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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 336 diese Grenzen geometrischer Körper als „Räume“ vorstellen. Das ist genau so neu, wie daß man beispielsweise ein „Paar Stiefel“ in die zweite oder dritte Potenz erheben oder die Quadratwurzel aus ein „Paar Stiefeln“ ziehen kann. Die „neusten Schöpfer“ der neuen „Systeme“ der Mathematik werden natürlich ganz leicht mit der Aufgabe fertig, [677] ein „Paar Stiefel“ in die zweite Potenz zu erheben. Sie brauchen nur die Formel hinzuschreiben: n 2 a 2 und kombinieren gleich: „a sei gleich ‚Stiefel‘“‚ dann ist ein Paar Stiefel = 2a: durch Erhebung von 2a zum Quadrat erhalten sie 4a 2 und lesen das dann so: „Ein Paar Stiefel im Quadrat ist gleich 4 Stiefel im Quadrat.“ Aber was soll das bedeuten: vier Stiefel im Quadrat Für uns, die wir eine vernünftige Sprache reden, ist es klar, was das bedeutet: 4 Stiefel im Quadrat ist soviel wie „Stiefel pflaumenweich“. So wird nach dem „neuen System der Mathematik“ spielend leicht eine Aufgabe gelöst, die nach der irrtümlichen Auffassung der Anhänger des allbekannten alten „Systems der Mathematik“ mit menschlichem Sinn und Verstand unvereinbar ist. Da haben wir noch eine andere Aufgabe, die Helmholtz und Co. genau so leicht lösen: „Gegeben ist eine Versammlung von 64 vor lauter Eitelkeit dusselig gewordener Pedanten; gesucht wird die Quadratwurzel aus ihnen.“ Die Antwort lautet: „8 Quadratwurzeln aus solchen Pedanten.“ So. Und die Kubikwurzel Die Antwort: „4 Kubikwurzeln aus solchen Pedanten.“ Kehren wir zum Aufsatz des armen Mannes zurück, der beim Prahlen mit seiner Kenntnis der Philosophie Kants auf Abwege geraten ist. Der eiförmige, zweidimensionale Raum eignet sich für vernünftige zweidimensionale Wesen schlecht zum Leben: bei der Vorwärtsbewegung in ihm würden sie sich ungleichmäßig ausdehnen oder zusammenziehen, wie ein Stückchen Eihaut sich verzieht, wenn es sich über die Eischale fortbewegt. Das ist richtig, das weiß ich. Und wirklich: was für eine „Vernunft“ könnten diese „zweidimensionalen Wesen“ schon haben, wenn ihre Köpfe sich durch Ausdehnung und Zusammenziehung ständig verziehen würden. Aber ... aber... aber... wenn man annimmt, daß diese „verstandesbegabten, zweidimensionalen Wesen“ zweidimensionale Austern sind, dann werden sie an einen Fleck festgewachsen [678] dasitzen und alles ist in Ordnung, und sie haben nicht einmal Köpfe. Was für Schwierigkeiten bietet für sie der eiförmige Raum – Ach, a propos, ja! Austern haben keine Hände, deswegen können sie keine Bücher schreiben Aber für Helmholtz besteht das ganze Wesen des „vernünftigen Lebens“ darin, Bücher und Aufsätze über Mathematik zu schreiben. Eins ist klar: vom „eiförmigen, zweidimensionalen Raum“ lohnt sich nicht zu reden: für vernünftige, zweidimensionale Wesen lohnt es sich nicht, in ihm zu leben. Der „sphärische zweidimensionale Raum“ dagegen ist eine sehr gute Sorte von Raum. Die dritte schöne Sorte ist der „pseudosphärische zweidimensionale Raum“. Wie sieht er aus – Die Oberfläche eines Ringes aus einem gekrümmten und an den Enden zusammengelöteten Stückes Draht. Der Erfinder dieses Raumes ist der nach Helmholtz’ Worten bekannte – bekannte! – wofür eigentlich für seine Dummheit – italienische Mathematiker Beltrami. Ich will hoffen, daß seine Dummheit bei ihm – was ich auch für Helmholtz hoffe – nur eine vorübergehende Denkstörung ist, und daß er nicht für seine Dummheit, sondern für irgendwelche nützliche Arbeiten bekannt ist. – In einer Hinsicht ist übrigens diese, wenn auch vorübergehende, Dummheit sehr bedauerlich! Wieder zu sich gekommen, müßte Beltrami sie eigentlich widerrufen. Er hat es aber offenbar nicht getan. Er ist also noch nicht wieder ganz ge- OCR-Texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 23.11.2013

