16.01.2015 Aufrufe

Pflege in der Zeit des Nationalsozialismus

Pflege in der Zeit des Nationalsozialismus

Pflege in der Zeit des Nationalsozialismus

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

HAUSARBEIT<br />

W<strong>in</strong>tersemester 2003 / 2004<br />

Fachbereich V – <strong>Pflege</strong><br />

Ev. Fachhochschule RWL – Bochum<br />

Thema: <strong>Pflege</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> <strong>des</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong> –<br />

aus Sicht <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>zeugen<br />

Modul: 4.1<br />

Dozent<strong>in</strong>:<br />

Frau Prof. Dr. Ursula Koch-Straube<br />

Verfasser<strong>in</strong>:<br />

Marianne Petsch<br />

Im Ardeytal 1<br />

58453 Witten<br />

Tel.: 02302 / 424756<br />

Matrikelnummer: 199398<br />

Abgabe: 13. Februar 2004


2<br />

Inhaltsverzeichnis / Glie<strong>der</strong>ung<br />

Seite<br />

1 E<strong>in</strong>leitung, H<strong>in</strong>führung zum Thema .................................................... 2<br />

2 Die Integration <strong>der</strong> Krankenpflege <strong>in</strong> die <strong>Zeit</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>Nationalsozialismus</strong><br />

2.1 Das Gesundheits- und Krankheitsverständnis im<br />

<strong>Nationalsozialismus</strong> (Rassenhygiene) ....................................... 3<br />

2.2 Gesetzliche Grundlagen zur Ausbildung, Berufserlaubnis ....... 4<br />

2.3 Aufgaben <strong>des</strong> <strong>Pflege</strong>personals im Zusammenhang mit<br />

Tötungen .......................................................................................... 5<br />

3 Durchführungsverantwortung für die Tötungen<br />

3.1 Der Umgang mit Verantwortung von den <strong>Pflege</strong>nden ............... 10<br />

3.2 Welche Folgen hatte Wi<strong>der</strong>stand leisten.................................... 11<br />

4 Zusammenfassung, Stellungnahme ............................................................ 13<br />

5 Literaturangabe .......................................................................................... 15


3<br />

1 E<strong>in</strong>leitung / H<strong>in</strong>führung zum Thema<br />

Im W<strong>in</strong>tersemester 2003 /04 fand das Sem<strong>in</strong>ar „<strong>Pflege</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> <strong>des</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong><br />

und heute“ statt. Das Sem<strong>in</strong>ar ist zur Vorbereitung e<strong>in</strong>er Studienreise nach Auschwitz gedacht,<br />

die im Mai 2004 stattf<strong>in</strong>den soll.<br />

Das Ziel dieser Hausarbeit ist, die geschichtlichen H<strong>in</strong>tergründe während <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> <strong>des</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong><br />

<strong>in</strong> Bezug auf den Beruf <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>nden zu beleuchten. Fragen, <strong>in</strong> wieweit<br />

Verantwortung abgegeben werden kann, wozu bl<strong>in</strong><strong>der</strong> Gehorsam führt, s<strong>in</strong>d noch Gegenstand<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> heutigen <strong>Zeit</strong>.<br />

Die Beteiligung <strong>des</strong> <strong>Pflege</strong>personals an allen nationalsozialistischen Maßnahmen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Gesundheitspolitik bezog sich zwar nur zum ger<strong>in</strong>gen Teil auf die Tötung von „m<strong>in</strong><strong>der</strong>wertigem“<br />

Leben, aber es war doch e<strong>in</strong> Bestandteil pflegerischer Handlungen, den man<br />

nicht e<strong>in</strong>fach als Ausnahme werten kann. Als Ausnahme kann eher <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>stand angesehen<br />

werden, den sich doch e<strong>in</strong>ige KollegInnen getraut haben zu leisten (siehe auch 3.2).<br />

Es ist also <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong> während <strong>des</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong> sowohl bl<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

Gehorsam als auch Verweigerung und Mut zum H<strong>in</strong>schauen anzutreffen. E<strong>in</strong>e Aufarbeitung<br />

kam zu kurz, da es nach dem Krieg sehr viele neue Aufgaben gab und daher sche<strong>in</strong>bar<br />

ke<strong>in</strong>e <strong>Zeit</strong> zur Reflexion war. Und die Mutigen konnten nicht mehr an <strong>der</strong> Weiterentwicklung<br />

<strong>der</strong> <strong>Pflege</strong> mitwirken, weil sie entwe<strong>der</strong> h<strong>in</strong>gerichtet worden o<strong>der</strong> emigriert s<strong>in</strong>d (e<strong>in</strong><br />

Grund, warum Deutschland im Vergleich zu an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n <strong>in</strong> <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong><br />

zur Profession im Rückstand ist).<br />

2 Die Integration <strong>der</strong> Krankenpflege <strong>in</strong> die <strong>Zeit</strong> <strong>des</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong><br />

2.1 Das Gesundheits- und Krankheitsverständnis im <strong>Nationalsozialismus</strong><br />

(Rassenhygiene)<br />

Die Gesundheitswissenschaften (Public Health) haben sich seit jeher darum bemüht, den<br />

Gesundheitszustand ganzer Populationen aufrecht zu erhalten. Das e<strong>in</strong>zelne Individuum<br />

stand nicht im Vor<strong>der</strong>grund. Die Geschichte (Ende 19. Jahrhun<strong>der</strong>t) beschreibt, dass<br />

Volkskrankheiten nicht nur durch mediz<strong>in</strong>ische Neuerungen und Entdeckungen (Virchow,


