähnlich. Viktor enttarnt<br />
die Pläne seiner Mutter, er fühlt sich instrumentalisiert, ist verletzt<br />
und richtig sauer. Kicki kriegt von Chang eine Abfuhr, die ihr<br />
zusetzt, die sie aber auch für ihre mädchenhafte Naivität und ihren<br />
mütterlichen Egoismus abstraft. Chang gibt ihr Geld, mit der Bitte,<br />
ihn nie wieder zu kontaktieren. Diskret im Schutzumschlag vor den<br />
Augen seiner Frau und Kinder … Life sucks!<br />
Hier nun explodiert der Film förmlich zu einer ganz großen Ballade<br />
über zerbrochenes Vertrauen, verletzte Seelen und diese ewig<br />
pochende Sehnsucht. Da scheut sich Håkon Liu auch nicht vor der<br />
ungebremsten Symbolik aus einsamen Hotelzimmern, dem dazu pas-<br />
senden Platzregen und den richtigen Songs. Doch das Leben geht weiter, und so fahren die<br />
beiden mit Didi kurz dar<strong>auf</strong> an den Sun Moon Lake. Håkon Liu weigert sich auch hier, dem<br />
Märchenhaften seiner Geschichte <strong>auf</strong> den Leim zu gehen. So lässt er Viktor im Boot ein wenig<br />
träumen, Didi streichelt ihm in diesem sehr schönen Moment zärtlich den Bauch, nur um ihm<br />
kurz dar<strong>auf</strong> zu sagen, dass es da trotzdem ein ganz nettes Mädchen gibt.<br />
Miss Kicki entpuppt sich als herzzerreißende Parabel über das Glück in seiner ganzen Zerbrechlichkeit.<br />
Ohne Pilcher-Anstrich wird davon erzählt, wie schwer es zu finden und wie<br />
viel schwerer es zu halten ist. Vom Ponyhof wagte sich Viktor ohnehin nicht zu träumen, da<br />
ist er schon Realist genug, aber die eigene Insel mit Didi als Präsident, die hätte doch drin sein<br />
dürfen!<br />
Es ist Liu hoch anzurechnen, dass er sich nicht für die Blaupause einer Schmonzette entschied,<br />
denn wie kann es anders sein, als dass es richtig kracht, wenn sich eben Mutter und<br />
Sohn, dieses untrennbare Gestirn, neu begegnen, nach so langer Zeit, nach so vielen unterschiedlichen<br />
Erfahrungen und dennoch im richtigen Moment, als beider Leben neue Fahrt<br />
braucht und richtig Fahrt gewinnt. Und auch wenn Kicki manchmal ein großes Kind, eine<br />
ziemliche Bitch gar ist, sie weiß genau, was mit ihrem Sohn gerade passiert, was mit ihm und<br />
Didi geschieht. Das ist so angenehm selbstverständlich und ohne all das sattgehörte Outing-<br />
Gedöns erzählt. Und auch Didi ist keineswegs nur Randfigur. Seine Geschichte ist zentral,<br />
sie schwebt über dem zerbrechlichen Glück von Viktor und Kicki, denn er hat seine Mama<br />
früh verloren. Der Vater trinkt und spielt. Es gibt ihn eigentlich gar nicht. Das ist auch eine<br />
Parallele zu Viktors Leben. Damit wird Miss Kicki fast nebenher auch zu einem Film über<br />
die Absenz, das Versagen der heutigen Väter. Das hier zu vertiefen, führte zu weit, nur das<br />
gehört jetzt noch hierhin: Miss Kicki ist atemberaubend gespielt. Von allen! Ludwig Palmell<br />
spielt als Viktor seine erste große Kinorolle. In dieser Mischung aus Unsicherheit, Hoffnung,<br />
Verliebtheit und Misstrauen rührt er den Zuschauer an, dieser Blick, dieses Hände-in-den-<br />
Taschen, diese vorgeschobene Oberlippe – perfekt. Der junge Huang He River hält da gut mit<br />
– da reicht ein Blick aus den auch von Kicki als schön erkannten Augen, die Didis zerrissenen<br />
Familienhintergrund bestens illustrieren! Und dann natürlich Pernilla August! Eine große,<br />
die bisher vielleicht größte Pernilla August. Unvergleichbar, wie uneitel, wie kämpferisch,<br />
wie selbstvergessen sie die sture, die ängstliche, die liebeshungrige und über Umwege zu<br />
echter Mutterliebe fähige Kicki spielt. Man könnt beim Schreiben schon wieder heulen. s<br />
BARNSteiNeR FiLM (2)<br />
Miss Kicki<br />
von Håkon Liu<br />
SE/TW 2009, 85 Minuten,<br />
Originalfassung mit deutschen UT<br />
Barnsteiner Film,<br />
www.barnsteiner-film.de<br />
Im Kino<br />
ab 26. Juli 2012<br />
18 19
kino<br />
WiR Sind<br />
Kein<br />
PRoduKT<br />
von JAn küneMund<br />
Zwei jungs fahren nach paris, gehen in einen Club und verl<strong>auf</strong>en<br />
sich im Wald. Was sie an Zurückweisungen, Desillusionierungen<br />
und Faustschlägen erfahren, wird durch den Zauber der<br />
Filmsprache <strong>auf</strong>gehoben. Hélèna Klotzs magisches Spielfilmdebüt<br />
„Atomic Age“ schafft ihren jugendlichen Helden einen<br />
poetischen Freiraum für große Gesten und große Worte und<br />
grenzt sich damit selbst vom handelsüblichen Coming-of-Age-<br />
Film ab. im Kino ab 18. August.<br />
atomic age<br />
von Héléna Klotz<br />
FR 2011, 70 Minuten, französische OF<br />
mit deutschen UT<br />
Pro-Fun Media, www.pro-fun.de<br />
Im Kino<br />
ab 16. August 2012<br />
s Songs. An einem kalten und grauen Morgen in Chicago wird ein<br />
armes Baby geboren und die Mutter denkt: nicht noch eins. In the<br />
Ghetto. As the snow falls … singt Victor <strong>auf</strong> der Zugfahrt nach Paris,<br />
beim Vorglühen mit Wodka Red Bull und seinem Freund Rainer.<br />
Aber eigentlich hört er gerade die Stone Roses. Diese Band aus Manchester,<br />
aus einer Zeit, als er noch lange nicht geboren war. Kindheit<br />
und Jugend im urbanen Zusammenhang, ob in Chicago, Manchester<br />
oder Paris – dieses Thema ist schnell gesetzt in diesem schnellen<br />
Film.<br />
groß und klein. Zum ersten Mal taucht der Eiffelturm <strong>auf</strong>, ein unwirkliches<br />
Bild am Nachthimmel, weit weg. Ein großes Zeichen für eine<br />
kleine Geschichte, zumal <strong>auf</strong> der Tonspur ein amerikanischer Präsident<br />
(Reagan? Bush Sr.?) gerade ungläubig davon erzählt, dass man in<br />
der UdSSR zehn Jahre lang <strong>auf</strong> ein Auto warten musste. Aus diesen<br />
Andeutungen großer Gesten bahnt sich die unglaublich tolle Kamera<br />
von Hélène Louvart (Pina, Im Alter von Ellen) im Gefolge von Victor<br />
und Rainer ihren Weg in die bunte Höhle eines Pariser Clubs und<br />
filmt das Tanzlicht wie einen Eiffelturm. Reflexe von Stroboskopblitzen<br />
<strong>auf</strong> verschwitzter jugendlicher Haut, in kunstvoll verwuschelten<br />
Haaren von Mädchen und Jungs, einige schauen, andere haben die<br />
Augen geschlossenen, die Kamera blinzelt ins Licht, der Ton geht<br />
von der Tanzfläche ab und mischt im Off Dialoge und Musik. Zum<br />
ersten Mal blitzt Victor bei einem Mädchen ab. Er weiß, dass sie ihn<br />
will, aber sie redet nicht mit ihm, also existiert er nicht. Kompliziert.<br />
Erstes Krisengespräch der beiden Jungs. Victor, der <strong>auf</strong>brausende<br />
Schönling, der in unbeobachteten Momenten noch ein Kind ist, geht<br />
<strong>auf</strong> Konfrontation mit der Welt. Rainer, der Fremde, Introvertierte,<br />
Orts- und Elternlose, die „Schwuchtel“ (wie ihn jeder sofort etikettiert)<br />
zieht sich zurück, lernt im Einschlafen Gedichte und macht sich<br />
dadurch seine Träume selbst. Am Anfang, noch im Zug, schenkt er<br />
Victor seinen Schal und streicht ihm über’s Haar.<br />
abgrenzungen. Für Rainer ist der Sänger der Stone Roses ein Affe und<br />
der Junge, der ihn <strong>auf</strong> der Tanzfläche anmacht, hat einen Fischblick.<br />
– Wor<strong>auf</strong> stehst du? – Jedenfalls nicht <strong>auf</strong> dich. Alle anderen haben<br />
scheiß Klamotten an, alle dieselben. Alle Mädchen wollen Jennifer<br />
oder Loana heißen, bloß nicht Rose, ein schöner & altmodischer Name.<br />
Doch so klar das Urteil über „die anderen“ ist – die beiden Jungs kommen<br />
doch nicht an sie heran. Und was sie selbst sind, wissen sie nicht<br />
und wollen sie nicht wissen, Hauptsache, die innere Leere geht weg,<br />
etwas passiert oder etwas wird besser. Victor blitzt ein zweites Mal<br />
ab, er sagt: „Du bist schön“, das Mädchen antwortet: „Warum?“ Rainer<br />
möchte ein schwuler Matrose sein und niemals das Schiff verlassen,<br />
vielleicht doch lieber nicht schwul, aber <strong>auf</strong> jeden Fall Matrose.<br />
Die Kamera erfasst diese tanzenden Ich-Rätsel in ausgeschnittenen<br />
Porträts vor beweglichen Lichtern, am Ende vervielfältigen sich die<br />
Gesichter in Kaleidoskopen. Sie folgt Victor und Rainer raus aus dem<br />
Club, in die schwarze Pariser Nacht.<br />
Sprache und fäuste. Auftritt Theo, gespielt von Niels Schneider, dem<br />
„Herzensbrecher“ aus Xavier Dolans gleichnamigem Film. Eine<br />
Szene wie aus einem Koltès-Stück, brutal, großkotzig, verzweifelt<br />
und verletzend. Theo und Victor zünden sich Zigaretten an und liefern<br />
sich einen Kampf, erst mit Worten, dann mit Fäusten. Wer hat’s<br />
raus, wer ist cooler, wer trifft den anderen am empfindlichsten. Theo<br />
protzt mit Auto und Check, Victor verleumdet ihn als „Produkt“: der<br />
gleiche Haarschnitt, die gleichen Klamotten, die gleichen Träume, die<br />
gleichen Bauchmuskeln wie alle, zum Gebrauch und anschließendem<br />
Wegwurf, wenn du kein Parfüm <strong>auf</strong>legst, stinkst du nach Scheiße. Die<br />
Traurigkeit über sich wird zum Hass <strong>auf</strong> andere, der schöne Schal,<br />
das Geschenk von Rainer, geht dabei dr<strong>auf</strong>. Diese Szene dauert ewig,<br />
ein rasender Stillstand. Orientierungslos, handlungsunfähig scheinen<br />
Jungs und Kamera, kein Mätzchen à la Dolan, kein Rollen-Posing,<br />
kein Sehnsuchtsbilderklau aus der umliegenden Filmgeschichte. Atomic<br />
Age traut zwei unsicheren Jungs große Worte zu, große Bilder,<br />
große Blicke. „Hohle Pseudo-Philosophie“, stöhnte da das Auf-dem-<br />
Teppich-Bleiber-Feuilleton. Dabei ist die Sprache das einzige, was<br />
Victor und Rainer zur Verfügung haben <strong>auf</strong> ihrem Drift durch die<br />
Nacht. Die Dinge existieren nicht, wenn man nicht darüber spricht<br />
(Victor). Bei Rainer sind das Träume oder Gedichte, er redet von toten<br />
Soldaten, die vom Gras gewiegt werden, von Selbstmördern, die sich<br />
in die Seine stürzen, dann aber von dort bis nach Afrika schwimmen,<br />
von der einzig wahren Amour Fou, die sich zwischen Wind, Sternen,<br />
Totems und Zauberern enthüllt. Der Eiffelturm scheint wieder <strong>auf</strong>,<br />
sein Scheinwerferlicht wird vom Nebel verschluckt.<br />
Kernspaltung. In der blauen Stunde nehmen die beiden eine Abkürzung<br />
zu Victor nach Hause, wo aus Ideen endlich Körper werden<br />
dürfen. Da kommt der Film allerdings nie an. Die Abkürzung führt<br />
schnurstracks und märchengemäß durch einen Zauberwald, in dem<br />
Käuze rufen, Bäche plätschern und Bäume rascheln. Der Stadt sollten<br />
die Lichter ausgehen, wünscht sich Rainer. Und endlich können sich<br />
zwei Menschen sagen, dass sie sich lieben, sich beruhigen und einschlafen.<br />
Nach der ersten Kernspaltung war für die Menschen alles<br />
anders. Seitdem befindet man sich im Atomzeitalter und weiß nicht,<br />
wann es wieder <strong>auf</strong>hört.<br />
atomic age ist ein eigenwilliger Film, intim und großspurig, formlos<br />
und konsequent zugleich. Er nimmt seine Protagonisten ernst und ist<br />
entschieden in sie verliebt, enthebt sie aber gleichzeitig einer scharf<br />
konturierten Welt. Die poetische Nachtstimmung, die mitatmende<br />
Kamera und der knisternde Soundtrack liegen wie ein melancholischer<br />
Hauch über der kleinen Geschichte, in der es eigentlich um<br />
Jugendliche geht, bei denen noch gar nichts passiert ist. Die bewusstseinsverändernde<br />
Filmsprache er innert an Werner Schroeter, der ja<br />
zuletzt auch nur noch entrückte Nächte verfilmt hat. Gleichzeitig will<br />
dieser Film mehr, er will ein Statement sein gegen die Logik hübsch<br />
<strong>auf</strong>gelöster Coming-of-Age-Geschichten, mag seine Jugendlichen<br />
nicht ambitionslos, angepasst, unpolitisch oder rebellisch finden,<br />
sondern spielt die Flucht in die Hipster-Unverbindlichkeiten (kein<br />
Produkt sein, kein Labelträger, kein User) als traurige Rettungsmaßnahme<br />
vor der drohenden Bewegungslosigkeit zurück. Die Poesie des<br />
Films ist mitfühlend: Sie ist als Freiraum für Sprache, Identitäten und<br />
Körper gedacht. Und wenn das auch nur heißen sollte, dass sie sich<br />
für einen kurzen Moment verl<strong>auf</strong>en dürfen. s<br />
20 21<br />
kino<br />
pRO-FuN MeDiA (2)
ahmenhandlung<br />
22<br />
eDitiON SALZGeBeR<br />
geT uSed<br />
To iT<br />
von enrico ippolito<br />
ein paar Leute reden ab und zu vom „Queer Cinema“, aber<br />
niemand kann genau sagen, was das ist. Da sich alles Queere<br />
grundsätzlich von festen Konzepten und identitären Fixierungen<br />
befreien will, hat sich das mit klaren Definitionen eben<br />
erledigt. und trotzdem muss es doch etwas geben, was diesen<br />
Begriff immer wieder ins Spiel bringt, nötig macht, präziser<br />
erscheinen lässt als z.B. „schwul“, „lesbisch“ oder all die<br />
anderen Kategorien für „nicht-heterosexuell“. Aber was wiederum<br />
hat das Ganze mit Kino zu tun? Hat Kino eine sexuelle<br />
identität? Gibt es ein Kino, das sich identitären Zuschreibungen<br />
entziehen will? SiSSY hat sich <strong>auf</strong> Recherche begeben und<br />
Regisseurinnen, Kuratorinnen, journalistinnen und Wissenschaftlerinnen<br />
die verzwickte Q-Frage gestellt.<br />
s Wolken am Himmel. Über den Wolken schweben androgynen<br />
Figuren. Zoom <strong>auf</strong> den Protagonisten, Dialoge, eine Frau interpretiert<br />
für die Zuschauer das Gesagte. Hinter ihr schweben immer<br />
noch die androgynen Figuren. Das alles in Schwarzweiß. Nach zwei<br />
Minuten ist klar: Es handelt sich um ein Filmset. So beginnt Swoon<br />
(1992) von Tom Kalin. Welchem Genre würde man Kalins Erstlingswerk<br />
über zwei Männer und deren sadomasochistische Beziehung<br />
zuschreiben? Ist es ein Film Noir? Ein Drama? „New Queer Cinema“?<br />
„Queer Cinema“? Die Genredebatten im Film sind müßig und oft<br />
zwecklos. Doch was soll das überhaupt sein, „Queer Cinema“? Existiert<br />
es überhaupt als Kategorie? Ist es ein Genre? Oder gar eine<br />
Bewegung?<br />
Terminologisch eingekreist, geht „Queer Cinema“ von B. Ruby<br />
Richs Begriff des „New Queer Cinema“ aus, den die Kulturtheoretikerin<br />
in den <strong>Neu</strong>nzigern prägte. Sie sah eine große Gemeinsamkeit<br />
in vielen queeren Filmen an Anfang dieses Jahrzehnts, einen Stil –<br />
der nicht nur als inhaltliche Kategorie, sondern auch formal verstanden<br />
werden sollte. Rich sah das <strong>Neu</strong>e im New Queer Cinema darin,<br />
dass die Filmemacher_innen mit dem etablierten „humanistischen<br />
Ansatz“ brachen. „In erster Linie sind [diese Filme] voller Lust“,<br />
schrieb sie in ihrem Aufsatz „New Queer Cinema“ in der britischen<br />
Filmzeitschrift „Sight & Sound“.<br />
B. Ruby Rich war vor allem fasziniert von Tom Kalins Swoon,<br />
Derek Jarmans Edward II (1991), Todd Haynes Poison (1991), Jeannie<br />
Livingstons Paris is Burning (1990) und The Living End (1992) von<br />
Gregg Araki. Alles Filme, die zwischen 1990 und 1992 in den Kinos<br />
oder erfolgreich <strong>auf</strong> Festivals liefen. „Queer is hot!“, formulierte Rich<br />
fast schon ketzerisch in ihrem Artikel. Neben dem Erfolg hatten die<br />
Filme jedoch noch eine Gemeinsamkeit: Sie alle sprengten das konventionelle<br />
Kino und brachten eine neue Ästhetik und Art der Erzählung<br />
hervor. „New Queer Cinema“-Filme waren anders, sie machten<br />
Lust, probierten sich am Medium Film aus. Rich sah darin eine<br />
„Homo Pomo“, eine Art homosexuelle Postmoderne.<br />
„I Want Your Love“ von Travis Mathews (2011)<br />
rahmenhandlung<br />
Michael Aaron definiert das „New Queer Cinema“ in seinem<br />
gleichnamigen Buch wie folgt: „Erstens geben die Filme den Marginalisierten<br />
eine Stimme. […] Zweitens, die Filme sind nicht entschuldigend,<br />
was die Schwäche oder gar Verbrechen ihre Charaktere angehen.<br />
[…] Drittens, die Filme widersetzen sich der Unantastbarkeit der<br />
Vergangenheit, vor allem der homophoben. […] Viertens, die Filme<br />
widersetzen sich der filmischen Konventionen in Form, Inhalt und<br />
Genre. […] Und letztens, die Filme widersetzen sich in vielfältiger<br />
Weise dem Tod.“<br />
Zwanzig Jahre später ist die Diskussion verstummt, gilt fast schon<br />
als anachronistisch. „New Queer Cinema“ ist schon längst aus dem<br />
filmischen Diskurs verschwunden. Der Wunsch nach einer Kategorisierung<br />
eines „Queer Cinema“ besteht, es bleiben vor allem Fragen<br />
zurück: Ist der queere Filme immer Avantgarde? Oder ist ein queerer<br />
Film einfach das Sichtbar-Machen von schwulen, lesbischen, bisexuellen<br />
und transidentischen (LGTB-) Inhalten?<br />
Wieland Speck, Leiter der Berlinale-Panorama-Sektion, bemüht<br />
sich, „queeren“ Filmen ein Forum zu geben. Und er engagiert sich für<br />
den Teddy Award, einen Preis für queere Filme. Interessanterweise<br />
haben viele Vertreter des „New Queer Cinema“, wie Kalin, Jarman<br />
