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Herr Mops - Igelity

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<strong>Herr</strong><br />

<strong>Mops</strong>


<strong>Herr</strong> <strong>Mops</strong>.<br />

Ein Mährchen.<br />

Gezeichnet und erzählt<br />

von<br />

Maria von Olfers.<br />

Ein eBook der <strong>Igelity</strong>-Bücherei<br />

http://www.igelity.de


Maria von Olfers<br />

(27.10.1826 – 08.01.1924)<br />

© <strong>Igelity</strong> 2007 für diese Ausgabe<br />

http://www.igelity.de<br />

Text und Illustrationen nach der Buchausgabe:<br />

„<strong>Herr</strong> <strong>Mops</strong>“ von Maria von Olfers, Verlag W. Korn & Comp, Berlin, 1863


Eben sitzen sie beim Frühstück.


Erstes Capitel.<br />

Dreie wohnten zusammen, eine alte Frau, ein <strong>Mops</strong> und ein kleines Mädel. Die alte Frau,<br />

Mutter Ursel; <strong>Herr</strong> <strong>Mops</strong>; das Mädel, Klein Schneck. <strong>Herr</strong> <strong>Mops</strong> waren <strong>Herr</strong> im Haus, Klein<br />

Schneck der Flederwisch; <strong>Herr</strong> <strong>Mops</strong> hatten ein seidenes Bett, Klein Schneck schlief unterm<br />

Feuerheerd. <strong>Herr</strong> <strong>Mops</strong> sahen immer glau, gewaschen und gestriegelt aus, Klein Schneck<br />

immer schwarz, ein wandelnder Staubbesen; es lebte im wilden Kampf mit den Stäubchen,<br />

und da es sie überall sonst verjagte, suchten sie ihre Ruhestätte bei ihr, und das ließ denn<br />

das Kind in Geduld über sich ergehen. Für <strong>Herr</strong>n <strong>Mops</strong> war Nichts gut genug, für Klein<br />

Schneck Alles zu gut. <strong>Herr</strong> <strong>Mops</strong> aßen wie ein Mensch, benahmen sich wie ein Mensch, ja<br />

redeten wie ein Mensch, Klein Schneck dagegen schien eine Art Hausthierchen; ob es reden<br />

konnte — ja und nein wohl, mehr fragte man es kaum, und ungefragt redete es nicht.<br />

<strong>Herr</strong> <strong>Mops</strong> waren von hoher Abstammung, Sohn des Sohns des Oberhofobermopses. Als er<br />

geboren war, hatten der <strong>Herr</strong> Kammerherr geruht, ihn am Fell in die Höh’ zu heben, welche


Attention die Familie nie vergessen wird. Nur durch große Vergünstigung war er zu Mutter<br />

Ursel gekommen, die ihn an Kindesstatt angenommen. Mein Himmel! welche Sorgen kosten<br />

Kinder! wie hatte Mutter Ursel gehätschelt, gepäppelt, bis der Sohn ihres Herzens so<br />

gelungen dasaß. Wo war Klein Schneck hergekommen ja wo war sie hergekommen wer<br />

hatte die gehätschelt, gepäppelt, großgezogen — ich glaube, sie war vom Himmel gefallen.<br />

Mutter Ursel brauchte einen Schickedanz — da war der Schickedanz.<br />

Eben sitzen sie beim Frühstück, die Sonne guckt neugierig durch die Ranken am Fenster,<br />

Mutter Ursel schenkt Kaffee aus der braunen glänzenden Kanne ein, und spricht ein<br />

weises Wort mit <strong>Herr</strong>n <strong>Mops</strong>, der sehr mopsig aussieht für solchen schönen Frühlingstag.<br />

Klein Schneck steht dabei mit gierigen Augen und trinkt in Gedanken mit. Frau Ursel hat<br />

sich einen gehörigen Respekt für den <strong>Herr</strong>n Sohn anerzogen und redet mit ihm in der dritten<br />

Person.<br />

„Belieben der <strong>Herr</strong> <strong>Mops</strong> mit mir in die freie Natur zu spazieren, Frau Nachtigall machen<br />

Musik mit dem ganzen Vögelchor und die Grimpimperles schreien dazu auf Feldern<br />

und Wiesen, es ist ein recht erquickendes Concerto.“


„Dummes Zeug,“ brummte <strong>Herr</strong> <strong>Mops</strong>, „alberner Schnack, was soll mir das Gesinge,<br />

verwirrt den Kopf, ist kein Nutzen und Verstand drin; schrieen die Ignoranten nicht immer<br />

wie ihnen der Schnabel wächst, sie hätten es längst zum Reden gebracht.“<br />

Klein Schneck war ganz zufrieden, daß die Vögel lieber sängen als reden. Mutter Ursel<br />

aber schämte sich, daß ihr die ungebildeten Schreihälse so gut gefallen hatten. <strong>Herr</strong> <strong>Mops</strong><br />

fing eine große Rede an über einen Papagei seiner Bekanntschaft, der klüger gewesen als ein<br />