4<br />

Behr<strong>in</strong>g) reduziert o<strong>der</strong> behoben wurden, son<strong>der</strong>n dass auch durch Public Health – Initiativen,<br />

wie ausreichend frische Luft, sauberes Wasser (Hygiene), gesunde Ernährung dazu<br />

beigetragen werden konnte.<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n <strong>des</strong> 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts setzte sich e<strong>in</strong> neues Verständnis von „sozialer Hygiene“<br />

durch, und zwar neben den Attributen, die e<strong>in</strong>e hygienische Kultur kennzeichneten (Wohnung,<br />

Kleidung, Arbeitsschutz). Die Eugenik, als die “Hygiene <strong>der</strong> menschlichen Fortpflanzung“<br />

wurde von Grotjahn beschrieben. Er äußerte sich besorgt über die Degeneration<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung und sah als letztes Mittel „zur Verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> körperlich M<strong>in</strong><strong>der</strong>wertigen“<br />

die Zwangssterilisation.<br />

Aus diesen und weiteren Denkrichtungen heraus entwickelte sich <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> „Rassenhygiene“.<br />

Er nahm die Gesundheit e<strong>in</strong>er „Rasse“ <strong>in</strong> den Blick, so dass erbliche Veranlagungen<br />

ausgelesen werden sollten (direkte E<strong>in</strong>wirkung auf die Erbmasse).<br />

Der Begriff <strong>der</strong> Eugenik wird von e<strong>in</strong>em englischen Naturforscher (Francis Galton) geprägt:<br />

„Eugenik ist die Wissenschaft, die sich mit allen E<strong>in</strong>flüssen befasst, welche die angeborenen<br />

Eigenschaften e<strong>in</strong>er Rasse verbessern und welche diese Eigenschaften zum<br />

größtmöglichen Vorteil <strong>der</strong> Gesamtheit zur Entfaltung br<strong>in</strong>gen“ (Lenz <strong>in</strong> Schaeffer et al.<br />

1994, S. 39). Der Münchner Rassenhygieniker Fritz Lenz sah Hitler als den ersten Politiker<br />

von wirklich großem E<strong>in</strong>fluss, <strong>der</strong> die Rassenhygiene als zentrale Aufgabe aller Politik<br />

sah. Durch Eugenik ließ sich die Spreu vom Weizen trennen.<br />

2.2 Gesetzliche Grundlagen zur Ausbildung, Berufserlaubnis<br />

Es war <strong>der</strong> Verdienst <strong>der</strong> „Berufsorganisation <strong>der</strong> Krankenpfleger<strong>in</strong>nen Deutschlands“<br />

(B.O.K.D.), dass 1907 das erste Krankenpflegegesetz <strong>in</strong> Preußen verabschiedet wurde und<br />

dadurch erstmalig e<strong>in</strong>e staatliche Prüfung und Anerkennung zur Krankenpflegeausbildung<br />

erfolgte. Die Ausbildungszeit wurde auf e<strong>in</strong> Jahr festgelegt.<br />

Während <strong>der</strong> NS-<strong>Zeit</strong> wurde vom Staat e<strong>in</strong>e vere<strong>in</strong>heitlichte Berufsausbildung angeboten<br />

(Gesetz zur Ordnung <strong>der</strong> Krankenpflege im Jahre 1938). Die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zwischenzeit verlängerte<br />

Ausbildungszeit von 2 Jahren wurde nun auf 18 Monate reduziert, um die Arbeitskräfte<br />

<strong>der</strong> Krankenpflege schneller (aus)nutzen zu können. Die Ausübung <strong>des</strong> Berufs war


5<br />

gesetzlich geschützt. Dies kann als Fortschritt gesehen werden, <strong>der</strong> aber nur von kurzer<br />

Dauer war.<br />

Die Ausbildungs<strong>in</strong>halte bezogen sich auf nationalsozialistisches Denken und Handeln,<br />

Pr<strong>in</strong>zipien <strong>des</strong> Dienens und <strong>des</strong> Gehorsams waren grundlegende pflegerische Elemente.<br />

E<strong>in</strong>e während <strong>der</strong> Weimarer Republik im Ansatz vorhandene eigenständige professionelle<br />

Entwicklung wurde damit aufgehoben. Die Leitung <strong>der</strong> Krankenpflegeschule oblag e<strong>in</strong>em<br />

Arzt, wodurch die Vorherrschaft gesichert war.<br />

Schüler<strong>in</strong>nen wurden für e<strong>in</strong>e spezielle NS-Schwesternschaft („Braune Schwestern“) ausgebildet<br />

und vor allem <strong>in</strong> den Geme<strong>in</strong>den, <strong>in</strong> Lazaretten bei <strong>der</strong> Wehrmacht und <strong>in</strong> den<br />

Mütterheimen <strong>der</strong> SS e<strong>in</strong>gesetzt. Das während <strong>der</strong> NS-<strong>Zeit</strong> ver<strong>in</strong>nerlichte Gehorsamsideal<br />

<strong>der</strong> Krankenpflege gegenüber dem Staat und <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong> führte u. a. zu <strong>der</strong> Mitarbeit bei<br />

den „Euthanasie“-Programmen. Der NS-Staat stellte die Krankenpflege unter die Anordnung<br />

<strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong>er und machte somit die <strong>Pflege</strong>nden zu Komplizen nationalsozialistischer<br />

Rassenpolitik.<br />

2.3 Aufgaben <strong>des</strong> <strong>Pflege</strong>personals im Zusammenhang mit Tötungen<br />

Die Mitbeteiligung an den Tötungen <strong>der</strong> von NS – Seite Auserwählten unterschieden sich<br />

<strong>in</strong> 2 Phasen:<br />

1. Tötungen durch Gas <strong>in</strong> 6 Mordanstalten<br />

2. Ermordung durch Medikamentenüberdosierung, Luft<strong>in</strong>jektionen und durch Nahrungsentzug<br />

(„wilde Euthanasie“)<br />

Tötungen durch Gas: Das <strong>Pflege</strong>personal hatte <strong>in</strong> dieser Phase weniger <strong>in</strong>tensiven Kontakt<br />

zu den Patienten als im Vergleich zum <strong>Pflege</strong>personal <strong>in</strong> den Anstalten <strong>der</strong> „wilden<br />

