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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 356 Das ist eine Sache die mich nichts angeht. Soweit meine [713] Erinnerungen klar und umfassend sind, kennzeichnen sie die Sache richtig, nehme ich an. Sind meine Erinnerungen jedoch klar und umfassend genug – Das ist eine andere Frage. Meine Belesenheit in Fragen der Astronomie war nicht groß. Und was für ein Vergnügen hätte ich daran finden sollen, in den Büchern, die ich gelesen habe, darauf zu achten, in welchem Ton der Autor von der Laplaceschen Hypothese spricht Und wenn ich darauf geachtet habe, warum hätte ich es im Gedächtnis behalten sollen Und da ich wenig gelesen und noch weniger hierauf geachtet habe, ist mir auch das wenige, was ich einmal über die Geschichte der Laplaceschen Hypothese im Denken der Mehrheit der Astronomen wußte, längst wieder entfallen. Meine Erinnerungen sind richtig, aber undeutlich und begrenzt. So irre ich mich also vielleicht, wenn ich von ihnen auf die Mehrheit der Astronomen schließe Schwerlich. Und warum Ich bitte Euch daran zurückzudenken, was ich von dem großen, von mir wahrhaft verehrten Umgestalter der Geologie, Lyell, gesagt habe; ich sagte: er lehnte die Laplacesche Hypothese ab. Man braucht sich nur in diese Tatsache hineinzudenken, an die ich mich sehr gut erinnere, und die Einstellung der überwiegenden Mehrzahl der Astronomen zweier Generationen zur Laplaceschen Hypothese ist genügend gekennzeichnet. Lyell verstand von Mathematik bedeutend weniger als ich. Er wandte sich an Astronomen mit der Bitte, ihm derart einfache geometrische Aufgaben zu lösen, die selbst für mich leicht sind; und er sprach in den Anmerkungen den Astronomen seine heiße Anerkennung für die Arbeiten aus, die sie für ihn ausgeführt hatten. Das ist fast lächerlich naiv. Aber noch vergnüglicher ist es, wenn er selbst sich auf arithmetische Manipulationen einläßt. Zwei ganze je dreistellige Zahlen miteinander zu multiplizieren ist für ihn schon eine sehr anstrengende Weisheitstat. – Das tut ihm, nebenbei gesagt, durchaus keinen Schaden. Was braucht man in der Geologie bei ihrem heutigen Stand schon für Mathematik! Dieser Berg völlig unbestimmter Angaben eignet sich ganz [714] und gar nicht für eine mathematische Untersuchung. Und selbst die einfachsten arithmetischen Berechnungen sind hier ebenso zwecklos, als wollte man nachzählen, wieviel Fliegen oder Mücken in einem gegebenen Gebiet in diesem Frühjahr oder diesem Sommer ausschlüpfen. „Viele“ – das ist alles, was sich bei dem vorliegenden Material davon wissen läßt, ganz gleichgültig ob mit oder ohne Arithmetik. Dieser Mann, der ein schlechter Rechner war, Lyell, war dabei außerordentlich bescheiden und ungewöhnlich gewissenhaft. Ein Beispiel: seine Absage an die Theorie der Unveränderlichkeit der Arten, die er dreißig Jahre lang in jeder neuen Auflage seiner „Geologie“ ausführlich vertreten hatte. Diese freiwillige Absage des 70jährigen Greises, des Lehrers aller Geologen, an seinen Lieblingsgedanken ist eine Tat, die ihm alle Ehre macht. Wir werden später noch davon reden. Dieser Mann, der fast nichts von Mathematik verstand, der Mann, der in allem, was sich auf Astronomie bezog, die Astronomen zu Rate zog; dieser äußerst bescheidene Mann behauptete dreißig Jahre lang fest in seiner „Geologie“, daß die Laplacesche Hypothese Unsinn sei. Dreißig Jahre lang, habe ich gesagt. Stimmt das Ich weiß nicht. Ich weiß nur eins: ich habe Lyell im Jahre 1865 gelesen. Ich habe ihn in der Ausgabe gelesen, die damals, als Ihr sie für mich kauftet, die neuste war. Wann habt Ihr sie gekauft Ich weiß nicht. Ich nehme an, im gleichen Jahr. Und aus welchem Jahr stammte die Ausgabe Ich weiß nicht. Und wie kann ich das wettmachen, daß ich das Erscheinungsjahr vergessen habe Nur durch Nachschlagen im Brockhaus. Ich schlage nach. Ich finde: der erste Band der ersten Ausgabe der „Grundla- OCR-Texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 23.11.2013