Mensch, und schimpfte auf das Dorfleben, er knurrte ordentlich wie ein Hund vor Zorn, so<br />

hatte er sich in den Eifer geredet.<br />

„Soll ich hier bei dieser bäurischen Einfalt verkommen Soll ich nie den Menschen beweisen,<br />

daß wir auf gleicher Höhe mit ihnen stehen Freiheit und Gleichheit! Wer ist hier groß<br />

genug um das Außerordentliche zu fassen — dem Einfaltspinsel bleibt das Erhabne lächerlich!<br />

Fort in die Stadt. Mutter Ursel, hier halt’ ich’s nicht länger aus, fort muß ich in die Stadt.“<br />

„In die Stadt, weg von deiner alten Mutter Ursel; hab’ ich dich darum als meinen Sohn<br />

großgezogen, um hier verlassen zu sterben“ — und Mutter Ursel nahm den Zipfel ihrer<br />

Schürze, bereit für ein Gewitter mit Regen.


Mutter Ursel schluchzte wie nicht klug.


<strong>Herr</strong> <strong>Mops</strong> liebten aber dergleichen nicht.<br />

„Laßt das Heulen! kluge Leute heulen nicht; es hilft nichts und bessert nichts, fort will<br />

ich. — Habt ihr mich lieb“<br />

Bei dieser Aufforderung zog Mutter Ursel alle Schleusen ihrer Beredsamkeit auf, um zu<br />

antworten; aber ehe sie noch tief genug Athem geschöpft, unterbrach sie <strong>Herr</strong> <strong>Mops</strong>: „Gut,<br />

dann gebt Geld her; ich werde euch Ehre machen!“ Damit stand er auf, knöpfte seine gelbe<br />

Weste zu, und sah sehr vornehm aus. Nun war die Sache entschieden.


Zweites Capitel.<br />

Tags darauf — großer Rumor im kleinen Haus. Mutter Ursel zählt immer von neuem die<br />

blanken Silberthaler, legt stündlich einen mehr auf <strong>Herr</strong>n <strong>Mops</strong>ens Theil; ich fürchte, ginge<br />

noch ein Tag vorüber, für sie bliebe wenig. Klein Schneck hinterm großen Waschfaß, ganz<br />

verhüllt von einer Seifschaumwolke, wusch, plättete, flickte in Angst und Noth; endlich war<br />

alles sauber, sie selber ausgenommen. <strong>Herr</strong> <strong>Mops</strong> konnte mit allem ihm geziemenden Glanz<br />

seine Reise antreten. Jetzt standen sie vor der Thür, und nahmen Abschied. Klein Schneck<br />

sah verlegen auf ihre schwarze Hand, der <strong>Herr</strong> <strong>Mops</strong> boten ihr aber seine weiße Pfote erst<br />

gar nicht an, er hielt wieder Mutter Ursel eine seiner weisen Reden über nutzlose Thränen<br />

und nützliche Zuneigung, aber diesmal half es nichts. Mutter Ursel schluchzte wie nicht<br />

klug und wehte mit ihrem Taschentuch dem brummenden Lieblinge nach bis die Waldecke<br />

ihn verbarg.


Klein Schneck war auch sehr einsam und allein.


Drittes Capitel.<br />

Da saß die alte Frau Tag für Tag am Fenster und sah die Straße hinunter, auf der der Sohn<br />

verschwunden. — Mutter Ursel war sehr einsam und allein.<br />

Klein Schneck war auch sehr einsam und allein, aber bei der that das wohl nichts, die<br />

war es ja gewohnt und dachte, es gehöre sich so. Die kleine Wirthschaft ging fort, als führe<br />

sie ein Geist oder ein unsichtbares Räderwerk. Ab und zu kamen Briefe, dann wurde immer<br />

Geld geschickt. Mutter Ursel kaufte eine Brille über die andre, meinte, es sei das Alter, das<br />

sie so blind mache, es war aber das viele Arbeiten, und das viele Weinen um den <strong>Herr</strong>n<br />

Sohn.<br />

So ging ein Jahr in’s Land, da gab’s wieder groß Rumoren, ja gar Kuchenbacken; an<br />

Klein Schneck gingen alle Rosinen vorüber, aber es wußte ja auch gar nicht, wie gut sie<br />

schmeckten; es schurrte von einem zum andern wie eine geschäftige Biene. Abends erschien<br />

