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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 299<br />

Männer einbringen, sind eben erst zum Vorschein gekommen und dazu noch in sonderbaren,<br />

noch nicht recht ausgereiften phantastischen Formen, sie haben das Leben der Nation noch in<br />

keiner Weise beeinflußt, im Gegenteil, sie wurden von der Literatur verspottet, vom öffentlichen<br />

Leben verachtet. Alles, womit Frankreich in den Zeiten des ersten Kaiserreichs und der<br />

Restauration glänzte, war falsch und oberflächlich oder widersprach den wahren Bedürfnissen<br />

des sittlichen und sozialen Lebens; alles beruhte auf Mißverständnissen einerseits und<br />

Betrug oder Gewalt andererseits. In der Literatur zum Beispiel herrschten zwei im gleichen<br />

Maße verlogene Richtungen: die eine zog – im Geiste Châteaubriands und Lamartines – die<br />

Maske künstlicher Exstase für Lehren an, die sie gar nicht verstand und um die sie sich eigentlich<br />

sehr wenig Sorge machte; die andere zog die Maske einer raffi-[610]nierten Sittenverderbnis<br />

und eines spießigen Satanismus an (école satanique). Wer nicht Idealismus oder<br />

Zynismus heuchelte, quasselte dummes. Zeug. Einzig Béranger machte eine Ausnahme, aber<br />

Béranger wurde nicht verstanden, man sah in ihm nur den Sänger der Grisetten. In der Wissenschaft<br />

kam es zu einer furchtbaren Zerbröcklung aller Begriffe – die berühmten Gelehrten<br />

der damaligen Zeit waren Scharlatane und Phrasendrescher, die sich abmühten, das Unversöhnliche<br />

zu versöhnen, Vorurteile wissenschaftlich zu rechtfertigen, phantastische Hirngespinste<br />

mit der wissenschaftlichen Wahrheit in Einklang zu bringen. Die Zeit hat inzwischen<br />

offenbart, was diese Cousins, Guizots, Thiers’ für Leute waren und was sie wollten; und sie<br />

waren noch die besten unter den damaligen Berühmtheiten.<br />

Wir wollen bei dieser Gelegenheit daran erinnern, was damals der vielgerühmte „Liberalismus“<br />

bedeutete, der diesen Berühmtheiten so besonderen Ruhm einbrachte. Die geschichtlichen<br />

Ereignisse haben die Leere und absolute Nutzlosigkeit dieses Liberalismus erwiesen,<br />

der sich nur um abstrakte Rechte bemühte und nicht um das Wohlergehen des Volkes, denn<br />

dieser Begriff war ihm völlig fremd. Die besseren Apostel des Liberalismus waren sich einfach<br />

nicht im klaren über die wahren Bedürfnisse der Nation; andere benutzten diesen sogenannten<br />

Liberalismus als Lockspeise, um die Nation an ihre Angel zu kriegen – wozu sie aber<br />

die Nation brauchten, das zeigte sich später, als sie an die Macht gelangt waren: sie strebten<br />

nach der Macht, um sich die Taschen zu füllen.<br />

So sah es in Frankreich während der Restauration und in den ersten Jahren der Dynastie Orleans<br />

aus. Überall schmetterten Phrasen ohne Sinn, überall herrschten Leichtsinn und Betrug.<br />

Am meisten jedoch mußten Menschen mit einer glühenden Gesinnung und hohen Grundsätzen<br />

sich darüber empören, daß die damaligen französischen Berühmtheiten überhaupt weder<br />

ausgesprochene Grundsätze noch eine streng konsequente Denkweise kannten: alles, was sie<br />

glaubten, glaubten sie nur zur Hälfte, zaghaft und der Form halber, alles, was sie verneinten,<br />

verneinten sie ebenfalls nur zur [611] Hälfte, sie waren allesamt Menschen von der Art, wie<br />

sie Puschkin bei uns in seinen Helden dargestellt hat, von der Art, die Lermontow sagen ließ:<br />

Wir eignen uns schon an bei frühem Kinderspiele<br />

Der Väter späten Geist und ihres Seins Gebrest...<br />

Mit Gleichmut – welche Schmach! – wir Gut und Bös betrachten,<br />

Erschlaffen ohne Kampf zu Anbeginn der Schlacht...<br />

Vor Nächsten, vor dem Freund verbergen mit Gezier<br />

Die besten Hoffnungen, das adlige Gewissen<br />

Verschmähter Leidenschaften wir.<br />

Wir haben kaum berührt die Schale des Genusses,<br />

Doch nicht bewahrt die jugendliche Kraft;<br />

Und jedem Freudenborn, vor Furcht des Überdrusses,<br />

Entzogen raubend wir den besten Saft...<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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