Euthanasie“. Es wirkte bei den Vorbereitungen zum Abtransport <strong>der</strong> Patienten <strong>in</strong> die Tötungsanstalt<br />

mit und beim Richten und Auflisten ihrer persönlichen Gegenstände. Weiterh<strong>in</strong><br />

kennzeichneten die <strong>Pflege</strong>nden die Patienten per Pflasterklebestreifen o<strong>der</strong> direkt auf<br />

die Haut, <strong>in</strong>dem sie mit T<strong>in</strong>tenstift zwischen die Schulterblätter Angaben <strong>der</strong> zu tötenden<br />

Person machten. Hilfe beim An- und Ausziehen zum Zwecke <strong>der</strong> Sche<strong>in</strong>untersuchungen,<br />

sowie Begleitung <strong>der</strong> Transporte zur Zwischen- o<strong>der</strong> Tötungsanstalt gehörten mit zu ihren


6<br />

Aufgaben. Als Fahrtbegleiter „beruhigten“ sie die Patienten mit Medikamenten o<strong>der</strong> Fesseln.<br />

Sie begleiteten sie nur bis zur Gaskammer, waren bei <strong>der</strong> Vergasung selbst nicht gegenwärtig.<br />

Nach <strong>der</strong> Ermordung nahmen sie die persönlichen und anstaltseigenen Sachen<br />

<strong>der</strong> Getöteten entgegen.<br />

„Vom 21. Januar 1941 an begleitete ich zehn Krankentransporte aus den verschiedensten<br />

Anstalten nach Hadamar. (...) Auf unseren Fahrten machten wir ke<strong>in</strong>e Pausen, damit die<br />

Kranken austreten konnten (...) Reiseproviant hatten sie nicht mit. In jedem Bus saßen von<br />

uns e<strong>in</strong> <strong>Pflege</strong>r und e<strong>in</strong>e Schwester (...)“ (Aussage <strong>des</strong> Krankenpflegers Benedikt H. vom<br />

16.1.1966 im Prozess gegen Dr. Ullrich u. a. <strong>in</strong> Steppe 2001, S. 152 – 153).<br />

Aussage e<strong>in</strong>er Ursberger Schwester im April 1946 kurz vor dem Abtransport:<br />

„Manche haben sich h<strong>in</strong>gehängt an die Schwester, die Schleier abgerissen. Das war<br />

furchtbar (...) Die haben direkt geahnt und gemerkt, was los ist. Wir haben ihnen die Sakramente<br />

geben lassen. Es war fürchterlich, unbeschreiblich (...) bei den Mädchen war es<br />

ganz arg. Die fühlten <strong>in</strong>st<strong>in</strong>ktiv, dass ihnen nichts Gutes bevorstand. Die haben direkt geschrieen<br />

und gewe<strong>in</strong>t. Die <strong>Pflege</strong>r<strong>in</strong>nen und Ärzte hatten selbst gewe<strong>in</strong>t ob <strong>der</strong> Szene <strong>des</strong><br />

Abschieds (...)“ ( Schmidt 1983 <strong>in</strong> Steppe 2001, S. 153).<br />

Die persönliche Betroffenheit <strong>der</strong> pflegenden Personen <strong>in</strong> Bezug auf die Patienten, die abtransportiert<br />

werden sollten, wird auch im folgenden Zitat deutlich:<br />

„Über die Grauenhaftigkeit (...) brauche ich nur das zu sagen, dass sich die e<strong>in</strong>zelnen Patienten<br />

<strong>in</strong> ihrer Verzweiflung an mich klammerten, (...) Als Antwort auf me<strong>in</strong>e vergebliche<br />

Bitte, die Patient<strong>in</strong> (...) freizugeben, sagte mir <strong>der</strong> Transportführer, die vorgeschriebene<br />

Zahl müsse erreicht werden und wenn Fräule<strong>in</strong> ... unbed<strong>in</strong>gt dableiben solle, dann müsse<br />

ich halt an ihrer Stelle mitgehen. Das seltsamste bei alledem war, dass unsere Pflegl<strong>in</strong>ge<br />

von <strong>der</strong> sogenannten Euthanasie viel mehr wussten als wir selber (...)“ (Klee 1985 <strong>in</strong><br />

Steppe 2001, S. 154)<br />

Zunächst wurde das, was die Patienten ahnten, vom <strong>Pflege</strong>personal als Gerücht abgetan,<br />

bis die Beweise vorlagen, dass Ahnungen Tatbestand waren: E<strong>in</strong> Beispiel dafür s<strong>in</strong>d die<br />

Kleidungsstücke, die von den getöteten Patienten <strong>in</strong> die psychiatrische Anstalt zurückgebracht<br />

wurden. Sie waren noch unversehrt und genau <strong>in</strong> dem Zustand <strong>der</strong> Entkleidung <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Tötungsanstalt. Weitere Tätigkeiten im Zusammenhang mit den Tötungen durch Gas


7<br />

bestanden <strong>in</strong> Überprüfung <strong>der</strong> zurückgegebenen Kleidungsstücke auf Vollständigkeit. Es<br />

gab sogenannte Klei<strong>der</strong>karten, die von den <strong>Pflege</strong>personen nach Feststellung auf Vollständigkeit<br />

unterschrieben wurden. Die Kleidungsstücke wurden gebündelt, mit <strong>der</strong> Nummer<br />

<strong>des</strong> Patienten versehen, <strong>in</strong> Beutel gepackt und zunächst aufbewahrt. Wenn sich Angehörige<br />

<strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Frist von 4 – 6 Wochen erkundigten, wurden die aufbewahrten D<strong>in</strong>ge an<br />

sie durch die Post verschickt. Kam ke<strong>in</strong>e Nachfrage, so wurden die Teile an die NSV ü-<br />

bergeben, natürlich nicht, ohne sie aktenmäßig aufgeführt zu haben.<br />

Die Zitate, die sich auf den Umgang <strong>der</strong> zu tötenden Patienten beziehen, reichen von positiven<br />

bis negativen Beschreibungen. E<strong>in</strong>erseits heißt es, dass die Kranken bis zu ihrem<br />

Tode von allen gleich behandelt wurden. An<strong>der</strong>erseits ist auch die Rede von groben Umgangsformen.<br />

Viele Zeugenaussagen beschreiben diverse Rettungsversuche von Seiten <strong>des</strong><br />

<strong>Pflege</strong>personals, welches die jahrelang vertrauten Patienten versteckte o<strong>der</strong> unrichtige Angaben<br />

zu ihrer Arbeitsfähigkeit machte und die Angehörigen benachrichtigte, damit diese<br />

die potentiell Verurteilten rechtzeitig abholen konnten.<br />

„Wilde Euthanasie“: Die Auswahl <strong>der</strong> zu tötenden Patienten passierte dezentral, d.h., <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Anstalt selbst, meistens während <strong>der</strong> Visite durch e<strong>in</strong>en Arzt. Die zugrunde liegenden<br />

Beschreibungen stammen aus <strong>der</strong> Anstalt Obrawalde (Preußen). Der jeweilige Name <strong>des</strong><br />

Kranken wurde von <strong>der</strong> Oberschwester / dem Oberpfleger notiert. Die Patienten wurden<br />

für die Tötung <strong>in</strong> e<strong>in</strong> dafür vorgesehenes E<strong>in</strong>zelzimmer / Isolierzimmer verlegt und durch<br />

e<strong>in</strong>e Überdosierung e<strong>in</strong>es Barbiturats „e<strong>in</strong>geschläfert“. Ausgewählt wurden auch Patienten,<br />

die zeitweise völlig klar waren, aber nicht arbeitsfähig. Parallel dazu wurden die Patienten<br />

durch Nahrungsentzug geschwächt. Nur die noch Arbeitsfähigen bekamen angemessen zu<br />

essen. E<strong>in</strong>e Vorbehandlung mit Medikamenten vor <strong>der</strong> eigentlichen Giftgabe diente <strong>der</strong><br />

Ruhigstellung <strong>der</strong> Betroffenen. Demnach hatten sie e<strong>in</strong>e Vorahnung davon, was sie im<br />

Isolierzimmer erwarten würde.<br />

Auffällig war, dass von 1939 an die Anzahl <strong>der</strong> Geisteskrankheiten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anstalt Obrawalde<br />

von 900 auf 2000 wuchs, aber nur 3 Ärzte dafür zuständig waren. Auch <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>-<br />

Personalmangel wird beschrieben. Die <strong>Pflege</strong>r<strong>in</strong>nen mussten bis zu 14 Stunden am Tag<br />

arbeiten. Ab 1944 übernahmen sie pflegefremde Tätigkeiten, wie Mitwirkung bei <strong>der</strong> Anlage<br />

von Panzergräben. Wahrsche<strong>in</strong>lich hat die Überlastung dazu geführt, dass man sich<br />

nicht mehr gewehrt hat. Auch Mobb<strong>in</strong>gverhalten von oben nach unten führte dazu, dass


8<br />

ke<strong>in</strong>er dem An<strong>der</strong>en vertraute. So konnte je<strong>der</strong> gut e<strong>in</strong>geschüchtert werden, und an e<strong>in</strong>en<br />

geme<strong>in</strong>samen Zusammenschluss gegen „die da oben“ war nicht zu denken. Allerd<strong>in</strong>gs hatten<br />

die <strong>Pflege</strong>nden bei <strong>der</strong> Tötung durch Gift e<strong>in</strong>en größeren Handlungsspielraum als bei<br />

<strong>der</strong> Tötung durch Gas. E<strong>in</strong> Zitat e<strong>in</strong>er Hauptangeklagten <strong>des</strong> späteren Obrawalde – Prozesses<br />

belegt sowohl die Handlungsfreiheit bei Anordnung durch den Arzt als auch die Konsequenz<br />

<strong>der</strong>er:<br />

„(...) Bald nachdem ich Abteilungspfleger<strong>in</strong> geworden war, hielt Frau Dr. Wernicke e<strong>in</strong>e<br />

Visite. In dem Krankensaal befanden sich etwa 12 Betten mit Patient<strong>in</strong>nen. In e<strong>in</strong>em Bett<br />

lag e<strong>in</strong>e Frau mittleren Alters, also ca. 30 – 40 Jahre alt, die sehr unruhig war. Es handelte<br />

sich um e<strong>in</strong>e Schizophrene. (...) ´Geben Sie dieser Patient<strong>in</strong> 4 bis 5 Gramm Veronal.`<br />

(...) Ich war <strong>der</strong> Überzeugung, dass ich <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong> das Veronal nur geben sollte, um sie<br />

ruhig zu stellen. (...) und gab <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong> zwei Dosen à 0,5 Gramm. Da die Patient<strong>in</strong><br />

nach dieser Menge ruhig blieb, verabreichte ich ihr nicht die gesamte angeordnete Dosis.<br />

Am folgenden Tag berichtete ich bei <strong>der</strong> Visite (...) weil die Patient<strong>in</strong> mit den Teilgaben<br />

ruhig gestellt war. Darauf schrie mich Dr. Wernicke an, ich hätte das zu verabreichen, was<br />

vom Arzt angeordnet werde. Auf me<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>wand, die Patient<strong>in</strong> sei doch durch die ger<strong>in</strong>gere<br />

Menge ruhig gestellt, g<strong>in</strong>g sie nicht e<strong>in</strong>. Weitere Fragen stellte ich nicht mehr. Auf die<br />

