Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

max.stirner.archiv.leipzig.de
von max.stirner.archiv.leipzig.de Mehr von diesem Publisher
15.01.2015 Aufrufe

N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 76 Auf all das möchte ich nur eins sagen: wie hätte ich über etwas, was meiner Meinung nach völlig richtig ist, schweigen können Doch es ist mir ein Vergnügen, Ihnen diese Sache zu erklären – übrigens immer wieder unter Berufung auf jene selben Heftchen, die Sie nicht kennen, weswegen Sie auch nicht verstehen konnten, worum es geht. [205] Wenn Sie sich die Mühe machen würden, sich diese Heftchen einmal anzusehen, würden Sie erkennen, daß alle Mängel, die Herr Jurkewitsch in mir entdeckt, in diesen Heftchen bereits bei Aristoteles, Bacon, Gassendi, Locke usw. usw. entdeckt worden sind, d. h. bei allen Philosophen, die nicht Idealisten waren. Folglich haben diese Vorwürfe mit mir als einzelnem Schriftsteller überhaupt nichts zu tun, sie beziehen sich eigentlich auf die Theorie, die zu popularisieren ich für eine nützliche Sache halte. Wenn Sie es nicht glauben, brauchen Sie nur in das von Herrn S. G. herausgegebene und der gleichen Richtung wie Herr Jurkewitsch angehörende „Philosophische Wörterbuch“ zu blicken, und Sie werden sehen, daß dort von jedem Nicht-Idealisten immer dasselbe gesagt wird: er kennt weder die Psychologie, noch versteht er etwas von den Naturwissenschaften, dazu lehnt er die innere Erfahrung ab, liegt vor den Tatsachen im Staube, bringt Metaphysik und Naturwissenschaften durcheinander, setzt den Menschen herab usw. usw. – Sagen Sie selber, ob es einen Zweck hat, sich ernsthaft, sei es mit dem Autor eines bestimmten Artikels, sei es mit Leuten, die ihn loben, zu beschäftigen, wenn ich sehe, daß er an meine persönliche Adresse Dinge wiederholt, die seit Olims Zeiten immer wieder von jedem Denker der Schule gesagt werden, zu der ich mich rechne Mein Urteil kann nur so lauten: entweder wissen sie nicht, oder sie tun so, als wüßten sie nicht, daß sich diese Vorwürfe nicht gegen mich richten, sondern gegen die ganze Schule; folglich kennen diese Leute entweder die Geschichte der Philosophie schlecht, oder sie handeln bloß nach einer Taktik, deren Falschheit ihnen selber bekannt ist. Im einen wie im anderen Falle verdienen solche Gegner keine ernste Auseinandersetzung. Sagen Sie zum Beispiel: wenn jemand Ihnen persönlich den Vorwurf der Unwissenheit deshalb machen wollte, weil Sie die Volkstümlichkeit für ein wichtiges Element der Literatur halten – würde sich dieser Vorwurf auf Sie persönlich beziehen Nein, er bezöge sich auf eine ganze Schule. Würden Sie es für nötig halten, das zu beweisen, indem Sie etwa sagten: „Wenn ich die Volkstümlichkeit als ein wichtiges Element der Literatur bezeichne, so ist das noch kein [206] Zeichen meiner Unwissenheit“ – natürlich würden Sie es unter Ihrer Würde halten, das zu beweisen. Aber vielleicht sind Ihnen, da Sie den Gegenstand unseres Streites nicht kennen, meine Worte noch nicht ganz klar. Ich will mich bemühen, Ihnen noch einige weitere Erklärungen zu geben. Haben Sie einmal davon gehört, daß man als Ignoranten, von mir ganz zu schweigen, zum Beispiel Hegel bezeichnet hat Ist Ihnen bekannt, weswegen man ihn einen Ignoranten genannt hat Deswegen, weil er eine bestimmte Denkweise hatte, die einigen Gelehrten nicht gefiel. Was meinen Sie, war Hegel ein Ignorant oder nicht Und wer, meinen Sie wohl, nannte ihn einen Ignoranten Leute aus derselben Schule, der Herr Jurkewitsch angehört. Ist Ihnen bekannt, daß man Kant einen Ignoranten genannt hat Weswegen man ihn so genannt hat, ob man ihn zu Recht so genannt hat und welche Leute ihn so genannt haben – hier gilt das gleiche wie beim ersten Beispiel. Ist Ihnen bekannt, daß man Descartes einen Ignoranten genannt hat Weswegen, ob mit Recht und welche Leute ihn so genannt haben – auch hier gilt das gleiche wie beim vorhergehenden Beispiel. Nehmen Sie jeden beliebigen anderen Denker, durch den die Wissenschaft vorwärtsgekommen ist, und jeder hat sich die gleiche Beschuldigung zugezogen, für die gleiche Sache und von seiten der gleichen Leute. OCR-Texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 23.11.2013