Mutter Ursel feierlichst in der Küche, und hielt Klein Schneck eine große Rede. Das Kind


war so verdutzt über die Ehre, daß es kaum wußte, was sie enthielt; es kam etwas vor von<br />

„einem Vetter aus Amerika,“ von „sich nichts einfallen lassen,“ von einem sehr gelahrten<br />

<strong>Herr</strong>n Doktus, von Sauberkeit und so weiter. <strong>Herr</strong> <strong>Mops</strong> hatten nämlich Frau Ursel geschrieben,<br />

er habe ausstudirt und käme als Mensch nach Haus; das dumme Landvolk würde sich<br />

aber von dem Vorurtheil, daß er im Grunde Hund sei, nicht frei machen können, und so<br />

möge sie ausstreuen, „es käme ein Vetter aus Amerika, ein hochweiser, hochgelehrter, der<br />

hieße <strong>Herr</strong> Doktus, sie könne sich die Verwandtschaft nur zur Ehre rechnen.“


Viertes Capitel.<br />

Von Morgens früh vier Uhr stand Mutter Ursel und wartete vor der Hausthür; Klein Schneck<br />

wärmte zum sechsten Male Kaffee, da kamen der vornehme <strong>Herr</strong> Vetter angefahren mit<br />

Ponnyschimmelchen und Jockey. Der <strong>Herr</strong> Doktus waren ein kleiner <strong>Herr</strong>, etwas dunkel im<br />

Gesicht, mit schwarzer Allongen-Perrücke und sehr weißer Wäsche. Klein Schneck hätte<br />

geschworen, es seien der <strong>Herr</strong> <strong>Mops</strong>, rasirt und auffrisirt; aber sie durfte sich ja nichts<br />

einfallen lassen; auch sah dieser <strong>Herr</strong> für einen Hund doch wirklich gar zu menschlich<br />

aus.<br />

Mutter Ursel wurde ganz jung vor Freuden über den Besuch, hüpfte herum wie eine<br />

Haidelerche, und brachte dem <strong>Herr</strong>n Vetter eine Leckerei über die andere. Es gab einen<br />

rechten Festtag für Alle, ausgenommen Klein Schneck; der ging’s natürlich schlecht, der<br />

kleine Jockey war sein Theil; er hieß Uistiti, sah aus wie ein Affe und spielte Streiche wie<br />

ein Affe; zauste ihr die Haare, trank ihr den Kaffee aus, stahl den Zucker, o die schwere Zeit!


Klein Schneck wurde himmelangst.


Da kommt er wie ein leuchtendes Meteor.


Dabei war er ihr so unheimlich, er saß ihr gegenüber und griente, griente mit seinen weißen<br />

Zähnen, bis ihr himmelangst wurde.<br />

Jetzt ging ein lebendiges Treiben bei Mutter Ursel an. Jeder wollte den gelehrten <strong>Herr</strong>n<br />

aus Amerika kennen lernen. Alle Notabilitäten des Dorfes versammelten sich bei ihr, dann<br />

führte der <strong>Herr</strong> Vetter das große Wort, und weil er fremd war, ließen sich die Leute die größten<br />

Grobheiten sagen; sie nannten das ausländische Manieren. Alle Woche einmal fuhren<br />

der <strong>Herr</strong> Doktus mit dem Schimmelchen und Uistiti zur Stadt. Bald sprach alles von dem<br />

weisen Wunderdoktor aus Amerika. Ehrendiplome, Orden, Dedicationen regneten auf ihn<br />

herab. Da kommt er die Straße herunter wie ein leuchtendes Meteor, Alles guckt ihm nach,<br />

die Wissenschaften haben ihn ganz hübsch gemästet; Mutter Ursel folgt ihm und nickt<br />

herablassend allen Grüßenden, die der stolze Sohn übersehen. Ja, <strong>Herr</strong> <strong>Mops</strong> machen ihr<br />

alle Ehre. Frau Ursel trägt auch ihren Kopf einen Schuh höher als sonst, aber es ist ihr doch<br />

etwas dabei zu Muth wie der Pute, die den Schwan ausgebrütet, mit dem Nachschwimmen<br />

will’s nicht recht gehen.


