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Alb Magazin - Ausgabe Kispel Lauter 4/2014

Regional Magazin auf der Schwäbischen Alb für die Region St. Johann, Sirchingen, Marbach und Gomadingen

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Gächinger Kantorei<br />

<strong>Alb</strong>-<strong>Magazin</strong> <strong>Ausgabe</strong> 4/<strong>2014</strong><br />

Von Gächingen in die Welt<br />

Zur Jahreswende 1953/1954 trafen sich 20 junge musikbegeisterte Leute im Haus der Familie Haberer in Gächingen, um<br />

eine Woche lang gemeinsam zu singen. Als Abschluss gaben sie in der Dorfkirche St. Georg ein Konzert und nannten sich<br />

Gächinger Kantorei. Einer der Initiatoren war Helmuth Rilling, der spätere Gründer der Internationalen Bachakademie<br />

Stuttgart, vielfach preisgekrönter Dirigent und Musikpädagoge.<br />

Erstes Programmblatt aus dem Jahr 1954<br />

Die Gächinger Kantorei singt beim Projekt „Bach bewegt“<br />

Als sich in den Sommerferien des Jahres<br />

1953 vier junge Leute im Haus der Familie<br />

Haberer in Gächingen zusammen setzten,<br />

um sich die Zeit mit Musik zu vertreiben,<br />

dachte wohl noch niemand daran, dass der<br />

Name der kleinen <strong>Alb</strong>gemeinde nur wenige<br />

Jahre später in den Kreisen der Musikfreunde<br />

weltweit ein brillantes Renommee<br />

erlangen sollte. Auslöser war der damals<br />

gerade 20 Jahre alte Musikstudent Helmuth<br />

Rilling aus Stuttgart. Der junge hoch begabte<br />

Mann, Sohn eines Musiklehrers, war Absolvent<br />

der evangelischen Seminare Schöntal<br />

und Urach, wo er neben dem theologischen<br />

Schwerpunkt eine fundierte Ausbildung in<br />

Musik, insbesondere am Klavier und an der<br />

Orgel erhielt. Bereits während seiner Schulzeit<br />

hatte Rillings Interesse dem Gesang und<br />

besonders den Kantaten Johann Sebastian<br />

Bachs gegolten. Während seines Studiums<br />

der Schulmusik an der Musikhochschule<br />

Stuttgart erhielt Rilling neben seinem Hauptfach<br />

Orgel auch Unterricht in Gesang, den er<br />

in seiner Freizeit auch im Stuttgarter Singkreis<br />

pflegte.<br />

Ein musikalischer Sommer<br />

Dort sang auch Bärbel Haberer aus Gächingen<br />

mit. Die Familie Haberer stammte ursprünglich<br />

aus Stuttgart und war mit der Familie<br />

Rilling befreundet. Bei seinem Besuch<br />

auf der <strong>Alb</strong> im Sommer 1953 hatte Helmuth<br />

Rilling neben seiner Geige auch seinen Schulfreund<br />

Christof Planck mitgebracht, der eine<br />

Bratsche im Gepäck hatte. Bärbel Haberer<br />

spielte Geige, ihre Schwester Ulrike Cello –<br />

das Streichquartett war perfekt.<br />

Wie sich Bärbel Haberer erinnert, hat dieser<br />

musikalische Sommer zwar viel Freude bereitet,<br />

richtig zufrieden mit den Ergebnissen<br />

war jedoch keiner der Beteiligten. Dennoch<br />

wollten sie das gemeinsame Musizieren<br />

nicht missen, und so wandten sie sich dem<br />

Gesang zu. „Nach und nach sind noch ein<br />

paar Leute dazu gekommen, ein kleiner Chor<br />

ist entstanden“, erzählt Bärbel Haberer.<br />

Geburt eines großen Chors<br />

Über Weihnachten und Silvester 1953 kamen<br />

etwa 20 junge Sänger im Haus der Familie Haberer<br />

zu einer Singwoche zusammen, die der<br />

Chor mit einem Konzert am 3. Januar 1954 in<br />

der Kirche St. Georg in Gächingen beschloss.<br />

Da der Chor für den Programmzettel dieser<br />

geistlichen Abendmusik eines Namens bedurfte,<br />

nannte sich das Ensemble „Gächinger<br />

Kantorei“ – es war die Geburtsstunde eines<br />

der glanzvollsten Namens in der Vokalmusik<br />

des 20. Jahrhunderts. „Das Konzert war ein<br />

großer Erfolg, und wir haben noch im Januar<br />

