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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 329<br />

Meine lieben Freunde. Jede einzelne Menschengruppe hat ihren eigenen Ehrgeiz. Wir werden<br />

von diesem sehr wichtigen, selbstverständlich unvernünftigen und deshalb schädlichen Element<br />

des Menschenlebens noch reden, wenn nach der Ordnung unseres Stoffes die Analyse<br />

der Triebe des Menschen an die Reihe kommt. Hier genügt es zu sagen, daß ich auf Grund<br />

meiner wissenschaftlichen Weltanschauung unerschütterlich auf folgendem Standpunkt stehe:<br />

jede [664] Illusion hat eine schlechte Wirkung auf den Gang der menschlichen Angelegenheiten;<br />

um so schädlicher sind Illusionen, die, wie das Herausstreichen der eigenen Gruppe<br />

auf Kosten der anderen Menschen, nicht irgendeinen unschuldigen Irrtum zum Ausgangspunkt<br />

haben, sondern ein übles Motiv.<br />

Wir wollen uns auf diese kurze Bemerkung über die Schädlichkeit jeder Illusion und die ganz<br />

besondere Schädlichkeit übler Illusionen beschränken, und uns genauer nur jene eine Kategorie<br />

übler Illusionen ansehen, zu der der ganze Fall der Geschichte der Newtonschen Hypothese<br />

in unserer Zeit gehört, dieser Zeit, in der die Mehrheit der Naturforscher, beseelt vorn unmäßig<br />

heißen Drang, große Entdeckungen zu machen und dadurch Ruhm zu erwerben, so<br />

zahlreiche erstaunliche Taten vollbracht hat.<br />

In jedem Handwerk oder Beruf verstehen die Meister eines technischen Fachs in ihrer Mehrheit<br />

absolut nichts von dem, was über das enge Fach hinausgeht, mit dem sie sich berufsmäßig befassen.<br />

So versteht beispielsweise die Mehrzahl der Schuster nichts von allem, was nicht zur Schusterei<br />

gehört. Aber der Ignorant hat stets das Bedürfnis, auf irgend etwas stolz zu sein. Ein<br />

Mensch mit großangelegten Auffassungen und Gefühlen begnügt sich mit dem vernünftigen,<br />

stolzen Gefühl, ein Mensch zu sein. Der Schuster-Ignorant macht sich sehr wenig daraus, daß er<br />

Mensch ist. Er versteht Stiefel zu machen, und das ist dem Umfang seiner Auffassungen und<br />

Gefühle entsprechend für ihn der einzig verständliche und ihm zusagende Anlaß, stolz zu sein.<br />

Und wenn wir ihm Gelegenheit geben, seinem Eigenlob auch nur für eine halbe Stunde die Zügel<br />

schießen zu lassen, werden wir zu hören bekommen, wie er uns – und in unserer Person das ganze<br />

Menschengeschlecht – darüber aufklärt, daß die Schusterei das allerwichtigste Geschäft auf<br />

der Welt und der Schuster der hervorragendste aller Wohltäter des Menschengeschlechts sind.<br />

Das gleiche wird uns von seinem Beruf der Schneider-Ignorant sagen; das gleiche der Friseur-Ignorant;<br />

das gleiche der Maurer-Ignorant; das gleiche der Tischler-Ignorant; das gleiche<br />

jeder andere Handwerker-Ignorant.<br />

[665] Aber die Handwerker dieser und ähnlicher Berufsgruppen, wie die Schuster, Schneider<br />

usw., haben nur sehr selten Gelegenheit, geduldige und respektvolle, vertrauensselige und<br />

dankbare Hörer für ihr Eigenlob zu finden. Wenn man ihre wilden Phantasien darüber, daß<br />

sie unsere obersten Wohltäter sind, zu hören bekommen will, muß man ausdrücklich eine<br />

derartige Unterredung unter vier Augen herbeiführen. Andernfalls wird es uns nicht gelingen,<br />

etwas derart wahrhaft Bemerkenswertes zu hören bekommen: beim ersten Wort eines schwachen,<br />

noch zögernden Anfalls belehrender Reden wird das Publikum, das wir unvorsichtigerweise<br />

zu diesem Versuch zugelassen haben, den Prahler mit schallendem Gelächter unterbrechen<br />

und mit Sarkasmen niederschlagen.<br />

Anders geht es jenen Fachleuten, die sich handwerksmäßig mit ehrenvolleren Berufstätigkeiten<br />

befassen als der Schusterei, dem Friseurgewerbe und der Tischlerei. Diesen ehrenwerten<br />

Leuten lauscht das Publikum ehrerbietig. Und ihr Eigenlob belehrt und ergötzt ununterbrochen<br />

und in allen Tonarten ihrer berufsmäßig getönten Prahlerei das Menschengeschlecht,<br />

das sich in tiefer Dankbarkeit vor diesen seinen Wohltätern bis zur Erde verneigt.<br />

Ehrenwerte Berufe gibt es vielerlei Arten. Zum Beispiel die Architektur, die Malerei, die<br />

Bildhauerei usw.; die Musik, der Gesang, der Tanz usw.; die Rechtsgelehrtheit usw.; die Geschichte<br />

usw.<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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