Frage, was ich mir hierzu für Gedanken gemacht habe, muss ich sagen, dass ich mir <strong>in</strong><br />

diesem Augenblick klar darüber geworden b<strong>in</strong>, was die Ärzt<strong>in</strong> Dr. Wernicke mit <strong>der</strong> hohen<br />

Dosis Veronal bezwecken wollte“ (Schwester Luise E., Obrawalde-Prozess, Blatt 1553ff.<br />

<strong>in</strong> Steppe 2001, S. 158).<br />

Bald schienen die Tötungen so etwas wie pflegerische Rout<strong>in</strong>e zu werden., obwohl die<br />

zitierte Schwester auch ihren Konflikt beschrieb, den sie hatte, wenn <strong>der</strong> anordnende Arzt<br />

e<strong>in</strong>e Tötung verordnete. Sie hatte den Konflikt vor allem dann, wenn ihr die Entscheidung<br />

zur Tötung nicht gerechtfertigt erschien. Es wird aus dem Zitat nicht deutlich, welches<br />

Kriterium sie als Rechtfertigung zum Morden anwandte.<br />

Das selbständige Handeln <strong>des</strong> <strong>Pflege</strong>personals bezog sich auch auf die Auswahl <strong>der</strong> Patienten,<br />

die pflegeleicht waren und auf die, die „(...) aus irgende<strong>in</strong>em Grunde lästig wurden<br />

und ihre Beliebtheit beim Personal verloren, dann wurde die Tötung durchgeführt und<br />

zwar sofort“ (Klee 1983 <strong>in</strong> Steppe 2001, S. 160).


9<br />

Der Vorgang <strong>der</strong> Tötungen selbst wurde vom Krankenpflegepersonal ausführlich beschrieben.<br />

Je nach Zustand <strong>des</strong> Patienten verlief auch die Gabe <strong>der</strong> überdosierten Medikamente<br />

entwe<strong>der</strong> oral o<strong>der</strong> <strong>in</strong>travenös. Meistens wurde es ihnen zu zweit liebevoll und durch gutes<br />

Zureden gereicht.<br />

„(...) Bei dem E<strong>in</strong>geben <strong>des</strong> aufgelösten Mittels g<strong>in</strong>g ich mit großem Mitgefühl vor. Ich<br />

hatte den Patient<strong>in</strong>nen vorher erzählt, dass sie nur e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Kur mitzumachen hätten.<br />

Selbstverständlich habe ich dieses Märchen nur solchen Patient<strong>in</strong>nen sagen können, die<br />

noch genügend klaren Verstand besaßen, um es begreifen zu können. Beim E<strong>in</strong>geben nahm<br />

ich sie liebevoll <strong>in</strong> den Arm und streichelte sie dabei (...)“ (Schwester Luise E., Obrawalde<br />

- Prozess, S. 333ff. <strong>in</strong> Steppe 2001, S. 161 – 162).<br />

„(...) Mit Tränen <strong>in</strong> den Augen haben wir dann diese Spritzen aufgezogen (...)“ (Margarete<br />

T., Obrawalde- Prozess, S. 728 ff. <strong>in</strong> Steppe 2001, S. 162).<br />

Die meisten <strong>der</strong> zu verlegenden Patienten <strong>in</strong> das Sterbezimmer konnten selbst gehen, wussten<br />

aber aus Sicht <strong>der</strong> Aussagenden nicht, warum sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Zimmer verlegt werden<br />

sollten. Sie mussten sich mit Nachthemd und Nachtjacke bekleidet <strong>in</strong>s Bett legen und bekamen<br />

dort entwe<strong>der</strong> die <strong>in</strong> Wasser aufgelösten Medikamente zu schlucken o<strong>der</strong> als Spritze.<br />

In manchen Fällen wurde nur Luft <strong>in</strong> die Vene gespritzt, so dass die Patienten an e<strong>in</strong>er<br />

Luftembolie verstarben. Das geschah <strong>in</strong> den Situationen, <strong>in</strong> denen die per Überdosis behandelten<br />

Patienten schwer starben. In <strong>der</strong> Regel trat <strong>der</strong> Tod <strong>der</strong> Opfer nach etwa e<strong>in</strong>em<br />

halben Tag e<strong>in</strong>. „Diese Luft<strong>in</strong>jektionen habe ich nur auf <strong>der</strong> Station U 1 und an solchen<br />

Patient<strong>in</strong>nen ausgeführt, die bereits mit Lum<strong>in</strong>al o<strong>der</strong> Morphium-Scopolam<strong>in</strong> vorbehandelt<br />

worden s<strong>in</strong>d und die sehr schwer gestorben s<strong>in</strong>d“ (Margarete T., Obrawalde-Prozess, S.<br />

728 ff. <strong>in</strong> Steppe 2001, S. 162). Diese, wie auch viele an<strong>der</strong>e Aussagen be<strong>in</strong>halten e<strong>in</strong>e Art<br />

Entschuldigung, die entwe<strong>der</strong> die Tat an sich o<strong>der</strong> auch die Vorgehensweise rechtfertigen<br />

sollten.<br />

3 Durchführungsverantwortung für die Tötungen<br />

3.1 Der Umgang mit Verantwortung von den <strong>Pflege</strong>nden


10<br />

Die Begründungen für die Ausführung <strong>der</strong> Euthanasie be<strong>in</strong>halteten große Betroffenheit,<br />

vor allem dann, wenn sie als nicht gerechtfertigt angesehen wurde. Aus den Zitaten<br />

geht hervor, dass e<strong>in</strong>e Rechtfertigung dann vorliege, wenn e<strong>in</strong> Mensch unheilbar<br />

krank war. „ (...) Me<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>stellung zur Euthanasie war die, sollte ich selbst unheilbar<br />

krank werden, (...) würde ich es als Erlösung empf<strong>in</strong>den, wenn e<strong>in</strong> Arzt o<strong>der</strong> auf ärztliche<br />

