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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 39<br />

mung noch weniger; recht sonderbar mag erscheinen, daß ebenso wenig erforscht auch der<br />

Prozeß des normalen Todes ist, der nicht durch außergewöhnliche Umstände oder besondere<br />

Störungen durch Krankheiten hervorgerufen wird, sondern die Erschöpfung des Organismus<br />

durch den Ablauf des Lebens selbst zur Ursache hat. Das kommt aber daher, daß erstens die<br />

Mediziner und Physiologen [136] selten Gelegenheit haben, einen solchen Tod zu beobachten:<br />

von tausend Menschen geht höchstens einer an einem solchen Tod zugrunde, der Organismus<br />

der übrigen wird vorzeitig durch Krankheiten und äußere Unglücksfälle zerstört;<br />

zweitens hatten die Gelehrten bisher nicht genügend Zeit, diesen seltenen Fällen eines normalen<br />

Todes die Aufmerksamkeit zu schenken, die die Krankheiten und die Fälle gewaltsamen<br />

Todes beanspruchen: in den Fragen der Zerstörung des Organismus werden die Kräfte der<br />

Wissenschaft bis jetzt ganz durch das Suchen nach Mitteln zur Verhinderung eines vorzeitigen<br />

Todes in Anspruch genommen.<br />

Wir sagten schon, daß einige Seiten des Lebensprozesses noch nicht so gründlich erforscht<br />

sind wie andere; damit soll aber nicht gesagt sein, daß wir nicht auch bereits genügend positive<br />

Kenntnisse von denjenigen seiner Seiten besitzen, deren Erforschung bis jetzt noch am<br />

allerunvollkommensten entwickelt ist. Selbst wenn wir annehmen, daß irgendeine Seite des<br />

Lebensprozesses in ihrer Besonderheit bis jetzt der exakten Analyse im Geiste der Mathematik<br />

und der Naturwissenschaften völlig unzugänglich bleibt, so würde ihr Charakter uns doch<br />

bereits annähernd bekannt sein aus dem Charakter der anderen, bereits einigermaß erforschten<br />

Seiten. Es wäre genau so wie bei der Bestimmung des Aussehens des Kopfes eines Säugetiers<br />

auf Grund seiner Fußknochen; bekanntlich rekonstruiert die Wissenschaft aus einem<br />

Schulterblatt oder einem Schlüsselbein mit ziemlicher Genauigkeit die gesamte Gestalt eines<br />

Tieres einschließlich des Kopfes, so daß ein später aufgefundenes vollständiges Skelett die<br />

Richtigkeit des wissenschaftlichen Schlusses von dem Teil auf das Ganze bestätigt. Wir wissen<br />

zum Beispiel, was bei der Ernährung vor sich geht; von hier aus wissen wir bereits annähernd,<br />

was zum Beispiel bei der Sinneswahrnehmung vor sich geht: Ernährung und Sinneswahrnehmung<br />

sind so eng miteinander verbunden, daß man vom Charakter der einen auf den<br />

der anderen schließen kann. Im vorhergehenden Artikel haben wir bereits davon gesprochen,<br />

daß solche Schlußfolgerungen von bekannten Teilen auf unbekannte Teile, sowohl besonders<br />

zuverlässig als auch besonders wichtig in ihrer negativen Form sind. A ist eng [137] verbunden<br />

mit X; A ist B; hieraus folgt, daß X weder C noch D noch E sein kann. Man hat zum Beispiel<br />

das Schulterblatt irgendeines vorsintflutlichen Tieres aufgefunden; zu welcher Ordnung<br />

von Säugetieren es gehört, können wir vielleicht nicht einwandfrei feststellen und irren uns<br />

vielleicht, wenn wir es zur Gattung der Katzen oder Pferde rechnen; das aufgefundene Schulterblatt<br />

allein läßt uns jedoch einwandfrei erkennen, daß es weder ein Vogel, ein Fisch noch<br />

ein Schaltier ist. Wir sagten schon, daß solche negative Schlußfolgerungen in allen Wissenschaften<br />

sehr wichtig sind. Besonders wichtig sind sie jedoch in den moralischen Wissenschaften<br />

und in der Metaphysik, weil die Irrtümer, die durch sie beseitigt werden, in diesen<br />

Wissenschaften besonders verhängnisvolle praktische Folgen hatten. Wenn man in der Vergangenheit<br />

infolge der ungenügenden Entwicklung der Naturwissenschaften den Walfisch<br />

fälschlich zu den Fischen und die Fledermaus zu den Vögeln rechnete, so hat das wahrscheinlich<br />

keinem einzigen Menschen Schaden getan; in der Metaphysik und in den moralischen<br />

Wissenschaften dagegen haben Irrtümer, die der gleichen Quelle entsprangen, d. h. der Unfähigkeit,<br />

einen Gegenstand oder eine Sache exakt zu analysieren, irrtümliche Meinungen hervorgebracht,<br />

die der Menschheit viel schlimmeren Schaden angetan haben als Cholera, Pest<br />

und alle ansteckenden Krankheiten zusammengenommen. Stellen wir zum Beispiel einmal<br />

die Hypothese auf, das Nichtstun sei angenehm, Arbeit aber unangenehm; wird diese Hypothese<br />

zur herrschenden Meinung, so wird jeder Mensch jede Gelegenheit benutzen, sich ein<br />

nichtstuerisches Leben zu sichern, indem er andere für sich arbeiten läßt; das wird zu aller<br />

Art von Versklavung und Raub führen, angefangen von der Sklaverei im eigentlichen Sinn<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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