Fünftes Capitel.<br />

Der Sommer verging, der Winter kam an die Reihe, und mit ihm kam ein großes Sterben<br />

über die Hauptstadt; kein Haus war sicher; der Tod ging herum wie ein wildes Thier. Da<br />

schrieen Alle nach dem weisen <strong>Herr</strong>n Doktus, und der König mußte einen Befehl erlassen:<br />

der <strong>Herr</strong> Doktus sollten nach der Hauptstadt auf das Schloß ziehen. <strong>Herr</strong>n Doktus kam das<br />

gerade recht. Mutter Ursel und Klein Schneck sollten mit von wegen der Verpflegung, der<br />

<strong>Herr</strong> Doktus hatten Sinn für Familie, besonders insofern sie in Bedienung bestand. Am<br />

nächsten Morgen ging es fort zu Hof. Mutter Ursel und Klein Schneck im Hofkostüm; ja<br />

was war da zu lachen Alles lachte, Hans und Grete, Triene, Annele, und wie sie Alle hießen;<br />

Klein Schneck schien es sogar, als lachten Hühner, Gänse, alles Vieh mit; es meinte, es sei<br />

vor Freuden, und es wurde ihm ganz glücklich und beneidenswerth zu Muth, hatte ihr doch<br />

auch Mutter Ursel ihrer Urahne Haube verehrt mit der Bemerkung: „Da hast du ein anständiges<br />

Kleidungsstück, damit wir uns deiner nicht zu schämen haben.“


Am nächsten Morgen ging es fort zu Hof.


So kamen sie an. Mutter Ursel fand es sehr unhöflich, daß der König nicht vor der<br />

Thür stände zum Empfange. <strong>Herr</strong> Doktus sagte aber „alberner Schnack“; das galt als großes<br />

Schimpfwort bei ihm, und nachdem redete Mutter Ursel oft stundenlang kein Wort, und war<br />

ganz erschüttert in ihren fünf Sinnen. <strong>Herr</strong> Doktus nahm gleich Hut und Stock zur Hand<br />

und wanderte fort. Mutter Ursel wurde in ein klein Stübchen geführt, und Klein Schneck<br />

der Platz unter’m Feuerheerd angewiesen; sie wunderten sich beide, daß es so sehr nach zu<br />

Haus beim <strong>Herr</strong>n König aussähe, aber im Grunde heimmelte es ihnen doch. Jetzt ging es an<br />

ein Kuriren; wer nicht starb, wurde gesund, und da die Lebendigen schrieen, die Todten aber<br />

still sein mußten, so wuchs der Ruf des <strong>Herr</strong>n Doktus zusehends.


Sechstes Capitel.<br />

Der Königssohn ist erkrankt! — wißt ihr schon, der Königssohn stirbt, der Thronfolger<br />

— diese Krankheit verschont nichts, hat vor Niemand Respekt, ach unser Kind, unser<br />

Kronprinz!!“ — so klang es von Hoch zu Niedrig, aus Hütten und Palästen. <strong>Herr</strong> Doktus<br />

kam kaum noch nach Hause, und immer sehr unwirsch, er schnauzte Mutter Ursel an, und<br />

Mutter Ursel schnauzte Klein Schneck an, es war gar kein Plaisir dabei. Die dritte Nacht<br />

saßen der <strong>Herr</strong> Doktus allein bei dem kranken Königskind, allein, denn es war eine anstekkende<br />

Krankheit, und wer davon bleiben konnte, der that’s. Dem weisen <strong>Herr</strong>n Doktus war<br />

ganz hundemäßig dumm zu Muth; es war zum Verrücktwerden, daß die herrliche Medizin,<br />

die doch eigentlich helfen mußte (<strong>Herr</strong> Doktus hatten das hundertmal ausgerechnet), diesmal<br />

nicht half.<br />

Plötzlich tauchte ein lichter Schein hinter dem Kinde aus der Dunkelheit hervor; <strong>Herr</strong><br />

Doktus setzte seine Brille auf; da sah er, es war der Todesengel mit dem Lebenslicht des


sterbenden Kindes. „Ei, Spuk,“ schrie der <strong>Herr</strong> Doktus, „dich wollen wir in diesem aufgeklärten<br />

Zeitalter schon fortschaffen,“ und exorzirte und magnetisirte, und wurde ganz wild<br />

und ganz dunkel in seiner Aufklärung; der Engel wich aber nicht, er sang ein Schlaflied, und<br />

das Licht warf zitternde Strahlen auf das kranke Königskind:<br />

Ich öffne dir die Himmelsthür,<br />

Komm’, kleiner Engel, geh’ mit mir!<br />

Komm’, kleiner Fremdling, komm’ nach Haus.<br />

Die Ruh’ ist da, die Müh’ ist aus;<br />

Wir warten dein, verlaß die Welt,<br />

Ach, daß sie euch so feste hält!<br />

Verlangt ihr nicht nach ew’gem Licht,<br />

Nach Gottes heil’gem Angesicht<br />

Ich öffne dir die Himmelsthür,<br />

Komm’, kleiner Engel, geh’ mit mir! —


„Laß er die Litanei,“ schrie <strong>Herr</strong> Doktus ganz außer sich, „dabei kann Keiner gesund<br />

werden. Was soll das, wenn alle Menschen von vorne herein sterben wollten, damit wäre<br />

euch doch auch nicht gedient; da droben ist’s eben nicht recht zu machen,“ knurrte er, „hab’<br />

auch von der Wirthschaft nie viel gehalten. Helft mir lieber, ich verspreche euch so viele<br />