oder Haynes, bereits einen Teddy Award gewonnen. „Queeres soll<br />
präsent sein“, sagt Speck. Ihm geht es vor allem um das emanzipatorische<br />
Moment, gar um die Repräsentanz von queeren Elementen,<br />
um das Sichtbar-Machen. Für Speck ist „Queer Cinema“ kein eigener<br />
Begriff, „New Queer Cinema“ allerdings schon. Wie er die Filme für<br />
sein Programm aussuche, sei unvermittelbar, sagt er. Und dennoch<br />
fällt <strong>auf</strong>, dass es vor allem Filme in das Panorama-Programm schaffen,<br />
die sich mit den Themenkomplexen Coming-Out, Diskriminierung<br />
und sexuelle Identitätsfindung beschäftigen. Das politische<br />
Moment ist hier ganz offensichtlich inhaltlich verankert. Damit wäre<br />
queeres Kino nicht zwingend experimentell, sondern vor allem thematisch<br />
zu denken.<br />
Für die Filmemacherin Angelina Maccarone besteht die Gefahr<br />
für das queere Kino in einer Rückwärtsgewandtheit. „Wir befinden<br />
uns in einem gewaltigen Backlash“, sagt sie. Man müsse sich von dem<br />
Gedanken der Progression im queeren Kino verabschieden, sagt sie,<br />
weil eine Sehnsucht nach alten Werten herrsche. Als Maccarone<br />
ihren ersten Film Kommt Mausi raus?! (1995) drehte, war die Wahl<br />
des Genres für sie eine „subversive“ Entscheidung, denn lesbische<br />
Komödien gab es damals eigentlich nicht.<br />
Und heute gilt ein Film wie Parada von Srdjan Dragojevic als radikal<br />
und mutig: Die Komödie, in welcher schwule Aktivisten Exkombattanten<br />
als Sicherheitskräfte für den Belgrader Gay Pride 2010<br />
anheuern, gewann bei der Verleihung der diesjährigen Teddy Awards<br />
den Publikumpreis der Zeitschrift „Siegessäule“.<br />
Subversiv? Wohl kaum – weder inhaltlich noch ästhetisch ist der<br />
Film interessant. Dragojevic bedient sich veralteter Klischees und der<br />
alten Dichotomie homosexuell/heterosexuell und erinnert damit an<br />
eine schlechten Version von Ein Käfig voller Narren. „Parada ist kein<br />
Film für liberal denkende Menschen, sondern für Homophobe. Diese<br />
Leute erreicht man nicht mit einem hermetischen Kunstfilm, sondern<br />
mit Unterhaltung“, sagte Dragojevic in einem Interview in der „taz“<br />
(12.2.2012).<br />
Wieland Speck, der den kontroversen Film in die Panaroma-Sektion<br />
<strong>auf</strong>nahm, steht hinter Parada. „Es bewirkt was, macht was mit<br />
den Menschen. Jede Abarbeitung ist gewinnbringend“, sagt Speck.<br />
Das stimmt zwar, aber sollte man 34 Jahre nach Ein Käfig voller Narren<br />
international nicht weiter im Diskurs über das Sichtbar-Machen<br />
von LGTB-Figuren im Film sein? Also doch Backlash?<br />
Vielleicht beginnt das Problem des „Queer Cinema“ schon mit<br />
dem Begriff „Queer“. Wenn „Queer“ die Norm in Frage stellt, dann<br />
muss das „Queer Cinema“ dies erst recht tun. Gleichzeitig wird der<br />
Begriff „queer“ aber längst schon im Mainstream verwendet. Dilek<br />
Kolat, Senatorin für Arbeit, Frauen und Integration in Berlin, verwen-<br />
23
ahmenhandlung<br />
dete bei den Teddy Awards 2012 in Berlin „queer“ als Sammelbegriff<br />
(Umbrella Term) für alles, was nicht heterosexuell ist. Und auch in<br />
der Filmbranche scheint der Begriff eher diffus als Label verwendet<br />
zu werden – für LGTB und das Andere im Film, das Nicht-Heterosexuelle<br />
– all das <strong>auf</strong> Kosten seines eigentlich subversiven Potentials.<br />
Der Filmkritiker Lukas Foerster gibt zu, das Wort auch „manchmal<br />
als Synonym [für „schwul“, „lesbisch“ etc., — Red.] zu verwenden“.<br />
Er sehe jedoch, dass es nicht deckungsgleich sei. Wenn der Begriff<br />
also als Umbrella Term verwendet wird, ist „queer“ in der Mitte der<br />
Gesellschaft angekommen. Doch keine Avantgarde?<br />
Marc Siegel, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Goethe-<br />
Universität Frankfurt und Mitbegründer des Künstlerkollektivs<br />
CHEAP, bei dem Lukas Foerster schon mal ein Queer-Cinema-<br />
Seminar besucht hat, beschreibt „queer“ als ein „Infragestellen der<br />
Fixiertheit von Identitätspositionen.“ Für ihn hat „queer“ etwas mit<br />
Begehren, sexueller Begierde, Fantasien zu tun, aber ebenso mit<br />
sozial-politischer Identifikation und auch mit der Bereitschaft – so,<br />
wie Queer-Theoretikerin Eve Kosofsky Sedgwick es mal formuliert<br />
hat – sich selbst als „queer“ zu bezeichnen, und dabei die eigene<br />
fixierte Identität zu hinterfragen. „Queer“ ist mehr als die Repräsentation<br />
des Anderen, es geht über eine Abgrenzung von Heterosexualität<br />
hinaus, stellt Dichotomien wie männlich/weiblich und<br />
homo/hetero in Frage und erschöpft sich somit nicht in einem reinen<br />
Sichtbar-Machen.<br />
In Amerika wurde das Wort „Queer“ als Schimpfwort verwendet.<br />
In den neunziger Jahren wurde der Begriff im akademischen und<br />
politischen Diskurs resignifiziert und neu bewertet (reclaiming) – im<br />
Zuge einer Selbstermächtigung mit dem Wunsch verbunden, sich der<br />
Opferrolle zu entziehen – der Slogan dazu: „We’re here, we’re queer,<br />
get used to it!“<br />
In dem anonymen Manifesto von „Queer Nation“ vom Juni 1990<br />
mit dem Titel „Queers Read This“ steht: „Gay ist gut. Es hat seinen<br />
Platz. Aber wenn viele Lesben und Gay-Männer morgens <strong>auf</strong>wachen,<br />
fühlen wir uns wütend und angeekelt, nicht gay. […] Die Verwendung<br />
von ‚queer‘ ist ein Weg, uns daran zu erinnern, wie wir vom Rest der<br />
Welt wahrgenommen werden.“ Queer Nation verwendete vor allem<br />
das Wort als listige und ironische Waffe, die die „Queers“ von den<br />
Homophoben stehlen könnten, um sie gegen sie zu verwenden. Auch<br />
heute noch wird „queer“ gerade in der Wissenschaft kritisch diskutiert.<br />
Wenn B. Ruby Rich von „New Queer Cinema“ spricht, scheint sie<br />
auch von einem „Old Queer Cinema“ auszugehen – also einem queeres<br />
Kino vor 1990. In den Sechzigern wurde so etwas wie eine Untergrund-Film-Bewegung<br />
sichtbar. Selbstverständlich gab es schon<br />
davor Filme, die als „queer“ zu beschreiben wären – wie Kenneth<br />
Angers Fireworks (1947). Doch vor allem das filmische Schaffen Andy<br />
Warhols ist von zentraler Bedeutung. In seinem Werk Flesh (1968) ist<br />
ein Mann Sexualobjekt, in Kitchen (1965) hinterfragt er die Positionen<br />
Weiblichkeit und Männlichkeit, in Blowjob (1964) spielt er mit dem<br />
Genre der Pornographie: Ein Mann wird oral befriedigt und das – so<br />
der Mythos – von einem anderen Mann.<br />
Ähnliches gilt für Jack Smith, der mit Warhol eng verwurzelt<br />
war. Sein einziger vollendeter Film Flaming Creatures (1963) ist sinngebend<br />
für das „Queer Cinema“. Smith sprengt jegliche Konventionen<br />
des Kinos, lässt sich nicht festlegen, will es auch nicht. Nichts ist<br />
greifbar, die Sexualität der Performer_innen nicht mehr identifizierbar.<br />
Die Geschichte fast schon zweitrangig. Es entsteht was <strong>Neu</strong>es,<br />
Anderes, das vor allem ästhetisch und formal interessant ist.<br />
Laut dem Buch „Now You See It“ des Filmwissenschaftlers<br />
Richard Dyer lassen sich vor allem zwei Strategien des Sichtbar-<br />
Machens nicht-heterosexueller Utopien im Kino definieren: Die Konfrontationsfilme<br />
und Affirmationsfilme.<br />
Die Konfrontationsfilme spielen mit den klassischen Repräsentationsformen,<br />
wie zum Beispiel Rosa von Praunsheims Nicht der<br />
24<br />
Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt (1971)<br />
oder Frank Ripplohs Taxi zum Klo (1980), der für seine Zeit unglaublich<br />
explizit von schwulem Sex erzählt. Ähnliches gilt für Rainer<br />
Werner Fassbinders letzten Film Querelle (1982), einen Film über<br />
sexuelle Begierde.<br />
Die Affirmationsfilme stehen ebenfalls den gängigen normativen<br />
Geschlechterbildern und Familienmodellen kritisch gegenüber,<br />
unterliegen aber den gängigen Konventionen des Erzählkinos. Es<br />
geht um die positive Zuschreibung, positive LGTB-Bilder im Kino,<br />
vereinfacht um Repräsentanz. Hierzu zählen auch viele der Coming-<br />
Out-Filme, die um Verständnis für ihre homosexuelle Figuren warben<br />
und Nicht-Heterosexuellen zeigen sollten, dass sie nicht alleine<br />
sind.<br />
Vor allem der Affirmations-Strategie wurde durch das „New<br />
Queer Cinema“ eine Absage erteilt. Rotzige, punkige, experimentelle<br />
Bilder von schwulen und lesbischen Bösewichtern, Virenträgern und<br />
Serienkillern waren wenig mainstreamtauglich, schufen durch ihren<br />
Erfolg aber neue Independent-Strukturen, die wiederum schnell in<br />
den Mainstream integriert wurden.<br />
Und heute? Was passiert in der Ära des Post-„New Queer<br />
Cinema“? Reicht das Sichtbar-Machen nicht? Mittlerweile scheint<br />
das „Andere“ fern der Heterosexualität sehr präsent zu sein. Schwule<br />
und Lesben tauchen in jeder Soap-Opera <strong>auf</strong> und können gar Hauptfiguren<br />
in Filmen sein, oder etwa nicht? „Gut, dass es in Filmen sichtbar<br />
wird. Nur dieses zwanghafte ‚Wir wollen das auch‘ – das ist ähnlich<br />
wie mit der Homo-Ehe. Ich habe kein Problem damit, aber man<br />
müsste die Ehe an sich in Frage stellen“, sagt Maccarone.<br />
Der Regisseur Travis Mathews arbeitet gegen die gängigen<br />
Regeln von klassischen Pornos. Seine Filme erzählen eine Geschichte<br />
und arbeiten nicht <strong>auf</strong> den Orgasmus hin – trotzdem sind sie roh,<br />
explizit. „Meine Filme I Want Your Love und In Their Room resultieren<br />
aus einer Frustration über den Zustand des Gay Cinema und<br />
wie die Darstellungen darin nichts über mein Leben aussagt. Es ging<br />
erst mal um Präsenz – darunter litten aber oft die Produktion und die<br />
Geschichte“, sagt Mathews.<br />
Offenbar unterscheidet Mathews hier zwischen „Queer“ und<br />
„Gay“ Cinema, wobei „Gay Cinema“ dann auch bei ihm eher die<br />
Affirmationsfilmen meint. „In den letzten zwanzig Jahren hatte ich<br />
das Gefühl, dass es den Geschichten an Authentizität mangelt. Es<br />
gab Aids-Filme, Coming-Out-Filme, und dann kam das neue Queer<br />
Cinema“, sagt er.<br />
Für ihn ist das Erzählen einer Liebesgeschichte politisch, die<br />
gerade nicht Probleme mit der Suche nach der sexuellen Identität<br />
thematisiert. „Verpflichtet zu sein, eine historische Geschichte über<br />
Aktivismus, Aids oder Coming-Out zu machen, ist sehr defensiv“,<br />
meint Mathews. Er zeigt hingegen die alltäglichen Probleme, die<br />
Männer mit Sex und Beziehungen haben. Seine Figuren sind dreidimensional<br />
und haben hohen Identifikationswert.<br />
Ähnliches gilt für Andrew Haighs und seinen Film Weekend<br />
(2011), der die Geschichte zweier Männer nach einem One-Night-<br />
Stand erzählt. Dass die Männer scheitern, liegt nicht an ihrer Homosexualität<br />
oder an einer homophoben Gesellschaft, sondern an verschiedenen<br />
Beziehungsmodellen. Sowohl Haigh als auch Mathews<br />
eint ihre Affinität zur dokumentarischen Form. Beide machen nicht<br />
die sexuelle Identität zum Thema, sie wird vorausgesetzt, nicht problematisiert<br />
und schon gar nicht tabuisiert. Hier liegt das „Queere“ in<br />
der Verweigerung des Identitätsdiskurses.<br />
Während vor allem Weekend in der englischsprachigen Presse<br />
Anerkennung fand, blieb es in Deutschland bei vereinzelten Rezensionen<br />
– ähnliches gilt für Mathews’ Filme. Offenbar herrscht hierzulande<br />
immer noch die Idee von einer Art Nische. Queeres Kino, schön<br />
und gut, doch sollen die Filme <strong>auf</strong> ihren eigenen Festivals l<strong>auf</strong>en, die<br />
Kritiken in den eigenen „Special Interest“-Magazinen stehen und der<br />
Vertrieb im eigenen Verleih l<strong>auf</strong>en.<br />
rahmenhandlung<br />
Die „Vernischung“ des „Queer Cinema“ ist vielleicht eins der<br />
größten Probleme heutzutage. Es sorgt auch dafür, dass viele Regisseure_innen<br />
nach ein oder zwei „queeren“ Filmen das Sujet (wenn<br />
man davon sprechen mag) wechseln und sich in den Mainstream<br />
werfen. Das beste Beispiel hierfür ist der amerikanische Regisseur<br />
John Cameron Mitchell, der nach Hedwig & The Angry Inch (1998)<br />
und Shortbus (2006) mit Rabbit Hole (2010) in Hollywood angekommen<br />
ist.<br />
Auch Geld ist ein Problem: Oft entstehen queere Filme unter katastrophalen<br />
finanziellen Bedingungen. Die „queeren“ Regisseure_<br />
innen suchen nach neuen Modellen der Bezahlung. Mathews ließ sein<br />
Spielfilm von einer Pornofirma finanzieren, und um sein Dokureihe<br />
In Their Room – London zu drehen, griff er <strong>auf</strong> Crowdfunding zurück.<br />
Natürlich tauchen von Zeit zu Zeit Filme auch in Hollywood <strong>auf</strong>,<br />
die Homosexuelle als Hauptfiguren zeigen, siehe Milk (2008) oder<br />
Brokeback Mountain (2005). In beiden Fällen änderte sich das Rezeptionsverhalten<br />
und auch die Kritiker-Resonanz deutlich. Das gleiche<br />
gilt für Tom Tykwers Film Drei (2010), der von einem Ehepaar<br />
erzählt, das sich in den gleichen Mann verliebt. Die Kritik durchweg<br />
positiv, überschlug sich vor Freude, lobte Tykwers Mut, eine solche<br />
Geschichte zu erzählen.<br />
Aber sind Drei, Brokeback Mountain oder Milk queere Filme? Sie<br />
alle überschreiten keine gegenwärtigen filmischen Grenzen – weder<br />
in der Narration noch in der Ästhetik. Das Sichtbar-Machen hier ist<br />
reine Repräsentanz von queeren Inhalten, aber noch lange nicht progressiv.<br />
Was diese drei Beispiele zeigen, ist, dass das konventionelle<br />
Erzählkino offenbar über ein Zeigen von LGTB-Inhalten nicht hinaus<br />
kommt.<br />
Doch „Queer Cinema“ kann mehr. „Queer Cinema hat die Möglichkeit,<br />
die Darstellung von Gender und Sexualität neu zu denken“,<br />
sagt Marc Siegel. Ist das auch mit einer klassischen Narration möglich?<br />
„Es passiert meistens im Avantgardekino“, meint er. Wichtig sei,<br />
dass die Narration des Films nicht dar<strong>auf</strong> gerichtet sei, eine schwules<br />
oder lesbisches Subjekt am Ende <strong>auf</strong>zubauen, oder durchgehend zu<br />
porträtieren. Anstelle eindeutiger Identitäten könnten stattdessen<br />
perverses Begehren stehen oder einzelne Aspekte aus der queeren<br />
Kultur.<br />
Für B. Ruby Rich war das „New Queer Cinema“ „ein Moment,<br />
keine Bewegung.“ Doch queeres Kino muss mehr sein als nur einem<br />
Moment verhaftet oder ein Zusammenspiel diverser und zufällig<br />
<strong>auf</strong>einander treffender Faktoren – es muss über den Zeitgeist hinaus<br />
gehen.<br />
Wenn der queere Film nur ein Sichtbar-Machen der verschiedenen<br />
sexuellen Identitäten und Lebensformen ist, verliert er seinen<br />
rebellischen Charakter. Dennoch muss queeres Kino präsent sein,<br />
weil es vor allem das eigene Medium und dessen Konventionen sprengen<br />
kann. Dafür müsste das „Queer Cinema“ immer experimentell<br />
sein. Kein „Queer Cinema“ ohne Avantgarde? s<br />
--enrico<br />
Ippolito ist Volontär bei der taz. wieland Speck wird zwischen<br />
dem 7. und 17. Februar 2013 eine neue Berlinale-Panorama-Ausgabe mit<br />
einer großen Anzahl queerer Filme präsentieren. angelina Maccarones<br />
experimentelles Dokumentarfilmporträt der Schauspielerin Charlotte<br />
Rampling („The Look“) ist gerade <strong>auf</strong> <strong>DVD</strong> erschienen. Lukas foerster<br />
ist Redakteur der Filmkolumne „Im Kino“ <strong>auf</strong> perlentaucher.de, die<br />
jeden Mittwoch zwei aktuell startende Kinofilme vorstellt. Marc Siegel<br />
hat gerade zusammen mit Susanne Sachsse im Berliner HAU das<br />
Festival „Camp/Anti-Camp“ organisiert. travis Mathews’ „In Their<br />
Room“-Filme sind <strong>auf</strong> <strong>DVD</strong> erhältlich. Das nächste Queer-Film-Festival<br />
in Deutschland ist das Berliner XPOSed, das vom 20. – 22. Juni<br />
stattfindet (www.xposedfilmfestival.com).<br />
---<br />
25<br />
good!movies präsentiert<br />
<strong>Neu</strong> <strong>auf</strong> <strong>DVD</strong>!<br />
Sehen Sie den Film auch online<br />
<strong>auf</strong> www.goodmovies.de<br />
William S. Burroughs – A Man Within<br />
Ein intimer Dokumentarfilm, der ungeahnte Einblicke verschafft<br />
in die verstörende Welt eines brillanten, aber auch gequälten Mannes.<br />
William S. Burroughs ist die Ikone der Beat Generation und war der<br />
erste Schriftsteller, der die amerikanische Drogen- und Schwulen-<br />
kultur der 50er und 60er Jahre beschrieb. Burroughs‘ bekanntester<br />
Roman »Naked Lunch« gehört zu den wichtigsten literarischen<br />
Werken des 20sten Jahrhunderts und hat Generationen von<br />
Schriftstellern inspiriert.<br />
Ein Zusammenschnitt aus exklusivem Archivmaterial von Burroughs,<br />
sowie Interviews mit einigen seiner engsten Freunde, unter ihnen<br />
John Waters, Patti Smith, Laurie Anderson, David Cronenberg,<br />
Iggy Pop, Gus Van Sant und viele mehr!