Verordnung e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Person mir e<strong>in</strong>e Gabe verabreichen würde, die mich von<br />

allem erlöst. Trotz me<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>stellung zur Euthanasie habe ich, (...) schwere <strong>in</strong>nere<br />

Kämpfe mit mir selbst ausgefochten (...)“ (Luise E., Obrawalde-Prozess, S. 78 ff. <strong>in</strong><br />

Steppe 2001, S. 163).<br />

Die Frage nach <strong>der</strong> gesetzlichen Grundlage blieb, ob und <strong>in</strong> welchem Fall e<strong>in</strong> Gesetzgeber<br />

überhaupt berechtigt ist, e<strong>in</strong>e Tötung anzuordnen. Das schlechte Gewissen konnte<br />

aber dadurch entlastet werden, dass die Anordnenden, also die Ärzte, die Euthanasie<br />

delegierten und die <strong>Pflege</strong>personen somit nur e<strong>in</strong>e Anordnung ausführten. Das wird<br />

auch im folgenden Zitat deutlich: „(...) weil ich es gewohnt war, die Anordnungen und<br />

die Befehle <strong>der</strong> Ärzte unbed<strong>in</strong>gt auszuführen. Ich b<strong>in</strong> so erzogen und auch ausgebildet<br />

worden. Als Schwester o<strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>r<strong>in</strong> besitzt man nicht den Bildungsgrad e<strong>in</strong>es Arztes<br />

und kann daher nicht werten, ob die vom Arzt getroffene Maßnahme o<strong>der</strong> Anordnung<br />

richtig ist. Die ständige Übung, den Anordnungen e<strong>in</strong>es Arztes zu folgen, geht so <strong>in</strong><br />

Fleisch und Blut über, dass das eigene Denken ausgeschaltet wird“ (Klee 1983 <strong>in</strong><br />

Steppe 2001, S. 163). Vielleicht war diese Haltung e<strong>in</strong> guter Schutz gegen die wirkliche<br />

<strong>in</strong>nere E<strong>in</strong>stellung<br />

Wi<strong>der</strong>sprüchlich ersche<strong>in</strong>en die Aussagen, dass e<strong>in</strong>erseits die Tötungen von Seiten <strong>der</strong><br />

Durchführenden nicht gebilligt wurden, man aber verpflichtet war, z. B. als „Beamt<strong>in</strong><br />

im Staatsdienst je<strong>des</strong> Verlangen <strong>des</strong> Staates auszuführen“. An<strong>der</strong>erseits hätte man e<strong>in</strong>en<br />

angeordneten Bankraub nicht durchgeführt, „ ... weil man so etwas nicht tut. Außerdem<br />

hätte e<strong>in</strong> Diebstahl nicht zu me<strong>in</strong>en Aufgaben gehört. ( ...) dass ich e<strong>in</strong>en Diebstahl<br />

nie begangen hätte. Ich weiß, dass man so etwas nicht tun darf (...)“ (Anna G.,<br />

Obrawalde-Prozess, S. 408 <strong>in</strong> Steppe 2001, S. 164).<br />

Nicht nur als erschreckend, son<strong>der</strong>n als legitimierend für die zu verurteilenden Taten<br />

kann die absolut ver<strong>in</strong>nerlichte Gehorsamspflicht gegenüber den Ärzten und den Gesetzgebern<br />

gesehen werden. Das subjektiv empfundene Gefühl von Unschuld trotz e<strong>in</strong>-


11<br />

deutiger Handlungen er<strong>in</strong>nert an die Ergebnisse <strong>des</strong> „Milgram-Experiments“, <strong>in</strong> dem<br />

Probanden e<strong>in</strong>em Menschen unter dem Vorwand e<strong>in</strong>es wissenschaftlichen Experiments<br />

elektrische Stromstöße bis zur tödlichen Dosis verabreicht haben, wenn es ihnen vom<br />

Versuchsleiter befohlen wurde. Durch die Abgabe <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen Verantwortung an<br />

e<strong>in</strong>e übergeordnete Instanz konnte sich e<strong>in</strong> Gefühl von Unschuld o<strong>der</strong> m<strong>in</strong><strong>des</strong>tens von<br />

Nicht-Beteiligung e<strong>in</strong>stellen. H<strong>in</strong>zu kam, dass je<strong>der</strong> <strong>der</strong> Beteiligten nur e<strong>in</strong>en Teilbereich<br />

<strong>der</strong> gesamten „Entsorgungsaktion“ übernahm und dadurch nicht unbed<strong>in</strong>gt die<br />

Gesamtzusammenhänge durchschaute (durchschauen musste).<br />

3.2 Welche Folgen hatte Wi<strong>der</strong>stand leisten<br />

Es waren nur wenige, die trotz Androhung von Strafe Wi<strong>der</strong>stand geleistet haben. Die Recherchen<br />

darüber s<strong>in</strong>d dürftig.<br />

„Wi<strong>der</strong>stand bedeutete, als Mitglied e<strong>in</strong>er Organisation o<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>in</strong>dividueller E<strong>in</strong>zelleistung<br />

von <strong>der</strong> Norm abweichen<strong>des</strong> o<strong>der</strong> oppositionelles Verhalten gegenüber dem totalitären<br />

Staat aus humanitären, religiösen o<strong>der</strong> politischen Motiven heraus zu zeigen“ (Kiel-<br />

Römer, Schmidt, Süß 1989 <strong>in</strong> Steppe 2001, S.190).<br />

Der Hauptgrund <strong>des</strong> Leistens von Wi<strong>der</strong>stand war die persönliche Haltung, die geprägt war<br />

von e<strong>in</strong>em christlichen, humanistischen o<strong>der</strong> politischen H<strong>in</strong>tergrund. Möglichkeiten von<br />

