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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 46<br />
nell, und nicht aus Überlegung, bewußt: nein, Instinkt und maschinelles Handeln sind mit im<br />
Spiel, aber sie sind nicht die einzige Ursache; instinktiv, maschinell zog der Hund den<br />
Schwanz ein, als er weglief, aber das Weglaufen erfolgte auf Grund bewußten Denkens. Die<br />
Handlung jedes Lebewesens enthält etwas wie unbewußte Gewohnheit oder unbewußte Bewegung<br />
der Organe; aber das schließt nicht aus, daß auch bewußtes Denken an der Handlung<br />
beteiligt ist, die von einigen unbewußt vor sich gehenden Bewegungen begleitet ist. Wenn ein<br />
Mensch erschrickt, nehmen seine Gesichtsmuskeln unbewußt, instinktiv den Ausdruck des<br />
Erschreckens an; aber ungeachtet dessen spielt sich in seinem Kopf eine andere Seite des<br />
Vorgangs ab, die dem Gebiet des Bewußtseins angehört: er wird sich dessen bewußt, daß er<br />
erschrocken ist und eine Bewegung gemacht hat, die Schrecken ausdrückt; diese bewußte<br />
Seite des Vorgangs hat neue Folgen: vielleicht schämt der [150] Mensch sich dessen, daß er<br />
erschrocken ist, vielleicht ergreift er Maßnahmen zur Verteidigung gegen den Gegenstand,<br />
der ihm Schrecken eingejagt hat, vielleicht auch macht er sich vor ihm davon.<br />
Aber wir haben eins vergessen: man sagt ja, die Tiere hätten kein Bewußtsein, sie hätten wohl<br />
Empfindungen, Gedanken und Überlegungen, sie würden sich ihrer aber nicht bewußt. Wie<br />
das zu verstehen sein soll, wie die Leute, die das sagen, diese Worte selber verstehen können,<br />
das war für uns immer ein Rätsel. Sich seiner Empfindungen nicht bewußt werden – ich bitte<br />
Sie, hat dieser Satz überhaupt einen Sinn Sagen Sie mir, wie man sich eine greifbare Vorstellung<br />
von der Kombination von Begriffen machen soll, die dieser Satz hervorrufen will Empfindung<br />
wird doch gerade der Vorgang genannt, den man fühlt; eine unbewußte Empfindung<br />
haben, würde soviel bedeuten, wie ein nicht gefühltes Gefühl haben; es wäre dasselbe, als<br />
wollte man einen unsichtbaren Gegenstand sehen oder, nach dem bekannten Ausspruch, „das<br />
Schweigen hören“. Viele völlig sinnlose Redewendungen dieser Art bestehen aus Verbindungen<br />
von Worten, die einander ausschließende Begriffe ausdrücken: aussprechen kann sie jeder,<br />
aber wer das tut, beweist damit, daß er entweder selbst nicht weiß, was er sagt, oder daß<br />
er ein Scharlatan ist. Man sagt zum Beispiel „eine gewichtlose Flüssigkeit“; aber was ist eine<br />
Flüssigkeit, gleich welcher Art Sie ist jedenfalls ein Körper, jedenfalls etwas Materielles;<br />
jeder Stoff hat die Eigenschaft, die wir Anziehung oder Gravitation nennen und die darin besteht,<br />
daß jedes Partikelchen Materie andere Partikel anzieht und selber von ihnen angezogen<br />
wird; auf der Erde äußert sich diese Eigenschaft als Gewicht, d. h. als Gravitation zum Erdmittelpunkt;<br />
mithin hat jede Flüssigkeit unausweichlich ein Gewicht, und „gewichtlose Flüssigkeit“<br />
ist eine sinnlose Lautverbindung in der Art solcher Ausdrücke wie: blauer Klang, Zukkersalpeter<br />
u. ä. m. Wenn der sinnlose Ausdruck „gewichtlose Flüssigkeit“ in der Physik so<br />
lange Zeit Verwendung finden konnte, braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Psychologie,<br />
die weniger ausgearbeitet ist als die Physik, von dergleichen Ausdrücken wimmelt; die<br />
wissenschaftliche [151] Analyse beweist ihre Unsinnigkeit, und eine der Seiten der Entwicklung<br />
der Wissenschaft besteht darin, solche Ausdrücke abzustoßen.<br />
Noch komischer wird die leere Hypothese vom Fehlen des Bewußtseins bei den Tieren, wenn<br />
sie im Ton blöder Erhabenheit erklärt, das Phänomen des Bewußtseins zerfalle in zwei Klassen:<br />
das einfache Bewußtsein und das Selbstbewußtsein, wobei dann die Tiere nur einfaches<br />
Bewußtsein, aber kein Selbstbewußtsein haben sollen. Hier handelt es sich um eine Weisheit,<br />
die sich nur mit einer Sentenz wie dieser vergleichen läßt: die Geige gibt nur einen blauen<br />
Klang, kann jedoch keinen selbstblauen Klang geben, welchen nur das Cello hat. Wer diese<br />
feine Beobachtung über die Klangunterschiede bei Geige und Cello versteht, für den ist es<br />
sonnenklar, daß die Empfindung bei den Tieren von Bewußtsein begleitet ist, aber nicht von<br />
Selbstbewußtsein, mit anderen Worten, daß die Tiere eine Empfindung von den Gegenständen<br />
der Außenwelt haben, aber nicht fühlen, daß sie eine Empfindung haben – anders ausgedrückt,<br />
daß sie Gefühle haben, welche sie nicht fühlen. Danach muß man zu dem Schluß<br />
kommen: die Tiere essen wahrscheinlich mit Zähnen, mit denen sie nicht essen, und gehen<br />
OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013