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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 303<br />
nung zu zwingen, daß nicht alles in der Wirklichkeit sich vor der Vernunft rechtfertigen läßt, in<br />
der ihm eignen unerbittlich konsequenten Weise damit antwortete, daß er alle Erscheinungen,<br />
auf die man ihn verwies, als vernünftig erklärte – im Gefolge dieses Disputes, der bewies, daß<br />
seine Überzeugungen nicht zu erschüttern waren, fanden die Versuche einer Versöhnung ihr<br />
Ende – wenigstens für einige Zeit, und, wie wir sehen werden, für sehr kurze Zeit. 18<br />
Bei alledem blieben diese Versuche nicht ohne frucht-[617]bares Ergebnis, obwohl sie dem<br />
Anschein nach zum vollen Bruch führten. Die Männer, die mit Belinski und seinen Freunden<br />
stritten, waren erstaunt über die Unerschütterlichkeit, mit der die Anhänger Hegels selbst die<br />
anscheinend unwiderleglichsten Einwände gegen das System Hegels aufnahmen, über die<br />
Leichtigkeit, mit der die Anhänger Hegels eine sie völlig befriedigende Antwort auf alles<br />
fanden, was ihnen dem Anschein nach Unruhe und Schwierigkeiten hätte bereiten müssen.<br />
Die Gegner der Ergebnisse, zu denen Hegels System kommt, erkannten, daß man Hegel nur<br />
mit seinen eigenen Waffen schlagen kann, und machten sich daher an das vertiefte Studium<br />
dieses Denkers. Sie gingen an dieses Studium mit den Kräften eines durchaus reifen Geistes<br />
heran, mit einem Scharfsinn, der gestählt war durch die Gewohnheit selbständigen Denkens<br />
und durch die reiche Erfahrung eines Lebens voller Konflikte – mit einem großen Vorrat von<br />
festen Überzeugungen, die das Leben und die strenge Wissenschaft ihnen gegeben hatten.<br />
Und so schwer es ist, der Dialektik des Giganten der deutschen Philosophie standzuhalten,<br />
dieser wundervoll starken Dialektik, die sein ganzes System mit der Brünne einer anscheinend<br />
unzerstörbaren Einheit umkleidet hatte – diese Männer entdeckten Lücken und Inkonsequenzen<br />
in Hegels System, fanden die Fehler in seinen Schlußfolgerungen, die Unvereinbarkeit<br />
seiner Prinzipien mit den Resultaten und der Grundideen mit ihrer Anwendung heraus,<br />
kamen auch auf die Einseitigkeit der Prinzipien selber und konnten schließlich sagen:<br />
„Jetzt begreifen wir alles, was Hegel begriffen hat, begreifen es aber klarer und vollständiger<br />
als er.“ So wurde Hegels Philosophie – um einen Ausdruck der deutschen Philosophie zu<br />
gebrauchen – überwunden, von Einseitigkeit gesäubert, im Sinne ihrer eignen Grundprinzipien<br />
der Kritik unterzogen und zu einer höheren Wahrheit weitergebildet durch die stärksten<br />
Anhänger einer der beiden Richtungen, zwischen denen Hegels System bis dahin als Trennungsmauer<br />
gestanden hatte. Aber die Tiefe und die Geschlossenheit der deutschen philosophischen<br />
Systeme machte tiefen Eindruck auf die Geister, die sich das Studium der Philosophie<br />
nicht so sehr vorgenommen hatten, weil es sie zu ihr hinzog, als [618] weil sie deren<br />
schwache Seiten entdecken wollten; die bedeutendsten unter den Freunden Herrn Ogarjows<br />
kamen jetzt selber auf die Philosophie; ohne ihre früheren Bestrebungen aufzugeben,, im Gegenteil,<br />
nur noch bestärkt in ihren Tendenzen, erhoben sie ihre Überzeugungen zur Höhe allgemeiner<br />
Philosophischer Grundsätze und wurden, als sie sahen, wie sehr ihre Ideen dadurch<br />
an Festigkeit und innerer Konsequenz gewannen zu eifrigen Anhängern der deutschen Philosophie,<br />
natürlich nicht mehr des Hegelsche Systems, bei dem sie nicht stehenbleiben konnten,<br />
sondern der neuen Philosophie, zu der Hegels System die letzte Vorstufe gebildet hatte.<br />
Eine gleiche Erweiterung des geistigen Horizonts vollzog sich andererseits fast zur gleichen<br />
Zeit auch bei den stärksten unter den Freunden Stankewitschs. Bis dahin waren sie, wie wir<br />
gesagt haben, durch die völlige Übereinstimmung ihrer Begriffe und Bestrebungen miteinander<br />
verbunden gewesen, so daß die Besonderheiten der einzelnen Persönlichkeiten in der<br />
Einheit der gemeinsam Geisteshaltung verschwanden. Bei der Charakterisierung des „Moskowski<br />
Nabljudatel“, dessen tätigster Mitarbeiter und Redakteur Belinski war, haben wir den<br />
größten Teil unserer Zitate dem Vorwort zu den Reden Hegels entnommen, das nicht Belinski<br />
geschrieben hatte, sondern einer seiner damaligen Freunde 19 , weil alle diese Leute in<br />
18 Diesen Streit hat A. Herzen in „Erlebnisse und Gedanken“ beschrieben. (Deutsch in A. I. Herzen, Ausgewählte<br />
philosophische Schriften, Moskau 1949, S. 542 ff.)<br />
19 D. h. M. A. Bakunin. Siehe Anmerkung 8.<br />
OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013