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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 298<br />

gewissenhaft erfüllte, sich auch gewissenhaft an diesen Punkt hielt. Er benutzte jede Gelegenheit,<br />

jeden Anlaß, um eine dräuende Philippika gegen die Franzosen zu schleudern oder<br />

ihnen verächtlich eins auszuwischen. Ist beispielsweise in der Kritik des „Sowremennik“ von<br />

Puschkins Aufsatz über Milton die Rede, so schenkt er hauptsächlich jenen Episoden Beachtung,<br />

in denen Puschkin die Franzosen verspottet, zitiert sofort einige boshafte Ausfälle gegen<br />

Alfred de Vigny oder Victor Hugo, Bemerkun-[608]gen über die Mängel der Komödien<br />

Molières usw. – und dafür fügt der „Moskowski Nabljudatel“ dann auch hinzu, Puschkin<br />

„hatte eine richtige Auffassung von der Kunst und ein unendlich feines ästhetisches Gefühl“.<br />

Oder es wird ein anderes Heft des „Sowremennik“ kritisch untersucht, das Bruchstücke aus<br />

der „Chronik eines Russen in Paris“ 11 enthält – und fast die ganze Rezension besteht aus der<br />

Wiedergabe solcher Seiten der „Chronik“, die für die Franzosen besonders ungünstig sind.<br />

Oder der Roman „Virginia“ von Herrn Weltmann wird kritisiert – und schon zeigt sich, daß<br />

dieser Roman nur wegen einer einzigen Sache Lob verdient: „Viele Züge der französischen<br />

Windbeutelei sind in ihm mit größter Treue eingefangen“; oder es ist von dem „Sammelband<br />

für das Jahr 1838“ die Rede – der Sammelband enthält viele, teilweise sogar gute Gedichte,<br />

aber besonders interessant ist in ihm eine Übersetzung eines Epigramms von Schiller, in dem<br />

die Franzosen als „Vandalen“ bezeichnet werden. Der Kritiker zitiert dieses Gedicht, lobt<br />

Schiller seinetwegen und ruft dann dem Leser triumphierend zu:<br />

Die Franzosen sind Vandalen!!! – hört ihr’s<br />

Um diesem Ausruf noch größere Bedeutung zu geben, hat man ihn sogar eingerückt, was<br />

auch wir hier beibehalten haben. Oder es ist von der Rückkehr unserer jungen Professoren<br />

aus dem Ausland die Rede – am meisten freut den „Moskowski Nabljudatel“ hierbei, daß sie<br />

in Berlin und nicht in Paris Vorlesungen gehört haben. Es versteht sich von selber, daß der<br />

„Moskowski Nabljudatel“ die Gelegenheit benutzt, die Phrasendrescherei und den Leichtsinn<br />

der Franzosen anzuprangern, als eine Übersetzung der „Geschichte Frankreichs von Michelet<br />

erscheint. Hier schwingt sich die Philippika zu erschrecklicher Schonungslosigkeit auf:<br />

bestenfalls einigen Fachgelehrten wird für ihre Spezialarbeiten verziehen, daß sie Franzosen<br />

sind‚– die französischen Schriftsteller, Dichter und Denker dagegen werden samt und sonders<br />

ohne alle Gnade verdonnert von Fräulein von Scudéry bis zu Michelet, von Ronsard bis Lerminier.<br />

Der allgemeinen Verurteilung entgeht nur Béranger, „der müßige [609] Schlemmer“:<br />

müßige Schlemmerei – das ist etwas für die Franzosen, das verstehen sie in netten Liedchen<br />

zu besingen, etwas Besseres kann man auch von ihnen nicht erwarten. Mit einem Wort, wovon<br />

auch die Rede ist, der „Moskowski Nabljudatel“ findet immer einen Vorwand, den Franzosen<br />

einen Hieb oder Stich zu versetzen, und diese ganze unermüdliche Polemik wird in die<br />

allgemeine Schlußbemerkung zusammengefaßt, daß wir, während „der Einfluß der Deutschen<br />

auf uns in vielen Beziehungen – sowohl in der Wissenschaft wie auch in der Kunst und<br />

im Geistig-Sittlichen –wohltätig ist, zu den Franzosen im umgekehrten Verhältnis stehen: wir<br />

sind ihnen dem Wesen unseres Nationalgeistes nach feindlich entgegengesetzt“ („Moskowski<br />

Nabljudatel“, Heft XVIII, S. 200).<br />

Heutzutage, wo die besten Franzosen ihre überheblichen Ansprüche und ihre Verachtung<br />

anderer Völker aufgeben, wo die ganze Nation ihren früheren Leichtsinn ablegt, ja selbst die<br />

Neigung zum Phrasenhaften abtut, die ihr so lange eigen war, wo das ganze Leben der Nation<br />

auf die Lösung wahrhaft tiefer Fragen eingestellt ist – heutzutage wäre ein solcher Franzosenhaß<br />

völlig unbegründet. Aber damals war die Verfassung der Geister in Frankreich eine<br />

völlig andere. Die Geistesrichtungen, die heutzutage Frankreich die Sympathie der ernsten<br />

11 „Moskowski Nabljudatel“, Jahrgang 1838, Heft 16 und 17. Gemeint sind Belinskis kritische Betrachtungen<br />

über Heft 1 und 2 des „Sowremennik“, Jahrgang 1838. Die „Chronik eines Russen in Paris“ stammte von Alexander<br />

Iwanowitsch Turgenew (1785-1846), dem Bruder des Dekabristen N. I. Turgenew.<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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