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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 285<br />
lich in die „Metaphysik“ aufgenommen worden. Dem inneren Zusammenhang nach müßte auf<br />
das vierte Buch unmittelbar das sechste folgen. Das zehnte Buch ist [583] Wiederholung des<br />
vierten und fünften; es ist entweder Auszug, den irgendein Leser hergestellt hat, oder eine<br />
Niederschrift, aus der später das vierte und das fünfte Buch hervorgegangen sind; das elfte und<br />
zwölfte Buch enthalten viele Auszüge aus Aristoteles sowie zusätzliche Gedanken, die Aristoteles’<br />
Denken fremd sind – diese Bücher sind ebenfalls Sammelbände, die irgendein Leser<br />
angelegt hat. So stammen also von den vierzehn Büchern der „Metaphysik“ von Aristoteles<br />
eigentlich nur das vierte, sechste, siebente, achte, neunte, dreizehnte und vierzehnte; nur sie<br />
bilden ein zusammenhängendes Werk; die übrigen Bücher bestehen entweder aus Rohentwürfen<br />
oder aus Auszügen, die andere Gelehrte aus aristotelischen Werken kompiliert haben, und<br />
dürfen nicht zur „Metaphysik“ gehören. Viele der sogenannten „Werke des Aristoteles“ sind<br />
vollinhaltlich ganz bestimmt nur Auszüge, die andere Philosophen aus seinen Werken gemacht<br />
haben; so ist zum Beispiel die „Große Ethik“ ein Auszug aus der „Nikomachischen<br />
Ethik“; „Über die Meinungen des Xenophanes, Zenon und Gorgias“ ist eine Sammlung von<br />
Bruchstücken, in denen von Xenophanes eigentlich gar nicht die Rede ist; „Über die Richtungen<br />
und Benennungen der Winde“ ist ein Fragment aus dem Werk „Über die Ursachen der<br />
Stürme“; das Buch „Probleme“ ist ein späterer Auszug aus verschiedenen Werken; die „Geschichte<br />
der Tiere“ in neun oder zehn Büchern (die Echtheit eines von ihnen ist zweifelhaft)<br />
ist der Überrest eines großen Werkes, das mindestens fünfzig Bücher umfaßte; mit anderen<br />
Worten, die Hälfte oder mehr der nicht zugrunde gegangenen aristotelischen Schriften ist unvollständig<br />
oder nicht in ihrer wahren Gestalt auf uns gekommen.<br />
Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn wir auch die ‚Poetik“ des Aristoteles als gekürztes<br />
Fragment oder als Rohentwurf ansehen müssen, dessen Text ziemlich stark entstellt ist. Wir<br />
wollen uns nicht auf kleinliche Beweise für die Unvollständigkeit des Textes einlassen; solchen<br />
begegnet man auf Schritt und Tritt: grammatische Fehler, nicht zu Ende geführte Gedanken,<br />
mangelnde Verbindung zwischen aufeinanderfolgenden Sätzen sind fast in jeder Zeile<br />
[584] anzutreffen; auf Schritt und Tritt begegnet man Stellen wie: „Wir müssen hier vier<br />
Fälle betrachten“ und dann werden nur zwei oder drei der versprochenen vier Fälle behandelt;<br />
eine derartige Kritik, die für einen Philologen sehr überzeugend ist, würde sonst lange<br />
grammatische Erläuterungen verlangen. Betrachten wir nur den Anfang und das Ende der<br />
„Poetik“, wie sie auf uns gekommen ist, und sie erlauben uns bereits ein Urteil über die Vollständigkeit<br />
des Werkes. Ganz im Anfang seiner Schrift sagt Aristoteles, die „Poetik“ werde<br />
behandeln: „Epos, Tragödie, Komödie, Dithyramben Flötenspiel und Zitherspiel“ (verschiedene<br />
Arten der lyrischen Dichtung mit musikalischer Begleitung) ‚ in dem auf uns gekommenen<br />
Text ist dagegen nur von der Tragödie und sehr wenig vom Epos die Rede. Es ist klar,<br />
daß uns nur ein kleiner Teil des Werkes erhalten ist. Und wirklich wissen wir, auf Grund von<br />
Zitaten, die andere Schriftsteller aus der „Poetik“ anführen, daß sie aus zwei (oder sogar drei)<br />
Büchern bestand. Es ist klar, daß nur ein Teil des ersten Buches, sei es in Auszügen anderer,<br />
sei es in Form eines schnell hingeworfen Rohentwurfs auf uns gekommen ist. Der uns vorliegende<br />
Text endet mit einem Satz, der das Bindewort μέν enthält, welches notwendig im<br />
nächsten Satz das Bindewort δέ verlangt. Um auch einem Leser, der nicht Griechisch versteht,<br />
verständlich zu machen, warum diese Ergänzung in griechische ‚Sprache notwendig ist,<br />
wollen wir sagen, daß die griechischen Bindeworte μέν und δέ etwa so miteinander zusammenhängen<br />
wie „einerseits“ und „andererseits“ oder „zwar – aber“ in unserer Sprache. Stellen<br />
wir uns einmal vor, daß der Text eines Buches bei uns mit den Worten endet: „Das also<br />
läßt sich einerseits über die Tragödie sagen“... Ist es da nicht klar, daß dem Text dieses Buches<br />
das Ende fehlt und daß der nächste Satz die Worte „andererseits“ enthalten muß Auf<br />
solche Weise endet der uns überlieferte griechische Text der „Poetik“ * ; es ist klar, daß hier<br />
* Περί μέν оύν τραγωδίας είρήσθω τоσαύτα<br />
OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013