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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 308<br />

Menschen waren, in welchem Lande er geboren sein und in welcher Sprache er schreiben<br />

mochte. Eine solche Hinwendung der Geister in allen zivilisierten Ländern der Welt zu<br />

gleichartigen Auffassungen in allen wesentlichen Fragen bedeutete eine starke Stütze für die<br />

Einheit der Bestrebungen aller wahrhaft modernen Menschen in jedem einzelnen Land. So<br />

wirkte auch bei uns das Studium der neuen Erscheinungen, die sich im Geistesleben der<br />

wichtigsten Völker Westeuropas zeigten, und die, bei allen Unterschieden in bezug auf Entstehung<br />

und Form, von genau dem [626] gleichen Geist getragen waren, festigend auf die<br />

Einheit der Auffassungen, die die Männer von moderner Denkweise verbanden.<br />

Die Einigkeit der Auffassungen und der Menschen wurde jedoch durch den Einfluß von außen<br />

nicht hervorgerufen, sondern nur befestigt. Die Männer, die damals an der Spitze unserer<br />

geistigen Bewegung standen, fühlten sich natürlich dadurch ermuntert, daß die Übereinstimmung<br />

der Meinungen aller modernen Denker Europas mit ihren Auffassungen die Richtigkeit<br />

dieser Meinungen bestätigten; aber diese Männer standen hinsichtlich ihrer Auffassungen<br />

bereits nicht mehr in Abhängigkeit von irgendwelchen Autoritäten außerhalb. Wir haben bereits<br />

gesagt, daß dieser Fortschritt in den Auffassungen, der die frühere Zersplitterung überwand,<br />

bei uns selbständig zustande kam. Hier hatte das geistige Leben unseres Vaterlandes<br />

zum erstenmal Männer hervorgebracht, die auf der gleichen Höhe standen wie die Denker<br />

Europas und nicht als Schüler hinter ihnen herliefen, wie es früher der Fall war. Früher hatte<br />

bei uns jeder unter den europäischen Schriftstellern ein oder mehrere Orakel; die einen fanden<br />

diese in der französischen, die anderen in der deutschen Literatur. Seitdem die Vertreter<br />

unserer geistigen Bewegung das Hegelsche System selbständig der Kritik unterzogen hatten,<br />

fügte sich die Bewegung keiner fremden Autorität mehr.<br />

Belinski und seine Hauptanhänger wurden in geistiger Hinsicht zu völlig selbständigen Menschen.<br />

Diese Tatsache, die Selbständigkeit, die das russische Denken in Belinski und seinen Hauptanhängern<br />

erreichte, ist nicht nur deshalb interessant, weil unser Volk darauf stolz sein kann:<br />

sie ist in der Geschichte unserer literarischen Auffassungen deshalb wichtig, weil sie die Erklärung<br />

für einige charakteristische Merkmale der Arbeiten Belinskis und seiner Anhänger<br />

gibt, für Merkmale und Eigenschaften, die unsere Kritik früher nicht besaß; sie erklärt teilweise<br />

auch die schnelle Ausbreitung der literarischen Anschauungen Belinskis bei unserem<br />

Leserpublikum.<br />

Ein Mensch, dessen Denken sich zur Selbständigkeit aufgeschwungen hat, ist, was die Bestimmtheit<br />

seiner Auffas-[627]sungen und die Richtigkeit ihrer Anwendung betrifft, stets<br />

jenen Menschen überlegen, die sich an fremde Auffassungen halten, ohne imstande zu sein,<br />

die Prinzipien, denen sie folgen, kritisch zu verarbeiten. Vor Belinski war unsere Kritik eine<br />

Widerspiegelung bald französischer, bald deutscher Theorien, es fehlte ihr deshalb in allen<br />

ihren Grundanschauungen an Klarheit und Bestimmtheit, wenn es aber um die Bewertung des<br />

eigentlichen Sinns und der Qualität literarischer Erscheinungen ging, ließ sie fast stets, wenn<br />

sie auch manches Wahre sagte, entweder vieles unausgesprochen oder hängte sonderbare<br />

Mißverständnisse an ganz zutreffende Bemerkungen an. Überhaupt erwiesen sich die Urteile<br />

unserer besten Kritiker vor Belinski sehr schnell schon, nach fünf oder sechs Jahren, als veraltet,<br />

unhaltbar oder einseitig. Der „Telegraf“ beispielsweise wurde im Jahre 1825 gegründet,<br />

aber bereits im Jahre 1829 konnte jemand, der Nadeshdins Aufsätze im „Westnik Jewropy“ 22<br />

gelesen hatte, nicht mehr ohne zu lächeln an die „hohen Anschauungen“ Polewois denken,<br />

22 „Westnik Jewropy“ – eine der ersten russischen literarisch-politischen Zeitschriften; sie erschien in Moskau in<br />

den Jahrein 1802 bis 1830, ursprünglich unter der Leitung N. M. Karamsins. In den zwanziger Jahren nahm die<br />

Zeitschrift, deren Leitung inzwischen an M. T. Ratschenowski übergegangen war, eine extrem reaktionäre Haltung<br />

ein.<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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