Todte, als ihr wollt, für diesen da, ihr sollt mit eurem Licht herumfahren wie Sternschnuppen,<br />

diesen aber gebt los.“ — Der Engel schüttelte den Kopf:<br />

Du kannst der Seelen keine senden,<br />

Sie ruhen all’ in Gottes Händen.<br />

<strong>Herr</strong> Doktus lächelte zweifelnd, aber was verstehen Engel von Medizin! sollten nicht<br />

die Patienten in seinen Händen ruhn; das wäre doch — todt wolle er sie schon kriegen, lebendig<br />

freilich — — „Na,“ sagte er, „laßt ein vernünftiges Wort mit euch reden, was will<br />

dein lieber Gott für dies Leben“


Da sah er, es war der Todesengel.


Verborgen ist die Himmelsthür,<br />

Gar Mancher steht ganz dicht dafür,<br />

Und denkt es ginge nie und nimmer,<br />

Und sieht nicht ihren gold’nen Schimmer.<br />

Such’ sie dir auf, bitt’ um dies Leben,<br />

Dort wird dem Bittenden gegeben.<br />

„Wollen schon finden,“ murmelte <strong>Herr</strong> Doktus selbstgefällig, „haben schon so viele<br />

Thüren gefunden, warum diese nicht, hat mich doch Mutter Natur in ihre geheimsten Gemächer<br />

geführt; wollen schon finden, <strong>Herr</strong> Engel, blas er nicht aus Versehen das Licht aus<br />

und geb’ er zu rechter Zeit das Tränkchen,“ und heraus huschte <strong>Herr</strong> Doktus in die dunkle<br />

Nacht. —


Siebentes Capitel.<br />

„Ein bischen Zauberei könnte nicht schaden,“ seufzte <strong>Herr</strong> Doktus, als er müde gehetzt nach<br />

vielen Stunden von allen Ecken und Enden herkam, ohne die Thür gefunden zu haben; „wer<br />

nur daran glauben könnte! Springwurzeln waren doch gar commod, und ein kleiner Kobold<br />

auch nicht übel, aber es ist zu unvernünftig.“ Er stand vor einem kleinen ruppigen Häuschen!<br />

das einzige Glänzende daran war ein Licht, das wie ein Leuchtwurm in der schwarzen<br />

Nacht funkelte. „Mir ist, als hätt’ ich gehört,“ sagte der weise <strong>Herr</strong> Doktus zu sich selber,<br />

„die Engel und dergleichen Personen liebten das Niedere; — wer weiß; — der Himmel ist<br />

gewiß kein besonderer Ort, sonst würden die Menschen wohl keine solche Abneigung vor<br />

dem Sterben haben.“ Er klopfte; — ein altes, altes verwittertes Mütterchen, häßlich wie die<br />

Nacht, öffnete. Du meine Güte, dachte <strong>Herr</strong> Doktus, die Thürhüterin verspricht etwas.<br />

„Wer seid ihr, alte geräucherte Hexe!“<br />

„Eure Großmutter,“ krächzte die Alte.


Potz Kukuk, da bin ich der Hölle wohl näher als dem Himmel.


„Meine Großmutter war eine ehrliche Möpsin,“ vertheidigte sich <strong>Herr</strong> Doktus, der in<br />

diesem Fall die thierische Verwandtschaft vorzog.<br />

„Na!“ kicherte das Ungethüm, „wie ihr wollt. Ich bin die Großmutter des Teufels.“<br />

„Potz Kukuk, da bin ich schön angekommen,“ seufzte <strong>Herr</strong> Doktus, „ich bin hier wohl<br />

näher der Hölle als dem Himmel.“<br />

„Ja, ja, mein Söhnchen, das geht manchmal so, es ist recht verwirrlich in der Welt. Ich<br />

weiß schon, was du willst, ich will dir auch einen Dienst thun, wir sind gefälligere Leute,<br />

als die da droben. Siehst du, ich will dir ganz uneigennützig sagen, wie du die Himmelsthür<br />

offen findest. Mein Sohn, der auch einmal als Engel angestellt war, hat es mir gesagt. Die<br />

Himmelsthür steht der reinen Seele immer offen, der reinen Seele steht sie immer offen;<br />

hast du denn keine, die du mit deinem Auftrag hinüber spediren könntest he, he, he, hi, hi,<br />

hi — —“ damit schlug sie die Thür zu, und unser <strong>Herr</strong> Doktus stand allein in der dunkeln<br />

Nacht, wunderbarer Weise gerade vor der Thür des Schlosses. — Aber wo die reine Seele<br />

finden die wär’ am Ende eben so schwer zu erlangen, als die Himmelsthür.