Wi<strong>der</strong>stand gegen e<strong>in</strong>en totalitären Staat bestanden <strong>in</strong> <strong>Pflege</strong> von jüdischen PatientInnen,<br />

Begleitung <strong>in</strong> den Luftschutzkeller, Verstecken vor dem Abtransport <strong>in</strong> die KZs (Rettung<br />

von Juden), also nicht nur die Verweigerung bei <strong>der</strong> „Entsorgung“ von m<strong>in</strong><strong>der</strong>wertigem<br />

Leben.<br />

Hier nun e<strong>in</strong>ige erwähnenswerte Persönlichkeiten:<br />

1. Schwester Anna Bertha Königsegg, V<strong>in</strong>zent<strong>in</strong>er<strong>in</strong>: Sie protestierte häufiger gegen<br />

die Entlassung <strong>der</strong> Ordensschwestern. Bei Inkrafttreten <strong>des</strong> Gesetzes zur Verhütung<br />

erbkranken Nachwuchses erteilte sie e<strong>in</strong>e Dienstanweisung an alle Ordensschwestern<br />

<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>krankenhauses <strong>in</strong> Salzburg, bei E<strong>in</strong>griffen, wie <strong>der</strong> Sterilisation,<br />

nicht zu assistieren. E<strong>in</strong> Protestbrief an den Reichsverteidigungskommissar zog als<br />

Konsequenz e<strong>in</strong>e Vorladung von <strong>der</strong> Gestapo nach sich mit anschließen<strong>der</strong> Inhaf-


12<br />

tierung. Nach 11 Tagen Haft wurde sie entlassen (<strong>der</strong> Grund ist nicht bekannt), aber<br />

nur bis zu dem <strong>Zeit</strong>punkt e<strong>in</strong>es erneuten offiziellen Protestes gegen die „Verlegung“<br />

von 70 psychiatrischen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Haus. E<strong>in</strong>e erneute Verhaftung<br />

zog e<strong>in</strong>e Verurteilung wegen Sabotage amtlicher Befehle und Unruhestiftung<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Bevölkerung gegen die Volksgeme<strong>in</strong>schaft nach sich. Trotzdem wurde sie<br />

entlassen, aber gleichzeitig <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> verwiesen. Sie musste zu ihrem Bru<strong>der</strong> nach<br />

Deutschland und durfte dieses Land ohne Genehmigung <strong>der</strong> Gestapo nicht mehr<br />

verlassen. Nach Kriegsende konnte sie <strong>in</strong> ihr Mutterhaus zurückkehren und dort bis<br />

zu ihrem Tod 1948 bleiben.<br />

2. Schwester Maria Restituta (Helene Kafka): Trat mit 16 Jahren gegen den Wi<strong>der</strong>stand<br />

ihrer Eltern <strong>in</strong> den Orden <strong>des</strong> Heiligen Franziskus e<strong>in</strong>. Sie war bekannt als<br />

E<strong>in</strong>zelkämpfer<strong>in</strong>, auch <strong>in</strong>nerhalb ihres Ordens. Ohne im E<strong>in</strong>zelnen auf die Inhalte<br />

<strong>der</strong> Querelen e<strong>in</strong>zugehen, kann gesagt werden, dass Schwester Maria am Ende<br />

mehrerer Verhöre vom Volksgerichtshof wegen Hochverrat zum Tode verurteilt<br />

wurde. Lei<strong>der</strong> blieben alle Gnadengesuche vergebens. Der Hauptgrund <strong>des</strong> Hochverrats<br />

war die Abschrift und das Vorlesen e<strong>in</strong>es Soldatenlie<strong>des</strong> vor ihren Kolleg<strong>in</strong>nen.<br />

Der Inhalt <strong>des</strong> Lie<strong>des</strong> war österreichisch-national, beschrieb die Kriegsverluste<br />

und for<strong>der</strong>te zur Fahnenflucht auf. Der Verfasser <strong>des</strong> Lie<strong>des</strong> war nicht bekannt.<br />

3. Sara Nussbaum, Rot-Kreuz-Schwester: war viele Jahre als Krankenschwester <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Jüdischen Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> Kassel tätig. Obwohl sie Jüd<strong>in</strong> war und wegen Äußerungen<br />

gegen die Nationalsozialisten <strong>in</strong>haftiert wurde, kam es zu ke<strong>in</strong>er H<strong>in</strong>richtung. Sie<br />

sollte <strong>in</strong> das KZ Theresienstadt deportiert werden. Da sie sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankenbaracke<br />

nützlich machen konnte und durch e<strong>in</strong>en für sie missverständlichen Umstand <strong>in</strong><br />

die Schweiz zur Erholung <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Sanatorium transportiert wurde, überlebte sie.<br />

Nach dem Krieg kehrte sie nach Deutschland zurück. Sie wurde 1956 zur Ehrenbürger<strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Stadt Kassel ernannt und starb 7 Monate später.<br />

Es gab noch an<strong>der</strong>e mutige Persönlichkeiten, die, jede auf ihre Art, ihre persönliche<br />

Haltung zum Ausdruck brachten. Welche dieser Haltungen den Staat zur H<strong>in</strong>richtung<br />

veranlassten und welche übersehen werden konnten, wird nicht klar. Vielleicht war<br />

hier, wenn auch sonst <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> nicht üblich, <strong>der</strong> E<strong>in</strong>zelfall entscheidend.