kino<br />
„Jetzt!“<br />
interview: JAn küneMund<br />
Vier jahre lang hat Diana Näcke den schwierigen Weg zweier gefangener Frauen<br />
in die Freiheit mit der Kamera verfolgt. immer wieder war sie allein in der „jVA für<br />
Frauen“ in Berlin-Lichtenberg und hat für „Meine Freiheit, deine Freiheit“ so intime<br />
Bilder aus einem Frauenknast gedreht wie kaum jemand zuvor. Zwangsläufig ist<br />
ihr Film, der gerade sehr erfolgreich <strong>auf</strong> Festivals läuft und am 31. Mai ins Kino<br />
kommt, auch ein philosophischer exkurs zum thema Freiheit an sich geworden. im<br />
folgenden interview erzählt Diana Näcke von ihren persönlichen erfahrungen und den<br />
nerven<strong>auf</strong>reibenden Dreharbeiten.<br />
SeBAStiAN NOACK<br />
sissy: Bist du mit einer bestimmten (Film-)Idee in den<br />
Knast gegangen oder kanntest du deine Protagonistinnen<br />
vorher?<br />
diana näcke: Nein, das war Zufall. Ich war für ein anderes<br />
Projekt im Knast und habe diese beiden Frauen gesehen,<br />
die haben mich dann nicht mehr losgelassen. Ich<br />
habe meine eigene innere Wut, die Zerrissenheit und<br />
Unruhe bei diesen beiden Frauen gesehen, aber eben<br />
nicht nur bei ihnen, sondern auch in dem, was man<br />
schnell als ‚die andere Seite‘ bezeichnet, bei den Beamten,<br />
die sie wegschließen müssen. All das trägt man in<br />
sich, diese beiden Seiten. Ich habe Antworten gesucht<br />
<strong>auf</strong> das, was uns Menschen antreibt, wo Verantwortlichkeiten<br />
liegen. Aber ich habe begreifen müssen, dass Verantwortung<br />
genau so ein Konstrukt ist wie Freiheit. Es<br />
existiert faktisch nicht, es gibt nur ein Gefühl dazu, eine<br />
Einstellung, ein Moment, ein Verhalten. Salema hat sich<br />
vor meinen Augen einmal einen Goldenen Schuss gesetzt.<br />
In solchen Situationen reicht das Nachdenken über Freiheit<br />
nicht mehr, da stehst Du eben mittendrin und hasst<br />
dieses Konstrukt und Dich dafür, dass Du Freiheit selbst<br />
als allumfassend wahrnimmst und den Menschen, der<br />
Dir gerade gesagt hat: „Lass mich sterben, das ist meine<br />
Freiheit und ich will, dass Du das filmst.“ Aber man kann<br />
doch einen Menschen nicht einfach so sterben lassen.<br />
Ich habe Hilfe geholt, danach hat Salema sechs Wochen<br />
nicht mehr mit mir gesprochen. Das passt gar nicht alles<br />
in diesen Film. Den Wahnsinn Dokfilm, vier Jahre lang<br />
und dann erst mal zwei Jahre lang ohne Geld, nimmst Du<br />
nicht <strong>auf</strong> Dich, wenn Du nicht einen eigenen ganz ganz<br />
starken inneren Antrieb hast.<br />
Du hast dich <strong>auf</strong> Kübra und Salema konzentriert. Wofür<br />
stehen sie für dich?<br />
Es waren Kübra und Salema, die mich von Anfang an<br />
begeistert haben und die für einen Dokumentarfilm<br />
wichtige Offenheit mitbrachten. Die beiden stehen allerdings<br />
für viele dieser Frauen, die einfach das Pech hatten,<br />
in eine so krasse Biografie hineingeboren zu werden.<br />
Was nicht heißen soll, jeder mit krasser Biografie wird<br />
kriminell. Es geht nicht darum, ihre Straftaten zu rechtfertigen.<br />
Ich wollte einfach verstehen, wo der Punkt war,<br />
wo man den Bezug verliert, wann man in den Abgrund<br />
springt, der Moment, wo einem alles scheißegal wird.<br />
Ob solche Dinge auch klare Entscheidungen sind und vor<br />
allem, durch was sie beeinflusst werden. Dieses System<br />
Knast macht Dich kaputt, es hilft Dir nicht. Kübra hat<br />
mal gesagt: „Was passiert denn? Die Tür geht zu für vier<br />
Jahre, aber wenn Du rauskommst, bist Du noch derselbe<br />
Mensch, wenn nicht sogar schlimmer …“ Und trotzdem<br />
gibt es da auch noch mehr, man lacht da auch …<br />
Wie intensiv hast du in diesen drei Jahren an dem Film<br />
gearbeitet? Wie sahen die Produktionsbedingungen aus?<br />
Oh je, das war krass. Hätte ich am Anfang gewusst,<br />
was das heißt, hätte ich – glaube ich – nicht angefangen.<br />
Als ob man in einen Strudel gerät. Andres Veiel hat<br />
mich mal eine Dokwütige genannt, er war in der Jury<br />
des Bayrischen Dokumentarfilmwettbewerbes, wo ich<br />
einen Preis für das Treatment gewonnen habe. Ich hab<br />
damals nicht verstanden, was er meint, weil das normal<br />
für mich war, mich so durchzuboxen. Er hat es liebevoll<br />
gemeint, in Anlehnung an seinen Film Die Spielwütigen,<br />
eine Bezeichnung für jemanden, der extrem für das, was<br />
er macht, brennt, mit voller Leidenschaft dabei ist, die<br />
aber auch gewisse Gefahren in sich birgt. Man kann sich<br />
nämlich verlieren, vor allem <strong>auf</strong> der Gratwanderung zwischen<br />
Nähe und Distanz. Du lernst bei so einem Film fürs<br />
Leben. Danach kannst Du fast alles stemmen. Wie auch<br />
immer, ich habe mein Saxophon verk<strong>auf</strong>t, meine Taucherausrüstung,<br />
meine Gitarre, alles, was ich an Wert hatte,<br />
um mir Kamera- und Tonequipment besorgen zu können.<br />
Ich hatte keine Ahnung von Ton und keine Ahnung von<br />
Kamera, geschweige denn von Szenen-Auflösung. Ich<br />
musste einfach drehen. Und ich wusste, dass viel passieren<br />
wird. Kübra hat mich manchmal nachts angerufen<br />
und gesagt: „Jetzt!“ Und dann musste ich eben los, egal<br />
wann und egal wie. Da kannst Du nicht noch einen Tonmann<br />
oder eine Kamerafrau anrufen. Und es gab eben<br />
kein Geld. Und wenn man realistisch ist, wer gibt einem<br />
Debüt-Filmemacher ohne Filmschulhintergrund Geld?<br />
Alle Entscheidungen waren aus heutiger Sicht richtig.<br />
Das gedrehte Material hat dann überzeugt, vor allem die<br />
Kraft der beiden Protagonistinnen und wahrscheinlich<br />
auch meine Dokwütigkeit, zuerst die Produktionsfirma,<br />
dann das ZDF.<br />
Aber das Schönste dabei ist: Kübra und Salema lieben<br />
den Film und sie sind stolz <strong>auf</strong> ihn. Sie haben sonst nichts,<br />
<strong>auf</strong> das sie stolz sind, zumindest bis zu diesem Moment.<br />
Sie kriegen das erste Mal im Leben Respekt für das, was<br />
sie sind. Kübra hat den Film im Knast anschauen müssen<br />
und ihn regungslos verfolgt. Am Ende hat sie sehr<br />
geweint, weil sie drei Jahre ihres Lebens an sich vorbeiziehen<br />
gesehen hat und ihr Bild von sich verändern<br />
musste.<br />
In dem Film sieht man einen sehr offenen Umgang mit<br />
Drogen innerhalb des Gefängnisses. War das eine Offenheit<br />
dir gegenüber oder sind Drogen dort wirklich so präsent?<br />
Es ist so: In jedem Knast dieser Welt gibt es Drogen. Vor<br />
allem aber da, wo drogenabhängige Frauen sitzen. Die<br />
JVA Lichtenberg ist der größte Frauenknast Berlins,<br />
in dem vor allem drogenabhängige Frauen ihre Strafen<br />
verbüßen müssen. Das heißt, diese Frauen finden <strong>auf</strong>grund<br />
des enormen Suchtdrucks immer wieder Wege,<br />
Drogen illegal in den Knast zu schmuggeln. Ich habe<br />
ihre Kreativität, was das betrifft, zur Genüge kennen<br />
gelernt. Natürlich ist das illegal, nur wird die Knastleitung<br />
dieses Problems nicht Herr. Trotzdem hat sich die<br />
Knastleitung entschieden, Spritzenautomaten zu installieren,<br />
um zumindest die Hepatitis-C- und HIV-Infektionsgefahr<br />
einzudämmen. Das wird oft angegriffen. Ich<br />
finde das aber richtig und gut. Aber die Frauen dürfen<br />
natürlich nichts reinschmuggeln und auch nichts besitzen,<br />
geschweige denn Drogen konsumieren. Das ist ein<br />
Paradox. Natürlich gibt es auch Sanktionen und Anzeigen<br />
gegen sie. Ich wollte das nicht im Film zum Thema<br />
machen, das kann eine Reportage besser. Deshalb habe<br />
ich es subtil erzählt und das Spritzen in der Zelle wie<br />
26 27<br />
kino
kino<br />
Salema Wad’deres (oben), Kübra Baytok<br />
selbstverständlich gezeigt. Die Frauen handhaben<br />
das so, es gehört zu ihrem Alltag. Es ist<br />
nur noch nie in dieser Selbstverständlichkeit<br />
in einem deutschen Knast gefilmt worden.<br />
Ich durfte mich in diesem Knast frei<br />
bewegen, ich habe einfach mit den Frauen<br />
unbeobachtet teilweise sogar acht Stunden<br />
am Stück <strong>auf</strong> der Zelle bzw. der jeweiligen<br />
Station verbringen können. So wurde ich zu<br />
so etwas, was halt immer da ist, die Frau mit<br />
der Kamera gehörte zum Inventar. Ich war<br />
ja alleine, ohne Crew. Und dann passiert das<br />
einfach, dass Du in deren Alltag eingebunden<br />
bist und das Heroin gehört dazu. Es ist<br />
ein offenes Geheimnis, was der Bevölkerung<br />
nicht so klar ist, dem Justizsystem allerdings<br />
schon. Das ist es auch nicht, was ich für einen<br />
Skandal halte. Ich finde es dagegen ungeheuerlich,<br />
dass es in Berlin keinen Ort für weibliche<br />
jugendliche Straftäter im Alter von 14 bis<br />
21 Jahren gibt. Jemand wie Kübra wird dann<br />
halt mit 14 Jahren im Erwachsenenstrafvollzug<br />
für drogenabhängige Frauen untergebracht,<br />
obwohl laut Gesetzgeber Jugendstrafen<br />
getrennt vom Erwachsenenstrafrecht<br />
vollzogen werden muss. Und dann kommen<br />
diese kleinen Mädchen auch mit Heroin in<br />
Kontakt. Die Frauen setzen eben auch anderen<br />
die Spritze. So ist das eben. Das ist der<br />
eigentliche Skandal und unverzeihlich, wie<br />
ich finde. Und Drogenabhängige sind nicht<br />
wirklich in einem Knast gut <strong>auf</strong>gehoben, es<br />
ist eine Krankheit, die eben auch Kriminalität<br />
mit sich bringt. Es ist eine Sucht.<br />
Im Gegensatz zur Drogensucht spielt Sexualität<br />
in deinem Film kaum eine Rolle. Salema<br />
erwähnt einmal, dass sie mit Heroin angefangen<br />
hat, um „in der Welt“ ihrer abhängigen<br />
Freundin sein zu können. Habt ihr ansons-<br />
eDitiON SALZGeBeR (2)<br />
ten nicht über Sexualität und Beziehungen<br />
gesprochen – oder ist das dann doch der<br />
Bereich, der im Gefängnis tabu ist?<br />
Na, klar haben wir darüber gesprochen, das<br />
machen wir bis heute, leider sind viele schöne<br />
Szenen dazu der Dramaturgie des Filmes<br />
und seinem Rhythmus zum Opfer gefallen.<br />
Einiges haben wir auch herausgenommen,<br />
um die Protagonisten zu schützen. Kübra ist<br />
Muslimin und egal, was sie in ihrem Leben<br />
schon für Dinge gemacht hat, sie wollte auch<br />
ihre Familie schützen und einige Dinge<br />
waren ihr heilig. Wenn Du eine Biografie<br />
hast wie Kübra, gewöhnst du dir an, in verschiedene<br />
Welten und Persönlichkeiten zu<br />
schlüpfen. Um nicht durchzudrehen, weil<br />
die Dinge zu ertragen, die einem passiert<br />
sind, manchmal unmöglich ist. Natürlich<br />
gibt es auch Liebe im Knast, auch Sexualität.<br />
Viele Frauen haben Beziehungen untereinander.<br />
Kübra hatte das meines Wissens nach<br />
nie. Salema, die Frauen liebt, ist da offener.<br />
Aber sie hat Angst, Angst davor wieder so<br />
schwere Verluste zu erleiden, dass sie nicht<br />
mehr <strong>auf</strong>stehen kann. Ich habe sie im Knast<br />
vor der Kamera gefragt, was Liebe für sie ist.<br />
Ihre Antwort war: „Ich habe noch nie einem<br />
Menschen gesagt, dass ich ihn liebe. Liebe<br />
ist für mich so unselbstverständlich, dass<br />
ich das nicht mal aussprechen kann.“ Als ich<br />
Salema vor zwei Wochen besucht habe, war<br />
sie gerade wieder am Boden zerstört, weil<br />
sich ihre neue Freundin gerade das Leben<br />
genommen hatte. Da haut es Dich einfach<br />
nur weg und Du kannst nichts tun und ehrlich<br />
gesagt, kann ich verstehen, warum sich<br />
Salema wegbeamt. In Salemas Leben scheinen<br />
sich Dinge <strong>auf</strong> gespenstische und absolut<br />
unvorstellbar schmerzhafte Art zu wiederholen.<br />
Sie hatte ja ihre erste Liebe mit fünfzehn<br />
genauso verloren, das Mädchen starb in<br />
ihren Armen, sie hatte sich einen Goldenen<br />
Schuss gesetzt. Dabei wollte sie sich gar nicht<br />
mehr <strong>auf</strong> einen Menschen so tief einlassen.<br />
Danach ist sie wieder abgestürzt. Wenn man<br />
das so hört, denkt man immer: Das kann doch<br />
alles nicht sein! Und trotzdem sind diese beiden<br />
Menschen <strong>auf</strong> beeindruckende Weise so<br />
stark, wie ich es niemals sein könnte. s<br />
Meine freiheit, deine freiheit<br />
von Diana Näcke<br />
DE 2011, 84 Minuten, deutsche OF<br />
Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />
Im Kino ab 31. Mai<br />
Harry Baer und Günther K<strong>auf</strong>mann in „Whity“ von Rainer Werner Fassbinder (1971)<br />
eVen<br />
RighT<br />
noW<br />
von hArry BAer<br />
Am 10. Mai starb der Schauspieler Günther K<strong>auf</strong>mann in Berlin.<br />
in der presse war viel von einem prozess, von Gefängnis und<br />
Dschungelcamp die Rede, wenig von den mit stets verliebtem<br />
Blick inszenierten Auftritten in vielen Fassbinder-Filmen. Wir<br />
haben Harry Baer, Wegbegleiter und Kollege, um einen persönlicheren<br />
Nachruf <strong>auf</strong> den „weißen Neger vom Hasenberg“ (so<br />
der titel von K<strong>auf</strong>manns Autobiografie) gebeten.<br />
whity<br />
von Rainer Werner Fassbinder<br />
DE 1971, 92 Minuten, dt. OF<br />
götter der Pest<br />
von Rainer Werner Fassbinder<br />
DE 1970, 88 Minuten, dt. OF<br />
alle drei <strong>auf</strong> dVd bei Studiocanal, www.studiocanal.de<br />
niklashauser fart<br />
von Michael Fengler<br />
DE 1970, 86 Minuten, dt. OF<br />
StuDiOCANAL<br />
s Servus Günther,<br />
in Bonn, oder besser gesagt Bad Godesberg, haben wir am 4. Juni<br />
2005 zum 60. Geburtstag von Rainer Werner Fassbinder sein Stück<br />
„Katzelmacher“ <strong>auf</strong>geführt. Nur an einem einzigen Abend, der auch<br />
eingehüllt war von Liedern, die der Peer Raben geschrieben hatte.<br />
Das Motto des Abends war „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin“, und<br />
die Regie hat damals Werner Schroeter geführt. Die Freunde triffst<br />
du ja demnächst <strong>auf</strong> deiner langen Reise.<br />
Günther, ich habe dich eigentlich erst richtig wahrgenommen,<br />
als wir beide in dem Schwarzweißfilm Götter der Pest böse Buben<br />
gespielt haben. In München war das, im Herbst 1969. Ich wurde ja<br />
nur in einem banalen, mit Neon beleuchteten Supermarkt am Rotkreuzplatz<br />
erschossen, während du nachts in der Sonnenstrasse,<br />
angeschossen, malerisch und mit nacktem Oberkörper, an den Sch<strong>auf</strong>enstern<br />
mit Hochzeitsgewändern entlang torkeln durftest. Sogar in<br />
die Wohnung von der Carla hattest du es noch geschafft und konntest<br />
das Miststück erledigen, vor deinem Abtritt mit den Worten: „Life is<br />
very precious … even right now“. Da war ich schon ein wenig neidisch,<br />
weil eigentlich ja ich die Hauptrolle hatte und dann mit so einen blöden<br />
Satz enden musste: „Schuster, bleibe bei deinen Leisten“. Das war<br />
nicht so schön für mich, aber dafür konntest du ja eh nichts. Da hatte<br />
ich aber auch noch gar nicht so richtig begriffen, wie sehr sich der<br />
Rainer in Dich verknallt hatte. Bei den Dreharbeiten zu Baal vom<br />
Schlöndorff hat es gefunkt zwischen euch beiden. Wahrscheinlich<br />
wusstest du es auch noch nicht so richtig, wie das alles geht mit der<br />
Liebe unter Männern; aber ihr hattet euren Spaß und wir das Nachsehen.<br />
Durch den Film Katzelmacher gab es ja Kohle ohne Ende und<br />
der Rainer hat dir jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Immerhin<br />
durftest du einige Sportwagen zerlegen, die nicht ganz billig<br />
waren: Stingrays von Corvette. Sogar einen Western hat er für dich<br />
gemacht: Whity! In dem Film bist du richtig gut und darfst auch noch<br />
den Titelsong beisteuern, den der Willy (Peer Raben) erfunden hatte,<br />
weil er auch in dich verknallt war, aber Rainer war halt zu Lebzeiten<br />
immer der Matchwinner. Ich werde mal wieder bestraft für entgangenes<br />
Liebesglück und zum Albino degradiert, der auch noch von dir<br />
erschossen wird. Wenigstens hattest du Tränen in den Augen, auch<br />
wenn die Anweisung vom Regisseur kam.<br />
In der Niklashauser Fart spieltest du einen <strong>auf</strong>sässigen Bauernführer<br />
und siegst und siegst. Ums Haar verbrenne ich fast <strong>auf</strong> einem<br />
Scheiterh<strong>auf</strong>en. Die Pyrotechnik hat damals der Charlie Bumm-<br />
Bumm gemacht, den triffst du übrigens auch noch.<br />
Danach wurde es ruhiger mit Rainer und dir, im Amerikanischen<br />
Freund hattest du die Titelrolle nicht bekommen, obwohl sie eigentlich<br />
für dich geschrieben war. Warst wohl nicht ganz artig … Aber<br />
besetzt hat er dich danach immer wieder, auch weil die Liebe wohl<br />