N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 337 heilt. Und die Dummheit drückt ihm weiter wie eine scheußliche Bleimütze den Kopf. Ja; ein von Eitelkeit besessener Ignorant verfällt leicht in Dummheit. Und die Heilung ist schwer. Deshalb ist die radikale Dummheit eitler Ignoranten unverzeihlich: die Dummheit, Ignoranten zu bleiben, wenn sie philosophischen Ruhm erwerben wollen. Sie sollten ruhig ein bißchen studieren; am Ende wurde dann vielleicht die Eitelkeit mitsamt der Ignoranz verfliegen. So aber geben sie sich nur selber Blößen und machen mit ihren wilden Phantasien ihrem Fach Schande. Die „pseudosphärische Oberfläche“ hat nach Helmholtz’ Worten noch einige andere Figuren außer dem zum Ring [679] gebogenen Draht. Er gibt eine Aufzählung dieser verschiedenen Formen der pseudosphärischen Oberflächen. Es sind alles sehr elementare Formen. Hat man ihnen allen vor Beltrami besondre Formeln zugeteilt Ich weiß nicht. Aber selbst für mich ist eins klar: alle diese Formeln sind nur ganz leichte Abwandlungen der Formeln für Linien zweiten Grades. Zum Beispiel: die Oberfläche eines Ringes aus rundem Draht hat zur Formel eine ganz leichte Abwandlung der Formel für die zylindrische Oberfläche eines geraden Zylinders; das bedeutet, daß die Formel für die Oberfläche dieses Ringes sehr leicht und einfach aus den Formeln des Kreises abgeleitet wird. Und ich vermute: wenn es bei Beltrami in seinem dummen Zeug irgendwelche Formeln gibt, die in den Abhandlungen oder Aufsätzen Eulers oder Lagranges nicht vorkommen, so haben Euler und Lagrange diese Formeln nur deshalb nicht abgedruckt, weil sie in ihnen den Abdruck nicht verdienende, für jeden ordentlichen Mathematiker offenkundige Korollarien anderer Formeln sahen. Ob das so ist oder nicht, bleibt für das Wesen der Sache gleichgültig. Mag Beltrami selbst in seinem dummen Zeug irgendwelche Formeln geliefert haben, die nicht ganz unwichtig sind. Trotz alledem sind seine beiden Arbeiten, auf die Helmholtz sich beruft, im allgemeinen unermeßlich dumm. Das ist bereits an ihren Titeln zu erkennen. – „Versuch einer Deutung der nichteuklidischen Geometrie“ und „Fundamentaltheorie der konstant gekrümmten Räume“. Ich würde mich freuen, wenn ich die ganze Schuld für die Dummheiten Helmholtz zuschieben und annehmen könnte, daß er seine eignen wilden Phantasien den Arbeiten Beltramis untergeschoben hat, der sich selber nur das sachliche und vernünftige Ziel setzte, Formeln für solche Oberflächen zu finden, wie: Ringflächen, Doppelsattelflächen und Kelchflächen. Ob diese Formeln wichtig sind oder unwichtig, ob sie für die Wissenschaft neu sind oder nicht – das wäre ganz gleichgültig: die Arbeit stellte sich ein brauchbares Ziel; und wenn der Autor selbst auf Lösungen gekommen wäre, die andere bereits früher gegeben haben, die er nur nicht kannte, so hätte das auf zufälliger Unkenntnis beruhen [680] können, und ich wäre freudig bereit, solche Zufälle als Entschuldigungsgrün anzuerkennen. Aber nein! – Beltrami hat eine „nichteuklidische Geometrie“ verfaßt. Er selber, nicht Helmholtz ist es, der seinen Arbeiten diese ignorante Phantasie untergeschoben hat; er selbst rühmt sich, eine neue Geometrie erfunden zu haben. Und nicht Helmholtz hat die törichte Verwechslung der Begriffe „Linie“ und „Fläche“ mit dem Begriff „Raum“ in seine Arbeiten hineingebracht; nein, er selber spricht von „krummen Räumen“; – o Mißgeburt! Helmholtz hat übrigens herausgefunden, daß Beltrami einen Vorläufer hat. Dieser Vorläufer des Erfinders der „gekrümmten Räume“ war ein Kasaner Professor, ein gewisser Lobatschewski. Schon im Jahre 1829, sagt Helmholtz, arbeitete Lobatschewski eine solche Geometrie aus, welche „das Axiom der Parallelen fallen läßt; es zeigte sich, daß deren System ebenso konsequent und ohne Widersprüche durchzuführen sei wie das des Euklid“. Und das System Lobatschewskis „ist in völliger Übereinstimmung“ mit der neuen Geometrie Beltramis... Was ist diese „Geometrie ohne das Parallelenaxiom“ – Kleine Kinder machen sich ein Vergnügen daraus, auf einem Bein herumzuhüpfen. Schnell von der Stelle kommen können sie OCR-Texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 23.11.2013

