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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 98<br />
es, mit so geringen Erfolgen wir auch im Vergleich mit den fortgeschrittenen Ländern aufwarten<br />
können, Anzeichen dafür, daß die höchsten Resultate unserer geistigen Entwicklung anfangen,<br />
in die Masse zu dringen, die für die niederen Phasen dieser Entwicklung unzugänglich<br />
war. Lomonossow war nur für Menschen mit hoher Schulbildung verständlich.<br />
[244] Die Gedichte Dershawins konnte das Volk weder kennenlernen noch schätzen; und<br />
offen gesagt waren sie auch nicht danach angetan, besonders geschätzt zu werden. Die jungen<br />
Leute aus dem Mittelstand jedoch konnten sich bereits für die Balladen Shukowskis begeistern.<br />
Für das einfache Volk waren diese Balladen zu raffiniert und zu süßlich; aber Puschkins<br />
„Schwarzer Schal“ wurde bereits von den einfachen Mädchen der Kreisstädte gesungen.<br />
Als wir dieser Tage an einem Stand vorbeikamen, auf dem Bilderbogen verkauft wurden,<br />
sahen wir dort ein Blatt mit den Hauptszenen aus Lermontows Lied von Kalaschnikow; unter<br />
den einzelnen Bildern standen die entsprechenden Bruchstücke aus dem Liede.<br />
Es beginnt damit, daß sich Menschen von höherer geistiger Entwicklung aus der Menge absondern,<br />
die dann hinter ihrer Vorwärtsbewegung mehr und mehr zurückbleibt. Wenn jedoch<br />
das geistige Leben der fortschrittlichen Menschen eine sehr hohe Entwicklungsstufe erreicht<br />
hat, nimmt es einen für einfache Leute immer zugänglicheren, den einfachen Bedürfnissen<br />
der Masse immer mehr entsprechenden Charakter an, und die zweite, höhere Hälfte des historischen<br />
Geisteslebens besteht, was ihr Verhältnis zum Geistesleben des einfachen Volkes<br />
betrifft, in einer allmählichen Rückkehr zu jener Einheit des Volkslebens, die ganz am Anfang<br />
bestanden hatte und dann in der ersten Hälfte der Bewegung verlorengegangen war.<br />
Die fortschrittlichen Menschen, durch deren Tätigkeit sich die Wissenschaft weiterentwikkelt,<br />
bringen sie dahin, daß sie mit ihren Ergebnissen das Leben des gesamten Volkes durchdringt.<br />
Die zurückgebliebenen Menschen, die die Entwicklung der Wissenschaft nur bremsen,<br />
bringen auch ihrer Verbreitung unter den Massen keinen Nutzen; sie sind in jeder Hinsicht<br />
unnütz und in mancher direkt schädlich. Wer diese Auffassung teilt, hat keinerlei<br />
Grund, ihnen gegenüber nachsichtig zu sein. Er wäre unentschuldbar, wollte er seine Meinung<br />
von ihnen zurückhalten, wollte er sagen, ihre Werke hätten doch einen gewissen Wert,<br />
wo er sieht, daß sie absolut nichts wert sind, weder für die Wissenschaft noch auch für das<br />
Kennenlernen wenigstens jener mangelhaften Phase [245] ihrer Entwicklung, der sie angehören.<br />
Wenn wir zum Beispiel selbst der Meinung wären, daß es für einen Menschen immerhin<br />
doch besser ist, wenigstens rückständige philosophische Auffassungen kennenzulernen, als<br />
überhaupt keine Ahnung von Philosophie zu haben, könnten wir dennoch nicht sagen, daß<br />
das Buch Herrn Or. Nowizkis der russischen Literatur auch nur den geringsten Nutzen bringen<br />
kann. Wirklich, wer wird es lesen Man kann mit Sicherheit voraussehen, daß es nicht<br />
einmal buchhändlerischen Erfolg haben wird; niemand wird es kaufen, außer vielleicht jenen<br />
Studenten, die sich mit seiner Hilfe aufs Examen vorbereiten müssen, und wenn diese jungen<br />
Leute es kaufen, so würde das durchaus noch kein Anzeichen dafür sein, daß die Kenntnis<br />
der Philosophie sich bei der jungen akademischen Generation ausbreitet, sondern im Gegenteil,<br />
nur ein Anzeichen dafür, daß die jungen heute, wenn sie schon einmal die Philosophie<br />
kennenlernen wollen, infolge der Rückständigkeit ihrer Lenker gezwungen sind, sie in einer<br />
Form kennenzulernen, die sie nicht befriedigt, Langeweile und Abscheu bei ihnen hervorruft<br />
und bei vielen von ihnen die philosophische Wißbegier abtötet, die unabhängig von diesem<br />
Buch bereits erwacht war und ohne es kein so klägliches Ende gefunden haben würde. Nur<br />
möge niemand meinen, daß wir dem System, welches in dem Buche von Or. Nowizki seine<br />
Widerspiegelung gefunden hat, jeden historischen Wert absprechen wollen – an und für sich<br />
war es einstmals ein gutes System; uns scheint nur, daß es in seinem Buch einen unbefriedigenden<br />
Ausdruck gefunden hat; ebenso scheint uns, daß es auch in seiner wahren Gestalt für<br />
unsere Zeit nicht mehr taugt, da es die Frucht von Umständen war, die sich heute geändert<br />
haben.<br />
OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013