N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 357 gen der Geologie“ erschien im Jahre 1830. (Von der Laplaceschen Hypothese ist im ersten Bande die Rede, das ist für mich klar: ich erinnere mich, es stand in den ersten Kapiteln der Abhandlung.) Im Jahre 1853 erschien die neunte Auflage. Über dieses Jahr gehen die Angaben über Lyell im Brockhaus in der Ausgabe, die ich besitze, nicht hinaus. Dieser Band des Lexikons ist im Jahre 1853 erschienen So kann man also annehmen, daß die Auflage der „Geologie“ aus dem Jahre 1853 vor 1865 die letzte [715] war; und daß ich also gerade diese neunte Auflage von Lyell besitze. Und wenn das zutrifft, so kann ich mich nur für dreiundzwanzig Jahre verbürgen, in denen Lyell gegen Laplace gekämpft hat. Ist es jedoch wahrscheinlich, daß ein Buch, welches in dreiundzwanzig Jahren neun Auflagen erlebt hat, weitere zwanzig Jahre nicht in neuen Auflagen erschienen ist Lyell war am Leben, er war noch kräftig und arbeitete angestrengt; alles das weiß ich sicher; sein Buch war das wichtigste Handbuch für alle Geologen der zivilisierten Welt; wie wäre es möglich gewesen daß zwölf Jahre lang keine neue Auflage von ihm erschien Und ich vermute: die Ausgabe, die ich im Jahre 1865 las, und die damals die neuste war, war nicht die neunte, sondern die elfte oder die zwölfte; sie war nicht im Jahre 1853 gedruckt, sondern etwa 1860, oder wahrscheinlich etwas später, etwa 1863. Das ist nur meine Vermutung. Sie ist vielleicht falsch. Aber, meine Freunde, Ihr seht, ich habe nicht ganz ohne Grund gesagt: „Der Kampf dauerte dreißig Jahre.“ Und angenommen selbst, ich habe mich geirrt. Ändert das etwas am Wesen der Sache Nicht dreißig, aber doch nicht weniger als dreiundzwanzig Jahre lang hat Lyell fest behauptet, daß die Laplacesche Hypothese Unsinn sei. Und diese dreiundzwanzig Jahre, die Lyell unnötigerweise gegen Laplace angekämpft hat, stellen den Herren Astronomen – nicht ihrer „Mehrheit“, nein, fast allen –ein genügendes Zeugnis aus, so daß es sich zeigt: die Minderheit, die richtig über Laplace urteilte, war zahlenmäßig verschwindend klein, von dieser richtig denkenden Minderheit war nichts zu sehen und nichts zu hören. Anders kann ich mir nicht die Tatsachen erklären: Ein sehr bescheidener Mann, der stets bereit ist, jede eigene Meinung aufzugeben, deren Unrichtigkeit von anderen bemerkt und ihm erklärt wird; ein Mann, der nichts von Astronomie versteht und nicht den geringsten Anspruch darauf erhebt, etwas davon zu verstehen, der in allen astronomischen Fragen Astronomen zu Rate zieht; er –behauptet – wahrscheinlich mehr als zwanzig Jahre, ja, [716] nach allem zu urteilen, dreißig Jahre oder mehr –‚ daß die Laplacesche Hypothese Unsinn sei; und das Buch, in dem diese Behauptung abgedruckt und immer wieder nachgedruckt wird, ist eines der wichtigsten wissenschaftlichen Bücher für die ganze zivilisierte Welt; ein Buch, das alle Naturwissenschaftler, darunter auch alte Astronomen der ganzen zivilisierten Welt gut kennen; und niemand von den Herren Astronomen hat sich also die Mühe gegeben, dem Autor dieses Buches klarzumachen, daß sich die Laplacesche Hypothese nicht bestreiten läßt, daß sie keine Hypothese, sondern eine zuverlässige Wahrheit ist; entweder hat sich keiner von den Astronomen die Mühe genommen, ihm das zu sagen, oder – was schlimmer ist: die Stimme des Astronomen, der die Wahrheit sagte, wurde übertönt durch das Gelärm der Masse der Astronomen: „O nein! Das ist nur eine Hypothese; sie ist sehr bestreitbar.“ Ich nehme an, daß eben das zweite der Fall war. Irr’ ich mich Vielleicht. OCR-Texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 23.11.2013

N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 356<br />

Das ist eine Sache die mich nichts angeht. Soweit meine [713] Erinnerungen klar und umfassend<br />

sind, kennzeichnen sie die Sache richtig, nehme ich an.<br />

Sind meine Erinnerungen jedoch klar und umfassend genug – Das ist eine andere Frage.<br />

