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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 89<br />
Die Analyse ist, wie man sieht, sehr gut durchgeführt – durchaus nicht schlechter als unsere<br />
Analyse des Begriffs der Multiplikation. Die mathematische Wahrheit hat eine große Vorliebe<br />
für solche Analysen. Auch diese hier gefällt ihr sehr. Aber wenn wir die vorhin erwähnte<br />
Reihe von [227] Brüchen sowie eine aus ganzen Zahlen gebildete Reihe denken könnten,<br />
würden wir finden, daß diese prächtige Analyse des Begriffs des Raumes leeres, dummes<br />
Gerede ist, das mit der Arithmetik im Widerspruch steht. Deswegen behauptet ja die mathematische<br />
Wahrheit auch, daß unser Verstand weder irgendeine fallende geometrische Progression<br />
bilden, noch die Addition denken könne. Wie man sieht, behauptet sie das zu einem<br />
ganz bestimmten Zweck, und Sie dachten schon, es sei nur eine Laune. Sie haben übel daran<br />
getan, das zu denken, sehr übel.<br />
Bei der Analyse des Begriffs der Zeit bedient sich der Illusionismus buchstäblich der gleichen<br />
Analyse wie beim Begriff des Raumes, wobei nur die entsprechenden Fachausdrücke<br />
ausgewechselt werden; man braucht nur statt „Raum“ – „Zeit“ und statt „Grenzenlosigkeit“ –<br />
„Ewigkeit“ zu sagen, und fertig ist die Laube: der Begriff der Zeit ist eine Illusion; es gibt<br />
nichts, was dieser Illusion entspricht, und kann nichts geben.<br />
Die Begriffe der Bewegung und der Materie verschwinden ganz von selbst aus unserem Denken,<br />
nachdem die Begriffe des Raumes und der Zeit aus ihm verschwunden sind, so daß es zu<br />
ihrer Vertreibung aus unserem Denken eigentlich gar nicht einmal besonderer Analysen bedurft<br />
hätte. Aber der Illusionismus ist großzügig: er liefert uns sowohl eine besondere Analyse<br />
des Begriffs der Bewegung als auch eine besondere Analyse des Begriffs der Materie, dazu<br />
Analysen der Begriffe der Kraft, der Ursache – und das alles auf Grund der mathematischen<br />
Wahrheit, auf Grund ihrer gleichen Behauptungen, die bereits unsere Begriffe von<br />
Raum und Zeit zerstört haben, oder irgendwelcher anderer Behauptungen dieser Art, aller<br />
möglichen, wie es ihm gerade paßt: die mathematische Wahrheit liebt seine Analysen so, daß<br />
sie mit Vergnügen alles behauptet, was zu ihrer Durchführung nötig ist.<br />
Indem sie das tut, handelt die mathematische Wahrheit sehr lobenswert. Aber woher nimmt<br />
sie die Kraft dazu Die Arithmetik leugnen – das ist ein Werk, bei dem die mathematische<br />
Wahrheit schwerlich mit ihren eignen Talenten auskommt Offenbar hat sie Rückhalt an irgendeiner<br />
anderen [228] Wahrheit, die noch tiefer als sie in die Geheimnisse der scholastischen<br />
Weisheit eindringt. Und es ist nicht schwer zu erraten, welches die Wahrheit ist, von<br />
der sie sich die Kraft borgt, alles zu behaupten, was der Illusionismus braucht. Die Mathematik<br />
ist lediglich die Anwendung der Denkgesetze auf die Begriffe der Quantität, des geometrischen<br />
Körpers usw. Sie ist lediglich eine Abart der angewandten Logik. Ihre Urteile werden<br />
also von der logischen Wahrheit beherrscht. Logische Wahrheit fabriziert der Illusionismus<br />
aber ungehindert, wie er sie braucht. Die Scholastik besteht vorwiegend in Dialektik. Der<br />
Illusionismus fühlt sich als unumschränkter Beherrscher der Logik: „Die Gesetze des<br />
menschlichen Denkens“ – diese Worte versteht er in jeden Gedanken einzuschmuggeln, den<br />
er als logische Wahrheit ausgeben will. Damit weiß er zu imponieren; hier liegt seine Stärke<br />
– in der Fähigkeit, abstrakte Begriffe zu teilen und zu verbinden und immer neue syllogistische<br />
Garne zu spinnen, in deren Spinnennetz der Mensch, der nicht daran gewöhnt ist, solche<br />
verzwickten dialektischen Gespinste zu entwirren, sich verliert.<br />
„Das menschliche Denken ist das Denken eines beschränkten Wesens; deswegen kann es den<br />
Begriff des Unendlichen nicht in sich fassen. Das sagt die Logik. Hieraus ergibt sich klar, daß<br />
der Begriff des Unendlichen ein Begriff ist, der die Kräfte unseres Denkens übersteigt.“<br />
Die mathematische Wahrheit kann nicht im Widerspruch zu der logischen Wahrheit stehen.<br />
Und in diese Falle, die der Illusionismus durch Vertauschung des der Mathematik unbekannten<br />
Begriffs des ontologischen Unendlichen mit dem mathematischen Begriff des Unendli-<br />
OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013