Achtes Capitel.<br />

Mutter Ursel stand ihm vor der Nase; sie hatte ihn mit Schmerzen gesucht, und jetzt<br />

leuchtete ihr Gesicht heller als die Laterne, die sie in Händen hielt. Mit allen möglichen<br />

Schmeichelworten lockte sie ihn herauf in ihr Stübchen, gab ihm den besten Platz, pflegte<br />

ihn mit Worten und Thaten, aber <strong>Herr</strong> Doktus war sehr unwirsch; sie solle sich zu Haus<br />

scheeren, was er mit dem Weiberpack sollen. Klein Schneck kroch hinter den Ofen. Eine<br />

Ungerechtigkeit über die andere schüttete er auf die arme alte Frau, sie blieb immer gut und<br />

freundlich. Als sie so vor ihm saß, sanft wie Mondschein, ihr schlichtes weißes Haar rein<br />

wie der Schnee, ihre Augen ein klarer Wasserspiegel: da fiel ihm plötzlich mitten in seinem<br />

Zorn ein, was er suche sei gefunden, an Mutter Ursel sei nichts Unrechtes, sie sei unschuldig<br />

wie das Ungeborne, Mutter Ursel sei die reine Seele. —<br />

Er knurrte ordentlich vor Behagen; — aber wie sie in den Himmel spediren, ja das<br />

war die Schwierigkeit; da mußte sie ja erst sterben; — denn er hatte in seiner Weisheit


<strong>Herr</strong> Doktus wurde aber immer zorniger.


vergessen oder nie erfahren, daß im Gebet die Seele zu Gott geht, auch ehe der Tod sie auf<br />

immer von der Welt scheidet.<br />

Jetzt mußte er sehr schlau sein. Er wurde ganz freundlich und wedelig, streichelte die<br />

alte Frau, schmeichelte ihr, frug einmal über das andere, ob sie ihn lieb habe, ließ Mutter Ursels<br />

Liebe in überschwänglichen Worten immer wieder vor sich spielen. Klein Schneck sperrte<br />

Augen und Ohren auf, ihr wurde ganz sehnsüchtig, als die zwei Beide sich so carressirten und<br />

zärtlich thaten, ja sie umarmte den kalten Ofen und küßte ihn, um doch etwas zu haben.<br />

<strong>Herr</strong> Doktus begann wieder: „liebe Mutter Ursel, ihr seid recht glücklich, habt solch<br />

schönes Leben hinter euch, wie alt seid ihr doch“<br />

„Dreiundachzig im nächsten Wonnemonat.“<br />

„Es ist ein schweres Alter, Mutter Ursel, jedes Jahr hat seine Last dabei.“<br />

„Das ich nicht müßte, das Jahr wird allemal jung und ich immer wieder mit.“<br />

„Die albernen alten Leute, alt werden können sie nicht einmal, geschweige denn sterben!“<br />

Ihm schien es gar keine große Forderung, mit dreiundachzig Jahren abzufahren, es<br />

klang ja ganz vernünftig. „Mutter Ursel, ihr könnt mir einen rechten Gefallen thun.“


„Mein Herzblut für dich, Liebling.“<br />

„Dein Herzblut, Mutter Ursel, wenn das wahr wäre!“ Er ließ sie sich hoch und theuer<br />

verschwören, und dann erzählte er ihr die ganze Geschichte und daß sie die reinste Seele<br />

sei, die für ihn zum lieben <strong>Herr</strong>gott gehen solle, um das Leben des kranken Kindes zu<br />

bitten. —<br />

Klein Schneck ließ vor Schreck den Ofen los. Das nannte <strong>Herr</strong> <strong>Mops</strong> einen lieb haben,<br />

das war doch ein sonderbares Ende! Die alte Frau saß ganz still und gebeugt, sie zitterte,<br />

daß die gelbe Schleife auf der Mütze wackelte, als sei der Schreck bis zu ihr heraufgefahren.<br />

<strong>Herr</strong> Doktus hielt eine weise Rede über die andere von den Leiden der Welt, den Freuden<br />

des Himmels, von den Opfern, den Liebeswerken, nannte es einen würdigen Schluß u. s. f.<br />

