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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 58<br />
tion oder Potenzierung hat finden lassen. Das bedeutet natürlich eine Erschwerung der wissenschaftlichen<br />
Forschung: wir haben uns sagen lassen, daß der Mathematiker in allen Zweigen<br />
seines Fachs rasch vorwärtskommt, daß er jedoch, sobald es ans Integrieren geht, [173]<br />
Wochen und Monate über einer Arbeit sitzt, die sich in zwei Stunden durchführen ließe,<br />
wenn es bereits eine allgemeine Integrationsformel gäbe. Das gilt in noch höherem Maße für<br />
die Naturwissenschaften. Bis heute kennt man nur Teilgesetze für einzelne Klassen von Erscheinungen:<br />
das Gravitationsgesetz, das Gesetz der chemischen Affinität, das Gesetz der<br />
Zerlegbarkeit und Mischung der Farben, das Gesetz der Wirkung der Wärme und der Elektrizität;<br />
unter ein Gesetz können wir sie noch nicht exakt zusammenfassen, obwohl es sehr gewichtige<br />
Gründe für die Annahme gibt, daß alle anderen Gesetze jeweils besondere Abarten<br />
des Gravitationsgesetzes sind. Der Umstand, daß wir noch nicht imstande sind, alle Teilgesetze<br />
unter ein allgemeines Gesetz zusammenzufassen, bedeutet eine außerordentliche Erschwerung<br />
und Verzögerung aller Forschungen in den Naturwissenschaften der Forscher muß<br />
sich aufs Geratewohl vorwärtstasten, er hat keinen Kompaß, er ist gezwungen, sich bei der<br />
Suche nach dem richtigen Weg nicht gerade zuverlässiger Methoden zu bedienen, und verliert<br />
viel Zeit auf allen möglichen Seitenwegen, um zu seinem Ausgangspunkt zurückzukehren,<br />
wenn er sieht, daß sie zu nichts führen, und dann wieder nach einem neuen Weg zu suchen;<br />
noch mehr Zeit geht damit verloren, andere davon zu überzeugen, daß die ungeeigneten<br />
Wege wirklich ungeeignet und die richtigen Wege wirklich richtig und an bar sind. So ist es<br />
in den Naturwissenschaften und genau so auch in den moralischen Wissenschaften. Aber wie<br />
in den Naturwissenschaften bedeuten diese Schwierigkeiten auch in den moralischen Wissenschaften<br />
nur eine Verzögerung beim Suchen nach der Wahrheit und bei ihrer Ausbreitung,<br />
wenn sie einmal gefunden ist; ist sie aber einmal gefunden, so wird ihre Richtigkeit trotz allem<br />
offenkundig, nur daß die Herausarbeitung dieser Richtigkeit sehr viel mehr Mühe gekostet<br />
hat, als Entdeckungen der gleichen Art unseren Nachkommen kosten werden, wenn die<br />
Wissenschaften besser entwickelt sind, und so langsam sich auch die Überzeugung von den<br />
Wahrheiten unter den Menschen verbreiten mag, weil die Menschen heutzutage wenig darauf<br />
vorbereitet sind, die Wahrheit zu lieben, d. h. ihren [174] Nutzen zu schätzen, und die absolute<br />
Schädlichkeit jeder Unwahrheit zu erkennen, wird sich die Wahrheit doch bei den Menschen<br />
durchsetzen, denn sie entspricht, mögen die Menschen von ihr denken, was sie wollen,<br />
mögen sie sie auch fürchten und die Unwahrheit lieben, dennoch ihren Bedürfnissen, während<br />
die Unwahrheit sich als unbefriedigend erweist: was die Menschen brauchen, das werden<br />
die Menschen annehmen, so sehr sie auch in die Irre gehen, weil sie etwas annehmen,<br />
was ihnen durch den Zwang der Dinge auferlegt wird. Werden die russischen Landwirte, die<br />
bisher so schlecht gewirtschaftet haben, endlich einmal gut wirtschaften lernen Natürlich<br />
werden sie es; davon sind wir überzeugt nicht auf Grund irgendwelcher transzendentalen Hypothesen<br />
über die Eigenschaften des russischen Menschen, nicht auf Grund einer hohen Auffassung<br />
von seinen nationalen Eigenschaften oder seiner Überlegenheit über andere an Verstand<br />
oder Arbeitsliebe oder Geschicklichkeit, sondern einfach deswegen, weil es der russische<br />
Landwirt einmal nötig haben wird, klüger und berechnender zu wirtschaften als bisher.<br />
Dieser Notwendigkeit entgeht niemand, kann sich niemand entziehen. Genau so kann sich<br />
auch der Mensch nicht der Wahrheit entziehen, weil sie bei dem heutigen Stand der menschlichen<br />
Dinge mit jedem Jahr zu einer immer stärkeren und unausweichlichen Notwendigkeit<br />
wird. [175]<br />
OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013