N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 77 Sind Sie imstande, aus diesen Tatsachen die Schlußfolgerung zu ziehen Wenn Sie dazu imstande wären, brauchte ich mich nicht mit Ihnen auseinanderzusetzen; aber aus allem läßt sich erkennen, daß Sie nicht dazu imstande sind; folglich muß ich Ihnen die Schlußfolgerung vorsagen. Hier ist sie: Die Männer der Routine beschuldigen jeden Neuerer nur deshalb der Ignoranz, weil er ein Neuerer ist. Bitte merken Sie sich das. Wenn Sie das immer gut im Gedächtnis behalten, werden Ihnen viele Fehlurteile erspart bleiben. Sie kennen jetzt diese Schlußfolgerung nur als Tatsache, aber Sie haben offenbar die Neigung, sich für philosophische [207] Materien zu interessieren. Um Ihnen eine Freude zu machen, will ich die unabweisbare Notwendigkeit dieser Tatsache aus den Gesetzen der Psychologie ableiten. Nehmen wir einmal an, ein bestimmter Mensch ist durchaus zufrieden mit einer bestimmten geistigen oder Lebenssituation. Wenn dann ein anderer Mensch kommt und sagt: „Sie ist unbefriedigend“, so entsteht bei dem Menschen, der mit dieser Situation zufrieden ist, notwendig der Gedanke: „Er ist mit ihr unzufrieden, weil er sie nicht kennt.“ Der Gedanke entsteht auf folgende Weise: Was vollauf befriedigt, ist gut. Wem das Gute nicht gut erscheint, der sieht nicht, daß es gut ist. Wer vom Guten redet, ohne zu sehen, daß es gut ist, der kennt das Gute nicht. – Auf die gleiche Weise kommen die Menschen, die sich mit etwas Unbefriedigendem zufrieden geben, auf den Gedanken, daß derjenige, der sich mit diesem Unbefriedigenden nicht zufrieden gibt, es nicht kennt. Das geschieht in einem fort in allen Sphären des Lebens und des Denkens. Wenn Sie zum Beispiel zu einem Trinker sagen, das Trinken sei nicht gut, so wird er Ihnen bestimmt entgegnen: „Probier’s erst mal und trink, dann wirst du sehen, wie gut es ist.“ Wenn Sie einem Kaufmann, der nach unseren Gebräuchen Handel zu treiben gewohnt ist, vorschlagen, seine Waren zu festen Preisen, prix fixe, ohne Handeln, ohne Feilschen zu verkaufen, wird er Ihnen bestimmt entgegnen: „Das sagen Sie deshalb, weil Sie unsere Art, Handel zu treiben, nicht kennen.“ Erinnern Sie sich noch daran, wie, als man anfing, zur Untersuchung von Brust- und anderen inneren Krankheiten das Stethoskop zu empfehlen, die erfahrenen Männer der Praxis einwandten: „Sie preisen Ihr Stethoskop nur deshalb an, weil Sie ein schlechter Arzt sind. Wir brauchen kein Stethoskop.“ So ist es mit allen Dingen; so ist es übrigens auch in der Philosophie. Haben Sie jetzt verstanden Oder ist es Ihnen immer noch unverständlich Aber wenn es Ihnen immer noch unverständlich ist, dann habe ich es satt, noch weitere Erklärungen zu geben. Bleiben Sie dann bei Ihrem Unverständnis. Offenbar ist es Ihnen nun mal nicht beschieden, etwas von Philosophie zu verstehen. Aber um Sie nicht zu kränken, will ich annehmen, daß Sie schließ-[208]lich doch verstanden haben, und will Ihnen die Schlußfolgerung aus allem, was Sie gelesen haben, sagen, so, als ob Sie verstanden hätten, was Sie gelesen haben. Hier haben Sie diese Schlußfolgerung: Die Theorie, die ich für die richtige halte, bildet das allerletzte Glied in der Reihe der philosophischen Systeme. Wenn Sie das nicht wissen und mir nicht aufs Wort glauben wollen, so empfehle ich Ihnen, eine beliebige Geschichte der neusten Philosophie zu nehmen – in jedem solchen Buch werden Sie meine Worte bestätigt finden. Für den einen Historiker hat diese Theorie recht, für den anderen hat sie unrecht; aber alle sagen Ihnen einmütig, daß diese Theorie wirklich die letzte und genau so aus der Hegelschen Theorie hervorgegangen ist wie die Hegelsche aus der Schellingschen. Sie können mich deswegen verurteilen, weil ich in der Wissenschaft einen Fortschritt anerkenne und ihr letztes Wort auch für das vollständigste und für richtig halte. Das können Sie halten, wie Sie wollen. Vielleicht ist für Sie das Alte besser als das Neue. Aber Sie müssen doch zugeben, daß man auch anders denken kann. OCR-Texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 23.11.2013

