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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 54<br />

hängen, vorübergehen, ohne ein greifbares Resultat zu hinterlassen; zu der anderen Art gehören<br />

die Tatsachen und Zustände, die fest und dauernd in uns selbst liegen oder, wenn sie zur<br />

Außenwelt gehören, für lange Zeit in unserer Nähe sind. Ein Tag mit schönem Wetter in Petersburg<br />

bringt den Einwohnern der Stadt in ihrem Leben zahllose Erleichterungen und zahllose<br />

angenehme Empfindungen; aber dieser eine Tag schönes Wetter ist eine temporäre Erscheinung,<br />

die nicht fest fundiert ist und im Leben der Petersburger Bevölkerung keinerlei<br />

greifbares Resultat hinterläßt. Man kann nicht sagen, daß so ein Tag Nutzen bringt, er bringt<br />

nur Vergnügen. <strong>Zur</strong> nützlichen Erscheinung wird das gute Wetter in Petersburg nur in seltenen<br />

Fällen und für wenige Menschen, wenn es nämlich genügend lange anhält, und wenn es<br />

infolge dieser langen Dauer imstande ist, die Gesundheit einiger Kranker wesentlich zu bessern.<br />

Wer dagegen aus Petersburg in ein besseres Klima übersiedelt, hat davon Nutzen sowohl<br />

für seine Gesundheit wie auch hinsichtlich des Naturgenusses, denn diese Übersiedlung<br />

verschafft ihm eine dauernde Quelle lang anhaltender Genüsse. Wenn ein Mensch zu einem<br />

guten Mittagessen eingeladen wird, hat er von der Einladung nur Vergnügen, aber keinen<br />

Nutzen (und auch Vergnügen natürlich nur dann, wenn er sich etwas aus gutem Essen<br />

macht). Aber wenn dieser Mensch, der Wert auf gutes Essen legt, eine große Geldsumme in<br />

die Hand bekommt, dann hat er davon Nutzen, d. h. er erhält für lange Zeit die [166] Möglichkeit,<br />

das Vergnügen guter Mittagsmahlzeiten zu genießen. Als nutzbringend werden also<br />

sozusagen die festen, dauernden Elemente des Genusses bezeichnet. Würde man bei Verwendung<br />

des Wortes „Nutzen“ stets fest an diesen Grundzug des Begriffes denken, so gäbe<br />

es überhaupt keinen Unterschied zwischen dem Nutzen und dem Guten; aber erstens wird das<br />

Wort „Nutzen“ manchmal sozusagen leicht sinnig auf Elemente des Vergnügens angewandt,<br />

die zwar nicht völlig temporärer Natur, aber auch nicht sehr stabil sind, und zweitens kann<br />

man diese stabilen Elemente des Genusses je nach dem Grade ihrer Stabilität wieder in zwei<br />

Klassen teilen: in nicht sehr stabile und sehr stabile. Diese letztere Klasse wird nun eigentlich<br />

mit der Bezeichnung des Guten belegt. Das Gute ist sozusagen der Superlativ des Nutzens, ist<br />

so etwas wie ein sehr nützlicher Nutzen. Ein Arzt hat einen an chronischer Krankheit leidenden<br />

Menschen gesund gemacht – hat er ihm etwas Gutes getan oder hat er ihm Nutzen gebracht<br />

Hier sind beide Worte gleich passend, weil der Arzt dem Kranken ein sehr stabiles<br />

Element des Genusses geliefert hat. Unser Denken ist geneigt, sich ständig der Außenwelt zu<br />

erinnern, als seien nur für sie allein die Naturwissenschaften zuständig, die doch ihrerseits<br />

wohl nur einen Teil unseres Wissens ausmachen und es nicht in seiner Gänze umfassen. Außerdem<br />

haben wir bemerkt, daß diese Aufsätze bei uns eine außerordentliche Herzensdürre,<br />

eine Gemeinheit und Niedrigkeit der Seele zur Schau tragen, die überall nur nach Nutzen<br />

sucht, durch Herausklauben der materiellen Grundlagen alles schändet, kein Verständnis für<br />

das Erhabene hat und jeden poetischen Gefühls entbehrt. Wir möchten diesen schändlichen<br />

Mangel an Poesie in unserer Seele gern verschleiern. Wir suchen nach irgend etwas Poetischem<br />

zur Verschönerung unseres Aufsatzes; beeinflußt durch den Gedanken an die Wichtigkeit<br />

der Naturwissenschaften, gehen wir die Poesie im Bereich der materiellen Natur suchen<br />

und finden dort die Blumen. So laßt uns denn eine unserer trocknen Buchseiten mit poetischen<br />

Vergleichen verzieren. Die Blumen, diese herrlichen Duftquellen, deren schnell dahinwelkende<br />

Schönheit unsere Augen bezaubert – sie [167] sind das Vergnügen, der Genuß;<br />

die Pflanze, die sie hervorbringt – ist der Nutzen. Eine Pflanze trägt viele Blumen; wenn die<br />

einen welken, brechen statt ihrer andere auf; nützlich wird also ein Ding genannt, aus dem<br />

viele Blüten hervorwachsen. Es gibt aber einjährige Blütenpflanzen, und es gibt ebenso Rosenstöcke<br />

und Oleanderbüsche, die viele Jahre lang leben und uns jedes Jahr von neuem viele<br />

Blumen schenken – auf eben diese Weise ist das Gute durch seine Dauerhaftigkeit den anderen<br />

Quellen des Genusses überlegen, die man einfach nützliche Dinge nennt, aber nicht als<br />

gut bezeichnet, wie man auch Veilchen nicht als Bäume bezeichnet; sie gehören der gleichen<br />

Klasse von Dingen an, sind aber noch nicht so groß und dauerhaft.<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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