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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 51<br />

ihm sogar dann angenehm erscheint, wenn er dafür andere starke Bedürfnisse opfern muß.<br />

Ihrem Inhalt nach unterscheiden sich diese Fälle sehr scharf von jenen anderen, auf Berechnung<br />

beruhenden Fällen, in denen ein Mensch eine sehr hohe Geldsumme zur Befriedigung<br />

einer niedrigen Leidenschaft aufwendet, hinsichtlich der theoretischen Formel jedoch fallen<br />

sie alle unter ein und dasselbe Gesetz: die stärkere Leidenschaft gewinnt die Oberhand über<br />

die weniger starken Triebe und bringt sie zum Opfer.<br />

Bei aufmerksamer Untersuchung der Motive, von denen sich die Menschen leiten lassen,<br />

stellt sich heraus, daß alle ihre Handlungen, gute wie schlechte, edle wie niedrige, heroische<br />

wie feige ein und derselben Quelle entspringen: der Mensch handelt so, wie es ihm angenehmer<br />

ist, und läßt sich von der Berechnung leiten, die ihn veranlaßt, auf den geringeren Nutzen<br />

oder das geringere Vergnügen zu verzichten, um den größeren Nutzen, das größere Vergnügen<br />

zu gewinnen. Natürlich ändert diese Gleichheit der Ursachen, denen die schlechten und<br />

guten Taten entspringen, durchaus nichts daran, daß zwischen den Taten selbst ein großer<br />

Unterschied besteht; wir wissen, daß Diamant und Kohle aus genau dem gleichen reinen<br />

Kohlenstoff bestehen, trotz-[160]dem ist aber der Diamant ein Diamant, d. h. ein sehr kostbares<br />

Ding, während die Kohle Kohle ist, d. h. ein billiges Ding. Der große Unterschied zwischen<br />

Gut und Böse verdient aufmerksam betrachtet zu werden. Wir beginnen mit der Analyse<br />

dieser Begriffe, um einmal zu sehen, unter welchen Umständen das Gute im Menschenleben<br />

sich entfaltet oder zurückgeht.<br />

Schon vor sehr langer Zeit hat man gemerkt, daß in der gleichen Gesellschaft verschiedene<br />

Leute ganz verschiedene, ja sogar gegensätzliche Dinge als gut und richtig bezeichnen. Wenn<br />

zum Beispiel irgend jemand seinen Nachlaß dritten Personen vermacht, so finden diese Personen<br />

seine Handlung gut, während die Verwandten, die dabei die Erbschaft verlieren, sie als<br />

sehr übel bezeichnen. Ebenso unterscheiden sich die Begriffe des Guten bei verschiedenen<br />

Gesellschaften und in verschiedenen Epochen ein und derselben Gesellschaft. Hieraus hat<br />

man lange Zeit den Schluß gezogen, der Begriff des Guten enthalte überhaupt nichts Beständiges,<br />

Selbständiges, allgemein Definierbares, sondern sei rein konventionell und hinge von<br />

der Meinung, der Willkür der Menschen ab. Sehen wir uns jedoch näher an, wie die als gut<br />

bezeichneten Handlungen sich zu den Menschen verhalten, die ihnen diese Bezeichnung geben,<br />

so finden wir, daß dieses Verhältnis stets und unvermeidlich einen gemeinsamen Zug<br />

aufweist, auf den die Zuteilung der betreffenden Handlung zur Kategorie der guten Handlungen<br />

zurückgeht. Warum nennen die erwähnten Leute, denen die Erbschaft zugefallen ist, der<br />

Akt, der sie in ihren Besitz gebracht hat, eine gute Handlung Weil dieser Akt ihnen Nutzen<br />

gebracht hat. Dagegen hat er den Verwandten des Erblassers Schaden gebracht, indem er<br />

ihnen die Erbschaft entzog, weshalb diese ihn eine schlechte Handlung nennen. Der Krieg<br />

gegen die Ungläubigen zur Ausbreitung des Islams erschien den Mohammedanern als gute<br />

Handlung, weil er ihnen Nutzen brachte und Beute zuführte; besonders eifrig wurde diese<br />

Meinung von den geistlichen Würdenträgern gefördert, deren Macht durch die Eroberungen<br />

wuchs. Der einzelne bezeichnet jene Handlungen anderer Menschen als gut, die ihm Nutzen<br />

bringen; für die öffentliche Meinung gilt das als gut, was [161] der ganzen Gesellschaft oder<br />

der Mehrzahl ihrer Mitglieder nützt. Schließlich bezeichnen ganz allgemein alle Menschen<br />

ohne Unterschied von Nation und Stand das als gut, was dem Menschen im allgemeinen<br />

nützt. Sehr häufig sind die Fälle, in denen die Interessen verschiedener Nationen und Stände<br />

miteinander oder mit den Gesamtinteressen der Menschheit im Widerspruch stehen; ebenso<br />

häufig sind die Fälle, in denen das, was für einen einzelnen Stand vorteilhaft ist, den Interessen<br />

der Nation zuwiderläuft. In allen diesen Fällen kommt es zum Streit über die Natur der<br />

Handlungen, der Institution oder der Beziehungen, die für die einen Interessen vorteilhaft, für<br />

die anderen schädlich sind: die Anhänger der Partei, denen sie schaden, nennen sie schlecht,<br />

böse; die Vorkämpfer der Interessen, die Nutzen von ihnen haben, nennen sie gut. Wer in<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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