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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 37<br />
erhalten, wie die Umstände und Verhältnisse verändert werden müssen, damit eine gute Bewirtschaftung<br />
an Stelle [132] einer schlechten tritt – das sind wieder neue Fragen, deren theoretische<br />
Beantwortung sehr leicht ist; die praktische Verwirklichung der wissenschaftlichen<br />
Lösungen hängt aber wieder davon ab, daß der Mensch gewisse Eindrücke in sich aufnimmt.<br />
Wir haben übrigens nicht die Absicht, hier eine Darstellung weder der theoretischen Lösung<br />
noch der praktischen Schwierigkeiten in diesen Fragen zu geben; das würde uns zu weit führen,<br />
und wir glauben, daß die obigen Bemerkungen genügen, um die Lage zu erklären, in der<br />
sich die moralischen Wissenschaften gegenwärtig befinden. Wir wollten sagen, daß die exakte<br />
wissenschaftliche Ausarbeitung der moralischen Kenntnisse noch ganz in den Anfängen<br />
steckt; daß infolgedessen für viele außerordentlich wichtige moralische Probleme noch keine<br />
exakte theoretische Lösung gefunden ist; daß aber die Probleme, deren theoretische Lösung<br />
noch nicht gefunden ist, rein technischer Natur sind, so daß sie nur den Fachmann interessieren,<br />
während umgekehrt jene psychologischen und moralischen Probleme, die dem Nichtfachmann<br />
sehr interessant erscheinen und sehr schwer vorkommen, bereits exakt und dabei<br />
außerordentlich leicht und einfach schon bei der ersten Anwendung exakter wissenschaftlicher<br />
Analyse gelöst sind, so daß ihre theoretische Beantwortung bereits vorliegt; wir fügten<br />
noch hinzu, daß sich aus diesen unbestreitbaren theoretischen Lösungen sehr wichtige und<br />
nützliche wissenschaftliche Hinweise ergeben, welche Mittel zur Verbesserung des menschlichen<br />
Lebens anzuwenden sind; daß einige dieser Mittel der Umwelt entnommen werden können<br />
und daß bei dem heutigen Entwicklungsstand unserer Kenntnisse von der Natur die Außenwelt<br />
in dieser Hinsicht kein Hindernis mehr darstellt, daß andere Mittel dagegen von der<br />
Verstandesenergie des Menschen selbst beigesteuert werden müssen, daß heutzutage Schwierigkeiten<br />
nur bei der Auslösung dieser Energie zu erwarten sind, weil die einen Menschen<br />
dumm und apathisch sind, während andere absichtlich Widerstand leisten, und die große<br />
Mehrheit der Menschen in jeder Gesellschaft im allgemeinen im Banne von Vorurteilen lebt.<br />
Diese ganzen Betrachtungen sollten klarmachen, auf welche Weise die heutige hohe Entwicklung<br />
der Naturwissen-[133]schaften der Entstehung von exakten Wissenschaften in solchen<br />
Gebieten des Lebens und der theoretischen Forschung förderlich ist, wo man sich bisher<br />
mit bloßen Vermutungen zufriedengab, die manchmal begründet, manchmal unbegründet<br />
waren, jedenfalls aber kein exaktes Wissen lieferten. Das gilt für die moralischen und metaphysischen<br />
Probleme. Nunmehr werden sich unsere Aufsätze dem Menschen als Einzelpersönlichkeit<br />
zuwenden, und wir werden versuchen darzustellen, wie die zu diesem Gegenstand<br />
gehörenden Probleme durch exakte wissenschaftliche Ausgestaltung der Psychologie und<br />
Moralphilosophie gelöst werden. Wenn der Leser sich an unseren ersten Aufsatz erinnert,<br />
wird er natürlich erwarten, daß wir diesem kaum gegebenen Versprechen gleich wieder untreu<br />
werden und uns auf lange, gar nicht zur Sache gehörende Abschweifungen einlassen.<br />
Und der Leser hat recht. Wir lassen zunächst einmal die psychologischen und moralphilosophischen<br />
Fragen nach dem Menschen beiseite, nehmen uns seine physiologischen, medizinischen<br />
und beliebigen anderen Probleme vor und werden uns überhaupt mit dem Menschen<br />
als moralischem Wesen gar nicht beschäftigen, sondern vorerst versuchen zu sagen, was wir<br />
von ihm als von einem Wesen wissen, welches Magen und Kopf, Knochen, Adern, Muskeln<br />
und Nerven hat. Wir werden ihn zunächst nur von der Seite aus betrachten, die die Naturwissenschaften<br />
interessieren: die anderen Seiten werden wir uns, wenn es die Zeit uns erlaubt,<br />
später vornehmen.<br />
Die Physiologie und die Medizin stellen fest, daß der menschliche Organismus eine höchst<br />
komplizierte chemische Kombination darstellt, die einen höchst komplizierten chemischen<br />
Prozeß, das sogenannte Leben, durchmacht. Dieser Prozeß ist so kompliziert, sein Gegenstand<br />
aber so wichtig für uns, daß der Zweig der Chemie, der sich mit seiner Erforschung<br />
beschäftigt, infolge seiner Wichtigkeit den Titel einer besonderen Wissenschaft erhalten hat<br />
OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013