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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 8<br />

Frauen gegeben werden müsse, während sogar die Chartisten nur von den Männern reden.<br />

Aber hier geht es darum, daß Mill an das lebendige Problem mit der idealen Absicht herantritt,<br />

es auf die, wissenschaftlich betrachtet, wirklich beste Weise zu lösen: bevor man eine<br />

Änderung durchführt, muß man natürlich möglichst vollständige und gute Angaben über die<br />

Eigenschaften des Gegenstandes einholen, den die Änderung betrifft, um mit mathematischer<br />

Genauigkeit ihre Ergebnisse voraussagen zu können. So macht man es zum Beispiel auch bei<br />

Zollreformen: man berechnet bis auf die letzte Kopeke, um wieviel sich die Zolleinnahmen<br />

durch Senkung der Tarife im ersten Jahr verringern werden, mit welcher Geschwindigkeit sie<br />

dann von neuem anwachsen und in welchem Jahr sie welche [76] Höhe erreichen werden.<br />

Mill möchte auch die Parlamentsreform auf die gleiche vernünftige und umsichtige Weise<br />

durchgeführt sehen. Es gibt keine statistischen Angaben darüber, wie viele anständige und<br />

durchaus nicht feige Menschen infolge ihrer Lebensumstände so abhängig sind, daß sie bei<br />

offner Stimmabgabe gezwungen sind, entweder den Wahlen fernzubleiben oder ihre Stimme<br />

nicht dem Kandidaten zu geben, den sie im Herzen bevorzugen. Solche Angaben gibt es noch<br />

nicht, und deshalb ist Mill nach langjährigen Überlegungen schließlich zu der Entscheidung<br />

gekommen, es lägen noch nicht genügend Gründe vor, die geheime Abstimmung der offnen<br />

Stimmabgabe vorzuziehen. Ließen sich Beweise vorbringen, die hinreichen, um die Vorliebe<br />

der Anhänger des Fortschritts für die geheime Abstimmung zu einer wissenschaftlichen<br />

Wahrheit zu machen, würde Mill mit Freuden die Wünsche seiner politischen Freunde unterstützen.<br />

Kurz gesagt, er zeigte sich in seiner Broschüre als höchst ehrlicher Mensch und<br />

ebensolcher Anhänger des Fortschritts wie früher und stellte nur unpraktische Forderungen<br />

auf. Woher kommt es, daß sie so unpraktisch sind Einfach daher, daß er zu sehr den Wunsch<br />

hat, das Gesellschaftsleben möge den Weg streng verstandesmäßig ausgeklügelter Entwicklung<br />

einschlagen. In Wirklichkeit kommt dergleichen in den wichtigsten Angelegenheiten<br />

weder im Leben des Einzelmenschen noch im Leben der Völker vor. Absolut kaltblütig, ruhig,<br />

verstandesmäßig, wohlüberlegt werden nur die weniger wichtigen Dinge getan. Man<br />

sehe sich nur einmal an, wie wohlüberlegt, wie klug ein junger Mann zu Werke geht, um eine<br />

junge Dame zur Quadrille oder zur Mazurka zu engagieren: wie sorgsam wägt er, bevor er zu<br />

ihr geht, um sie aufzufordern, sowohl die Schönheit als auch die Kleidung der von ihm erwählten<br />

Dame ab, die Art, wie sie sich unterhält und wie sie tanzt. Doch das kommt daher,<br />

daß es sich hier um eine weniger wichtige Angelegenheit handelt. Würde er ebenso handeln<br />

bei der Wahl einer Braut Es ist allgemein bekannt, daß fast jeder anständige Mann Bräutigam<br />

wird, ohne recht zu wissen, wie es gekommen ist: das Blut siedet, ein Wort löst sich von<br />

der Zunge – und aus ist’s. Gewiß gehen [77] viele Leute auch bei der Wahl einer Braut wohlüberlegt<br />

und vernünftig zu Werke; das gilt jedoch nur für die Fälle, wo die Heirat für den, der<br />

sich zu ihr entschließt, bloß eine Angelegenheit der häuslichen Bequemlichkeit ist, d. h. kaum<br />

viel wichtiger als die Wahl einer bequemen Wohnung oder eines guten Kochs. Selbst unter<br />

den Leuten, die einfach zu eigennützigen Zwecken heiraten, treffen diejenigen, bei denen der<br />

Wunsch, reich zu werden, bis zur Leidenschaft geht, allzu häufig eine unüberlegte Wahl. Wo<br />

Leidenschaft im Spiele ist, kann es keine wohlüberlegte Kaltblütigkeit geben – das ist eine<br />

altbekannte Wahrheit. Jede wichtige soziale Frage rührt die Leidenschaften auf, auch das ist<br />

altbekannt. Wenn die betreffende Reform nur einen kleinen Teil der Gesellschaft betrifft oder<br />

wenn sie zwar die Interessen aller berührt, für den einzelnen jedoch das Risiko eines nur unbedeutenden<br />

Verlustes oder Gewinnes darstellt, mit einem Wort, wenn die Reform nicht besonders<br />

wichtig ist, kann sie kaltblütig durchgeführt werden. So wurde zum Beispiel die Senkung<br />

des Zolls auf Tee oder Zucker in England in aller Ruhe und vernünftig durchgeführt:<br />

wer hätte Lust gehabt, sich darüber aufzuregen, daß der Preis für ein Pfund Tee um ein paar<br />

Pence oder der Preis für einen Zentner Zucker um ein paar Schilling sanken Jedermann<br />

nützte gern die Gelegenheit aus, fünfzehn oder zwanzig Schilling im Jahre dabei zu sparen –<br />

wer aber hätte sich über eine solche Kleinigkeit auf regen sollen Verluste brachte die Re-<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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