15.01.2015 Aufrufe

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 338<br />

auf diese Weise natürlich nicht; auch weite Strecken zurücklegen – etwa zwei Werst – können<br />

sie nicht. Aber bei einiger Anstrengung kommen sie doch nicht gar zu langsam und auf<br />

nicht ganz unbedeutende Entfernung von der Stelle: manch einer hält hüpfend mit einem<br />

langsam gehenden Menschen Schritt; und begleitet ihn eine ganze Viertelwerst lang. Das ist<br />

eine große, schwierige Heldentat. Sie verdient alles Lob. Aber nur solange es sich um ein<br />

Kinderspiel handelt. Wenn sich aber ein Erwachsener und nicht im Spiel, sondern in allem<br />

Ernst, zu ernsten Geschäften auf einem Bein hüpfend auf die Reise macht, so wird diese Reise<br />

zwar nicht ganz erfolglos – o nein! –, aber bestimmt ganz blödsinnig sein.<br />

Kann man russisch ohne Verben schreiben – Ja, das geht. Scherzeshalber schreibt man so.<br />

Und es kommen [681] manchmal ganz hübsche Scherze dabei heraus. Ihr kennt ja sicher das<br />

Gedicht:<br />

Blattgeraune, scheuer Atem 2 ,<br />

Nachtigallenschlag –<br />

Ich erinnere mich nur an diese zwei Zeilen aus dem Stück. Das Ganze ist wie sie ohne Verben<br />

geschrieben. Sein Verfasser ist ein gewisser Fet, der seinerzeit ein bekannter Dichter war.<br />

Und er hat sehr hübsche Gedichte geschrieben. Nur haben sie alle einen Inhalt, daß sie auch<br />

ein Pferd hätte schreiben können, wenn es Verse machen lernte – es geht immer nur um Eindrücke<br />

und Wünsche, die sich ebensogut bei Pferden finden wie bei Menschen. Ich habe Fet<br />

gekannt. Er war ein ausgemachter Idiot: ein Idiot, wie es wenige auf der Welt gibt. Aber mit<br />

dichterischer Begabung. Und dieses Stückchen ohne Verben hat er als ernsthaftes Gedicht<br />

geschrieben. Als man sich noch an Fet erinnerte, kannte jedermann dieses göttliche Stück,<br />

und wenn jemand es vorzutragen begann, fingen alle, obwohl sie es längst auswendig kannten,<br />

zu lachen an und lachten bis zu Tränen: es ist so gescheit, daß es ewig den überraschenden<br />

Eindruck einer Neuheit macht.<br />

Ihr wißt, daß im Französischen, Italienischen und Spanischen der Buchstabe L einer der<br />

wichtigsten Konsonanten ist; er gehört zum Artikel, jenem „Pronomen“, ohne das man<br />

schwer zehn Worte hintereinander sagen kann. Und was meint Ihr Zu Zeiten, als man sich<br />

viel auf die Überwindung der Sprachgesetze zugute tat, sind in diesen Sprachen in Menge<br />

Versprodukte ohne den Buchstaben L geschrieben worden. Im Spanischen gibt es sogar eine<br />

ganze epische Dichtung, ein ganzes riesiges Buch ohne den Buchstaben L. Der Name des<br />

Dummkopfs, der es verfaßt hat, ist mir entfallen. Wenn Ihr Lust habt, könnt Ihr es in irgendeiner<br />

Abhandlung über die spanische Dichtung „zur Zeit des Geschmackverfalls“ im 17.<br />

Jahrhundert nachlesen.<br />

Auf was für Hokuspokusse kann jemand, der es auf Hokuspokusse abgesehen hat, nicht alles<br />

verfallen Zum Zeitvertreib, zur Erholung ist das kein dummer Scherz. Wer sich aber nicht<br />

zum Zeitvertreib mit solchem Hokus-[682]pokus abgibt, sondern mit ernstem Eifer Rebusse,<br />

Scharaden und Kalauer verfaßt und sich dabei einbildet, mit solch dummem Zeug die Wissenschaft<br />

„umzugestalten“, der beschäftigt sich mit Narreteien, und wenn er nicht als Dummkopf<br />

geboren ist, so wird er aus eignem Willen zum Dummkopf.<br />

* * *<br />

Soll ich in der Untersuchung der Dummheiten Helmholtz’ fortfahren – „Genug“, denkt Ihr<br />

wahrscheinlich schon lange. – Nein, meine lieben Kinder, ich finde, man sollte damit fortfahren.<br />

Ich führe gern alles bis zu durchsichtiger Klarheit, ich werde nicht müde und will auch<br />

bei anderen keine Ermüdung sehen, wenn ich so lange Erklärungen gebe. Aber es wird Zeit,<br />

Schluß zu machen, denn in ein paar Stunden muß ich die Briefe zur Post geben; und so lasse<br />

2 Tschernyschewski zitiert nicht ganz genau. Das Gedicht von A. Fet beginnt: „Flüsterworte, scheues Atmen“.<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!