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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 81<br />

DIE NATUR DES MENSCHLICHEN WISSENS 1<br />

„Hat ein Mensch, dessen beide Hände intakt sind, Hände“ – „Ja.“<br />

„Stimmt das“ – „Gewiß.“<br />

„Sie sind also davon überzeugt Ich bin es auch.“<br />

Und so geht es weiter.<br />

„Wieviel Hände hat der Mensch, dessen beide Hände intakt sind“ – „Zwei.“<br />

„Guten Tag, meine Herren.“ Da ist ein Gelehrter gekommen, einer von meinen Bekannten.<br />

„Worüber unterhalten Sie sich“<br />

„Oh, nur darüber, daß ein Mensch, dessen zwei Hände intakt sind, zwei Hände hat.“<br />

„Sind Sie davon überzeugt“ „Völlig überzeugt.“<br />

„Sie irren sich, meine Herren. Es ist gar nicht so.“<br />

„Nicht so Was wollen Sie damit sagen“<br />

„Das Folgende: Dem Menschen, dem es scheint, seine zwei Hände seien intakt, scheint es, er<br />

habe zwei Hände, und wenn er wüßte, daß er Hände hat, würde er zwei Hände haben; aber ob<br />

er Hände hat oder nicht, das ist ihm unbekannt, und weder er noch irgendein anderer Mensch<br />

kann es wissen. Wir kennen nur unsere Vorstellungen von den Gegenständen, die Gegenstände<br />

selbst dagegen kennen wir nicht und können wir nicht kennen. Ohne die Gegenstände zu<br />

kennen, sind wir nicht imstande, unsere Vorstellungen von ihnen mit ihnen zu vergleichen.<br />

Deswegen können wir nicht wissen, ob unsere Vorstellungen von den Gegenständen den Gegenständen<br />

entsprechen. Vielleicht entsprechen sie ihnen; vielleicht aber entsprechen sie ihnen<br />

1 Den Aufsatz „Die Natur des menschlichen Wissens“ beabsichtigte Tschernyschewski in der Zeitschrift „Westnik<br />

Jewropy“ zu veröffentlichen. Am 9. Februar 1885 machte jedoch A. W. Sacharjin Tschernyschewski, der<br />

damals in Astrachan lebte, die Mitteilung, daß der „Westnik Jewropy“ „offenbar Angst hat, den Artikel anzunehmen...“<br />

(N. G Tschernyschewski, Literarischer Nachlaß, Bd. III, 1930, S. 574 russ.). Der Artikel erschien<br />

zum erstenmal gedruckt in der Zeitung „Russkije Wedomosti“, 1885, Nr. 63 und 64, und trug hier die Unterschrift<br />

„Andrejew“. Der Aufsatz war mit folgender redaktioneller Bemerkung versehen:<br />

„Die naturphilosophische Gescheittuerei, die der geschätzte Verfasser des vorliegenden Aufsatzes ironisiert und<br />

widerlegt, ist eine unter den modernen Naturforschern recht weit verbreitete Erscheinung: ihr huldigen sogar<br />

solche Autoritäten der Naturwissenschaft wie die berühmten Berliner Professoren Virchow und Du Bois-<br />

Reymond (siehe E. Du Bois-Reymond: Über die Grenzen des Naturerkennens. – Die sieben Welträtsel. –<br />

Virchow: Freiheit der Wissenschaft im modernen Staat). Beide stimmen laute Klagen an, daß der menschliche<br />

Verstand sich zuviel herausgenommen und seine Grenzen vergessen habe, daß er sich dreist an die Lösung gewaltiger<br />

Fragen mache, die seine Kräfte überstiegen, die überhaupt unlösbar seien und in Ewigkeit bleiben würden.<br />

Du Bois-Reymond führt in seiner Broschüre derartige Fragen in der heiligen Zahl sieben an. Um die<br />

Dreistheit des menschlichen Verstandes abzukühlen, geben sich die genannten Naturforscher alle Mühe zu beweisen,<br />

daß der menschliche Verstand seine Grenzen habe, daß seine Erkenntnisse äußerst oberflächlich seien,<br />

daß er sich vor den großen Fragen in Ehrfurcht neigen und in Demut auf ihre Lösung verzichten müsse. Wenn<br />

irgendein dreister Geist auch daran gehen sollte, sie zu lösen, würde er nur in Ungereimtheiten und ausweglosen<br />

Widersprüchen steckenbleiben. Gelehrte, wie die genannten, sind mit ihren Äußerungen natürlich nicht allein<br />

geblieben. Die von ihnen vertretenen naturphilosophischen Ideen sind von vielen, allzu vielen Naturwissenschaftlern<br />

aufgenommen worden. Gegen diese Auffassungen, die übrigens den Spiritismus durchaus begünstigen,<br />

zieht der geschätzte Verfasser dieses Aufsatzes zu Felde.“<br />

Obwohl Tschernyschewski den Aufsatz „Die Natur des menschlichen Wissens“ fünfundzwanzig Jahre nach<br />

seiner Arbeit „Das anthropologische Prinzip in der Philosophie“ schrieb, atmet dieser Aufsatz doch ganz den<br />

gleichen Geist und ist eine wichtige Ergänzung zu der genannten Arbeit. Tschernyschewski richtet die scharfe<br />

Waffe seiner Kritik hier gegen den Neokantianismus und den subjektiven Idealismus, die er allerdings mit dem<br />

eigenartigen Ausdruck „Illusionismus“ bezeichnet.<br />

In der vorliegenden Ausgabe wird der Aufsatz nach dem Manuskript gedruckt.<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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