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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 52<br />

solchen Fällen theoretisch recht hat, ist nicht schwer zu entscheiden: das Gesamtinteresse der<br />

Menschheit steht höher als der Vorteil einer einzelnen Nation; das Gesamtinteresse einer<br />

ganzen Nation steht höher als der Vorteil eines einzelnen Standes; das Interesse eines zahlenmäßig<br />

großen Standes steht höher als der Vorteil eines zahlenmäßig kleinen. In der Theorie<br />

unterliegt diese Graduierung durchaus keinem Zweifel, sie ist lediglich die Anwendung<br />

folgender geometrischer Axiome: „das Ganze ist mehr als sein Teil“, „eine größere Menge ist<br />

mehr als eine kleinere Menge“, auf die Fragen der Gesellschaft. Eine theoretische Unwahrheit<br />

bringt in der Praxis unweigerlich Schaden. Die Fälle, in denen eine einzelne Nation um<br />

des eignen Vorteils willen die Gesamtinteressen der Menschheit, oder wo ein einzelner Stand<br />

die Interessen der ganzen Nation mit Füßen tritt, führen stets zu Resultaten, die nicht nur der<br />

Partei Schaden bringen, deren Interessen verletzt wurden, sondern auch der anderen Partei,<br />

die glaubte, aus ihrer Verletzung Vorteil ziehen zu können: es hat sich noch immer gezeigt,<br />

daß eine Nation, die die Menschheit unterjocht, sich selbst zugrunde richtet, und daß ein einzelner<br />

Stand, wenn er ein ganzes Volk seinen Standesinteressen opfert, ein schlechtes Ende<br />

nimmt. Hieraus läßt sich erkennen, daß da, wo die Interessen der Nation und die eines ihrer<br />

Stände aufeinanderprallen, der Stand, der auf Rosten des Volkes Vor-[162]teile zu gewinnen<br />

meint, von Anfang an im Irrtum ist und sich durch eine falsche Berechnung blenden läßt. Die<br />

Illusion, die ihn verleitet, sieht häufig aus wie eine ganz begründete Berechnung; wir wollen<br />

jedoch zwei oder drei dieser Fälle anführen, um zu zeigen, wie verfehlt solche Berechnungen<br />

sind. Die Manufakturbesitzer glauben, der Schutzzoll bringe ihnen Nutzen: im Endeffekt<br />

zeigt sich jedoch, daß die Nation unter dem Schutzzoll arm bleibt und infolge ihrer Armut<br />

keine ausgedehnte Manufakturindustrie unterhalten kann; so kommt es, daß der Stand der<br />

Manufakturbesitzer selber bei weitem nicht so reich wird, wie es bei Freihandel der Fall wäre:<br />

alle Fabrikanten aller Staaten mit Schutzzöllen zusammengenommen sind auch nicht halb<br />

so reich wie die Fabrikanten von Manchester. Die Grundbesitzer halten im allgemeinen die<br />

Sklaverei, die Leibeigenschaft und andere Arten von Zwangsarbeit für vorteilhaft; im Endeffekt<br />

stellt sich jedoch heraus, daß in allen Staaten, wo es unfreie Arbeit gibt, der Stand der<br />

Grundbesitzer vor dem Ruin steht. Die Bürokratie hält es manchmal für nötig, im eigenen<br />

Interesse die geistige und soziale Entwicklung einer Nation zu bremsen; aber auch hier<br />

kommt es stets so, daß im Endeffekt ihre eigene Lage erschüttert und machtlos wird. Wir<br />

haben solche Fälle angeführt, in denen die Absicht eines einzelnen Standes, um des eigenen<br />

Vorteils willen das Gesamtinteresse der Nation zu schädigen, sehr fest begründet zu sein<br />

scheint; aber im Endergebnis zeigt sich auch hier, daß die Begründung nur fest aussah, tatsächlich<br />

aber falsch war; daß der Stand, der dem Volk Schaden zufügte, hinsichtlich des eigenen<br />

Vorteils im Irrtum war. Das kann auch nicht anders sein: der französische oder österreichische<br />

Manufakturbesitzer ist trotz allem Franzose oder Österreicher, und alles, was dem<br />

Staat schadet, dem er angehört, auf dessen Kraft sich seine eigene Kraft stützt, dessen Reichtum<br />

seinem eigenen Reichtum dient – alles das bringt auch ihm selber Schaden, indem es die<br />

Quellen seiner Kraft und seines Reichtums versiegen läßt. Genau das gleiche ist von den Fällen<br />

zu sagen, wo die Interessen einer einzelnen Nation im Gegensatz zum Gesamtwohl der<br />

Menschheit stehen: auch hier stellt sich immer heraus, daß die Nation, die glaubt, für sich<br />

Vorteil [163] daraus ziehen zu können, daß sie der Menschheit Schaden zufügt, eine falsche<br />

Rechnung macht. Eroberervölker sind letzten Endes stets entweder ausgerottet oder selbst<br />

unterjocht worden. Die Mongolen Dschingis-Khans lebten in ihren Steppen als so arme Wilde,<br />

daß sie es offenbar schwerlich hätten schlimmer haben können; aber wie schlecht es auch<br />

den wilden Horden gegangen war, die sich zur Eroberung der Agrarstaaten Süd- und Westasiens<br />

und Osteuropas aufmachten – bald nach Vollendung der Eroberung erlitten diese unglücklichen<br />

Menschen, die um der eigenen Bereicherung willen anderen so viel Unglück zugefügt<br />

hatten, ein Geschick, das noch kläglicher war als selbst das kümmerliche Leben, welches<br />

ihre in den heimatlichen Steppen verbliebenen Landsleute führten. Wir wissen, welches<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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