13<br />

4 Zusammenfassung, Stellungnahme<br />

Die <strong>Zeit</strong> von 1933 bis zum Ende <strong>des</strong> 2. Weltkriegs hat auch großen E<strong>in</strong>fluss auf die Entwicklung<br />

<strong>der</strong> Krankenpflege genommen. Nicht nur <strong>der</strong> bl<strong>in</strong>de Gehorsam gegenüber Ärzten<br />

und an<strong>der</strong>en Macht<strong>in</strong>habern hat <strong>Pflege</strong>nde zur Haltung und Tat veranlasst, ethisch nicht zu<br />

Verantworten<strong>des</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Licht zu sehen. Die Folgen <strong>des</strong> Gefühls, gehorchen zu<br />

müssen, waren, dass man sich <strong>der</strong> Illusion h<strong>in</strong>gab, dem humanitären Berufsethos treu<br />

geblieben zu se<strong>in</strong>. Denn schließlich konnten durch die beschriebenen „pflegerischen Handlungen“<br />

Leiden gem<strong>in</strong><strong>der</strong>t werden. Je<strong>der</strong> sollte sich Gedanken darüber machen, <strong>in</strong> welcher<br />

Situation er / sie äußeren Rahmenbed<strong>in</strong>gungen ausgesetzt ist, die <strong>der</strong> eigenen E<strong>in</strong>stellung<br />

wi<strong>der</strong>sprechen aber auf Dauer e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>stellung vorantreiben, die mit den gegebenen Umständen<br />

konform gehen.<br />

Die schon lange nicht mehr, aber wie<strong>der</strong> seit <strong>der</strong> Gesundheitsreform diskutierte Funktionspflege<br />

(im Gegensatz zur Bezugspflege) könnte auch dazu beitragen, sich von e<strong>in</strong>er seelischen<br />

Last zu befreien, wenn die Bed<strong>in</strong>gungen für e<strong>in</strong>e pflegerische Beziehung nicht mehr<br />

stimmen. Natürlich würde das auch die Gefahr be<strong>in</strong>halten, pflegerische Prozesse nur <strong>in</strong><br />

Teilbereichen zu sehen, so dass e<strong>in</strong>e Beurteilung von Missständen nicht möglich wäre.<br />

Wer also sollte dann Kritik üben Aber vielleicht wäre das dann nicht gewollt.<br />

Es stellt sich immer wie<strong>der</strong> die Frage: Könnte sich je<strong>der</strong> davon freisprechen, während <strong>der</strong><br />

NS – <strong>Zeit</strong> an<strong>der</strong>s gehandelt zu haben, als es die Aussagen <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>zeugInnen belegen<br />

Was passiert, wenn <strong>Pflege</strong>nde überlastet s<strong>in</strong>d Ist es dann nicht e<strong>in</strong>facher, e<strong>in</strong>er Rout<strong>in</strong>e<br />

nachzugehen, die e<strong>in</strong>e Reflexion ausschließt <strong>Pflege</strong>fremde Tätigkeiten gab es auch schon<br />

damals (Anlage von Panzergräben). Auch sie hatten ihre Legitimation aufgrund <strong>der</strong> äußeren<br />

Umstände. Wo ist heute die Grenze zu pflegefremden Tätigkeiten Ist es nicht häufig<br />

e<strong>in</strong>e Auslegungssache Die Gefahr von pflegerischer Rout<strong>in</strong>e ist allgeme<strong>in</strong> geläufig. Aber<br />

dass sie e<strong>in</strong>e Entwicklung zugelassen hat bis h<strong>in</strong> zu Tötungen, die dann pflegerische Rout<strong>in</strong>e<br />

wurden, ist doch mehr als erschreckend.<br />

Was haben die <strong>Pflege</strong>nden aus <strong>der</strong> Geschichte gelernt


14<br />

Es geht nicht primär um e<strong>in</strong>e Verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung e<strong>in</strong>er Wie<strong>der</strong>holung <strong>des</strong> Dritten Reiches, son<strong>der</strong>n<br />

darum, dass je<strong>der</strong> eigenverantwortlich handeln sollte. Das be<strong>in</strong>haltet auch e<strong>in</strong>e Bewusstmachung<br />

darüber, wenn <strong>in</strong>nere E<strong>in</strong>stellungen nicht mehr leben dürfen. Notfalls sollte<br />

je<strong>der</strong> dann eigenverantwortlich se<strong>in</strong>e Konsequenzen ziehen<br />

5 Literatur<br />

Albert, M. (1998): Krankenpflege auf dem Weg zur Professionalisierung (Diss.).<br />

Bühl/Baden


15<br />

Haug, C. V. (1991): Gesundheitsbildung im Wandel. Die Tradition<br />

Der europäischen Gesundheitsbildung und <strong>der</strong> „Health Promotion“ –<br />

Ansatz <strong>in</strong> den USA <strong>in</strong> ihrer Bedeutung für die gegenwärtige Gesundheits-<br />

Pädagogik. Bad Heilbrunn<br />

Katscher, L. (1990): Krankenpflege und ´Drittes Reich`:<br />

Der Weg <strong>der</strong> Schwesternschaft <strong>des</strong> Evangelischen Diakonievere<strong>in</strong>s<br />

1933 – 1939. Stuttgart<br />

Schaeffer, D.; Moers, M.; Rosenbrock, R. (Hg.) (1994): Public Health<br />

und <strong>Pflege</strong>: Zwei neue gesundheitswissenschaftliche Diszipl<strong>in</strong>en. Berl<strong>in</strong><br />

Schmelter, T. (1999): Nationalsozialistische Psychiatrie <strong>in</strong> Bayern: Die<br />

Räumung <strong>der</strong> Heil- und <strong>Pflege</strong>anstalten. Würzburg<br />

Steppe, H. (2001): Krankenpflege im <strong>Nationalsozialismus</strong>. Frankfurt<br />

Steppe, H.; Ulmer, E. M. (1999): “Ich war von jeher mit Leib und<br />

Seele gerne <strong>Pflege</strong>r<strong>in</strong>.“:Über die Beteiligung von Krankenschwestern<br />

an den „Euthanasie“-Aktionen <strong>in</strong> Meseritz-Obrawalde. Frankfurt

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!