nicht wirklich erloschen war. Noch in Querelle hattest du ’ne wichtige<br />
Rolle. Bei Rainers letzter Geburtstagsfeier in der „Deutschen Eiche“<br />
habt ihr euch lange mitten im Lokal geküsst, das war der beste Beweis<br />
für den Spruch: „Alte Liebe rostet nicht“. Das war Ende Mai 1982.<br />
Bei dem Stück „Katzelmacher“ in Bad Godesberg hast du die Rolle<br />
vom Rainer im Film gespielt. Bei dem Satz: „Du … Augen wie Sterne“<br />
warst du ihm noch nie so nahe.<br />
Habe dich lange nicht mehr gesehen. Aber so spielt Leben. Schade. s<br />
--harry<br />
Baer hat eines der schönsten Bücher über Fassbinders Leben und<br />
Werk geschrieben: „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin – Das atemlose<br />
Leben des Rainer Werner Fassbinder“ (Kiepenheuer & Witsch, Köln).<br />
---<br />
28 29<br />
nachruf
kino<br />
Wagner,<br />
eine Boyband<br />
von pAul Schulz<br />
Der englische entertainer Stephen Fry überlegt sich in „Wagner and me“, ob er als<br />
jude eine „Ring“-inszenierung in Bayreuth sehen darf und macht dabei <strong>auf</strong> amüsante<br />
Weise alles falsch. im Kino ab 21. juni.<br />
30<br />
FiLM KiNO text<br />
s Vor drei Jahren hat die schottische Band Chumbawamba <strong>auf</strong><br />
ihrem Album „ABCDEFG“ ein Lied veröffentlicht, das „Wagner at<br />
the Opera“ heißt. Es erzählt die wahre Geschichte davon, wie sich<br />
ein älterer Herr mit einer Nummer <strong>auf</strong> dem Arm während der Aufführung<br />
eines Streichquartetts von Richard Wagner in einem israelischen<br />
Opernhaus im Jahr 2000 <strong>auf</strong> seinen Stuhl stellt und solange<br />
eine Rassel schwingt, bis Sicherheitskräfte ihn an den Füßen aus dem<br />
Saal schleifen. Die letzte Strophe des Liedes geht so:<br />
For everyone we lost<br />
I swing the rattle loud and long<br />
I swing it ’til I drown out<br />
All the music and the songs<br />
This tattoo will last forever<br />
And my memory is long<br />
Here’s to no more playing Wagner at the opera<br />
Seit der „Reichskristallnacht“ 1937 war es lange Zeit verboten, Wagners<br />
Musik in Israel öffentlich <strong>auf</strong>zuführen und es ist immer noch ein<br />
Tabubruch. Der Grund ist einfach: Richard Wagner war ein Antisemit.<br />
Er hat das Wort „Judenfrage“ erfunden, als erster eine mögliche<br />
„Endlösung“ postuliert und mit als Musikwissenschaft getarnten<br />
Hetzschriften wie „Das Judenthum in der Musik“ und „Deutsche<br />
Kunst und Deutsche Politik“ schon im 19. Jahrhundert den ideologischen<br />
Nährboden gelegt, mit dem seine Landsleute 80 Jahre später<br />
jüdische Massengräber zusch<strong>auf</strong>elten. Wagner hat laut und öffentlich<br />
darüber nachgedacht, ob man seinen sehr viel erfolgreicheren<br />
jüdischen Kollegen Meyerbeer „nicht einfach beseitigen“ könne, um<br />
„wahrer deutscher Kunst“ Platz zu machen. Er war, streng ideologisch<br />
gesehen, ein echtes Schwein, ein narzisstisches, verblendetes Monster,<br />
das von seinem eigenen Genie so überzeugt war, dass er bis weit in<br />
seine 50er warten konnte, um es sich selbst und allen anderen endlich<br />
zu beweisen. Denn nachdem er schon andere reiche GönnerInnen um<br />
Teile ihres Vermögens und oft auch um einen Großteil ihres Anstands<br />
gebracht hatte, fand Wagner in Ludwig II. endlich einen Bewunderer,<br />
dessen Taschen tief genug waren, um seine gigantischen Träume<br />
zu finanzieren. Dann Bayreuth, Villa Wahnfried, der Ring, Hitler<br />
pro und Nietzsche contra, blah, alles hinlänglich bekannt. Im ersten<br />
Jahrzehnt des neuen Jahrtausends ist der Grüne Hügel der Ort, an<br />
dem sich das wallende Dekolleté der Kanzlerin und die Verklemmtheit<br />
des Außenministers Gute Nacht sagen, der Inbegriff bürgerlicher<br />
Spießigkeit, die es sich leistet, die jungen Wilden einzufliegen, um sie<br />
den alten Meister inszenieren zu lassen und dann zu buhen oder Tränen<br />
des stillen Dankes zu vergießen, weil man nach fünf Stunden <strong>auf</strong><br />
unbequemen Stühlen endlich wieder <strong>auf</strong>stehen darf.<br />
Wie Sie, liebe Leser, vielleicht schon merken: Ich hasse Wagner.<br />
Das was andere „Überwältigungsmusik“ nennen, gibt mir das Gefühl,<br />
jemand würfe mir über Stunden immer größer und immer schwerer<br />
werdende Torten ins längst wunde Gesicht und hätte eine diebische<br />
Freude daran. Wagner-Libretti gehören zum Miesesten, was man in<br />
sogenanntem Deutsch überhaupt lesen kann. Wo andere überschwellende<br />
Wortkaskaden ins emotional Bodenlose stürzen sehen und sich<br />
einfach mitreißen lassen, schreie ich nach einem, oder besser gleich<br />
mehreren, Lektoren. Wo manche ein sturmgelocktes Genie sehen,<br />
sehe ich einen ekelhaften, missgünstigen Zwerg, der sich bei nichts<br />
und niemandem in seinem Leben je beherrscht hat und Glück genug<br />
hatte, nützliche, meistens relativ kaputte Idioten zu finden, die ihm<br />
seinen Irrsinn zu Lebzeiten bezahlten, um den nach seinem Tod noch<br />
zum Kult auszubauen. Wäre Wagner ein Roman, er hätte 6000 wirre<br />
Seiten und niemand würde ihn lesen, weil man so viel selbstverliebtes<br />
Gerede eben überhaupt nur mit musikalischer Untermalung aushält.<br />
Ich kenne niemanden, der Wagner wirklich verehrt, von dem ich<br />
nicht finde, dass er in Therapie gehört. Wagner ist Folter und Men-<br />
schen, die Wagner lieben, lassen sich gerne foltern. Womit wir bei<br />
Stephen Fry wären.<br />
Denn der hat einen Dokumentarfilm gedreht, der Wagner & Me<br />
heißt, in dem er ein paar hoch interessante Fragen <strong>auf</strong>wirft: Darf man<br />
als Jude – und Fry ist einer – Wagner lieben? War Wagner überhaupt<br />
ein Antisemit? Hat Hitler Wagner einfach nur falsch verstanden?<br />
Lässt sich ein künstlerisches Werk von seinem Verursacher trennen?<br />
Meine Antwort <strong>auf</strong> all diese Fragen ist in der Reinfolge: Ja, Ja, Nein<br />
und noch nicht, Fry macht es sich nicht ganz so einfach. Allerdings<br />
offenbart der einzig wahre Erbe von Peter Ustinov in anderthalb<br />
Stunden unabsichtlich, dass auch er in seiner Liebe zu Wagner vernünftigen<br />
Argumenten längst nicht mehr zugänglich ist, besonders<br />
nicht den eigenen. Was den Film zu einem spannenden, aber letztendlich<br />
gründlich schiefgegangenen Experiment macht.<br />
Von vorn: Fry spaziert – ganz der schwule, englische Bonvivant<br />
– über den Grünen Hügel, berichtet von seinen ersten, frühen Begegnungen<br />
mit Wagners Musik und der daraus resultierenden Verehrung,<br />
möchte gern endlich auch eine Wagner-Oper am Ort ihrer Entstehung<br />
sehen, besucht schüchtern die Proben, schüttelt erschüttert<br />
die Hand der Festivalleiterin und fragt sich und den Zuschauer die<br />
ganze Zeit, ob er als Jude hier sein darf oder ob er dabei die Seinigen<br />
verrät. Das ist süß, aber auch ein bisschen peinlich. Weil Fry so gern<br />
fry spaziert – ganz der schwule, englische<br />
Bonvivant – über den grünen hügel<br />
kino<br />
dazugehören möchte, dass er eine Swastika und das Bild ermordeter<br />
Juden in der neuen Ring-Inszenierung zu einer ernsthaften Auseinandersetzung<br />
mit dem antisemitischen Gehalt von Wagners Schriften<br />
hochjazzt; weil er sich im Wesentlichen nur Protagonisten sucht,<br />
die ihm in seiner Sinnsuche zustimmen; weil er nach Nürnberg fährt,<br />
wo er versucht, Hitler und Wagner auseinander zu dividieren, sich<br />
aber gleichzeitig nicht traut, die Führerkanzel zu betreten, von der<br />
Hitler Wagner-Aufführungen abnahm; weil er sich in Russland einen<br />
Regisseur sucht, der ihm natürlich sagt, Wagner sei universell, nicht<br />
deutsch; weil er KZ-Überlebende besucht, die im Lager im Orchester<br />
arbeiten mussten und sie fragt, ob denn da auch Wagner gespielt<br />
worden sei; weil er zum Schluss vor der Wagner-Büste in Bayreuth<br />
beschließt, Wagners Musik sei, Wagner hin oder her, eben doch „On<br />
the side of the angels“ und grundgut. Grundgütiger! Man schämt<br />
sich als Außenstehender hinlänglich für so viel Naivität, bewundert<br />
Fry aber auch ein bisschen für sein Beharren <strong>auf</strong> dem gewünschten<br />
Ergebnis, egal, was so gesagt wird. Und fragt sich immer lauter,<br />
warum er dabei so einen Bogen um seine Sexualität macht.<br />
Denn aus dem zweiten Band seiner Memoiren „The Fry Chronicles“<br />
kann man erfahren, dass es sein erster Freund war, der Frys<br />
„Wagner education“ vervollständigte, indem er ihn eine Woche nach<br />
London einlud, in der sie gemeinsam den Ring sahen. „A life changing<br />
event“ nennt unser Stephen das. Ich wage das anzuzweifeln.<br />
Ich glaube, dass viele schwule Männer – und Fry ist einer – Wagner<br />
deshalb lieben, weil er so gut in ihr Leben passt. Ohne allzu sehr<br />
psychologisieren zu wollen: Wagner muss sich hier seinen Platz gar<br />
nicht suchen und dabei raumgreifend die Ellenbogen ausfahren: Das<br />
Gefühl, nicht dazuzugehören, die riesige emotionale Leerstelle, die<br />
nach Auffüllung schreit, der Hang zum Überschwang, das Bedürfnis,<br />
einer verschworenen Gemeinschaft anzugehören, es ist bei vielen<br />
von uns alles schon da. So auch bei Fry, den man als smarten, unfassbar<br />
gebildeten Fortsatz von Oscar Wilde und als „the smartest living<br />
Englishman“ (The Guardian) sehen kann, aber in seinen Selbstentäußerungen,<br />
seiner Drogensucht, seinem komplizierten Sexleben, seinem<br />
Hang zu Bonmot und ständiger Ironisierung, seiner Schüchternheit<br />
und der permanenten Behauptung, er sei eben bloß Entertainer,<br />
31
kino<br />
kein wirklicher Künstler (dafür sei er einfach<br />
nicht selbstbewusst genug), als relativ typischen<br />
schwulen Mann in der zweiten Hälfte<br />
des 20. Jahrhunderts. Wagnerverehrung<br />
passt zu Frys Persönlichkeitsbild wie der<br />
Arsch <strong>auf</strong> den sprichwörtlichen Eimer. Dass<br />
er sich die Frage stellt, ob er das überhaupt<br />
darf, was er da doch längst macht, ist nur ein<br />
weiterer Beleg dafür, dass er sich das eigene<br />
Leben ständig von außen bestätigen lassen<br />
muss. Emanzipiert ist anders.<br />
Damit mich niemand missversteht: Ich<br />
verehre Stephen Fry, zutiefst. Ohne Wilde,<br />
Peter’s Friends, Kingdom, seine Romane, seine<br />
Zusammenarbeit mit Hugh Laurie und vieles<br />
andere aus seinem umfangreichen Werk wäre<br />
mein Leben und das vieler, vieler anderer<br />
Menschen deutlich ärmer. Er ist, auch wenn<br />
er das nicht gerne hören würde, selbst ein<br />
komisches Genie und einer der wichtigsten<br />
schwulen Männer der letzten 50 Jahre, künst-<br />
lerisch und für die Bewegung. Nur macht ihn<br />
das eben nicht unfehlbar. Und Wagner & Me<br />
ist ein Fehler, und zwar ein großer. Weil die<br />
Fragestellung so falsch ist. Wie so oft sollte sie<br />
nicht lauten: „DARF ICH als Jude (und schwuler<br />
Mann) etwas tun (zum Beispiel Wagner<br />
hören)?“, womit man die Beweislast bei sich<br />
ablädt und selbstzerfleischend eine Antwort<br />
finden muss, sondern: „Hat etwas (zum Beispiel<br />
Wagner) mir als Jude (und schwulem<br />
Mann) ETWAS ANZUBIETEN, das mein<br />
Leben bereichert?“, was einen dazu führen<br />
kann, die Filetstücke von Wagner benutzen<br />
zu dürfen, weil es Spaß macht, und den Rest<br />
in den Fleischwolf der Geschichte werfen zu<br />
können. Frys Frage erlaubt es ihm letztendlich<br />
nicht, Wagners Leben vom Zuhörer, also<br />
sich selbst, zu trennen, weil die Beweiskette<br />
„Wagner = Antisemit = untauglich für Juden“<br />
in ihr schon enthalten ist. Das ist schade, aber<br />
macht auch nichts.<br />
FiLM KiNO text (2)<br />
Denn wer von Wagner keine Ahnung<br />
hat, kann Wagner & Me auch als kleines Fry-<br />
Festival der guten Laune gucken. Wenn er<br />
durch <strong>Neu</strong>schwanstein stolziert und Ludwig<br />
II bescheinigt, „den bizarrsten Fanbrief der<br />
Welt“ gebaut zu haben, wenn er Eva Wagner<br />
<strong>auf</strong>lauert und sie ihm sagt: „I think that’s all<br />
just happening in your own head, dear Stephen“,<br />
wenn er, während sie flieht, beseelt in<br />
die Kamera lächelt und sagt: „I just touched<br />
a Wagner, I really did“, und an 50 anderen<br />
Stellen, wird eine kindliche Sehnsucht spürbar,<br />
die man in jemandem, der <strong>auf</strong> die 60<br />
zugeht, nicht vermuten würde. Wagner ist<br />
Stephen Frys Boyband. Und seine Verehrung<br />
für den bösen, alten Mann genauso schlicht<br />
und deswegen untauglich für tiefere Analysen<br />
wie die vieler anderer schwuler Männer<br />
für Joe McIntyre oder Marky Mark. Dass er<br />
es trotzdem versucht, gereicht ihm zur Ehre,<br />
ist aber eigentlich völlig unnötig, weil Fry<br />
nur versucht, Wagner für sich mundgerecht<br />
zu machen, ihn „reinzuwaschen“ von Hitler<br />
und den Juden und allem, was damit zusammenhängt.<br />
Das versuchen Fans jetzt seit 60<br />
Jahren, die ernsthafte wissenschaftlich historische<br />
Auseinandersetzung mit dem Phänomen<br />
füllt längst Regale. Und ist immer von<br />
der einen Haltung geprägt: Ja, Wagner war<br />
Antisemit, aber doch nicht wirklich oder nur<br />
ein bisschen, und er war damit im 19. Jahrhundert<br />
in Europa ja weiß Gott nicht alleine,<br />
und das hat doch mit der Musik alles nichts<br />
zu tun, und er war ja lange tot, als Auschwitz<br />
<strong>auf</strong>gemacht hat, und eigentlich ist ja Cosima<br />
die Böse und Orff und Strauß waren ja auch<br />
nicht besser und werden auch in Israel<br />
gespielt, und das ist doch alles lange her, und<br />
das geht dann tausende Seiten lang relativierend<br />
so weiter. Geschenkt. Wagner war Antisemit.<br />
Er hat „Das Judenthum in der Musik“<br />
1950 unter Pseudonym veröffentlicht und 20<br />
Jahre später unter eigenem Namen noch einmal,<br />
nur in verschärfter Form, er hatte genau<br />
solche jüdischen Freunde wie Ronald Reagan<br />
oder Bush jr. schwule Freunde haben, und die<br />
Wirkungen lassen sich von den Hebeln eben<br />
nicht trennen, ohne dass man die Maschine<br />
kaputt macht. Wagner & Me ist ein Lehrstück<br />
darin, dass man sich nicht wundern<br />
darf, wenn man als Letzter gebissen wird,<br />
wenn man die alten, schlafenden Hunde der<br />
Geschichte weckt und versucht, ihnen neue<br />
Tricks beizubringen. s<br />
wagner & Me<br />
von Stephen Fry<br />
GB 2010, 89 Minuten, englische OF<br />
mit deutschen UT<br />
Film Kino Text, www.filmkinotext.de<br />
Im Kino<br />
ab 21. Juni 2012<br />
der Moment<br />
SchriftSteller Sehen filme: thomaS Böhme<br />
Der 1955 in Leipzig geborene Lyriker, Romancier, essayist und<br />
Fotograf thomas Böhme ist ein begeisterter Kinogeher. in seinen<br />
Gedichten beschäftigte er sich schon mal mit Fassbinder, in<br />
seinem Roman „Der Schnakenhascher“ wird sogar eine erotische<br />
Begegnung mit „Flipper“ geschildert. in unserer literarischen Rubrik<br />
nähert sich Böhme einigen Momenten aus Visconti-Filmen in<br />
Gedichtform.<br />
Die Bühne Luchino Viscontis ist voll von Trauernden.<br />
Doch tragen sie ihre Trauer wie Purpurmäntel<br />
und lüpfen ihre Strohhüte unter Baldachinen<br />
und schweren, mit Kerzen bestückten Lüstern<br />
deren Wachs ihnen über die Stirn rinnt.<br />
Die lautlosen Schritte <strong>auf</strong> Teppichböden<br />
die hallenden über Steinfliesen und gewachstes Parkett<br />
sind Schritte der Einsamkeit. Und dem Aroma<br />
aus zerl<strong>auf</strong>ener Schminke und heißem Begehren<br />
ist immer schon etwas Modergeruch beigemischt.<br />
Wenn der trunkene König die Bühne betritt<br />
stolpernd über die braunen Jungs von der SA<br />
drängen von Ferne das Rauschen der Ballkleider<br />
der Fischweiber wirres Gekeife und die Schüsse<br />
eines Exekutionskommandos hinein in den Saal.<br />
Wenn der Monsun den faulen Atem der Cholera<br />
über den Strand weht, eine Bettelcanzone den Abend erstickt<br />
fällt das verspätete Aufschauen von einer schlampig<br />
gefalteten Zeitung, fallen die bitteren Brillengläser<br />
der ewig Ungestillten demnach kaum ins Gewicht.<br />
der Schnakenhascher<br />
von Thomas Böhme<br />
Edition Cornelius, Halle 2010<br />
heikles handwerk<br />
von Thomas Böhme<br />
Gedichte, Poetenladen Verlag,<br />
Leipzig 2010<br />
101 asservate<br />
von Thomas Böhme<br />
Connewitzer Verlagsbuchhandlung,<br />
Leipzig 2012<br />
32 33<br />
film-flirt
wir verreisen<br />
„Hors le murs“ von David Lambert (2012)<br />
es regnet <strong>auf</strong><br />
unsere Liebe<br />
