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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 60<br />
thisiert der Anklagepunkt ist ungeschickt [176] gewählt. Wir und Götzen aufrichten! – aber<br />
bitte sehr, weifen Sie uns das nur recht oft und recht kräftig vor. Das ist sehr gut.<br />
Aber sehen wir uns einmal den Aufsatz an, der uns durch die kunstreiche Wahl des Anklagethemas<br />
so ehrlich froh gemacht hat. Er beginnt mit einer Rüge dafür, daß wir manchmal ausweichend<br />
und nur andeutungsweise über verschiedene Gegenstände reden, die man direkt<br />
beim Namen nennen könnte.<br />
„Was soll das alles – dieses listige Zwinkern, die hinterhältigen Anspielungen, die verhüllenden Allegorien, die<br />
beißende Ironie, die eingestreuten Histörchen, wo die Dinge doch ganz einfach liegen und es nicht den geringsten<br />
Grund gibt, zu solchen Kriegslisten seine Zuflucht zu nehmen“<br />
Nun gut. Aber warum ist dann der ganze Aufsatz, der mit dieser Rüge beginnt, in eben dieser<br />
selben Manier geschrieben, die er als unangebracht rügt Warum „hüllt er sich“ derart in alle<br />
möglichen Winkelzüge, daß viele Leser sogar auf den Gedanken kamen, er sei direkt und<br />
nicht ironisch zu verstehen, und der „Russki Westnik“ wolle allen Ernstes den Materialismus<br />
gegen uns in Schutz nehmen Weshalb diese Listen Deshalb, weil Sie den Fall nicht „einfach“<br />
vortragen konnten; wir verstehen das durchaus und rechnen dem „Russki Westnik“ den<br />
edlen Anstand hoch an, mit dem er in diesem Aufsatz auf die Verwendung einer Waffe verzichtet,<br />
deren man sich bei uns noch nicht bedienen darf. Das ist wirklich sehr schön. Aber<br />
wenn Sie selber spüren, daß es unmöglich ist, einfach zu reden, warum dann andere für Methoden<br />
rügen, die die allgemeine Scheußlichkeit unserer Lage anderen und Ihnen aufzwingt<br />
Im weiteren folgt ein niedliches „Histörchen“ über Iwan Jakowlewitsch 3 , das, nebenbei gesagt,<br />
sehr nach einer Imitation des Aufsatzes über das Buch Herrn Pryshows im „Sowremennik“<br />
4 aussieht. Wozu das imitieren, was man verspotten will Oder ist das vielleicht nicht<br />
Imitation, sondern nur Ironie<br />
Es läuft darauf hinaus, daß wir wegen unserer Ungereimtheiten mit Iwan Jakowlewitsch verglichen<br />
werden – das ist sehr hübsch und graziös; aber wozu müssen Sie dann [177] Ihren<br />
Witz bei solchen abgeschmackten Leuten ausborgen, wie wir es sind Und daß wir abgeschmackt<br />
sind, wollen wir Ihnen gleich beweisen:<br />
„‚Wird X heiraten‘ fragte man Iwan Jakowlewitseh. ‚Ohne Taten keine rechten Kololaten‘, lautete die Antwort.<br />
Kololaten ist ein wunderliches Wort, aber der Frager war offenbar mit ihm zufrieden, ohne weiter nach dem<br />
Sinn zu fragen. Kololaten ist ein Wort ohne Sinn. Aber hören Sie einmal genau hin: derartige Kololaten können<br />
Ihnen so häufig begegnen, daß Sie dem armen Irrenhausinsassen keinen Vorwurf daraus machen dürfen.<br />
Kololaten! Kololaten! Aber ist etwa nicht vieles von dem, was gelehrt und gedruckt wird, Kololaten Sind nicht<br />
die philosophischen Aufsätze, die manchmal in unseren Zeitschriften erscheinen, Kololaten<br />
Es kommt nicht darauf an, was Sie reden oder schreiben, woran Sie glauben oder nicht glauben, was Sie für<br />
richtig halten oder was Sie ablehnen: es kommt nicht darauf an, welche Wahrheiten Sie predigen möchten,<br />
strenge oder zarte, sondern darauf, ob Sie selber verstehen, was Sie sagen, ob Sie fähig sind zu denken oder nur<br />
Phrasen zu drechseln, die denkunfähigen Menschen mächtig imponieren, im Grunde aber nichts anderes sind als<br />
die Kololaten Iwan Jakowlewitschs.“<br />
Hübsch, sehr hübsch! „Die Kololaten des armen Irrenhausinsassen“, was für eine delikate<br />
Polemik! Und weiter kommen, immer auf uns angewandt: „Narrenhaus“, „sinnlos“, „Krie-<br />
3 Iwan Jakowlewitsch Korejscha war ein Scharlatan, der sich als „Prophet“ ausgab. Die „Anekdote“ über Korejscha<br />
ist in Katkows Artikel „Alte Götter und neue Götter“ erzählt. Auch die Zeitschrift „Sowremennik“ hatte<br />
über Korejscha geschrieben und dabei das Buch „Das Leben Iwan Jakowlewitschs“ von Pryshow verspottet<br />
(Februar 1861).<br />
4 „Sowremennik“ – eine im Jahre 1836 von A. S. Puschkin gegründete Literaturzeitschrift. Nach Puschkins Tode<br />
waren ihre Herausgeber P. A. Pletnjow, P. A. Wjasemski, W. A. Shukowski und W. F. Odojewshi. Im Jahre 1847<br />
gingen die Herausgeberrechte an I. I. Panajew und ein Jahr später gleichzeitig auch an N. A. Nekrassow über. Die<br />
Glanzperiode des „Sowremennik“ fällt in die Jahre, in denen N. G. Tschernyschewski (1854-1862) und Dobroljubow<br />
an ihr mitarbeiteten. Im Jahre 1866 wurde die Zeitschrift auf Befehl des Zaren geschlossen.<br />
OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013