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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 6<br />

der Puritaner durchaus nicht so weitgehende Einschränkungen, wie die leichtgläubigen Leute<br />

anzunehmen geneigt sind, die das Gejammer reicher Geizhälse für bare Münze nehmen: der<br />

Geizhals sucht überall in der Welt nach Vorwänden zur Entschuldigung seiner übermäßigen<br />

Knausrigkeit; gewöhnlich jammert er über Geldmangel oder über die schweren Zeiten – in<br />

den Staaten von Neuengland hat er sich einfach einen neuen Vorwand ausgedacht: die angebliche<br />

Beengung durch einen Glaubenssatz, der tatsächlich schon seine Wirkung verloren hat.<br />

[72] Wenn schon von sozialem Despotismus in Nordamerika die Rede ist, so sollte man statt auf<br />

jenes verschwindend kleine Überbleibsel der alten Zeit auf eine andere Erscheinung hinweisen,<br />

die gegenwärtig in den Vereinigten Staaten so große Unruhe erregt: in jenem Teil, der die Sklaverei<br />

beibehalten hat, duldet die öffentliche Meinung, von den Plantagenbesitzern beherrscht,<br />

nicht ein einziges Wort, das an den Abolitionismus erinnert; Leute, die gegen die Sklaverei auftreten,<br />

werden ausgeplündert, vertrieben oder wie Kriminalverbrecher bestraft. Aber es genügt<br />

zu sagen, daß in dieser Hälfte der Union, in den Süd- oder Sklavenstaaten, die Aristokratie am<br />

Ruder ist. Die ganze Macht liegt tatsächlich in den Händen einiger Zehntausend reicher Pflanzer,<br />

die nicht nur ihre Neger, sondern auch die Massen der weißen Einwohner dieser Staaten in<br />

Unwissenheit und Elend halten. Der gesamte Grund und Boden gehört in Virginia und in anderen<br />

alten Sklavenstaaten den Nachkommen der alten hochmögenden Herrschaften, die unter den<br />

Stuarts damit belehnt worden sind. Sie haben ihre Besitzungen nach und nach auch auf die Länder<br />

ausgedehnt, in denen neue Sklavenstaaten gegründet wurden. Sie unterhalten ganze Scharen<br />

von Banditen in der Art des berüchtigten Walker. Überhaupt ist der Unterschied zwischen Neapel<br />

und der Schweiz nicht so groß wie der zwischen der Nordhälfte und der Südhälfte der Vereinigten<br />

Staaten. Den Nordstaaten (den freien Staaten) ist erst in jüngster Zeit zu Bewußtsein gekommen,<br />

daß bisher die Aristokraten der Südstaaten (der Sklavenstaaten) sich in der Union die<br />

Oberhand bewahrt hatten, und der eigentliche, tiefere Sinn des Kampfes zwischen den Abolitionisten<br />

und den Pflanzern besteht darin, daß die Demokratie, die in den Nordstaaten herrscht, den<br />

aristokratischen Pflanzern die politische Herrschaft über die Union entreißen will. *<br />

[73] Westeuropa ist reich an politischer Erfahrung und an politischen Theorien, sagt Herr<br />

Lawrow, doch wohin haben es diese so teuer bezahlten Erfahrungen und die großen zu ihrer<br />

Verarbeitung auf gewandten Geisteskräfte letzten Endes gebracht Alles, was es erreicht hat,<br />

ist ein Gefühl der Unzufriedenheit mit der Gegenwart und der Angst um seine Zukunft: „Allenthalben<br />

Kritik und Kritik; die vor kurzem noch so lebhaft brodelnden Hoffnungen sind<br />

matt geworden; alle Welt hat Angst vor der Zukunft.“ Diese Schlußfolgerung bekräftigt Herr<br />

Lawrow durch Zitate aus Jules Simon, Mill und aus dem Buch „De la Justice“ 3 . Über die<br />

Ansichten Jules Simons wollen wir nicht weiter reden, der Meinung der beiden anderen<br />

Schriftsteller, die Herr Lawrow zitiert, wollen wir jedoch Aufmerksamkeit schenken, weil wir<br />

es hier mit wirklich sehr klugen und unbedingt ehrlichen Männern zu tun haben.<br />

* In Nordamerika werden viele auf das politische Leben bezügliche Worte in einem anderen Sinn verwendet als<br />

in Europa; das führt zu außerordentlich häufigen Irrtümern im Urteil von Europäern über nordamerikanische<br />

Angelegenheiten. Die Abolitionisten, die nach europäischen Begriffen Demokraten genannt werden müßten,<br />

nennen sich heute in Nordamerika einfach Republikaner; ihre Gegner, die Aristo-[73]kraten, dagegen haben sich<br />

den Namen „Demokraten“ zugelegt. Zu erzählen, wie es zu dieser Vertauschung der Namen gekommen ist, ist<br />

hier nicht der Ort, und wir erwähnen dies nur, damit der Leser sieht, daß wir, wenn wir die Verfechter der Sklaverei<br />

in den Vereinigten Staaten als Aristokraten bezeichnen, nicht vergessen haben, daß sie sich fälschlicherweise<br />

den Titel Demokraten zugelegt haben. Derartige Wandlungen im Sinne politischer Bezeichnungen sind<br />

auch in der europäischen Geschichte sehr häufig. So wurden zum Beispiel mit dem Wort „Patrioten“ gegen<br />

Ende des vorigen Jahrhunderts in Frankreich die Republikaner bezeichnet, während sich in Deutschland diesen<br />

Titel Zu Beginn unseres Jahrhunderts die Verteidiger der Feudalinstitutionen beilegten.<br />

3 Es handelt sich um den französischen kleinbürgerlichen Sozialisten P. J. Proudhon und sein 1858 erschienenes<br />

Buch „De la Justice dans la Revolution et dans l’Eglise“ („Über die Gerechtigkeit in der Revolution und der<br />

Religion“).<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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