Mutter Ursel hörte nicht darauf; sie barg ihr Gesicht in den Händen und murmelte<br />

ganz leise dazwischen: „Schon fort, schon fort, kein Frühjahr erleben, kein Frühjahr, nur<br />

noch bis auf das Frühjahr!“<br />

„Ach, seid doch nicht kindisch, Mutter Ursel,“ erwiederte ärgerlich <strong>Herr</strong> Doktus, „was<br />

hilft einem mit dreiundachzig Jahren das Nachtigallengeplärre und der Blüthenschwindel


Ihr thut ja wie ein siebzehnjähriges Mädchen.“ Da kroch Klein Schneck heran, machte einen<br />

großen Knix und sagte: „Bitte, schickt mich in den Himmel, <strong>Herr</strong> Doktus, ’s ist mir eins, wo<br />

ich bin.“<br />

<strong>Herr</strong> Doktus sah das Kind von oben bis unten mit Verachtung an. „Bist du eine reine<br />

Seele he, kleiner schwarzer Staubbesen, wer weiß, ob du überhaupt eine hast!“<br />

Da kroch Klein Schneck ganz in sich zusammen, und schämte sich; darüber hat es<br />

noch nie nachgedacht, rein war es auch nicht, sondern schwarz von oben bis unten. <strong>Herr</strong><br />

Doktus wurde aber immer zorniger. „Hundert Jahr wär’ noch nicht genug, nicht wahr,<br />

Mutter Ursel und selbst bis dahin habt ihr nicht weit. Nicht ein armseliges Jahr könnt<br />

ihr dem Sohn schenken! Reden könnt ihr von der Liebe wie alle Weiber, aber thun nichts,<br />

jedes Opfer ist euch zu groß; daß ich im Gefängniß sterben soll nach des Königs Befehl,<br />

wenn das Kind nicht gerettet wird, das geht euch nichts an; alte Leute können nicht sterben,<br />

aber die jungen können abkommen; ihr geht direkt in den Himmel, wo ich armer<br />

<strong>Mops</strong> hinkomme, ist euch gleichgültig.“ Damit stand er zornig auf und wollte zur Thür<br />

hinaus.


Frau Ursel aber fuhr auf wie vom Blitz getroffen, schlang ihre alten magern Arme um<br />

den Sohn, und sagte ihm ganz leise in das Ohr ihr Leben zu, wenn der Engel es nehmen<br />

wolle, sie ginge diese Nacht mit, ihn darum bitten.


Neuntes Capitel.<br />

Klein Schneck lief umher wie unsinnig, und suchte die Himmelsthür in dem Keller, auf<br />

dem Boden, lief Alles um, steckte überall ihr schwarzes Gesichtchen zu Jedermanns Aerger<br />

in den Weg, aber es fand sie nicht. Als es dunkelte, machten sich <strong>Herr</strong> Doktus und Mutter<br />

Ursel auf den Weg; Klein Schneck lief mit wie ein unbeachtetes Hündchen. An der Thür<br />

wurde dem <strong>Herr</strong>n Doktus ein gnädiges Schreiben dargereicht, darin stand: kurire er das<br />

Kind nicht, so sei er ein Betrüger und Charlatan, und werde bei Wasser und Brod eingesperrt;<br />

kurire er aber das Kind, so solle ihm das halbe Königreich gehören. — <strong>Herr</strong> Doktus<br />

lächelten herablassend. Er würde ein Exempel seiner Kunst statuiren, vor Sonnenaufgang<br />

dürfe aber Keiner in das Zimmer. — Jetzt waren sie allein. Mutter Ursel lag in dem großen<br />

Lehnstuhl; seit den letzten Worten, die sie dem Sohn gesagt, war sie ganz verstummt. Sie<br />

sah schon fast aus wie todt, so gelb, so alt, so verwittert. <strong>Herr</strong> Doktus hatte am Ende recht,<br />

es lohnte kaum so viel Wesens davon zu machen, lange wär’s doch nicht mehr geworden.


Klein Schneck kroch hinter ihren Stuhl, und guckte wie eine kleine Nachteule bald auf das<br />

sterbende Kind, bald auf die alte Frau, und mit jedem Blicke wuchs die Liebe für beide in<br />

ihrem Herzen, daß ihr schien, als würde sie zu schwer dafür und es müsse zerspringen.<br />

Da stand der Todesengel; sein Licht brannte düster, und das Königskind war wie sein<br />

eigen.<br />

<strong>Herr</strong> Doktus ging triumphirend auf ihn zu. „Diesmal hab’ ich euch überlistet, <strong>Herr</strong><br />

Engel, ich weiß jetzt den Weg zum Himmel so gut als ihr. Hier ist die reine Seele, bereit für<br />

mich zu Gott zu gehn.“ Er zeigte auf Mutter Ursel, die in tiefer Ohnmacht lag. — „Nun,<br />

wollt ihr sie mitnehmen wollt ihr aber nicht, so werd’ ich sie euch zuschicken, und zeigen,<br />

wer <strong>Herr</strong> über ihr Leben ist.“ — Damit zog er, zu Klein Schneck’s Grausen und Entsetzen,<br />

ein blankes Messer hervor. Der Engel aber schüttelte wieder den Kopf, und sprach:<br />

„Auf ihrer Seele liegen Sünden,<br />

Sie wird die Himmelsthür nicht finden;<br />

Auf ihrer Seele liegen Flecken,<br />

Sie wird das Kind dir nicht erwecken.“


Da ging eine sonderbare Veränderung mit <strong>Herr</strong>n Doktus vor.


