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Konflikte in Kirchengemeinden

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Aktueller Artikel aus der<br />

Pastoralpsychologie<br />

"Ist denn gar ke<strong>in</strong> Weiser unter euch, der zwischen Brüdern schlichten könnte" (1. Kor 6/5b)<br />

<strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong> Kirchengeme<strong>in</strong>den - Gut, wenn sie begleitet<br />

werden<br />

Schon wieder hat es geknallt. Der 1. Pfarrer und der Diakon e<strong>in</strong>es Hauptamtlichenteams e<strong>in</strong>er<br />

Kirchengeme<strong>in</strong>de geraten <strong>in</strong> jeder Dienstbesprechung ane<strong>in</strong>ander. Es geht um Fahrtkosten,<br />

Kopiergelder und die Kaffeemasch<strong>in</strong>e. Lässt sich das nicht sachlich klären Lappalien<br />

Beiden ist nicht wirklich klar, was da zwischen ihnen immer wieder eskaliert. Der Rest des<br />

Teams schweigt betreten oder genervt vom ewigen Dauercl<strong>in</strong>ch. Die Kantor<strong>in</strong> hat nach<br />

e<strong>in</strong>igen Vermittlungsversuchen aufgegeben und kommt so gut wie gar nicht mehr zu den<br />

Teamsitzungen.<br />

E<strong>in</strong>e Pfarrer<strong>in</strong> zur Anstellung ist bei der Verteilung der Arbeitsgebiete nicht berücksichtigt<br />

worden. Als junge und neue Mitarbeiter<strong>in</strong> hat sie es nicht gewagt, sich für ihre<br />

Interessensschwerpunkte wirklich stark zu machen. Ihre Arbeit erledigt sie gewissenhaft, aber<br />

ohne zusätzliches Engagement. Das Hauptamtlichenteam und die Geme<strong>in</strong>de f<strong>in</strong>den, dass sie<br />

zu wenig arbeitet und werfen ihr vor, dass sie zu penibel auf ihr Zeitkont<strong>in</strong>gent achtet und<br />

wenig <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de spürbar ist. Sie ist immer häufiger krank.<br />

<strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong> Kirchengeme<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d normal. Wie <strong>in</strong> allen Organisationen und lebendigen<br />

Systemen gibt es auch <strong>in</strong> der Kirche <strong>Konflikte</strong> auf allen denkbaren Ebenen: zwischen<br />

Mitarbeitern, Geme<strong>in</strong>demitgliedern, im Kirchenvorstand, <strong>in</strong> den Ausschüssen, <strong>in</strong> den<br />

Hierarchieebenen u. v. a. Und ebenso normal ist es, dass Menschen im Konflikt oft heftige<br />

Emotionen haben, sich verunsichert fühlen und an ihre Grenzen stoßen.<br />

Natürlich haben wir Angst, wenn der Dialog <strong>in</strong>s Stocken gerät, unfruchtbar wird, erlischt oder<br />

sogar destruktives Agieren die Oberhand gew<strong>in</strong>nt. Niemand will nachgeben - und erst recht<br />

nicht das eigene Gesicht verlieren. Und e<strong>in</strong>fach die Stelle wechseln, das Amt aufgeben, die<br />

Geme<strong>in</strong>de verlassen, ersche<strong>in</strong>t wie Flucht oder Niederlage.<br />

Aber wie kann es geschehen, dass <strong>Konflikte</strong> nicht e<strong>in</strong>fach erlitten werden oder zu den<br />

berühmten "faulen Kompromissen" führen, mit denen letztlich die Bedürfnislagen aller<br />

Beteiligten kaum befriedigt werden können Und die dazu beitragen, dass der Konflikt eben<br />

nicht befriedet wird, sondern nur allzu oft <strong>in</strong> den Untergrund abwandert, um zum falschen<br />

Zeitpunkt oder am falschen Ort wieder an die Oberfläche zu schwappen (Wer kennt nicht die<br />

Momente, <strong>in</strong> denen uns Monate nach e<strong>in</strong>er Ause<strong>in</strong>andersetzung sche<strong>in</strong>bar "alter Käse" neu<br />

aufs Brot geschmiert wird ...)<br />

Sowohl Supervision als auch Mediation s<strong>in</strong>d etablierte und situationsgerechte Verfahren, die<br />

Unterstützung und Hilfe von e<strong>in</strong>em Mediator/Supervisor anbieten. Er ist nicht am Konflikt<br />

beteiligt und kann diesen professionell begleiten und zur Klärung br<strong>in</strong>gen. Konfliktklärung<br />

heißt dabei nicht zwangsläufig Konfliktbeseitigung. Es geht vielmehr darum, sich selbst, die<br />

eigene Position und die damit verbundenen Interessen, die Situation und mögliche nächste