von JAn küneMund<br />
Vorschau <strong>auf</strong> kommende Attraktionen: Streifzüge durch das queere programm der<br />
internationalen Wasserfestspiele von Cannes.<br />
FiLMS BOutiQue<br />
s Regen in Cannes. Stilettos versinken in vollgesogenen roten Teppichen.<br />
Straßenhändler verlangen 30 Euro für Regenschirme, die nur<br />
einen Schauer lang halten. Wichtige Filmbranchenvertreter betreten<br />
mit Mülltüten <strong>auf</strong> dem Kopf das Carlton. Im großen Leichtbau-Aufsatz-Kino<br />
<strong>auf</strong> dem Dach des Festivalpalastes läuft gerade die Premiere<br />
von Sébastien Lifshitz’ Dokumentarfilm Les Invisibles (Wettbewerb,<br />
außer Konkurrenz), in dem bezaubernde alte Schwule und<br />
Lesben von den Stürmen erzählen, die über ihr bewegtes, offen homosexuelles<br />
Leben hinweggefegt sind – während draußen Wind <strong>auf</strong><br />
das Kino prallt, Notausgangtüren <strong>auf</strong>bläht, die Tonspur überdeckt<br />
und den sonst geübt ins sichere Schwarz eines Kinos Flüchtenden<br />
sich angreifbar und ausgesetzt fühlen lässt. In Xavier Dolans neuem<br />
Exzess Laurence Anyways (Un Certain Regard) werden handgreifliche<br />
Bilder für Überwältigungen, ein Wasserfall beispielsweise, der<br />
sich – mitten im Wohnzimmer – über eine von ihren Emotionen fortgespülte<br />
Frau ergießt, gleich mitgeliefert. In De rouilles et d’os (Wettbewerb)<br />
schließlich wird die elfenhafte Marion Cotillard von einem<br />
Wal entzweigeteilt und durch den dauererigierten Drive des Wunderkörperschauspielers<br />
Matthias Schoenaerts wieder heile gemacht.<br />
Der verwehte Zuschauer wird von Bildern mitgerissen, in denen sich<br />
buchstäblich alles überstürzt.<br />
Wie fragil ein Menschenleben ist, wie augenschlagskurz das<br />
Glück, wie vergänglich das Verliebtsein, wie zerbrechlich die Normalität,<br />
wie zart ein Körper, das brach alles als Komplex banger<br />
Fragen des queeren Filmprogramms der stürmischen Filmfestspiele<br />
von Cannes und seiner Marktvorführungen über einen herein, wenn<br />
man sich dem äußeren Sturm und den inneren Angriffen auszusetzen<br />
traute. Wie naturgemäß schwankend die Temperaturen der Filme<br />
selbst auch ausfielen, ausruhen, fallen lassen in abgesicherte Identitätserzählungen<br />
konnte man sich nie.<br />
Zu bösartig und abgrundtief verständnislos reagiert die Umwelt<br />
<strong>auf</strong> die Geschlechtstransformation von Laurence, die Cannes-Darling<br />
Dolan drei Stunden lang in eruptiven hysterischen Anfällen durchexerziert.<br />
Um die Entscheidung geht es, die in einer Autowaschanlage<br />
der verstörten Freundin präsentiert wird, und einen Weg zurück gibt<br />
es danach nicht mehr. Wird die Beziehung halten, das ist die Frage,<br />
wird das nonkonforme, punkige, hübsche, junge Paar zusammenbleiben,<br />
wenn sich die Körper und die inneren Koordinaten ändern, wenn<br />
man plötzlich gemeinsam aus der Welt fällt und die eigene dagegen<br />
noch gar nicht entworfen hat. Dolans oberflächliche und doch so<br />
gefährdete Bilder werden nie zum Schutzraum für seine Geschichte,<br />
keine zweite Haut für den makellosen Jungen, der zur Frau mit Makel<br />
wird. Melvil Poupaud, der glatteste unter den schönen jungen französischen<br />
Schauspielern, ist in seiner plötzlichen Angreifbarkeit kaum<br />
auszuhalten. Der Film kommt nicht von der Stelle, wächst <strong>auf</strong> dieser<br />
Stelle aber über sich hinaus. Wieder liegt ihm ein narzisstisches<br />
Begehren als greller Fixpunkt zugrunde, doch findet er in der Figur<br />
der Frau, die sich leidenschaftlich an ihm abarbeitet, einen grandiosen<br />
Widerspruch.<br />
Ein ganz anderes Paar versinkt in Hors le murs (Semaine de la<br />
Critique) im Strudel seiner Unmöglichkeit. Iliar, Bassist und Kellner,<br />
Post-Coming-Out-Posterboy, legt sich einen betrunkenen Kneipengast<br />
ins Bett, der sich ab sofort mit (porzellanheller) Haut und (blonden)<br />
Haaren kompromisslos an ihn hängt. Paulo ist ein Irrlicht, ständig<br />
<strong>auf</strong> der Suche nach Menschen, die sich um ihn kümmern, doch in<br />
dieser Suche so klar und entschieden, dass Maß und Realismus keine<br />
Größen mehr für ihn darstellen. Wie Matila Malliarakis das spielt,<br />
hat man noch nicht gesehen, ein Strich in der Landschaft, der für das,<br />
was er will, durch Wände zu gehen gewohnt ist und plötzlich damit<br />
klarkommen muss, dass manche Wände ihm standhalten. Was als<br />
charmante Liebesgeschichte anfängt, die für alle Standards (erster<br />
Kuss, erster Sex, erster Zweifel) tatsächlich neue Bilder findet, erhält<br />
in der zweiten Hälfte einen furchtbar traurigen Sog, der dennoch<br />
ganz aus der schönen Eigensinnigkeit der Figuren entwickelt wird.<br />
Aufgewühlt lässt man sich danach vom warmen Regen <strong>auf</strong> der Croisette<br />
weiter <strong>auf</strong>weichen.<br />
Lauter Liebes-Zerreißproben auch in den versteckten Vorführungen<br />
der noch nicht öffentlich präsentierbaren Filme. Da können<br />
zum Beispiel ein israelischer Anwalt und ein palästinensischer Student<br />
einfach nicht ankommen gegen Homophobie, Polizeigewalt,<br />
Erpressung, Mütter, Grenzen, Strukturen. Eine Liebe <strong>auf</strong> den ersten<br />
Blick, eine Beziehung mit letzter Kraft. Woanders hat Eytan Fox seine<br />
Geschichte von Yossi weitererzählt, der sich einst in den Soldaten<br />
Jagger verliebte und diesen durch eine Mine verlor, seitdem in Traurigkeit<br />
versunken, dick, ängstlich, lebensunlustig geworden ist – bis<br />
er einen findet, der diesen Panzer (vielleicht) zu durchbrechen vermag.<br />
Es gibt eine Brokeback-Mountain-Szene darin: wie Yossi zufällig<br />
Jaggers Mutter trifft, sich an deren Wohnzimmertisch setzt, nicht<br />
anders kann als die Liebe zu ihrem toten Sohn zuzugeben, diesen<br />
damit posthum zu outen und alle in seinen Traurigkeitsstrudel mitzureißen<br />
– bis Jaggers Vater die Initiative ergreift und Yossi in Jaggers<br />
unberührtes Jugendzimmer lässt, als stilles Zeichen des Mitgefühls.<br />
Ganz woanders, in einem Film, der noch gar nicht fertig ist, wird<br />
die Liebe zweier kubanischer Jungs schlicht und einfach dadurch<br />
erdrückt werden, dass sie kaum was zu essen haben, die Bedürfnisse<br />
ihrer Familien, ihrer Frauen und ihrer Freier befriedigen müssen und<br />
gar keine Möglichkeiten haben, ihren eigenen nachzugehen. Was <strong>auf</strong><br />
Soap-Niveau erzählt wird, aber zwischendurch eine ungeheure Komplexität<br />
erreicht, in der er diese beiden zerbrechlichen Jungs handlungsunfähig<br />
macht, ohne ihnen seine Liebe zu entziehen.<br />
Und dann gab es da noch im windstillen Raum eines kleinen<br />
Innenstadt-Kinos die Komödie eines lebensunfähigen schwulen<br />
Wirrkopfs, der zu allem Überfluss von traurigen Geistern heimgesucht<br />
wird. Die Geschichte liegt so schief wie ihr Held, aber es kommen<br />
immer wieder Bilder an die Oberfläche, die man vor lauter Verrücktheit<br />
gar nicht an die stürmische Luft lassen möchte. Ein riesiger<br />
Keller voller alternder Transsexueller, die an Nähmaschine sitzen<br />
und über das geheime Wissen der Stadt verfügen, zum Beispiel.<br />
Dass man am Ende in einem Film landet, der in einem Hotel spielt,<br />
an dem ein Hochwasser tragender Mekong vorbeifließt, scheint geradezu<br />
zwangsläufig zu sein. Der Regisseur Apichatpong Weerasethakul<br />
instruiert einen Gitarristen zu einer langen Probe melancholischer<br />
Folksongs, schlägt seinem Lieblingsschauspieler vor, das sexy<br />
Disco-Shirt und die Jeans mit der großen Schrittwölbung für den<br />
Film (Mekong Hotel, Wettbewerb, außer Konkurrenz) anzuziehen,<br />
lässt in einer Dreiergeschichte dann einen Eingeweide fressenden<br />
Geist die Menschenkörper wechseln und entlässt uns am Ende mit<br />
einem Ballett mehrerer Wasserscooter, die den großen schnellen<br />
Fluss im Sonnenuntergang vermessen. Spätestens hier ist man so<br />
hypnotisiert, dass man willenlos in den Fluss springen und sich heraustreiben<br />
lassen möchte aus dem durchnässten Chichi des Festivals.<br />
Wer am Ende die „Queer Palm“, den queeren Filmpreis des Festivals,<br />
gewonnen hat, stand zu Redaktionsschluss noch nicht fest. s<br />
34 35<br />
wir verreisen
dvd dvd<br />
frühreif in<br />
dänemark<br />
von dino heicker<br />
Der dänische Coming-Out-Film „Freunde für immer“ („Venner for altid“) verursachte<br />
1987 einen ziemlichen Wirbel in der internationalen Festivalszene. unter anderem<br />
waren eine eurovision-Song-Contest-teilnehmerin und ein Handballprofi in recht<br />
offenherzigen Sexszenen mit ziemlich jungen Männern zu sehen. 25 jahre später<br />
kommt dieser verhinderte Klassiker der queeren Filmgeschichte endlich <strong>auf</strong> VHS raus.<br />
Quatsch … <strong>auf</strong> <strong>DVD</strong> natürlich.<br />
s Wieder so eine Herausforderung im Auftrag der SISSY: Ich<br />
bekomme eine Videokassette zugeschickt und kann mich erst einmal<br />
<strong>auf</strong> die Suche nach einem geeigneten Abspielgerät machen. Glücklicherweise<br />
gibt es in meinem Bekanntenkreis noch Männer mit dem<br />
nötigen Equipment. Nachdem nun der <strong>DVD</strong>-Player aus- und der<br />
Videorekorder eingestöpselt ist, kann die Kassette ihrer Bestimmung<br />
zugeführt werden. Auf der Hülle prangt ein handschriftlicher Vermerk<br />
in rot: „Mutter! Nicht rausgeben!“ Na, wenn das nicht verheißungsvoll<br />
klingt! Schauen wir also mal, was diese Mutter aller Videotapes<br />
so über die Zeiten gerettet hat.<br />
Zu Beginn des Films Freunde für immer kommt ein junger Mann<br />
neu an eine Schule. Zur Begrüßung fliegt ihm <strong>auf</strong> dem Pausenhof<br />
ein gelber Tennisball an den Kopf. Ein properer Blondschopf hat ihn<br />
geworfen, der lacht, nicht unfreundlich. Der <strong>Neu</strong>e verzieht keine<br />
Miene. Sein Name: Kristian Malmquist (Claus Bender Mortensen),<br />
Ort der Handlung: Dänemark, genauer Kopenhagen, Zeit: 1987.<br />
Als Kristian versucht, sich an der neuen Schule zurechtzufinden,<br />
gerät er in einen Zwiespalt. Da ist zum einen die Clique um den Schulhofrabauken<br />
Patrick (Thomas Sigsgaard), zum anderen der Einzelgänger<br />
Henrik (Thomas Elholm) mit Pferdeschwanzfrisur, der sich<br />
in Tai Chi übt und den die Klassenkameraden als Schwuchtel verspotten.<br />
Zwar fühlt sich Kristian zunächst zu Henrik hingezogen,<br />
hat aber Angst, er könne durch sein Faible für den gemobbten Mitschüler<br />
selbst zum Außenseiter werden. Also schließt er sich immer<br />
stärker Patrick und seinen Kumpeln an. Deren Gespräche drehen sich<br />
hauptsächlich um Mädchen beziehungsweise den Sex, den die Jungs<br />
in aller Regel noch nicht hatten, was sie aber nie zugeben würden.<br />
Ein schöner Effekt des Films ist, dass sich letztlich nicht der<br />
zu allem Überfluss auch noch als Fotomodell jobbende Henrik als<br />
schwul herausstellt, sondern der kerlige Patrick. Er ist es, der in Stefan<br />
Henszelmans Film Kristians Freund für immer wird, und die beiden<br />
jungen Männer entdecken zur selben Zeit die Liebe – der eine<br />
hetero-, der andere homosexuell.<br />
Wer heute an Dänemark denkt, hat häufig ein in sexuellen Dingen<br />
liberales Land vor dem geistigen Auge: Porno (in welcher Form auch<br />
immer) und Dänemark waren für die 1970er-Jahre quasi Synonyme.<br />
Das hatte mit der Gesetzgebung des Landes zu tun, in dem Pornografie<br />
1969 freigegeben wurde, was dazu führte, dass bis Mitte der<br />
1970er Jahre beinahe ein Drittel aller dänischen Filme mit Soft- oder<br />
Hardcoreszenen <strong>auf</strong>warteten. Doch so unverklemmt ging man dortzulande<br />
mit Sexualität nicht immer um, schon gar nicht, wenn es sich<br />
um Homosexualität handelte.<br />
So hat der berühmte dänische Schriftsteller Herman Bang seine<br />
eigene homosexuelle Veranlagung beziehungsweise das durch die<br />
gesellschaftliche Stigmatisierung derselben hervorgerufene Leiden<br />
in seinen Werken mehrfach chiffriert thematisiert. Ein Beispiel<br />
dafür ist sein Roman „Michael“ von 1904, in dem ein älterer Maler<br />
sein junges Modell Michael derart verehrt, dass er ihm jede neue Enttäuschung<br />
großherzig verzeiht, ja ihm schließlich sogar sein gesamtes<br />
Hab und Gut vermacht. In diesen Roman flossen nicht zuletzt<br />
eigene schmerzliche Erfahrungen des Autors mit einer schwulen Liebesbeziehung<br />
ein, die ihn mit dem jungen Schauspieler Fritz Boese<br />
verbunden hatte. Doch Bang beließ es nicht nur bei der literarischen<br />
Camouflage seines Begehrens. Anno 1909 machte sich der Schriftsteller<br />
expressis verbis „Gedanken über das Sexualitätsproblem“. Dieser<br />
gemeinsam mit seinem Berliner Arzt Max Wasbutzki <strong>auf</strong> Deutsch<br />
verfasste Text sollte, so Bangs Forderung, nach seinem Tod in einer<br />
ärztlichen Zeitschrift erscheinen. Nach jahrelangen Streitereien<br />
mit den Erben des 1912 verstorbenen Schriftstellers erschien der<br />
Text 1922 in einem <strong>auf</strong> sexualwissenschaftliche Texte spezialisierten<br />
Verlag in Bonn, während er in Dänemark erstmals 1957 in einer<br />
,Erotischen Anthologie‘ veröffentlicht wurde. Darin heißt es unter<br />
anderem: „Größeres wird der homosexuelle Dichter leisten können,<br />
wenn eine Zeit kommen wird, wo er seine Gefühle direkt auszudrücken<br />
wagt; wenn er die jetzt nötige Verkleidung überhaupt <strong>auf</strong>geben<br />
könnte, würde er erst die volle Ursprünglichkeit und die vollkommene<br />
Stärke seines Talents entfalten können.“ Dass diese Möglichkeit<br />
zu Bangs Lebzeiten nicht bestand, versteht sich von selbst. Es sollte<br />
aber noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein dauern, bis zumindest<br />
in Europa und Nordamerika die Möglichkeiten für schwule Künstler<br />
vorhanden waren, einigermaßen offen mit ihren Gefühlen umzugehen<br />
und diese kreativ umzusetzen. Bei dieser Entwicklung spielten<br />
nicht zuletzt auch skandinavische Filmemacher von Anfang an eine<br />
wichtige Rolle. So drehte beispielsweise der schwedische Regisseur<br />
Mauritz Stiller 1916 den Film Vingarne, der heute Anspruch dar<strong>auf</strong><br />
erheben kann, einer der ersten Filme mit (dezent) schwuler Thematik<br />
zu sein. Vorlage zu dem nur noch fragmentarisch erhaltenen Streifen<br />
war Bangs Roman „Michael“. Carl Theodor Dreyer, einer der größten<br />
dänischen Regisseure, sollte dann acht Jahre später für die deutsche<br />
Ufa diesen Stoff nach einem zusammen mit Fritz Langs Gattin Thea<br />
von Harbou verfassten Drehbuch neu verfilmen, Walter Slezak spielte<br />
damals den begehrten jungen Mann.<br />
Dass die Verhältnisse in den 1980er-Jahren in Dänemark für<br />
schwule Männer besser, jedoch keineswegs perfekt waren, auch das<br />
macht Freunde für immer deutlich. Das dem Film vorangestellte englische<br />
Motto „Innocence is no excuse“ ist Programm. So reagiert der im<br />
doppelten Sinne ,unschuldige‘ Kristian – anfangs ist er ebenso unberührt<br />
wie unbedacht – hochgradig verstört, als sein bester Freund<br />
Patrick vor seinen Augen mit dem älteren Mads knutscht. Letzterer<br />
wird übrigens von dem Handballprofi und Olympioniken Morten Stig<br />
Christensen dargestellt. Prompt rückt Kristian von seinem Freund ab<br />
und lässt sich <strong>auf</strong> einen One-Night-Stand mit einer reifen Sängerin<br />
(Lill Lindfors) ein, die ihn <strong>auf</strong> ihrem Hotelzimmer vernascht. Auch<br />
damit verweist der Film <strong>auf</strong> Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit:<br />
1976 war in Dänemark das Schutzalter für männliche Jugendliche<br />
<strong>auf</strong> 15 Jahre gesenkt worden, wovon eben nicht nur schwule<br />
Männer profitierten.<br />
Und dass bei aller Liberalität der Gesetzgebung die gesellschaftliche<br />
Wirklichkeit für Schwule in Dänemark Ende um 1985 durchaus<br />
noch so ihre Diskriminierungen bereithielt, wird ebenso wenig<br />
verschwiegen. Auf einer Veranstaltung zur beruflichen Orientierung<br />
outet sich Patrick vor der versammelten Schülerschaft. Auf die allgemein<br />
gehaltene Frage nach besonderen Qualifikationen lautet seine<br />
Antwort, er sei schwul. Prompt gerät der Referent ins Stottern und<br />
die Schuldirektorin löst die Versammlung kurzerhand <strong>auf</strong>. Immerhin<br />
führt dieser Vorfall bei Kristian dazu, sich mit Patrick zu solidarisieren<br />
