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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 63<br />
Westnik“ die von mir unterzeichneten Artikel weniger „blödsinnig“ findet. Mein Ansehen<br />
wächst – ich sage das, ohne den Bescheidenen zu spielen, weil ich auf meine literarische Tätigkeit<br />
nicht allzu stolz bin. 7 Warum ist das so Der „Russki Westnik“ sagt selber:<br />
„Klägliche Literatur! Wir sind in der Lage von Schuljungen. Unser Denken hat keine Achtung vor sich selber,<br />
und es hat es auch schwer, sich zu achten. Es spielt Verstecken, buddelt sich ein; alle sklavischen Eigenschaften<br />
kommen in ihm zur Entwicklung.“ („Russki Westnik“, März, Liter. Rundschau, S. 210.)<br />
Nach dieser Erklärung habe ich es nicht nötig, mit mir oder anderen sanft umzuspringen. Bei<br />
vielen wird dieses Gefühl gemildert durch eine gewisse Selbstzufriedenheit, die nicht ganz<br />
unberechtigt ist. 8 Sie sind, wie immer ihre Lage sein mochte, in ihr doch anständige Menschen<br />
geblieben. Das ist für sie ein gewisser Trost. Ich bin als Literat auch anständig; aber für<br />
mich ist das durchaus kein Trost, und mein Gefühl gegenüber der Literatur, darunter auch<br />
meinem Anteil an ihr, ist von ungemilderter Grausamkeit. Wem es Spaß macht, der kann<br />
diese meine Erklärung zum Gegenstand seines Spottes machen: ich weiß sehr wohl, daß sie<br />
sich sehr leicht in einen bösen Witz über mich verwandeln läßt. Aber lacht und keift, soviel<br />
ihr wollt: ihr wißt doch selber, daß ich hier recht habe, und ich weiß, daß ihr in sehr hohem<br />
Grade mit mir einer Meinung seid.<br />
Das ist also der Grund, warum es mir totgleichgültig ist, ob man das, was ich schreibe, lobt<br />
oder rügt. Ich selber bin der Richter und habe mir unter anderem auch selber das Urteil gesprochen,<br />
das durch nichts zu beschönigen und zu verderben ist. Und das, was das Publikum<br />
von mir denkt, betrachte ich genau so wie sein Geschwätz über irgendeine Mademoiselle<br />
Rigolboche. Ist sie klug, ist sie dumm, ist sie hübsch, ist sie häßlich – ganz egal, ihre [182]<br />
Lebensweise ist so, daß kein Kompliment die Meinung über sie wiedergutmachen kann.<br />
Es gibt Menschen anderen Schlages: sie verlieren vor der Berühmtheit den Mut. Zu ihnen<br />
gehört der „Russki Westnik“. Früher war er so kühn, zu finden, daß meine Aufsätze nichts als<br />
Blödsinn enthalten; jetzt ist er zu schüchtern, das auszusprechen. Das ist alles. Genügt Ihnen<br />
diese Erklärung, „Russki Westnik“ Wenn nicht, so werde ich mich wohl etwas genauer ausdrücken<br />
müssen: mit mir selber hab’ ich kein zu großes Mitleid und mit anderen – zum Beispiel<br />
mit Ihnen – natürlich nicht mehr als mit mir selber. Folglich werden Sie bei Auseinandersetzungen<br />
mit mir nicht gut abschneiden – nicht deshalb, weil ich gescheiter wäre als Sie<br />
oder geschickter die Feder zu führen wüßte, sondern weil ich wenigstens in dieser Hinsicht<br />
ungebunden reden kann, während Sie auch in dieser Hinsicht gebunden sind.<br />
Aber ich habe noch nicht alles gesagt, wenn ich sagte, mein literarisches Ansehen sei mir<br />
totgleichgültig. Ich selber als Mensch kann mir nicht gleichgültig sein. Ich weiß, daß einmal<br />
bessere Zeiten für die literarische Tätigkeit kommen, wo sie der Gesellschaft wirklich Nutzen<br />
bringt, und wo derjenige, der die Kraft dazu hat, sich wirklich einen guten Namen verdienen<br />
wird. 9 Und da denke ich denn: werde ich zu diesem Zeitpunkt noch richtig fähig sein, der<br />
Gesellschaft zu dienen, wie es sich gehört Dazu bedarf es frischer Kräfte, frischer Überzeu-<br />
7 Im Manuskript heißt es hier weiter: „Ich verachte die ganze russische Literatur wegen der abscheulichen Lage,<br />
in der sie sich befindet; ich verachte auch die Gesellschaft, die sich mit einer solchen Literatur zufrieden gibt,<br />
ich verachte auch alle, die gezwungen sind, russische Schriftsteller zu sein, während Gesellschaft und Literatur<br />
sich in einer solchen Lage befinden. Ich bemitleide sie, aber ich verachte sie. Und von diesem Gefühl entfällt<br />
eine entsprechende Dosis auch auf mich selber.“<br />
8 Im Manuskript lautet diese Stelle folgendermaßen: „Leider betrachten sehr viele, darunter auch der ‚Russki<br />
Westnik‘, die Lage unserer Literatur nicht mit solcher Empörung. Oder nein, ich will nicht ungerecht sein: auch<br />
sie kennen das Gefühl, das ich habe. Aber es ist bei ihnen gemildert durch eine nicht ganz unberechtigte Selbstzufriedenheit.<br />
Ihre Lage ist abscheulich.“<br />
9 Nach den Worten „bessere Zeiten ... kommen“ heißt es im Manuskript: „wo die russischen Schriftsteller nicht<br />
mehr in dieser verächtlichen Lage sein werden und wo jeder, der die Kraft dazu hat, der Gesellschaft wirklich<br />
von Nutzen sein und sich wirklich einen guten Namen verdienen können wird“.<br />
OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013