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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 4<br />
mane von George Sand oder die Lieder Bérangers lesen; würden wir gern einmal einfach leeres<br />
Geschwätz lesen, so würden wir nach den Romanen Alexander Dumas’ des Älteren oder<br />
wohl eher des Jüngeren oder gar des Marquis Foudras greifen; aber wozu [68] sollten wir die<br />
philosophischen Bücher Jules Simons lesen, die vielleicht viel amüsantes Geschwätz, feuilletonistischen<br />
Scharfsinn oder gar dichterische Schönheiten enthalten, jedoch trotz alledem, dem<br />
Wesen ihres Stoffes nach, mit diesen Vorzügen weit hinter einem anständigen Feuilleton, einem<br />
guten, ja sogar einem schlechten Roman zurückbleiben, und vor allem das entbehren lassen,<br />
was ein philosophisches Werk wertvoll und interessant macht – nämlich die Logik<br />
Ebenso wenig werden wir, scheint uns, dazu kommen, die Werke des heutigen Fichte zu lesen,<br />
von denen wir so viel wissen, daß man ihn stets den „Sohn des berühmten Fichte“ nennt.<br />
Diese Empfehlung erinnert uns an einen anekdotischen Zwischenfall, der sich vor fünf oder<br />
sechs Jahren in Petersburg abgespielt hat. Auf irgendeiner Abendgesellschaft begegneten sich<br />
zwei einander unbekannte Herren, kamen ins Gespräch und hatten bald den Wunsch, nähere<br />
Bekanntschaft zu machen. „Mit wem habe ich die Ehre“ fragte der eine von ihnen. Der andere<br />
nannte seinen Namen und fragte seinerseits: „Und mit wem habe ich die Ehre“ – „Ich<br />
bin der Mann von Frau Tedesco“, antwortete sein Partner. Wir haben niemals das Verlangen<br />
gespürt, den Mann von Frau Tedesco singen zu hören!<br />
Aus den gleichen Gründen, die es uns unmöglich machen, die Werke Jules Simons und des jüngeren<br />
Fichte kennenzulernen, haben wir auch die philosophischen Werke Schopenhauers und<br />
Frauenstädts nicht gelesen und werden sie auch nicht lesen. Sie beide sind höchstwahrscheinlich<br />
vortreffliche Männer, aber in der Philosophie sind sie dasselbe, was in der Dichtung Frau K.<br />
Pawlowa ist, von der Herr Lawrow ebenfalls ein Gedicht, die „Unterredung im Kreml“, zitiert.<br />
Da wir viele der Quellen, deren Herr Lawrow sich bedient hat, ungenügend kennen, sind wir<br />
natürlich nicht imstande, den Wert seines Werkes genau zu bestimmen. Wir können nur eines<br />
annehmen: besäße er keine höhere philosophische Begabung als Jules Simon und der jüngere<br />
Fichte, so herrschte in seiner Broschüre der gleiche durchaus nicht philosophische Geist, den wir<br />
in den Werken jener vorfinden, und seine „Theorie der Persönlichkeit“ wäre ebenso schlecht<br />
[69] wie deren Theorien. Seine Broschüre muß jedoch als ausgesprochen gut bezeichnet werden.<br />
Daraus muß man den Schluß ziehen, daß Herrn Lawrow die vielen Fehler jener mittelmäßigen<br />
Philosophen, die er studiert hat, nicht entgangen sind, und daß es ihm gelungen ist, viele Dinge<br />
sehr viel besser zu verstehen, als jene es vermochten, mit anderen Worten, daß die Mängel seiner<br />
Broschüre ihren Ursprung in anderen Büchern haben, wie den Büchern Jules Simons und<br />
Fichte des Jüngeren, während die wertvollen Seiten der Broschüre in hohem Maße auf das Konto<br />
des Autors kommen. Wir meinen, daß diese Annahme richtig ist, und möchten daher wünschen,<br />
daß Herr Lawrow fortfährt, Aufsätze über philosophische Fragen zu schreiben.<br />
Als hohes Verdienst muß ihm ebenso angerechnet werden, daß er die Philosophie nicht allein an<br />
Hand von Denkern solchen Kalibers wie Schopenhauer oder Jules Simon studiert. In unserer<br />
Gesellschaft, die so wenig von den wahrhaft großen modernen Denkern Westeuropas weiß und<br />
sich beim Studium der Philosophie entweder als beste Leitfäden die Werke von Leuten unserer<br />
Generation betrachtet, die weit hinter der modernen Entwicklung des Denkens zurückgeblieben<br />
sind, oder die Werke von Denkern, die zwar groß sind, jedoch gar zu längst vergangenen Zeiten<br />
angehören und uns angesichts des heutigen Entwicklungsstandes der Wissenschaften und der<br />
gesellschaftlichen Verhältnisse nicht mehr befriedigen können – in unserer Gesellschaft muß<br />
man es einem Menschen hoch anrechnen, wenn er sich nicht auf die schlechten und abgegriffenen<br />
Leitfäden beschränkt, die ihm jeder erste beste, insbesondere aber alle Fachleute empfehlen,<br />
sondern selbst nach den besten Leitfäden fahndet und sie zu finden und zu verstehen weiß. Herr<br />
Lawrow führt seine Leser fast die ganze Zeit auf einem geraden und guten Weg vorwärts: das<br />
macht ihm alle Ehre, denn niemand in unserer Gesellschaft hat ihm diesen Weg gezeigt, und<br />
OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013