und eine Flugblattaktion <strong>auf</strong> die Beine zu stellen, um das Fehlverhalten<br />
der Schulleiterin öffentlich zu machen. So ist seine Freund-<br />
schaft mit Patrick zwar gerettet, doch wie es mit seinem Verbleib<br />
an der Schule aussieht, bleibt offen. Indem alle Darsteller in bunten<br />
Kostümen <strong>auf</strong> einer Bühne im Park gemeinsam ein Lied anstimmen,<br />
endet der Film einigermaßen surrealistisch im Stil der Musikvideos<br />
jener Zeit.<br />
Für einen kurzen Augenblick ist in diesem fröhlichen Treiben<br />
auch Regisseur Henszelman zu sehen, dessen erster Spielfilm Freunde<br />
für immer war. Zwei Jahre zuvor hatte der Absolvent der dänischen<br />
Filmhochschule, die er zeitgleich mit Lars von Trier besucht hatte,<br />
mit dem Kurzfilm Try To Remember <strong>auf</strong> sich <strong>auf</strong>merksam gemacht,<br />
seiner Examensarbeit, die 1985 auch <strong>auf</strong> der Berlinale vorgestellt<br />
wurde. Sein zweiter, 1989 gedrehter Spielfilm Dagens Donna sollte<br />
dann einmal mehr homoerotische Verwicklungen zum Inhalt haben,<br />
wobei hier zwei liebende Frauen im Mittelpunkt standen. Im selben<br />
Jahr war Dänemark dann auch weltweit das erste Land, das gleichgeschlechtliche<br />
Partnerschaften zuließ. Henszelman blieb jedoch keine<br />
Zeit für weitere Filme, er starb am 2. Oktober 1990 im Alter von 31<br />
Jahren an den Folgen von Aids. s<br />
freunde für immer<br />
von Stefan Henszelman<br />
DK 1986, 94 Minuten, dänische OF<br />
mit deutschen UT<br />
ab august <strong>auf</strong> dVd<br />
bei der Edition Salzgeber,<br />
www.salzgeber.de<br />
36 37<br />
eDitiON SALZGeBeR (2)
dvd<br />
gute alte<br />
hipsterschule<br />
von JAn küneMund<br />
„er war schwul, er nahm Drogen, er erschoss seine Frau und<br />
er sah nicht allzu gut aus.“ Diese Steilvorlage in indirekter<br />
Schmährede von john Waters macht sich der porträtfilm<br />
„William S. Burroughs – A Man Within“ zum programm, um<br />
Nostalgikern und unwissenden den ultimativen schwulen<br />
Rebellen und Antispießer der modernen Literatur vorzustellen.<br />
Wir können nicht anders, als in diesen Heldengesang<br />
einzustimmen. On the Road, à la recherche du temps perdu,<br />
sozusagen<br />
s Auf einer gymnasialen Studienfahrt Anfang der 90er (neun Tage<br />
Paris), drückte mir mein Heterofreund, der damals <strong>auf</strong> Lou Reed<br />
und Velvet Underground stand, „Naked Lunch“ von Burroughs in die<br />
Hand. Schon <strong>auf</strong> der Hinfahrt im Bus fing ich an zu lesen. Später lasen<br />
wir beide das Buch laut vor, damit auch unser Zimmergenosse, der<br />
Sitzenbleiber aus der Hippiefamilie, was davon hatte. Während die<br />
Mädchen aus der Klasse nach Eurodisney wollten, zu Dönald Döck,<br />
verließen wir das unromantische Hostel im chinesischen Viertel, um<br />
um 11 Uhr morgens in einem Kellerkino am Centre Pompidou Trash<br />
von Warhol/Morrisey zu sehen, danach wahlweise den toten Jim<br />
Morrison oder den toten Oscar Wilde zu besuchen und jeden Mittag<br />
im gleichen Imbiss einer alten Vietnamesin schlecht zu essen. „Naked<br />
Lunch“ half uns sehr bei diesem Alternativprogramm. Mein Heterofreund<br />
wollte danach Schriftsteller werden. Das Hippiekind Drogen<br />
nehmen. Und ich schwulen Sex haben. Das war alles so schnell<br />
vor Ort nicht umsetzbar.<br />
Aber Freiräume taten sich <strong>auf</strong>, Gegengifte zum westdeutschen<br />
Kleinstadtleben zwischen Mathe-Dreiminus und Jägermeistercolaparties,<br />
Ahnungen, was das ultimativ Gegensätzliche zu den Anforderungen<br />
des noch überschaubaren Lebens sein könnte. Ich jedenfalls<br />
„studierte“ gerade schwule Sexszenen bei Genet und Pasolini<br />
und hatte dadurch einen erweiterten Literaturbegriff. Und Glück mit<br />
meinen Heterofreunden, denn ansonsten las man ja damals eher den<br />
schrecklichen Bukowski. Und so lag über unserer pubertären Studienfahrt<br />
also plötzlich der knarzende Ton des Beat-Literaten William<br />
S., der von Parasiten faselte, das Bewusstsein und die Sprache<br />
erweitern wollte, Jungs jagte und <strong>auf</strong> alles einen ziemlichen Hals<br />
hatte. Inspiriert davon landeten wir drei sehr bewusst in einer Pariser<br />
Schwulenbar mit nackten Kellnern, wo meine Heterofreunde ziemlichen<br />
Spaß hatten, Cocteauzeichnungen an den Wänden betrachteten<br />
38<br />
und kostenlos ausliegende Kondome einsteckten, während ich mir<br />
Burroughs-Lookalikes mit schlechten Zähnen und schlechtem Atem<br />
vom Hals hielt, denn ich war jung und hatte noch keinen Respekt vor<br />
dem Alter. Vielleicht doch erst noch ein bisschen lesen und dann was<br />
in die Praxis umsetzen, überlegte ich, während meine Heterofreunde<br />
knutschten.<br />
Ich kann diese nostalgische Erinnerung mühelos einarbeiten<br />
in das Annäherungsgewebe des Burroughs-Films von Yony Leyser,<br />
in dem sich diverse Menschen, denen Burroughs beim Anders- und<br />
Dagegen-Sein half, versuchen, einen Reim <strong>auf</strong> diesen unmöglichen<br />
Menschen zu machen und der Regisseur wiederum Bilder dafür<br />
sucht. Fantastisches Material hat er zu bieten: sachliche Waffen-<br />
und Schlangenhändler, wehmütige Freunde, lebenskluge Tunten,<br />
exaltierte Biografen wundern und spreizen sich, das hört gar nicht<br />
mehr <strong>auf</strong>, Genesis P-Orridge schürzt raunend große rote Lippen,<br />
Patti Smith singt ein Schlaflied und alle reden vom schlechten Sex<br />
und den guten Drogen des William S. Burroughs. Pope of Dope, King<br />
of Punk, Shotgun Artist. Held der Gegenkultur. Heiliger der Misfits.<br />
Gay Rights Movement? Burroughs war keinen Tag im Leben „gay“<br />
und niemals Teil einer Bewegung. Das war besser als die nervigen<br />
Hippies wie Ginsberg, findet John Waters. Und doch sind die Szenen<br />
zwischen Ginsberg und Burroughs das Berührendste am ganzen<br />
Film: „Warst du eigentlich mal sexuell an mir interessiert?“ – „Nein.“<br />
– „Aber ich war doch mal ganz süß!“ …<br />
Auf der Rückbank im Bus nach Hause, wahrscheinlich <strong>auf</strong> der<br />
Périphérique, die letzten Seiten, so laut, dass der Französischlehrer<br />
es hören konnte: „Eine dröhnende Woge von Presslufthämmern in<br />
der purpurbraunen Abenddämmerung, vergiftet vom fauligen metallischen<br />
Gestank der Abwässer … die jungen Gesichter der Arbeiter<br />
verschwimmen in der gelben Aura von Karbidlampen … geborstene<br />
Rohre ragen aus der Erde … Sie krempeln mal wieder die Stadt um.“<br />
Und jetzt? „Howl“ wird verfilmt als schlecht animierte Zensuranklage.<br />
Ausgerechnet Walter Salles dreht On The Road. Und Burroughs<br />
kriegt einen Erinnerungsfilm. Noch immer scheinen gegenkulturell<br />
interessierte Jugendliche Beatliteratur im Gepäck zu haben.<br />
Mein Heterofreund, der Schriftsteller werden wollte, hat später<br />
mal Drehbücher für Sat.1 geschrieben und organisiert jetzt alternative<br />
Stadtführungen. Über die Drogenkarriere des Hippies weiß ich<br />
nichts. Und ich schreibe über einen Film über Burroughs. s<br />
william S. Burroughs –<br />
a Man within<br />
von Yony Leyser<br />
US 2010, 87 Minuten, englische OF<br />
mit deutschen UT<br />
<strong>auf</strong> dVd bei <strong>Neu</strong>e Visionen,<br />
www.neuevisionen.de<br />
dvd<br />
39<br />
<strong>Neu</strong>e ViSiONeN
frisch ausgepackt frisch ausgepackt<br />
neu <strong>auf</strong> dVd<br />
von MAike Schultz (MS), pAul Schulz (pS) und JAn küneMund (Jk)<br />
AUf DEr SUChE<br />
De/FR 2011, Regie: jan Krüger, edition Salzgeber<br />
„Schon eine Woche lang<br />
fehlt von Simon jegliche<br />
Spur. In der Klinik, in der<br />
er als Arzt arbeitet, hat er<br />
sich Urlaub genommen,<br />
sein Appartement ist un<strong>auf</strong>geräumt,<br />
der Kühlschrank<br />
nicht geleert. Seit<br />
er nach Frankreich gegangen<br />
ist, hatte Valerie nicht mehr viel Kontakt<br />
zu ihrem Sohn. Sie hat Jens aus Berlin<br />
kommen lassen, den Ex-Freund von Simon,<br />
dem er bis zuletzt nahe stand – näher jedenfalls<br />
als ihr, der Mutter. Schon die erste Begegnung<br />
ist <strong>auf</strong>geladen von latenter Eifersucht und<br />
Misstrauen. Jens wird Valeries Verbündeter<br />
<strong>auf</strong> einer Reise ins Ungewisse, aber auch Konkurrent<br />
im Kampf um das Vorrecht an Simons<br />
Leben, der sich irgendwann beiden entzogen<br />
hat. (…) Für Jens wird die Suche zum Selbstzweck.<br />
Es geht nicht mehr darum, jemanden<br />
oder etwas zu finden, vielmehr muss der träge<br />
begehrende Leib in Bewegung gehalten, dem<br />
emotionalen Vakuum entgegengestellt werden.<br />
Im dunkelsten Bild des Films presst sich Jens<br />
an einen jungen Kerl aus dem Maghreb, den er<br />
<strong>auf</strong> dem Fußballplatz <strong>auf</strong>gegabelt hat. Doch der<br />
fremde Körper bleibt uneingenommen. Die<br />
schwarzen Augen sind für die Suchenden unlesbar.<br />
Sie stürzen hinein und verlieren sich,<br />
weil sie sich längst schon selbst <strong>auf</strong>gegeben haben.“<br />
(Gunther Geltinger in SISSY 11)<br />
DIE hAUT, IN DEr ICh WOhNE<br />
eS 2011, Regie: pedro Almodóvar, universum Film<br />
„In der Hülle eines zahlreiche<br />
Vorbilder edler<br />
und billigster Machart<br />
dieses Genres zitierenden<br />
Horror-Streifens begibt<br />
sich der Regisseur <strong>auf</strong><br />
eine Forschungsreise<br />
über und unter das größte<br />
Organ des menschlichen<br />
Körpers, die anstatt Klarheit immer weitere<br />
Fragezeichen produziert − und die, wie von<br />
Kritikerseite anlässlich der Ur<strong>auf</strong>führung in<br />
Cannes auch schon bemängelt wurde, zunächst<br />
eine geradezu wissenschaftliche Kälte<br />
ausstrahlt. Je weiter die Handlung allerdings<br />
zu ihrem Gänsehautfinale vordringt, desto<br />
mehr geht sie einem unter die Haut. Und wie<br />
40<br />
nicht selten bei Almodóvar verläuft sie nicht<br />
linear, sondern schälen sich ihre (psycho-)logischen<br />
Voraussetzungen und inneren Zusammenhänge<br />
wie beim Häuten einer Zwiebel<br />
erst allmählich in Form zahlreicher kunstvoller<br />
Rückblenden her aus. Typisch auch, dass<br />
die Geschichte nur in ihrer spezifischen filmischen<br />
Verpackung zu überzeugen vermag und<br />
in ihrer schnöden verbalen Nacherzählung<br />
geradezu haarsträubend wirkt.“ (Christoph<br />
Meyring in SISSY 11)<br />
WILLIAM S. BUrrOUGhS –<br />
A MAN WIThIN<br />
uS 2010, Regie: Yony Leyser, indigo/Good Movies!<br />
„Noch immer scheinen gegenkulturell<br />
interessierte<br />
Jugendliche Beatliteratur<br />
im Gepäck zu haben. Mein<br />
Heterofreund, der Schriftsteller<br />
werden wollte, hat<br />
später mal Drehbücher für<br />
Sat.1 geschrieben und organisiert<br />
jetzt alternative<br />
Stadtführungen.“ (Siehe Seite 38.)<br />
Off BEAT<br />
CH 2011, Regie: jan Gassmann, edition Salzgeber<br />
Rapper Lukas wird von<br />
seinem Produzenten Mischa,<br />
mit dem er auch<br />
eine Affäre hat, fallengelassen.<br />
Außerdem muss er<br />
mitansehen, wie sein<br />
Bruder Sämi <strong>auf</strong> der Bühne<br />
und bei Mischa seinen<br />
Platz einnimmt. „Der Regisseur<br />
hat seinen Spielern die zu drehende<br />
Szene jeweils mündlich erzählt und die Figuren<br />
danach miteinander konfrontiert. Diese<br />
herangehensweise habe dem Filmteam ‚immer<br />
wieder dokumentarische Geschenke beschert‘<br />
– möglicherweise <strong>auf</strong> Kosten der Dialoge. Andererseits<br />
führen die Aufnahmen mit einer<br />
sensiblen Handkamera und die Maxime, möglichst<br />
nur mit vorhandenem Licht zu drehen,<br />
zu eindrücklich düsteren, authentischen<br />
Stadtbildern, wie man sie aus der schönen sauberen<br />
Schweiz selten sieht. ‚Mich fasziniert<br />
das Unperfekte, Dreckige und selbst erlebte<br />
viel mehr als die perfekte Kamerafahrt‘, fasst<br />
Gassmann zusammen. Gepaart mit den Rapeinlagen,<br />
den Studiosessions und einem<br />
grandiosen Gesangsduell der beiden Brüder<br />
resultiert daraus ein dichter, oftmals poetischer<br />
Musik- und Milieufilm, der die tot geglaubten<br />
Keller einer geschichtsträchtigen<br />
Zürcher Subkultur wieder <strong>auf</strong>leben lässt.“ (Simon<br />
Froehling in SISSY 12).<br />
NOOrDZEE, TEXAS<br />
Be 2011, Regie: Bavo Defurne, edition Salzgeber<br />
„Die Welt, die in Noordzee,<br />
Texas kippt, ist die<br />
von Pim, der mit seiner<br />
Mutter Yvette in einem<br />
windschiefen Haus in einem<br />
kleinen Ort an der<br />
Nordseeküste wohnt,<br />
demselben Kaff, in dem<br />
auch Defurne <strong>auf</strong>gewachsen<br />
ist. Yvette ist Akkordeonspielerin und benimmt<br />
sich wenig mütterlich. Vielleicht ist ihr<br />
Kind deswegen so still. Sein bester Freund ist<br />
drei Jahre älter, heißt Gino und ist genau so,<br />
wie man sich jemanden vorstellt, der Gino<br />
heißt: Wildes schwarzes Haar über glühenden<br />
Augen, Lederjacke, Motorrad, kranke Mutter,<br />
die er sehr liebt, um die er sich aber wenig<br />
kümmert. Außerdem hat er eine Schwester, Sabrina.<br />
Sie ist ziemlich in Pim verliebt. Der<br />
merkt davon nichts, denn er hat nur Gino im<br />
Kopf, und wenn sie nachts im Zelt am Strand<br />
alleine sind oder mit dem Motorrad an einen<br />
abgelegenen Küstenstreifen fahren, hat er Gino<br />
auch noch ganz woanders. (…) Das Grundgefühl<br />
in Defurnes Werk ist, auch wenn er das<br />
vielleicht nicht gerne hört, der Wunsch danach,<br />
die Welt durch Liebe zu heilen. Es geht<br />
immer um Schmerz und die Möglichkeit, dass<br />
er irgendwann <strong>auf</strong>hört, um Sehnsucht und den<br />
Wunsch danach, dass sie gestillt werden möge,<br />
um Schönheit und die wahnwitzige Vorstellung,<br />
sie könnte von Dauer sein. Schwule Träume<br />
eben.“ (Paul Schulz in SISSY 13)<br />
ThE LOOK – ChArLOTTE rAMPLING<br />
De/ FR 2011, Regie: Angelina Maccarone, indigo / Good<br />
Movies!<br />
„Maccarone, seit ihrem<br />
Debüt Kommt Mausi<br />
raus?! und späteren<br />
Schmuckstücken wie<br />
Fremde Haut und Verfolgt<br />
verlässliche Heldin des<br />
nichtheterosexuellen Kinos,<br />
will hier nicht die Lebensgeschichte<br />
der Ram-<br />
p ling erzählen. Ihre wichtigsten Filme werden<br />
gestreift, Viscontis Die Verdammten natürlich,<br />
und die beiden François-Ozon-Werke Unter<br />
dem Sand und Swimming Pool, aber klassisch<br />
Biografisches, Anekdoten aus Kindheit und Jugend<br />
etwa, gibt es kaum. Es geht darum, wie<br />
diese Frau die Welt sieht, wie sie sich sieht, und<br />
wie wir sie sehen. Die Kühle. Das Monster. Die<br />
Verführerin. Die Künstlerin. Die Geheimnisvolle.<br />
All das ist sie und das spielt sie, im Film<br />
und im Leben. Hauptsache nicht belanglos.<br />
Lieber ein Monster als nett, sagt sie an einer<br />
Stelle, und dafür liebt man sie.“ (Daniel Sander<br />
in SISSY 11)<br />
AUSENTE<br />
AR 2011, Regie: Marco Berger, pro-Fun Media<br />
„Die Story von Ausente<br />
folgt entlang der ersten<br />
zwei Drittel einer Art<br />
queerem Lolita-Motiv:<br />
Ein junger Mann täuscht<br />
während des Schwimmunterrichts<br />
Schmerzen im<br />
Auge vor. Sein Ziel ist es,<br />
von seinem Lehrer, einem<br />
eher un<strong>auf</strong>fälligen, ruhigen Mann, zum Arzt<br />
gefahren zu werden. In seiner Inszenierung erinnert<br />
das alles an einen Thriller mit dem bekannten<br />
Motiv des unbescholtenen Menschen,<br />
in dessen Leben sich unverhofft ein Fremder<br />
einnistet, der die Freundlichkeit seines Gastgebers<br />
ausnutzt. Doch hier führt Ausente den Zuschauer<br />
in die Irre, um bald eine zweite, noch<br />
tragischere Seite zu offenbaren: Kurz nach der<br />
Konfrontation zwischen Lehrer und Schüler<br />
dreht sich die Erzählung um 180 Grad und Berger<br />
rollt alles Geschehene noch einmal neu <strong>auf</strong>.<br />
Plötzlich wird klar, dass die intime Begegnung<br />
mit dem Jungen bei Sebastián mehr Spuren<br />
hinterlassen hat als bislang verraten. Tiefe<br />
Spuren. Und so widmet sich der zweite Teil des<br />
Films den Leiden eines Mannes, in dem unverhofft<br />
eine Sehnsucht geweckt wurde, die sich<br />
nie einlösen lassen wird. Was der Film vorher<br />
spannungsvoll als ein Zu-viel an (vor allem kör-<br />
PETER KERN-<br />
COLLECTION<br />
Jeder kriegt<br />
sein Fett weg!<br />
www.fi lmgalerie451.de<br />
perlicher) Nähe kommuniziert hat, ist nun<br />
plötzlich ein Viel-zu-wenig. Allerdings ist es<br />
diese Abwesenheit von Nähe und Sex, welche<br />