N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 336<br />

diese Grenzen geometrischer Körper als „Räume“ vorstellen. Das ist genau so neu, wie daß<br />

man beispielsweise ein „Paar Stiefel“ in die zweite oder dritte Potenz erheben oder die Quadratwurzel<br />

aus ein „Paar Stiefeln“ ziehen kann.<br />

Die „neusten Schöpfer“ der neuen „Systeme“ der Mathematik werden natürlich ganz leicht<br />

mit der Aufgabe fertig, [677] ein „Paar Stiefel“ in die zweite Potenz zu erheben. Sie brauchen<br />

nur die Formel hinzuschreiben:<br />

n 2 a 2<br />

und kombinieren gleich: „a sei gleich ‚Stiefel‘“‚ dann ist ein Paar Stiefel = 2a: durch Erhebung<br />

von 2a zum Quadrat erhalten sie<br />

4a 2<br />

und lesen das dann so: „Ein Paar Stiefel im Quadrat ist gleich 4 Stiefel im Quadrat.“ Aber<br />

was soll das bedeuten: vier Stiefel im Quadrat Für uns, die wir eine vernünftige Sprache<br />

reden, ist es klar, was das bedeutet: 4 Stiefel im Quadrat ist soviel wie „Stiefel pflaumenweich“.<br />

So wird nach dem „neuen System der Mathematik“ spielend leicht eine Aufgabe gelöst,<br />

die nach der irrtümlichen Auffassung der Anhänger des allbekannten alten „Systems der<br />

Mathematik“ mit menschlichem Sinn und Verstand unvereinbar ist.<br />

Da haben wir noch eine andere Aufgabe, die Helmholtz und Co. genau so leicht lösen: „Gegeben<br />

ist eine Versammlung von 64 vor lauter Eitelkeit dusselig gewordener Pedanten; gesucht<br />

wird die Quadratwurzel aus ihnen.“ Die Antwort lautet: „8 Quadratwurzeln aus solchen<br />

Pedanten.“ So. Und die Kubikwurzel Die Antwort: „4 Kubikwurzeln aus solchen Pedanten.“<br />

Kehren wir zum Aufsatz des armen Mannes zurück, der beim Prahlen mit seiner Kenntnis der<br />

Philosophie Kants auf Abwege geraten ist.<br />

Der eiförmige, zweidimensionale Raum eignet sich für vernünftige zweidimensionale Wesen<br />

schlecht zum Leben: bei der Vorwärtsbewegung in ihm würden sie sich ungleichmäßig ausdehnen<br />

oder zusammenziehen, wie ein Stückchen Eihaut sich verzieht, wenn es sich über die<br />

Eischale fortbewegt. Das ist richtig, das weiß ich. Und wirklich: was für eine „Vernunft“<br />

könnten diese „zweidimensionalen Wesen“ schon haben, wenn ihre Köpfe sich durch Ausdehnung<br />

und Zusammenziehung ständig verziehen würden. Aber ... aber... aber... wenn man<br />

annimmt, daß diese „verstandesbegabten, zweidimensionalen Wesen“ zweidimensionale Austern<br />

sind, dann werden sie an einen Fleck festgewachsen [678] dasitzen und alles ist in Ordnung,<br />

und sie haben nicht einmal Köpfe. Was für Schwierigkeiten bietet für sie der eiförmige<br />

Raum – Ach, a propos, ja! Austern haben keine Hände, deswegen können sie keine Bücher<br />

schreiben Aber für Helmholtz besteht das ganze Wesen des „vernünftigen Lebens“ darin,<br />

Bücher und Aufsätze über Mathematik zu schreiben. Eins ist klar: vom „eiförmigen, zweidimensionalen<br />

Raum“ lohnt sich nicht zu reden: für vernünftige, zweidimensionale Wesen<br />

lohnt es sich nicht, in ihm zu leben.<br />

Der „sphärische zweidimensionale Raum“ dagegen ist eine sehr gute Sorte von Raum.<br />

Die dritte schöne Sorte ist der „pseudosphärische zweidimensionale Raum“. Wie sieht er aus<br />

– Die Oberfläche eines Ringes aus einem gekrümmten und an den Enden zusammengelöteten<br />

Stückes Draht. Der Erfinder dieses Raumes ist der nach Helmholtz’ Worten bekannte – bekannte!<br />

– wofür eigentlich für seine Dummheit – italienische Mathematiker Beltrami. Ich<br />

will hoffen, daß seine Dummheit bei ihm – was ich auch für Helmholtz hoffe – nur eine vorübergehende<br />

Denkstörung ist, und daß er nicht für seine Dummheit, sondern für irgendwelche<br />

nützliche Arbeiten bekannt ist. – In einer Hinsicht ist übrigens diese, wenn auch vorübergehende,<br />

Dummheit sehr bedauerlich! Wieder zu sich gekommen, müßte Beltrami sie eigentlich<br />

widerrufen. Er hat es aber offenbar nicht getan. Er ist also noch nicht wieder ganz ge-<br />

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