in Stuttgart in der Brenzkirche nochmals gesungen“,<br />

erinnert sich Bärbel Haberer.<br />

In den Osterferien 1954 traf sich der Chor erneut<br />

im Haus der Familie Haberer. Dort wurde<br />

Chorprobe mit Helmuth Rilling im Jahr 1954 in Gächingen<br />

es langsam eng. „Es sind neue Leute dazu<br />

gekommen, bald waren wir 30. Meine Eltern<br />

waren deswegen nicht immer nur begeistert.<br />

Auch das Übernachten wurde schwierig. Die<br />

Männer haben irgendwie auf dem Fußboden<br />

geschlafen, die Mädchen wurden bei meiner<br />

Tante untergebracht“, beschreibt Bärbel Haberer.<br />

Mit Helmuth Rilling zum Erfolg<br />

Doch die drangvolle Enge schien dem musikalischen<br />

Potenzial des Chors nichts anhaben<br />

zu können. Bald schon kristallisierte sich<br />

Helmuth Rilling als Chorleiter der Gächinger<br />

Kantorei heraus. Es folgten große Kirchenkonzerte,<br />

bereits im Oktober 1954 ging der<br />

Chor auf seine erste Konzertreise, die durch<br />

mehrere Städte in Thüringen führte.<br />

Die Zahl der Konzerte nahm zu, die Presse<br />

und die Fachwelt wurden aufmerksam. So<br />

wurde der Chor zu Aufnahmen beim Rundfunk<br />

eingeladen, im Jahr 1961 nahm die<br />

Gächinger Kantorei ihre erste Schallplatte<br />

auf. Die vielen Konzerte und der steigende<br />

Bekanntheitsgrad des Chors wie auch die Zusammenarbeit<br />

mit Instrumentalensembles<br />

verlangten aufwendigere Vorbereitungen<br />

und intensivere Proben als noch in den Anfangsjahren.<br />

Stuttgart bot dafür viele Möglichkeiten,<br />

zumal Helmuth Rilling, im Jahr<br />

1963 zum Kirchenmusikdirektor in Stuttgart<br />

ernannt, dort über exzellente Beziehungen<br />

Die Gächinger Kantorei gibt im Jahr 1974 ein Konzert in Osaka in Japan<br />

verfügte. Trotzdem hielt das Ensemble seiner<br />

namensgebenden Gemeinde noch lange die<br />

Treue. „Zehn Jahre lang haben wir uns regelmäßig<br />

noch in Gächingen getroffen“, erzählt<br />

Bärbel Haberer.<br />

Internationales Parkett<br />

Mit der Gründung des Fördervereins Stuttgarter<br />

Musikfreunde und des Bach-Collegiums<br />

Stuttgart sowie Rillings steigendem Ruhm<br />

als Kirchenmusiker, Dirigent und Musikpädagoge<br />

eröffneten sich auch für die Gächinger<br />

Kantorei neue Möglichkeiten, die letztlich<br />

den Weg hinaus in die Welt ebneten. Plattenaufnahmen<br />

und Konzertreisen durch Europa<br />

lösten sich ab, der Chor sang in den USA und<br />

wurde in Japan bejubelt.<br />

Etwa 30 Jahre lang hat Bärbel Haberer in der<br />

Gächinger Kantorei gesungen und etliches<br />

davon, auch einige große Tourneen, miterlebt.<br />

„Es ist mit den Jahren einfach alles viel<br />

professioneller geworden. Zu Anfang musste<br />

man noch nicht einmal vorsingen, wenn man<br />

dabei sein wollte. Spaß an der Musik, singen<br />

und ein Instrument spielen können, das hat<br />

schon gereicht“, erzählt sie. Doch irgendwann<br />

sei es Rilling als musikalischem Leiter<br />

nicht mehr nur um das gemeinsame Singen<br />

gegangen. „Da wurde in der Probe über Interpretation<br />

gesprochen. Das war für viele<br />

von uns ganz neu, aber ein entscheidender<br />

Schritt. Wir waren professionell, nicht mehr<br />

nur so ein Studentenclub wie damals“, erinnert<br />

sich Bärbel Haberer an eine spannende<br />

Zeit, die eine kleine Gruppe junger Leute aus<br />

einem Wohnzimmer in Gächingen hinaus<br />

auf das Parkett internationaler Konzertsäle<br />

führte. „Manches war sehr anstrengend, aber<br />

ich möchte nichts davon missen“, betont sie.<br />

Text: Peter Stotz<br />

Fotografie: Holger Schneider (1),<br />

Archiv Internationale Bachakademie<br />

Stuttgart (3)<br />

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