die eigentliche Spannung des Filmes ausmacht<br />
und das Begehren sowohl <strong>auf</strong> der Leinwand als<br />
auch beim Zuschauer sogar noch verstärkt.“<br />
(Hanno Stecher in SISSY 12)<br />
BEAUTY<br />
ZA / FR 2011, Regie: Oliver Hermanus, pro-Fun Media<br />
Ein Familienvater aus der<br />
weißen südafrikanischen<br />
Mittelschicht entwickelt<br />
eine unausgesprochene<br />
Leidenschaft für den jungen<br />
Freund seiner Tochter.<br />
„Immer wieder verknüpft<br />
der Film<br />
Über wachungsbilder mit<br />
dem Blick von François: am Strand, an dem<br />
Christian mit einer jungen Frau liegt, in einem<br />
Restaurant, wo zwei Männer miteinander<br />
sprechen und sich küssen. Die Kamera bleibt<br />
jederzeit kalt und unbeteiligt. Sie nimmt den<br />
verrauschten Porno, in dem zwei gut aussehende<br />
Boys mechanisch miteinander ficken, mit<br />
der selben Gleichgültigkeit zur Kenntnis wie<br />
die animalisch grunzenden Männer, die es vor<br />
dem Fernseher miteinander treiben. Bevor die<br />
Figuren des Films irgendeinen Ort in einen<br />
Schauplatz von Gefühlen, Hoffnungen, Ängsten<br />
verwandeln, ist die Kamera oft schon da:<br />
Sie liegt in einem Auto, in das gleich jemand<br />
einsteigen wird, sie steht in einem Büro, das<br />
gleich einer betritt, sie hat sich schon in einem<br />
noch leeren Hotelzimmer niedergelassen. Und<br />
wenn die Filmfiguren längst schon wieder weg<br />
sind, glotzt die Kamera mit der gleichen <strong>Neu</strong>tralität<br />
in die Gegend: Ob hier gerade etwas geschehen<br />
ist, oder ob gleich etwas geschehen<br />
wird, spielt für automatische Bild<strong>auf</strong>zeichnung<br />
keine Rolle. Die erfüllten oder enttäuschten<br />
Konventionen der Montage und die erfüllten<br />
oder enttäuschten Erwartungen der Zuschauer_innen<br />
sind es, die all das mit Sinn überfluten.“<br />
(André Wendler in SISSY 13)<br />
präsentiert neu <strong>auf</strong> <strong>DVD</strong> und als Download:<br />
„amerikanisches independent-kino, wie man es so<br />
wahrhaftig schon lange nicht mehr gesehen hat.“<br />
hamburger morgenpost<br />
Prod. Sprachen subtitles Ländercode System L<strong>auf</strong>zeit Bildformat Tonformat<br />
D Deutsch English 0 NTSC 152 min 16:9, 4:3 ???<br />
1986 – 2010 English<br />
Code-free<br />
Farbe, s/w<br />
Extras: 8 pages booklet with A-Z index<br />
Dieser Bild/Tonträger ist nur für private Vorführungen bestimmt. Öffentliche Vorführung, Sendung und Vervielfältigungen<br />
jeglicher Art sind untersagt. Vermietung oder Verleih nur mit schriftlicher Genehmigung der Filmgalerie 451.<br />
© 2010 Filmgalerie 451, Berlin | Gestaltung: Moniteurs, Berlin | Screendesign + Authoring: k2film<br />
www.filmgalerie451.de<br />
Wendy (Michelle Williams) ist mit ihrem<br />
Hund Lucy <strong>auf</strong> dem Weg nach Alaska, in<br />
der Hoffnung dort einen gut bezahlten<br />
Sommer-Job zu finden. Als ihr Auto in<br />
einer Kleinstadt in Oregon seinen Geist<br />
<strong>auf</strong>gibt und das knappe Budget keine<br />
Reparatur erlaubt, sieht sich Wendy mit<br />
mehr als einem Problem konfrontiert.<br />
Denn sie wird beim Stehlen von Hundefutter<br />
erwischt, und während sie in Polizeigewahrsam<br />
ist, verschwindet auch noch<br />
Lucy.<br />
♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥<br />
„ein vollkommenheit dieses f ilms ist<br />
weder kalkuliert noch eingepaukt.<br />
es ist die stimmigkeit von lyrik.<br />
wie von selbst setzen sich ihre diskreten<br />
bilder zueinander in beziehung<br />
und schliesslich unter die haut.“<br />
frankfurter rundschau<br />
„amerikanisches independentkinogheth,<br />
wie man es so wahr-<br />
haftig schon lange nicht mehr<br />
gesehen hat.“ Hamburger morgenpoSt<br />
ISBN 978-3-941540-31-6<br />
domenica<br />
45367<br />
peter Kern-<br />
coLLection<br />
Jeder kriegt<br />
sein Fett weg!<br />
CODEPENDENT LESBIAN<br />
SPACE ALIEN SEEKS SAME<br />
uS 2011, Regie: Madeleine Olnek, pro-Fun Media<br />
Immer wenn man glaubt,<br />
so ziemlich jede queere<br />
Lovestory schon gesehen<br />
zu haben, kommt eine<br />
Idee aus den USA und beweist<br />
das Gegenteil. Auch<br />
wenn die Assoziationen<br />
bei diesem Sci-Fi-Trash<br />
nur so sprießen, ihre Mischung<br />
macht’s: Schon der Trailer wirkt, als<br />
hätte Regisseurin Madeleine Olnek eine Invasion<br />
à la Iron Sky und die Bastelfreude von Ijon<br />
Tichy mit dem Soundtrack von Raumschiff<br />
Edelweiß kombiniert. Nach einem dicken Joint<br />
vermutlich. Denn anstatt einer lesbischen Fantasie<br />
von Star-Trek-Figuren entsprechen ihre<br />
Protagonistinnen eher Nosferatus kleinen<br />
Schwestern, mit ihren Glatzen und den hoch<br />
gestellten Umhangskragen.<br />
Sie stammen vom Planeten Zots und werden<br />
zur Erde verbannt, weil ihre Gefühlswellen<br />
angeblich die Ozonschicht zerstören. Ihre Mission:<br />
Sich von Erdlingen das Herz brechen zu<br />
lassen, denn erst gefühlskalt gestellt und damit<br />
ungefährlich für das Ökosystem dürfen sie<br />
nach Hause zurück. Dabei scheint es zunächst<br />
eher abwegig, dass diese Wesen überhaupt<br />
emotional agieren. Sie verziehen keine Miene,<br />
reden monoton wie Roboter und ihr Lachen<br />
entpuppt sich beim ersten (Kino-)Date als mechanisch-lautes<br />
Ausrufen der Wörter „Ha! Ha!<br />
Ha!“ Ins Herz schließt man Zoinx, Barr und<br />
Zylar dann aber doch. Zum Beispiel, weil sie<br />
stundenlang vor einer selbstdrehenden Dessertauslage<br />
stehen. Zum Heulen, wie der ersehnte<br />
Käsekuchen sich immer wieder von ihnen fortbewegt!<br />
Und all das nur, um sich mit traurigen<br />
Szenen abzustumpfen und so das Liebesverbot<br />
zu umgehen.<br />
Kein Wunder, dass diese Low-Budget-Produktion<br />
ein Publikumshit beim Sundance Festival<br />
2011 war. Sogar Geheimagenten sowie die<br />
echte Nachricht eines Ufos über Chelsea spie-<br />
Die Lebensgeschichte<br />
von Deutschlands<br />
prominentester Hure<br />
DOMENICA DOMENICA<br />
mit der echten<br />
Domenica!<br />
♥ ♥ ♥ ♥ ♥<br />
anDrea FerréoL<br />
nicoLette Krebitz<br />
♥ ♥ ♥ ♥ ♥<br />
Hans michael rehberg<br />
christoph Schlingensief<br />
„Ein spektakulärer Film!“
frisch ausgepackt frisch ausgepackt<br />
len darin eine Rolle. Auch lesbische Klischees<br />
nimmt Madeleine Olnek klug <strong>auf</strong>s Korn: Barr<br />
und Zylar stellen Lichtjahre von der Heimat<br />
entfernt fest, dass sie eigentlich ganz gut zusammen<br />
passen, wäre da nicht Zylars unverbesserlicher<br />
Hang zur Polygamie. Und dann ist<br />
da noch Erdling Jane, die hinterm Tresen eines<br />
New Yorker Schreibwarenladens verstaubt und<br />
von der großen Liebe träumt. Da kommt Zoinx<br />
gerade richtig. Wen stören schon Kiemen und<br />
ein extravaganter Tanzstil, wenn man endlich<br />
nicht mehr allein einschlafen muss?<br />
Lisa Haas, die schon als wandelnder Geldschein<br />
im schrulligen Kurzfilm Dyke Dollar<br />
amüsierte, gibt das Nerd Girl, als spiele sie sich<br />
selbst und nicht in einer Schwarzweiß-Komödie<br />
über Außerirdische. Die, ganz nebenbei,<br />
eine der charmantesten physischen Liebesbekundungen<br />
der Filmgeschichte serviert. Kultverdächtiges<br />
Zitat inklusive: „Du hast meine<br />
Nase so zärtlich berührt, dass die Haut sich<br />
geschält hat.“ (MS)<br />
SING! INGE, SING!<br />
De 2011, Regie: Marc Boettcher, edition Salzgeber<br />
„Es gab einen Star in<br />
Deutschland, den kennt<br />
heute niemand mehr.<br />
Eine Jazzsängerin, die<br />
nur eine kaum vorbereitete<br />
Platte machen konnte,<br />
eine Diva ohne Gefolgschaft.<br />
Jemand, der zur<br />
falschen Zeit am falschen<br />
Ort war, um es mit Cole Porter zu sagen (beide<br />
wussten, wovon sie sprachen). (…) Marc Boettcher<br />
fährt unglaubliches Material <strong>auf</strong>, um vom<br />
Leben der Inge Brandenburg zu erzählen, die<br />
Leinwand quillt über davon, sie muss manchmal<br />
geteilt werden, um alles unterzubringen.<br />
Jeder wichtige Augenblick ist dokumentiert,<br />
42<br />
das ganze Nachkriegsdeutschland zieht an einem<br />
vorbei, miefige Innenstädte, anständige<br />
Bürger, Musiker mit Brille, im Anzug. Irgendwann<br />
bellt Hitler, Bomben fallen <strong>auf</strong> Vietnam,<br />
in der linken Bildhälfte dreht sich Inges erste<br />
Single ‚Goody, goody!‘ Ein Band im Schlagerfilm<br />
<strong>auf</strong> Schlittschuhen. Das alles ein liebevoller<br />
Irrsinn, aus dem immer wieder Inge Brandenburgs<br />
blitzende Augen <strong>auf</strong>scheinen, ihr<br />
riesiger Mund mit den perfekten Zähne und<br />
ihre Stimme zu hören ist, neben der alles andere<br />
sofort stillsteht und <strong>auf</strong>horcht.“ (Jan Künemund<br />
in SISSY 11)<br />
SEChS MAL VErLIEBT<br />
CH/uK/Au/uS 2009–10, edition Salzgeber<br />
„Kann man mit ziemlich<br />
willkürlichen Vergleichen<br />
tatsächlich das Staunen,<br />
den Witz, die Verwirrung<br />
und das<br />
Angemacht-Sein beschreiben,<br />
dass mich hier<br />
in sechs verschiedenen<br />
Geschichten ergreift?<br />
Muss ich nicht einfach das Besondere erwähnen,<br />
das jede einzelne davon auszeichnet? Die<br />
durchgeknallte Fischi-in-den-1980ern-Szenerie<br />
in Franswa Sharl zum Beispiel oder die verstörende<br />
emotionale Zer ris senheit, die sich am<br />
Ende von L’Ami enthüllt, nachdem man zuerst<br />
eine nette kleine Gay-Teenie-Romanze zu sehen<br />
glaubte? Die Geschichte einer Erniedrigung,<br />
die sich am Ende als Kick entpuppt<br />
(Spring), die großartige Beziehung eines Jungen<br />
und seiner Mutter, die es beide nicht erwarten<br />
können, flachgelegt zu werden (Cappuccino),<br />
die glasklar in den Bildern<br />
durchgespielte Liebesbeziehung, die der Held<br />
durch sein unsicheres Geschwätz beinahe verhindert<br />
(Bedfellows), schließlich das erotische<br />
BARNSTEINER FILM<br />
PERNILLA AUGUST<br />
LUDWIG PALMELL<br />
HUANG HE RIVER<br />
MISS<br />
KICKI<br />
EIN FILM VON<br />
HÅKON LIU<br />
AB 26. JULI IM KINO<br />
Spiel zweier Nachbarn, das zur Katastrophe<br />
führt (Blokes)? Jetzt schreibt man hier gerne<br />
sowas wie ‚eine Reise durch …‘, ‚ein Mix aus …‘<br />
oder betont ein Spektrum oder eine Spannbreite.<br />
Ich kann nur einen Kinoabend empfehlen,<br />
der zwar aus unterschiedlichen Teilen besteht,<br />
der sechs Anfänge hat, sechs Pointen und<br />
sechs Helden, den man aber trotzdem nicht<br />
durch sechs teilen möchte. Dazu hat man am<br />
Ende zu viel erlebt. Im besten Fall: sich sechsmal<br />
verliebt.“ (Richard Garay in SISSY 12)<br />
JITTErS –<br />
SChMETTErLINGE IM BAUCh<br />
iS 2010, Regie: Baldvin Z, edition Salzgeber<br />
„Die ordentliche Welt der<br />
beiden Englischschüler<br />
aus Island gerät ins Zittern,<br />
als sie sich an einem<br />
Abend nach der Kneipe<br />
atemholend unter einem<br />
Baum zu küssen beginnen.<br />
Das Ganze ist unspektakulär,<br />
dauert nicht<br />
lange, vielleicht eine Bildstörung. Der Aufschlag<br />
dann, aus der dünnen Luft dieses Nicht-<br />
Ortes einer School of English lässt, zurück in<br />
Island, scheinbar <strong>auf</strong> sich warten. Jitters<br />
schwenkt <strong>auf</strong> die Freundesgruppe Gabriels, deren<br />
Mitglieder alle, ihn mit eingeschlossen, in<br />
ihren jeweiligen jugendlichen Sommerferienalltagen<br />
Ordnung ins Chaos ihrer Lebenszeit<br />
zu bringen versuchen. Zusammengefasst, hier<br />
handelt es sich um einen Film, für den Zuschauende<br />
zwischen, sagen wir, vierzehn und<br />
neunzehn Jahren sein sollten, damit der Spaß<br />
daran am größten ist – gleich, wie ernsthaft<br />
Chaos und Ordnung im Film erzählt werden<br />
(Filmeschauen darf nicht, sondern sollte nach<br />
Möglichkeit Spaß bereiten). Dafür wurde Jitters<br />
verdientermaßen ausgezeichnet. Seine<br />
www.barnsteiner-film.de<br />
Hauptfigur ist ein Held, der zwar scheinbar<br />
nichts mit Bruno’s ‚Superhelden‘ (‚mit Superausstattung‘)<br />
gemein hat, dafür wohl aber für<br />
eine Mehrheit aller jugendlichen Zuschauenden<br />
als Identifikationsfigur dienen kann. Ich<br />
bezweifele nur, dass die Mehrheiten in duftigen<br />
Betten eines kuscheligen Schlafzimmers<br />
ihre späte Adoleszenz verbringen, sei’s drum.<br />
Coming-Out ist in dieser Coming-of-age-Geschichte<br />
dezentral. Und gerade das macht Jitters<br />
zu einer spannenden Bildstörung, die vielleicht<br />
in Klassenzimmern ausgetestet werden<br />
sollte.“ (Biru David Binder in SISSY 11)<br />
BITE MArKS<br />
uSA 2012, Regie: Mark Bessenger, pro-Fun Media<br />
Man muss Trash schon<br />
sehr, sehr mögen und ein<br />
großer Fan von campen<br />
halbnackten Vamps sein,<br />
um an Bite Marks Freude<br />
zu haben. Wenn das gegeben<br />
ist, hat man an diesem<br />
Festival des schlechten<br />
Geschmacks allerdings<br />
einen Höllenspaß, egal wie hanebüchen die<br />
„Zwei schwule Trapper treffen einen Trucker<br />
mit 30 Untoten <strong>auf</strong> der Ladefläche, die ihnen<br />
nächstens <strong>auf</strong> einem einsamen Schrottplatz die<br />
Klamotten vom Leib reißen, um sie zu<br />
vernaschen“-Geschichte auch sein mag. Denn<br />
Regisseur und Drehbuchautor Mark Bessenger<br />
schenkt sich und seinen Darstellern nichts, bis<br />
nicht auch das letzte Bisschen cineastisches<br />
Leben aus Bite Marks verschwunden ist. Der<br />
Film will eine Komödie sein, ist allerdings nur<br />
unfreiwillig komisch, es sei denn man steht <strong>auf</strong><br />
kompletten Krawall und will seine Blutsauger<br />
absolut beknackt. Aber solche Leute soll es ja<br />
geben, wie sonst wäre der Erfolg der Twilight-<br />
Reihe zu erklären? Seufz. ps<br />
Triff uns <strong>auf</strong> dem CSD<br />
und <strong>auf</strong> www.iwwit.de<br />
BULLhEAD<br />
Be 2011, Regie: Michaël R. Roskam, Rapid eye Movies<br />
Um in der Logik des Gezeigten<br />
zu bleiben, müsste<br />
man jetzt sagen: Ein<br />
kraftvoller Film! Allein<br />
die Geschichte haut einen<br />
um: Auf abgeschiedenen<br />
flandrischen Weideställen<br />
wird der Natur mit<br />
Wachstumshormonen<br />
nach geholfen, eine <strong>auf</strong> den Handel damit spezialisierte<br />
Mafia macht Geschäfte und übt<br />
Druck aus, staatliche Behörden (die „Hormonjäger“)<br />
versuchen, die illegalen Netzwerke zu<br />
durchtrennen und schleusen ihre Spitzel ein.<br />
In diesem gewalttätigen und ziemlich dumpfen<br />
Milieu wird die Geschichte eines entmannten<br />
Jungen erzählt, der seiner eigenen Natur mit<br />
entsprechenden Substanzen nachhilft und dabei<br />
zum Stier wird. Ein Fest ist das für jede<br />
Genderforscherin, zumal die Männer in diesem<br />
Film nichts anderes zu interessieren<br />
scheint als ihre Männlichkeit, ob sie nun als<br />
Gangster, Bullen, Schwule, Flamen, Wallonen,<br />
Opfer, Mörder oder Schwachsinnige agieren.<br />
Aber ob der Film selbst Eier hat, ist die Frage.<br />
Phasenweise wirkt er selbst wie nach einer<br />
Hormonbehandlung, scheint mit einer künstlichen<br />
Muskelschicht über einer ziemlich<br />
schwachbrüstigen Haltung seinen eigenen Figuren<br />
und Themen gegenüber ausgestattet.<br />
Zeitlupen, Streicherorgien, <strong>auf</strong>geputschtes<br />
Schauspiel drücken ordentlich <strong>auf</strong> die Tube,<br />
wo man sich eigentlich an den vernachlässigten,<br />
aber geheimnisvollen Landschaften und<br />
der unglaublichen Hauptfigur, die Matthias<br />
Schoenaerts so gebrochen verkörpert, satt sehen<br />
möchte. (Die schönste Szene: der Rinderzüchter<br />
in der Parfümerie). Am Ende ist das<br />
natürlich (?) eine Geschmacksfrage. Schoena-<br />
erts wurde gleich danach vom nächsten Regisseur<br />
des Testosteron-Arthauskinos engagiert<br />
– Jacques Audiards (Der Prophet) Film Rust<br />
And Bone hatte gerade in Cannes Premiere. Da<br />
geht’s nicht um Rinder, sondern gleich um<br />
Wale. Think bigger. jk<br />
LUCIAS rEISE<br />
it/ AR 2010, Regie: Stefano pasetto, pro-Fun Media<br />
Die Figuren in dieser Girlmeets-Girl-Konstellation<br />
könnten kaum unterschiedlicher<br />
sein: Die lebenslustige<br />
Lea, die in einer<br />
tristen Hühnerfabrik<br />
arbeitet, kein Geld hat,<br />
um ihr undichtes Dach zu<br />
reparieren und sich doch<br />
über jede noch so schwierige Situation mit einer<br />
witzigen Bemerkung rettet. Und Stewardess<br />
Lucia, Gattin eines reichen Arztes, die lebt<br />
wie im goldenen Käfig. Oberflächlich hat sie<br />
alles, was das Herz begehrt, doch eine Fehlgeburt<br />
und ein Selbstmordversuch machen deutlich,<br />
