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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 358
Aber ich nehme an: es ist sehr unwahrscheinlich, daß ein Irrtum vorliegt.
Es versteht sich von selbst: eine Vermutung kann nie ganz mit den Tatsachen zusammenfallen.
Ich schreibe fast ausschließlich aus dem Gedächtnis über Gegenstände, die mich persönlich
selbst nie besonders interessiert haben. Meine Kenntnisse von ihnen, von allem, was zur Naturwissenschaft
gehört, waren stets beschränkt; und fast alles, was ich einmal von ihnen gewußt
habe, habe ich wieder vergessen. Wie soll ich die Lücken dieser meiner sehr beschränkten
Kenntnisse auffüllen Durch das Lexikon von Brockhaus. Aber ist das ein Buch für Wissenschaftler
Kann ich in ihm viel von dem finden, was ich für meine Plaudereien mit Euch,
meine Freunde, brauche Und es ist doch unmöglich, daß ich immer nur sage, was ich im
Kopfe habe.
Das Gedächtnis ist trügerisch. Was man im Kopfe hat, sind nur Vermutungen.
Und jedes meiner Worte, von dem Ihr nicht sicher und klar wißt, daß es richtig ist, muß Eurerseits
überprüft werden. Aber keiner meiner Fehler bezieht sich auf das Wesen [717] der
Sache, kann sich nicht darauf beziehen. Wie das möglich ist Auf folgende Weise zum Beispiel:
Wie dem auch gewesen sein mag, mag die Mehrheit der Astronomen in jenen sechzig Jahren
vom Erscheinen der „Himmelsmechanik“ bis zur Spektralanalyse sich in der Sache der Laplaceschen
Hypothese richtig oder unrichtig verhalten haben, –
aber im ganzen, im ganzen
war die Einstellung der Masse der Astronomen zur wissenschaftlichen Wahrheit eine für von
Natur nicht dumme und nicht ehrlose Leute unwürdige Einstellung. Aus freien Stücken die
Rolle von Dummköpfen und Lügnern übernehmen, ist keine schöne Sache. Sie tun es. Aus
welchem Anlaß Eigentlich aus gar keinem, außer dem, daß es ihnen so paßt.
Diese Tatsache ist so schwerwiegend, daß man sich leider hinsichtlich ihrer Natur nicht irren
kann. Von zehn Büchern über Astronomie, die nicht nur reine Formeln und Zahlen enthalten,
ist bestenfalls eines von wissenschaftsfeindlichen Zusätzen frei.
Nur das allein ist wesentlich an der Sache, nur das möchte ich in meiner Plauderei mit Euch,
meine Freunde, in den Vordergrund rücken.
Gelingt es mir Ich weiß nicht. Ich nehme an, es gelingt mir schlecht; ich kann es nicht.
Aber ich gebe mir Mühe.
Und ich habe Eure Aufmerksamkeit jetzt genug mit unerträglich langweiligen Erklärungen
ermüdet, die alles in allem nur ein ständig erneutes und endlos in die Länge gezogenes Herangehen
an die eigentliche Sache darstellt. Wir wollen jetzt versuchen, den ganzen übrigen
Inhalt unserer früheren Plaudereien in unserer Erinnerung möglichst schnell zu durchlaufen.
* * *
Heute ist allgemein anerkannt, daß „Laplace recht hat“. Die Richtigkeit seiner Schlußfolgerungen
auf die Geschichte unseres – und jedes anderen – Sonnensystems [718] hängt lediglich
davon ab, ob die sogenannte „Newtonsche Formel“ richtig ist, jene Formel, auf die Newton
die Keplerschen Gesetze der Bewegung der Planeten und ihrer Trabanten auf ihren Umlaufbahnen
brachte. Die zweifellose Richtigkeit der Newtonschen Formel ist allgemein anerkannt.
Aber diese Formel ist nur die algebraische Darstellung der sogenannten „Newtonschen Hypothese“,
d. h. des Gedankens von Newton, daß die Bewegung der Himmelskörper, die durch
OCR-Texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 23.11.2013