Schritte zu klären - und zwar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Art und Weise, die es allen Beteiligten ermöglicht, den<br />

Konfliktpartnern, trotz vieler Differenzen, mit Achtung zu begegnen.<br />

In der Mediation oder Supervision müssen die H<strong>in</strong>tergründe e<strong>in</strong>es Konflikts aufgedeckt<br />

werden. Motive wie Anerkennung, Angst vor Prestigeverlust, mangelndes Zutrauen <strong>in</strong> die<br />

Verlässlichkeit des jeweils Anderen etc. kommen zur Sprache, bevor strukturelle Klärung und<br />

<strong>in</strong>haltliche Lösungsf<strong>in</strong>dung gel<strong>in</strong>gen kann.<br />

Es geht um Konkurrenz, Überschneidung von Kompetenzen, unklare Verteilung der<br />

Arbeitsgebiete, die Beliebtheit <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de, den besseren Draht zum Kirchenvorstand.<br />

Wenn sich alle Konfliktparteien auf e<strong>in</strong>en Klärungsprozess e<strong>in</strong>lassen und akzeptieren, dass es<br />

nie nur um die Sache geht, wenn sie die Bereitschaft aufbr<strong>in</strong>gen, auf Vergeltung zu<br />

verzichten, und <strong>in</strong> der gegenseitigen Wahrnehmung des Handelns und der je eigenen Anteile<br />

am Konflikt auch das Verständnis füre<strong>in</strong>ander wächst, kann e<strong>in</strong>e Lösung für die zukünftige<br />

Zusammenarbeit möglich werden. Dies gel<strong>in</strong>gt, wenn die sich h<strong>in</strong>ter den Konfliktpositionen<br />

verbergenden Interessen, Bedürfnisse, aber auch Verletzungen und Enttäuschungen<br />

herausgefunden werden. Dann entsteht e<strong>in</strong>e Art "Verstehensbrücke", über die e<strong>in</strong>e für beide<br />

Seiten nachvollziehbare Klärung und im besten Fall Lösung herbeigeführt werden kann, bei<br />

der alle ihr Gesicht wahren. Genau dafür braucht es den allparteilichen Dritten, den<br />

Mediator/Supervisor, der vorsichtig nach H<strong>in</strong>tergründen, Motiven und Wünschen fragt, und<br />

der immer im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Moderation mit dem Ziel e<strong>in</strong>er Konfliktklärung bzw. Lösung agiert.<br />

Dabei ist gerade im kirchlichen Feld von besonderer Bedeutung:<br />

"Wir haben jede Menge <strong>Konflikte</strong> - und das ist gut so"<br />

beantwortet e<strong>in</strong> Kirchenvorsteher die Frage, ob <strong>in</strong> Kirchengeme<strong>in</strong>den, unter Christen<br />

gestritten werden darf. Er lächelt dabei und erklärt, wie viel er bei sich und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Geme<strong>in</strong>de im und durch den Konflikt entdeckt und gew<strong>in</strong>nt. Wie viel Veränderungspotenzial<br />

und Kraft, Geme<strong>in</strong>de zu gestalten, kommt erst im Konflikt zum Vorsche<strong>in</strong><br />

Konfliktvermeidung Scheu Harmoniemäntelchen Ne<strong>in</strong>, davon hält dieser Kirchenvorstand<br />

nichts.<br />

Bei allen <strong>Konflikte</strong>n spielen jedoch neben sachlichen auch persönliche Sichtweisen und damit<br />

auch ethische Grundhaltungen e<strong>in</strong>e wichtige Rolle, wie z. B. "Nächstenliebe", dass Christen<br />

sich doch nicht streiten sollten, oder Aggression negativ besetzt ist. Häufig holen sich die<br />

Konfliktparteien deswegen viel zu spät Unterstützung von außen. Der Konflikt muss dann<br />

aufwendig unter dem Mäntelchen des Schweigens und dem Streben nach Harmonie<br />

hervorgeholt werden.<br />

Auf den Prozess e<strong>in</strong>lassen: nicht "ob" fragen - sondern "wie" wagen!<br />

Bei kirchlichen <strong>Konflikte</strong>n geht es deswegen nie nur um die Klärung e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>maligen<br />

Konflikts, sondern um e<strong>in</strong> Lernen bzgl. Kommunikation und Konfliktkultur und um die<br />

Möglichkeiten, die e<strong>in</strong>em Konflikt <strong>in</strong>newohnen - letztlich also um die Wertschätzung des<br />

Konflikts. Denn neben aller Konfrontation werden <strong>in</strong> <strong>Konflikte</strong>n auch unterschiedliche<br />