dass ihr Mann zwar Geld, aber kein Gehör<br />
für ihre Probleme hat.<br />
Über das Klavierspiel kommen die beiden<br />
Frauen sich näher. Lucia, deren Arzt ihr dringend<br />
rät, zu lachen und das Leben zu genießen,<br />
gibt Lea Unterricht und lässt sich nach anfänglichem<br />
Fremdeln von ihrer Impulsivität anstecken.<br />
Aus Freundschaft wird Sex, wie als Abschiedsgruß<br />
von Lea, deren Traum von einem<br />
Job als Meeresbiologin in Südamerika plötzlich<br />
erfüllt wird. Kurzerhand reist die Klavierlehrerin<br />
ihr hinterher – und muss feststellen,<br />
dass Leas Freiheitsstreben größere Folgen hat,<br />
als ihr lieb ist.<br />
In Lucias Reise steht die Liebesbeziehung zwischen<br />
zwei Frauen nicht im Mittelpunkt, sie ist<br />
nur der Katalysator eines größeren Selbstfin-
frisch ausgepackt profil<br />
dungsprozesses. Was beide verbindet, ist ihre<br />
Zerbrechlichkeit hinter vermeintlicher Stärke:<br />
Lea, die nicht im Plural denken kann, vor einem<br />
Heiratsantrag abhaut und einem Vater gefallen<br />
möchte, der sich nicht um sie kümmert.<br />
Und Lucia, die eine Diagnose verdrängt, ihre<br />
Gedanken lieber <strong>auf</strong> Zettel schreibt und diese<br />
anschließend zerknüllt, anstatt sich jemandem<br />
anzuvertrauen.<br />
Sie beide haben einen Befreiungsschlag bitter<br />
nötig. „Was verschlägt einen hierher, die Flucht<br />
vor etwas?“, fragt Lea sie, viele Kilometer von<br />
Zuhause entfernt. „Oder man folgt einem inneren<br />
Ruf, so wie wir. Nur ist der Unterschied<br />
zwischen beiden Gründen nicht immer so<br />
klar“, antwortet Lucia.<br />
In wunderschönen Aufnahmen der kargen<br />
Landschaft von Patagonien und Feuerland hadern<br />
sie mit ihrem Schicksal. Ein Happy End,<br />
das wird schnell klar, muss hier nicht zwangsläufig<br />
gemeinsam stattfinden. Zu oft schweift<br />
die Kamera zurück nach Buenos Aires, um<br />
einzufangen, was der Weggang der beiden<br />
bei den Zurückgelassenen auslöst. Nicht vom<br />
Outing-Prozess zweier Menschen, die aus heterosexuellen<br />
Verhältnissen kommen, erzählt<br />
Regisseur Stefano Pasetto. Sondern von ihrer<br />
Suche nach einem Leben, das sie wirklich führen<br />
möchten. ms<br />
LA-LA LAND<br />
uSA 2012, Regie: Casper Andreas, pro-Fun Media<br />
La-La Land ist eine Literaturverfilmung.<br />
Andy<br />
Zeffers Roman „Going<br />
Down in LA-LA-Land“ ist<br />
eine hübsche, fiese Abrechnung<br />
mit Hollywood:<br />
Adam kommt aus der Provinz<br />
in die Filmhauptstadt<br />
der USA und landet<br />
in einem Strudel aus miesen Jobs, anzüglichen<br />
Angeboten, Prostitution, Pornografie und<br />
Freunden, die nichts interessiert außer Ruhm<br />
und Geld. Ein schlimmes Leben. Aber halt, LA-<br />
LA Land ist eine Komödie mit bitteren Untertönen<br />
und lässt sich, genau wie sein Hauptcharakter,<br />
den Spaß an der Sache durch die<br />
furchtbaren Umstände nicht verderben. Regisseur<br />
und Drehbuchautor Caspar Andreas<br />
schafft den Spagat zwischen sehr, sehr unterschiedlichen<br />
emotionalen Tönen mühelos und<br />
lässt sich dabei noch nicht einmal vom nicht<br />
vorhandenen Talent seines Hauptdarstellers<br />
Matthew Ludwinski unterkriegen, der ungefähr<br />
zwei Dinge spielen kann, dafür aber bei<br />
beiden sehr hübsch aussieht. Die Nebenrollen<br />
füllen einige der bekanntesten Hollywoodhomos<br />
Amerikas, z.B. Alec Mapa und Bruce<br />
Vilanch. Ingesamt: sehr vergnüglich, stellenweise<br />
genüsslich gemein und ein Fleischerladen<br />
für Oberkörper. Könnte alles schlimmer<br />
sein. ps<br />
44<br />
EATING OUT 5: ThE OPEN WEEKEND<br />
uSA 2012, Regie: Q. Allan Brocka, pro-Fun Media<br />
Es hört einfach nicht <strong>auf</strong>.<br />
Fünf (!) Teile hat die Eating-Out-Reiheinzwischen<br />
und Mastermind Q.<br />
Allan Brocka hat so gut<br />
wie jedes schwule Porno-<br />
Setting durch: Drama<br />
Camps, Studentenwohnheime,<br />
CSDs etc. Weil die<br />
„schöne Jungs erzählen dreckige Witze und<br />
ziehen sich dabei aus“-Filmchen aber jedes Mal<br />
ein solch durchschlagender Erfolg sind, geht es<br />
immer, immer, immer weiter. In The Open<br />
Weekend treffen unsere Helden Zack und Casey<br />
in einem Resort in Palm Springs <strong>auf</strong>einander,<br />
in das Zack und sein neuer Freund Benji<br />
eigentlich gefahren sind, um ihre Beziehung<br />
für ein Wochenende zu öffnen. Das Unvermeidbare<br />
geschieht: Sexuelles Kuddelmuddel<br />
vom Allerfeinsten, man muss ab und an zurückspulen<br />
um zu verstehen, wer da jetzt gerade<br />
für wen und warum die Hosen runter gelassen<br />
hat. Das Schöne: Lesben und Transsexuelle<br />
sind immer ein selbstverständlicher Teil des<br />
sexuellen Gesamtpakets, da gibt es gar keine<br />
Diskussion, und die Witze erreichen oft den<br />
politisch unkorrekten Derbheitsgrad von John<br />
Waters. Auf Teil sechs werden wir wohl nicht<br />
lange warten müssen. ps<br />
DIE BANKIErSfrAU<br />
FR 1980, Regie: Francis Girod, Studiocanal<br />
Die Sissi-Trilogie gibt es<br />
schon als Schneekugeledition,<br />
aber dieser Film<br />
hier erscheint dieser Tage<br />
tatsächlich erstmals <strong>auf</strong><br />
<strong>DVD</strong>. Eine gereifte, autoritäre,<br />
makellose Romy<br />
Schneider spielt am Ende<br />
ihrer Karriere die lesbische<br />
Bank-Chefin Emma Eckhert, die immer<br />
wieder zur „Schande“ erklärt wird und sich<br />
doch nie klein kriegen lässt. Inszeniert wird<br />
das in großer Kulisse als beschwingtes Biopic,<br />
in dem alles in Geldwert gemessen wird: „Ich<br />
treibe dich hoch wie eine Aktie!“, sagt Emma<br />
zu ihrem Geliebten; „Als ich dir meine erste<br />
Million gab, hast du mich geliebt!“, beklagt<br />
sich die Freundin. Die Frauenfigur, die Romy<br />
Schneider weniger spielt als ausstrahlt, hat für<br />
jedes Spiel einen Einsatz und zockt besser als<br />
alle anderen. Mit dem Geld von Vätern, Männern,<br />
Geliebten setzt sie sich ins Visier der altherrischen<br />
Konkurrenten, die mit sich selbst<br />
Schach spielen und hilflose Intrigen anzetteln.<br />
Vertrauen kann die Bankiersfrau <strong>auf</strong> ein<br />
Netzwerk kluger Frauen, emanzipierter Männer<br />
und ihres allwissenden Sohnes, vor dessen<br />
Augen sie schließlich durch eine Gewehrkugel<br />
der Ewiggestrigen hingerichtet wird. Vorher<br />
war die Kamera vor Ehrfurcht in die Untersicht<br />
abgesackt, eine Inszenierung, wie sie<br />
sonst Heiligen und Diktatoren zugestanden<br />
wird.<br />
In den altmodischen Kulissen wirbelt der Star<br />
Staub <strong>auf</strong>, veredelt das Design, erwirtschaftet<br />
Zinsen und Mehrwerte. Und doch schafft es<br />
Romy Schneider, diese Anwältin der kleinen<br />
Leute, die Rebellin der Finanzwirtschaft und<br />
Inbegriff weiblicher Freiheit als Mensch erscheinen<br />
zu lassen. Wie schon Claude Sautet<br />
über seine Lieblingsschauspielerin gesagt hat:<br />
„Sie hat eine Art von Anständigkeit, die aus ihr<br />
selbst herausstrahlt und die sie unabhängig<br />
macht.“ jk<br />
die Sichtbarmacherinnen<br />
von dAnielA zySk<br />
Normalerweise stellen wir in der Rubrik „profil“ ja Kinos oder insitutionen vor, in denen man nicht-heterosexuelle Filme sehen<br />
oder erwerben kann. Aber bevor man weiß, was man sehen will, muss man ja erst mal wissen, was es gibt. Was insbesondere<br />
die lesbischen Spuren in der Filmgeschichte angeht, kann man sich dank ingeborg Boxhammer und Christiane Leidinger über<br />
mangelnde informationen nicht beklagen: ihr Webportal lesbengeschichte.de ist gerade in der Rubrik „Frauen und Film“ allwissend<br />
und sehr hilfreich – und das in elf Sprachen!<br />
„Lesbian desire is everywhere,<br />
even as it may be nowhere.“<br />
Martha Vicinus<br />
s Mit diesem Satz wird die Webseite www.<br />
lesbengeschichte.de eigenleitet und dies ist<br />
auch Programm und Inhalt dieses wichtigen<br />
Online-Auftritts der zwei verantwortlichen<br />
Macherinnen Ingeborg Boxhammer und<br />
Christiane Leidinger. In thematisch unterteilten<br />
Bereichen wird an die deutsche Lesbengeschichte<br />
erinnert und vieles ausführlich<br />
vorgestellt, was zu ihrer Sichtbarkeit<br />
beiträgt oder beigetragen hat.<br />
So finden sich unter „Politik und Subkultur“<br />
Informationen über die Anfänge der lesbischen<br />
Subkultur zu Zeiten des Kaiserreichs<br />
bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Dort<br />
erfährt eine/r z.B., dass bereits am 9. Oktober<br />
1904 die selbstbewusste Anna Rüling<br />
(eigentlich: „Theo Anna Sprüngli“) sich und<br />
andere Lesben als homosexuell bezeichnete<br />
und somit die weltbekannte „erste lesbenpolitische<br />
Rede“ schuf.<br />
Unterlegt sind die zahlreichen Informationen<br />
mit verschiedenen Fotobeiträgen damaliger<br />
Frauenzeitschriften wie „Die Freundin“<br />
oder „Frauen-Liebe und Leben“. Auch einige<br />
spannende „Zitate“ früherer Feministinnen<br />
und Vorkämpferinnen der Frauenbewegung<br />
lassen sich nachlesen: Johanna Elberskirchen<br />
verkündete z.B. im Jahre 1904 über die<br />
Diskriminierung von Homosexuellen: „Sind<br />
wir Frauen der Emanzipation homosexuell<br />
– nun dann lasse man uns doch! Dann sind<br />
wir es doch mit gutem Recht. Wen geht’s an?<br />
Doch nur die, die es sind.“ Selbst über 100<br />
Jahre später haben diese starken und kämpferischen<br />
Worte nicht an Kraft verloren.<br />
Die „biografischen Skizzen“ präsentieren<br />
Porträts interessanter Frauen, die mit ihrem<br />
Leben und Wirken in frühen Jahren des 20.<br />
Jahrhunderts einen wichtigen Grundstein<br />
zur Sichtbarkeit lesbischen Lebens in der<br />
heuten Zeit gesetzt haben. Es kann dort nach<br />
Biografien vor und nach 1945 gesucht werden.<br />
Interessantes und historisch Wertvolles<br />
verspricht auch die Kategorie „Regionalgeschichte“,<br />
in der die historischen Anfänge der<br />
Berliner Lesbenszene anhand einer Einführung<br />
des Lesbenclubs „Die lustigen <strong>Neu</strong>n“<br />
in den Zeiten des Nationalsozialismus und<br />
der damit verbundenen Repressionen dokumentiert<br />
werden. Im Umfeld dieses Kegelclubs,<br />
der im Jahr 1924 gegründet worden<br />
war, gab es trotz schwieriger Umstände Veranstaltungen<br />
mit bis zu 200 Gästen – wenn<br />
auch streng beobachtet von der Gestapo. Die<br />
Überwachungsprotokolle dienen aber eben<br />
SCReeNSHOt: LeSBeNGeSCHiCHte.De<br />
Jahre später als Zeitzeugnis über das Selbstverständnis<br />
lesbischer Frauen zu dieser Zeit.<br />
Der Bereich „Lesben und Film“ erscheint<br />
besonders umfangreich. Detailliert und in<br />
Spielfilm- und Dokumentationslisten untergliedert,<br />
liegt hier sicher eine der umfassendsten<br />
Sammlungen von lesbenrelevanten<br />
deutschen oder deutschsprachigen Filmproduktionen<br />
vor.<br />
Beginnend mit einem Spielfilm aus dem<br />
Jahr 1911 (Das Barmädel), der offenbar<br />
wegen „frivoler schwuler Liebesszenen“ verboten<br />
wurde, bis hin zu aktuellen Kino- und<br />
TV-Filmen wie Das traurige Leben der Gloria<br />
S. oder auch der Tatort: Im Abseits aus<br />
dem Jahr 2011, lassen sich hier etliche Filminhalte<br />
nachlesen. Die Sammlung wird von<br />
Ingeborg Boxhammer regelmäßig erweitert,<br />
die sich mit ihrem Buch „Das Begehren im<br />
Blick – Streifzüge durch 100 Jahre Lesbenfilmgeschichte“<br />
(2007) einen Namen als Lesbenforscherin<br />
und Filmkritikerin gemacht<br />
hat. Für sie und ihre Arbeitspartnerin, die<br />
Berliner Politologin Christiane Leidinger,<br />
ist das Projekt „Lesbenfilmgeschichte“, das<br />
im November 2005 online geschaltet wurde,<br />
sicher eine Lebens<strong>auf</strong>gabe. Die zwei Frauen<br />
leisten damit ihren eigenen bemerkenswerten<br />
Beitrag zur Sichtbarkeit von lesbischen<br />
Leben, der sicherlich kommende Generationen<br />
von lesbischen Frauen nachhaltig positiv<br />
beeinflussen wird. s<br />
www.lesbengeschichte.de<br />
--daniela<br />
Zysk ist Vorstandsmitglied der Filminitiative<br />
„Homochrom e.V.“, die ab Juli neben<br />
der erfolgreichen schwulen auch eine lesbische<br />
Filmreihe starten wird (www.homochrom.de/<br />
lesbisch). Außerdem stellt sie am 1. Juni ihr<br />
eigenes Onlinemagazin für „Lesben, Bisexuelle<br />
und alle Frauen die Frauen lieben“ vor:<br />
www.phenomenelle.de. Dort gibt es natürlich<br />
auch Filmempfehlungen.<br />
---<br />
45
abspann<br />
dVd-BezugSqueLLen<br />
Nicht-heterosexuelle <strong>DVD</strong>s erhalten Sie unter anderem in den folgenden Läden. Die Auswahl<br />
wird l<strong>auf</strong>end ergänzt. Bitte helfen Sie uns dabei!<br />
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106, 030/61500385 · SatUrn POtSdaMer PLatZ Alte Potsdamer Straße 7 ·<br />
BrUnO’S Schönhauser Allee 131, 030/61500387 · dUSSMann Friedrichstr.<br />
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IMPreSSUM<br />
herausgeber Björn Koll<br />
Verlag Salzgeber & Co. Medien GmbH<br />
Mehringdamm 33 · 10961 Berlin<br />
Telefon 030 / 285 290 90 · Telefax 030 / 285 290 99<br />
Redaktion Jan Künemund, presse@salzgeber.de<br />
art director Johann Peter Werth, werth@salzgeber.de<br />
autoren Harry Baer, Thomas Böhme, Michael Eckhardt, Dino Heicker, Enrico<br />
Ippolito, Ekkehard Knörer, Jan Künemund, Diana Näcke, Nicky Naish,<br />
Christian Rudolph, Paul Schulz, Maike Schultz, Alexandra Seitz, Jenni<br />
Zylka, Daniela Zysk<br />
dank an Friedrich Kröhnke, Sebastian Noack<br />
anzeigen Jan Nurja, nurja@salzgeber.de<br />
Es gilt die Anzeigenpreisliste 01/2012 (www.sissymag.de/media).<br />
SISSY erscheint alle drei Monate, jeweils für den Zeitraum Dezember/<br />
Januar/Februar – März/April/Mai – Juni/Juli/August – September/<br />
Oktober/November. Auflage: 40.000 Exemplare (Druck<strong>auf</strong>lage).<br />
druck Möller Druck, Berlin<br />
Rechte Vervielfältigung, Speicherung, Weiterverarbeitung oder Nutzung sowohl<br />
der Texte als auch der Bilder zu kommerziellen Zwecken bedürfen einer<br />
schriftlichen Genehmigung des Herausgebers.<br />
Bezugsquellen Hier liegt die SISSY kostenlos aus: deutschlandweit in den schwullesbischen<br />
Buchläden und in den CinemaxX-Kinos in Augsburg, Berlin,<br />
Bielefeld, Bremen, Dresden, Essen, Hamburg, Hannover, Magdeburg,<br />
Mannheim, München, Münster, Oldenburg, Stuttgart. potsdam<br />
Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“. berlin BarbieBar,<br />
Deutsche Film- und Fernsehakademie, La Dolce Vita Naturkost. bochum<br />
Orlando. kiel Birdcage. hamburg Café Gnosa, Café unter den Linden,<br />
Jimmy Elsass. köln Café Era, Bastard Bar, Kunsthochschule für<br />
Medien. münchen Moro, Kraftakt, Sub e.V. stuttgart Rubens Home,<br />
Jakobstube. frankfurt/main Bar Central. leipzig Rosa Archiv, Rosa<br />
Linde e.V.. düsseldorf Café Seitensprung. hannover Café Caldo, Café<br />
Konrad. mainz Bar jeder Sicht. nürnberg Fliederlich e.V., Café Fatal.<br />
dresden Gerede e.V. Wenn Sie die SISSY ebenfalls auslegen möchten,<br />
freuen wir uns. Eine kurze E-Mail genügt!<br />
haftung Für gelistete Termine können wir keine Garantie geben.<br />
Die Angaben entsprechen dem Stand des Drucklegungstages.<br />
Bildnachweise Die Bildrechte liegen bei den jeweiligen Anbietern.<br />
abo Sie können SISSY kostenfrei abonnieren: abo@sissymag.de<br />
auch das noch …<br />
Regisseurin Katarina Peters bei den Dreharbeiten zu „Man For A Day“.<br />
ISSN 1868-4009<br />
eDitiON SALZGeBeR<br />
»Ein großartiges Stück Kino,<br />
aus dem man als Zuschauer<br />
berührter, schlauer und<br />
besser unterhalten rausgeht,<br />
als man es zu Beginn des Films<br />
gewesen ist.«<br />
M Ä N N ER<br />
»Nur wenige Coming-of-Age-<br />
Geschichten sind in so<br />
poetischen und zugleich<br />
so wahrhaftigen Bildern<br />
erzählt wie diese.«<br />
H A MBURGER MORGENPOST<br />
»Ein liebenswertes,<br />
hoffnungsfrohes und<br />
souveränes Debüt!«<br />
FIL MDIENST<br />
»Der Film erzählt<br />
berührend und dicht<br />
von Freundschaft,<br />
Familie und der<br />
Gefühlsachterbahn<br />
erster Liebe.«<br />
T I P<br />
JETZT AUF <strong>DVD</strong>
DIANE TORR<br />
EIN FILM VON KATARINA PETERS<br />
»Starke Protagonistinnen,<br />
denen man stundenlang<br />
dabei zusehen könnte, wie sie<br />
ganz neue Facetten ihrer<br />
Persönlichkeiten entdecken.«<br />
schnitt<br />
»Sensible Einblicke<br />
in ganz unterschiedliche<br />
Frauenleben, eine neue<br />
Sicht <strong>auf</strong> den Alltag!«<br />
3sat<br />
AB 19. JULI IM KINO!