N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 76<br />

Auf all das möchte ich nur eins sagen: wie hätte ich über etwas, was meiner Meinung nach<br />

völlig richtig ist, schweigen können Doch es ist mir ein Vergnügen, Ihnen diese Sache zu<br />

erklären – übrigens immer wieder unter Berufung auf jene selben Heftchen, die Sie nicht<br />

kennen, weswegen Sie auch nicht verstehen konnten, worum es geht.<br />

[205] Wenn Sie sich die Mühe machen würden, sich diese Heftchen einmal anzusehen, würden<br />

Sie erkennen, daß alle Mängel, die Herr Jurkewitsch in mir entdeckt, in diesen Heftchen<br />

bereits bei Aristoteles, Bacon, Gassendi, Locke usw. usw. entdeckt worden sind, d. h. bei<br />

allen Philosophen, die nicht Idealisten waren. Folglich haben diese Vorwürfe mit mir als einzelnem<br />

Schriftsteller überhaupt nichts zu tun, sie beziehen sich eigentlich auf die Theorie, die<br />

zu popularisieren ich für eine nützliche Sache halte. Wenn Sie es nicht glauben, brauchen Sie<br />

nur in das von Herrn S. G. herausgegebene und der gleichen Richtung wie Herr Jurkewitsch<br />

angehörende „Philosophische Wörterbuch“ zu blicken, und Sie werden sehen, daß dort von<br />

jedem Nicht-Idealisten immer dasselbe gesagt wird: er kennt weder die Psychologie, noch<br />

versteht er etwas von den Naturwissenschaften, dazu lehnt er die innere Erfahrung ab, liegt<br />

vor den Tatsachen im Staube, bringt Metaphysik und Naturwissenschaften durcheinander,<br />

setzt den Menschen herab usw. usw. – Sagen Sie selber, ob es einen Zweck hat, sich ernsthaft,<br />

sei es mit dem Autor eines bestimmten Artikels, sei es mit Leuten, die ihn loben, zu beschäftigen,<br />

wenn ich sehe, daß er an meine persönliche Adresse Dinge wiederholt, die seit<br />

Olims Zeiten immer wieder von jedem Denker der Schule gesagt werden, zu der ich mich<br />

rechne Mein Urteil kann nur so lauten: entweder wissen sie nicht, oder sie tun so, als wüßten<br />

sie nicht, daß sich diese Vorwürfe nicht gegen mich richten, sondern gegen die ganze Schule;<br />

folglich kennen diese Leute entweder die Geschichte der Philosophie schlecht, oder sie handeln<br />

bloß nach einer Taktik, deren Falschheit ihnen selber bekannt ist. Im einen wie im anderen<br />

Falle verdienen solche Gegner keine ernste Auseinandersetzung.<br />

Sagen Sie zum Beispiel: wenn jemand Ihnen persönlich den Vorwurf der Unwissenheit<br />

deshalb machen wollte, weil Sie die Volkstümlichkeit für ein wichtiges Element der Literatur<br />

halten – würde sich dieser Vorwurf auf Sie persönlich beziehen Nein, er bezöge sich auf<br />

eine ganze Schule. Würden Sie es für nötig halten, das zu beweisen, indem Sie etwa sagten:<br />

„Wenn ich die Volkstümlichkeit als ein wichtiges Element der Literatur bezeichne, so ist das<br />

noch kein [206] Zeichen meiner Unwissenheit“ – natürlich würden Sie es unter Ihrer Würde<br />

halten, das zu beweisen.<br />

Aber vielleicht sind Ihnen, da Sie den Gegenstand unseres Streites nicht kennen, meine Worte<br />

noch nicht ganz klar. Ich will mich bemühen, Ihnen noch einige weitere Erklärungen zu geben.<br />

Haben Sie einmal davon gehört, daß man als Ignoranten, von mir ganz zu schweigen, zum<br />

Beispiel Hegel bezeichnet hat Ist Ihnen bekannt, weswegen man ihn einen Ignoranten genannt<br />

hat Deswegen, weil er eine bestimmte Denkweise hatte, die einigen Gelehrten nicht<br />

gefiel. Was meinen Sie, war Hegel ein Ignorant oder nicht Und wer, meinen Sie wohl, nannte<br />

ihn einen Ignoranten Leute aus derselben Schule, der Herr Jurkewitsch angehört.<br />

Ist Ihnen bekannt, daß man Kant einen Ignoranten genannt hat Weswegen man ihn so genannt<br />

hat, ob man ihn zu Recht so genannt hat und welche Leute ihn so genannt haben – hier<br />

gilt das gleiche wie beim ersten Beispiel.<br />

Ist Ihnen bekannt, daß man Descartes einen Ignoranten genannt hat Weswegen, ob mit<br />

Recht und welche Leute ihn so genannt haben – auch hier gilt das gleiche wie beim vorhergehenden<br />

Beispiel.<br />

Nehmen Sie jeden beliebigen anderen Denker, durch den die Wissenschaft vorwärtsgekommen<br />

ist, und jeder hat sich die gleiche Beschuldigung zugezogen, für die gleiche Sache und<br />

von seiten der gleichen Leute.<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!