Meine Belesenheit in Fragen der Astronomie war nicht groß. Und was für ein Vergnügen<br />

hätte ich daran finden sollen, in den Büchern, die ich gelesen habe, darauf zu achten, in welchem<br />

Ton der Autor von der Laplaceschen Hypothese spricht Und wenn ich darauf geachtet<br />

habe, warum hätte ich es im Gedächtnis behalten sollen<br />

Und da ich wenig gelesen und noch weniger hierauf geachtet habe, ist mir auch das wenige,<br />

was ich einmal über die Geschichte der Laplaceschen Hypothese im Denken der Mehrheit der<br />

Astronomen wußte, längst wieder entfallen.<br />

Meine Erinnerungen sind richtig, aber undeutlich und begrenzt.<br />

So irre ich mich also vielleicht, wenn ich von ihnen auf die Mehrheit der Astronomen schließe<br />

Schwerlich. Und warum Ich bitte Euch daran zurückzudenken, was ich von dem großen, von<br />

mir wahrhaft verehrten Umgestalter der Geologie, Lyell, gesagt habe; ich sagte: er lehnte die<br />

Laplacesche Hypothese ab. Man braucht sich nur in diese Tatsache hineinzudenken, an die<br />

ich mich sehr gut erinnere, und die Einstellung der überwiegenden Mehrzahl der Astronomen<br />

zweier Generationen zur Laplaceschen Hypothese ist genügend gekennzeichnet.<br />

Lyell verstand von Mathematik bedeutend weniger als ich. Er wandte sich an Astronomen<br />

mit der Bitte, ihm derart einfache geometrische Aufgaben zu lösen, die selbst für mich leicht<br />

sind; und er sprach in den Anmerkungen den Astronomen seine heiße Anerkennung für die<br />

Arbeiten aus, die sie für ihn ausgeführt hatten. Das ist fast lächerlich naiv. Aber noch vergnüglicher<br />

ist es, wenn er selbst sich auf arithmetische Manipulationen einläßt. Zwei ganze je<br />

dreistellige Zahlen miteinander zu multiplizieren ist für ihn schon eine sehr anstrengende<br />

Weisheitstat. – Das tut ihm, nebenbei gesagt, durchaus keinen Schaden. Was braucht man in<br />

der Geologie bei ihrem heutigen Stand schon für Mathematik! Dieser Berg völlig unbestimmter<br />

Angaben eignet sich ganz [714] und gar nicht für eine mathematische Untersuchung. Und<br />

selbst die einfachsten arithmetischen Berechnungen sind hier ebenso zwecklos, als wollte<br />

man nachzählen, wieviel Fliegen oder Mücken in einem gegebenen Gebiet in diesem Frühjahr<br />

oder diesem Sommer ausschlüpfen. „Viele“ – das ist alles, was sich bei dem vorliegenden<br />

Material davon wissen läßt, ganz gleichgültig ob mit oder ohne Arithmetik.<br />

Dieser Mann, der ein schlechter Rechner war, Lyell, war dabei außerordentlich bescheiden<br />

und ungewöhnlich gewissenhaft. Ein Beispiel: seine Absage an die Theorie der Unveränderlichkeit<br />

der Arten, die er dreißig Jahre lang in jeder neuen Auflage seiner „Geologie“ ausführlich<br />

vertreten hatte. Diese freiwillige Absage des 70jährigen Greises, des Lehrers aller<br />

Geologen, an seinen Lieblingsgedanken ist eine Tat, die ihm alle Ehre macht. Wir werden<br />

später noch davon reden.<br />

Dieser Mann, der fast nichts von Mathematik verstand, der Mann, der in allem, was sich auf<br />

Astronomie bezog, die Astronomen zu Rate zog; dieser äußerst bescheidene Mann behauptete<br />

dreißig Jahre lang fest in seiner „Geologie“, daß die Laplacesche Hypothese Unsinn sei.<br />

Dreißig Jahre lang, habe ich gesagt. Stimmt das Ich weiß nicht. Ich weiß nur eins: ich habe<br />

Lyell im Jahre 1865 gelesen. Ich habe ihn in der Ausgabe gelesen, die damals, als Ihr sie für<br />

mich kauftet, die neuste war. Wann habt Ihr sie gekauft Ich weiß nicht. Ich nehme an, im<br />

gleichen Jahr. Und aus welchem Jahr stammte die Ausgabe Ich weiß nicht. Und wie kann<br />

ich das wettmachen, daß ich das Erscheinungsjahr vergessen habe Nur durch Nachschlagen<br />

im Brockhaus. Ich schlage nach. Ich finde: der erste Band der ersten Ausgabe der „Grundla-<br />

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