Denkansätze und Handlungsstrategien deutlich und eröffnen dadurch immer wieder<br />

Perspektiven zu neuen, kreativen Lösungen bei Problemlagen, die mit altvertrauten Strategien<br />

kaum zu bewältigen s<strong>in</strong>d. Im für und wider der Konfliktpositionen und den dah<strong>in</strong>terliegenden<br />

divergierenden Interessen entsteht nicht nur e<strong>in</strong> Dialog der Unterschiedlichkeit, sondern oft


auch etwas überraschend Neues. Etwas, das für alle Beteiligten <strong>in</strong> der zu bewältigenden<br />

Situation wirklich trägt und weiterführt. <strong>Konflikte</strong> bergen also die Möglichkeit der<br />

Entwicklung. Sie s<strong>in</strong>d normal, notwendig und wertvoll.<br />

Machen wir aus dem Jugendkeller e<strong>in</strong>en Meditationsraum<br />

Wenn viele unterschiedliche Menschen Unterschiedlichstes wollen - wie kann das ohne<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung gel<strong>in</strong>gen Neben den persönlichen Reibungspunkten ist Kirche als<br />

lebendiges System ja andauernden Veränderungsprozessen unterworfen.<br />

Hauptamtlichenteams, Aufgabengebiete, Kirchenvorstände verändern sich, Geme<strong>in</strong>den<br />

werden umstrukturiert, Personal und Sachzuwendungen e<strong>in</strong>gespart oder aufgestockt, und<br />

gleichzeitig korrespondieren manche <strong>in</strong>nerkirchliche Prozesse mit gesellschaftlichen<br />

Bewegungen: Kirchenaus- und e<strong>in</strong>tritte, neue ökumenische Bewegungen, Veränderung<br />

spiritueller Angebote etc.<br />

In all diesen Herausforderungen und Entscheidungslagen r<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> der<br />

Ausrichtung des je eigenen Geme<strong>in</strong>deprofils um Lösungen und zukunftsorientierte Konzepte.<br />

Veränderungen brauchen e<strong>in</strong>e Zielrichtung. Und über diese muss man auch streiten können.<br />

Es geht nicht darum, Kirche zur konfliktfreien Zone zu erklären (das hat ohneh<strong>in</strong> nie<br />

funktioniert!), sondern den Konflikt zu nutzen und im Blick zu haben, dass manche<br />

Sachentscheidungen gleichzeitig auch Weichenstellungen für Glaubensausrichtungen und<br />

Werthaltungen e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>de s<strong>in</strong>d. Werden solche "Richtungs-<strong>Konflikte</strong>" nicht offen<br />

ausgetragen, geraten sie nicht selten zum Schwelbrand, der Arbeitsatmosphäre und -resultate<br />

dauerhaft bee<strong>in</strong>trächtigt.<br />

Aber draußen sagen wir nichts!<br />

<strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Kirchengeme<strong>in</strong>de haben immer auch mit Öffentlichkeit zu tun. E<strong>in</strong> größerer<br />

Konflikt z. B. zwischen Kirchenvorstand und geschäftsführendem Pfarrer kann nicht unter<br />

dem Teppich gehalten werden. Dadurch gew<strong>in</strong>nt die Frage der Transparenz an Gewicht. Wie<br />

transportiert sich der Konflikt <strong>in</strong> die Kirchengeme<strong>in</strong>de, evtl. sogar politische Geme<strong>in</strong>de, wenn<br />

wir ihn nicht kommunizieren Wie lässt er sich nach außen h<strong>in</strong> darstellen, ohne dass e<strong>in</strong>er der<br />

Beteiligten das Gesicht verliert Wie vorbildlich ist dabei unsere Streitkultur<br />

Damit müsst ihr selbst klarkommen!<br />

Der vorherige Punkt macht deutlich, dass die Hierarchieebenen sich ab e<strong>in</strong>er gewissen<br />

Tragweite, bzw. Eskalationstiefe, dem Konflikt nicht entziehen dürfen, sondern ihrer<br />

Personalführungsverantwortung und Fürsorgepflicht sowohl für die e<strong>in</strong>zelnen Mitarbeiter als<br />

auch der Kirchengeme<strong>in</strong>de nachkommen und von daher z. B. <strong>in</strong> die Mediation mit e<strong>in</strong>bezogen<br />

werden müssen.<br />

<strong>Konflikte</strong> bleiben nicht aus. <strong>Konflikte</strong> s<strong>in</strong>d notwenig. <strong>Konflikte</strong> bergen kreatives Potenzial. Je<br />

nach dem, was wir daraus machen - und wie wir uns dabei helfen lassen.<br />

Andreas Herrmann

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