15.01.2015 Aufrufe

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 296<br />

auch sie nur nach langem Studium – diesen inneren Zwiespalt zwischen den Grundideen<br />

[604] Hegels und seinen Schlußfolgerungen bemerkten. Die größten der zeitgenössischen<br />

deutschen Denker, die Hegel an Genialität nicht nachstanden, waren selber unbedingte Anhänger<br />

aller seiner Auffassungen, und es verging lange Zeit, bis sie ihre Selbständigkeit wiedergewinnen<br />

und nach Aufdeckung der Fehler Hegels eine neue Richtung in der Wissenschaft<br />

begründen konnten. So pflegt es immer zu gehen: Hegel selber war lange Zeit ein unbedingten<br />

Verehrer Schellings, Schelling ein Verehrer Fichtes, Fichte – Kants; Spinoza, der<br />

Descartes an Genialität weit überragte, hielt sich lange Zeit für dessen treuesten Schüler.<br />

Wir sagen dies alles, um zu zeigen, wie natürlich und notwendig die unbedingte Anhängerschaft<br />

an Hegel war, der Belinski und seine Freunde für einige Zeit verfielen. Sie teilten hierin<br />

das Schicksal der größten Denker unserer Zeit. Und wenn Belinski sich später über seine<br />

frühere bedingungslose Begeisterung für Hegel ärgerte, so hatte er auch hierin Gefährten, die<br />

an Geistesstärke weder ihm noch Hegel nachstanden. *,10<br />

[605] Alle deutschen Philosophen von Kant bis Hegel leiden an dem gleichen Mangel, den<br />

wir im System Hegels aufgezeigt haben: die Schlußfolgerungen, die sie aus den von ihnen<br />

angenommenen Prinzipien ziehen, entsprechen durchaus nicht den Prinzipien selber. Ihre<br />

allgemeinen Ideen sind tief, fruchtbar, großartig, die Schlußfolgerungen dagegen kleinlich<br />

und teilweise sogar banal. Bei keinem von ihnen jedoch geht diese Gegensätzlichkeit bis zu<br />

einem so kolossalen Widerspruch wie bei Hegel, der sich, obwohl er alle seine Vorgänger<br />

durch die Erhabenheit seiner Grundsätze überragt, in seinen Schlußfolgerungen wohl der<br />

schwächste von ihnen allen ist. Sowohl in Deutschland als auch bei uns haben sich gewisse<br />

beschränkte und apathische Leute mit den Schlußfolgerungen zufrieden gegeben und haben<br />

dabei die Prinzipien vergessen; sowohl bei uns wie in Deutschland fanden sich solche dem<br />

Buchstaben allzu treuen und deshalb dem Geiste untreuen Schüler nur unter zweitrangigen<br />

Leuten, denen es an Kraft zu historischer Wirksamkeit fehlte, und die deshalb keinen weiteren<br />

Einfluß haben konnten. Dagegen haben sowohl bei uns wie in Deutschland alle wahrhaft<br />

begabten und starken Männer, als die Zeit der ersten Begeisterung vorüber war, die falschen<br />

Schlußfolgerungen beiseite geschoben, haben die Fehler des Lehrers den Anforderungen der<br />

Wissenschaft fröhlich zum Opfer gebracht und sind frohen Mutes weitergeschnitten. Deswegen<br />

haben die Fehler Hegels gleich den Fehlern Kants keine ernsteren Folgen gehabt, während<br />

der gesunde Teil seiner Lehre sich sehr fruchtbar ausgewirkt hat.<br />

Wir würden gegen das Gesetz der historischen Perspektive verstoßen, wenn wir einen Gegenstand,<br />

der historisch so wenig Bedeutung hat wie die Fehler Hegels, mit der gleichen Aus-<br />

* Ein zeitgenössischer Denker sagt über seine im Geiste Hegels verfaßten Schriften: „Ich kann diesen Wirrwarr<br />

jetzt gar nicht entwirren; es bleibt mir nur eins: entweder alles ausstreichen oder alles lassen, wie es ist – ich<br />

ziehe das letztere vor; viele halten auch heute noch das für weise, was mir als weise erschien, als ich diese<br />

Schriften schrieb – mögen sie denn, indem sie sie lesen, den Weg ‘sehen, auf dem ich zu meinen jetzigen Ansichten<br />

gelangt bin; diese Leute werden auf meinen Spuren leichter zur Wahrheit kommen.“ Genau so müssen<br />

wir von den Aufsätzen denken, die Belinski in den Jahren 1838 und 1839 schrieb: wer nicht imstande ist, sich<br />

die reife und selbständige Gesinnung zu eigen zu machen, die Belinski in der letzten Zeit zum Ausdruck gebracht<br />

hat, für den wird die Lektüre seiner Aufsätze in chronologischer Reihenfolge, angefangen mit denen,<br />

über die Belinski später selber unzufrieden war, von Nutzen sein: wer zu tief unten steht, braucht eine Leiter, um<br />

sich zur Höhe seines Jahrhunderts aufzuschwingen.<br />

Nebenbei gesagt, haben wir im vorliegenden Aufsatz die Erinnerungen benutzt, die einer der nächsten Freunde<br />

Belinskis, Herr A.*), uns mitgeteilt hat, und können deshalb für die absolute Richtigkeit der obenerwähnten Tatsachen<br />

bürgen. Wir hoffen, daß die interessanten Erinnerungen des Herrn A. mit der Zeit zur Kenntnis unseres<br />

Publikums gelangen, und möchten unsere Leser schon jetzt darauf aufmerksam [605] machen, daß sich unsere Worte<br />

dann als bloße Weiterentwicklung seiner Gedanken erweisen werden. Wir fühlen uns verpflichtet, dem hochverehrten<br />

Herrn A. an dieser Stelle für die Hilfe Dank zu sagen, die er uns mit seinen Erinnerungen bei der Abfassung<br />

des vorliegenden Aufsatzes erwiesen hat. – *) Mit „Herr A.“ ist Pawel Wassiljewitsch Annenkow gemeint.<br />

10 Hier und im vorhergehenden Absatz bezieht Tschernyschewski sich auf Ludwig Feuerbach.<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!