Klein Schneck wankte der Boden unter den Füßen. Frau Ursel keine reine Seele, wie<br />

schwarz kam sie sich nun vor! Zornig fuhr aber <strong>Herr</strong> Doktus auf, er schrie dem Engel entgegen,<br />

strich Mutter Ursel’s Tugend heraus, daß der alten Frau die gelben Wangen schamroth<br />

wurden, denn sie war erwacht, sie verstand, glaub’ ich, was der Engel meinte, denn sie zog<br />

das vernachlässigte verwahrloste Schneckchen zu sich heran und sah es an, als erblicke sie<br />

das Kind zum ersten Male in ihrem Leben.“<br />

„Das wollen wir doch sehen, ob sie einen Flecken hat,“ schrie ganz außer sich der <strong>Herr</strong><br />

Doktus mit zornfunkelnden Augen, „das wollen wir doch sehen, ob sie zur Hölle oder zum<br />

Himmel fährt!“ damit schwang er sein Messer, um sie zu durchbohren. — Mutter Ursel lag<br />

wie gebannt. Klein Schneck folgt mit aufgerissenem Mund und Augen der Sache, athemlos,<br />

rathlos; ihm war, als wär’ es mit schuld, als könnt’ es zur Thür des Himmels, als hätt’ es nur<br />

den Schlüssel verlegt, und als es das Messer zum zweiten Mal blitzen sah, da hatte es ihn<br />

gefunden und rief aus tiefstem Herzen:


„Ach, lieber Gott, wir schrei’n zu dir,<br />

Eröffne uns die Himmelsthür!<br />

Voll Angst und Noth stehn wir dafür,<br />

Verzagen und verzweifeln schier;<br />

Ach, lieber Gott, hör’ unser Schrei’n!<br />

Wir sind so ganz, so ganz allein,<br />

Wir können ohne dich nicht sein,<br />

Ach, laß uns ein! ach, laß uns ein!<br />

Da war ihm, als thäte sich eine goldne Thür voneinander, und der liebe Gott träte<br />

herein; es sah nichts, aber es fühlte, ihnen war geholfen. Auf dem Bett saß das Königskind<br />

munter, als sei es nach einem langen Schlaf erwacht. <strong>Herr</strong> Doktus bemühte sich darum, und<br />

meinte, jetzt habe doch endlich sein herrliches Arkanum gewirkt, es wäre auch anders undenkbar,<br />

der dumme Spuk habe die Krisis verzögert. Mitten in seiner großen Rede ging aber<br />

eine sonderbare Veränderung mit <strong>Herr</strong>n Doktus vor; als ihn Klein Schneck berührte, bellte


Wer rettete mein Kind Gewiß, des lieben Gottes Hand.


er wie ein Hund, stellte sich auf vier Beine wie ein Hund, benahm sich wie ein Hund, sah<br />

sehr mopsig aus, knurrte, biß um sich, verlor seine Perrücke, zerriß seine Kleider, und als der<br />

Hof mit Sonnenaufgang hereintrat, den weisen <strong>Herr</strong>n Doktus zu belohnen, war nichts von<br />

ihm übrig, als ein ordinairer alter <strong>Mops</strong>; der nahm den Schwanz zwischen die Beine und riß<br />

ganz beschämt aus. — Keiner hat mehr etwas von <strong>Herr</strong>n <strong>Mops</strong> gehört. —<br />

„Wer in aller Welt hat mein Kind gerettet,“ fragte der König.<br />

„Das hat der liebe Gott selber gethan,“ sagte Klein Schneck.<br />

Das war dem Könige recht; dem brauchte man nicht einmal das halbe Königreich anzubieten.<br />

Mutter Ursel aber nahm Klein Schneck nach Haus und machte ihr Kind daraus. Es<br />

wurden ihr noch eine ganze Reihe schöner Jahre geschenkt, um die Flecken aus ihrer Seele<br />

zu waschen. Aus dem schwarzen Schneckchen blühte ihr darin ein frisches schönes Töchterchen<br />

hervor, mit dem lebte sie glücklich bis an ihr seliges Ende.

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