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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 275<br />

des „Spielenden“ bei; deswegen erhält die Dichtung, auch wenn sie für den Leser bloße Unterhaltung<br />

bleibt, in den Augen des Denkers hohe Bedeutung.<br />

So haben wir also, wenn wir auch gezwungen sind, sehr viele Angriffe Platos auf die Kunst<br />

als richtig anzuerkennen, dennoch das Recht zu sagen, daß die Dichtung hohe Bedeutung für<br />

die Bildung und für die auf sie folgende Verbesserung der Sitten und des materiellen Wohlstands<br />

hat; sie hat diese Bedeutung selbst dann, wenn sie sich nicht um sie bemüht. Es hat<br />

jedoch viele Dichter gegeben, die bewußt und ernst der Sittlichkeit und Bildung dienen wollten,<br />

und einsahen, daß sie mit ihrer Begabung auch die Pflicht übernommen hatten, Lehrer<br />

ihrer Mitbürger zu sein. Solche Dichter gab es auch zu Zeiten Platos; zuverlässig kennen wir<br />

von dieser Seite Aristophanes. „Der Dichter ist der Lehrer der Erwachsenen“, sagt er, und<br />

alle seine Komödien sind von der ernstesten Tendenz durchdrungen. Es erübrigt sich, davon<br />

zu sprechen, welche große praktische Bedeutung die Dichtung in den Händen solcher Dichter<br />

erhält. Wenn aber Plato der Einseitigkeit verfällt, indem er die Dichtung nur für reines Spiel<br />

hält, hat er doch das Verdienst, daß er die [564] Kunst in ihrem Zusammenhang mit dem Leben<br />

betrachtet. Seine verurteilende Kritik aber findet ihre Berechtigung in den Auffassungen,<br />

die die Mehrzahl der Künstler, ja der Philosophen von der Kunst haben, indem sie behaupten,<br />

die Bedeutung der Kunst hinge nicht von ihrem Nutzen für das Leben ab, „es sei für die<br />

Kunst erniedrigend und verhängnisvoll, irgendwelchen anderen Interessen zu dienen als ihren<br />

eigenen“, „sie sei Selbstzweck“, und „die Kunst habe einzig die Bestimmung, ästhetischen<br />

Genuß zu vermitteln“. Diese herrschende Betrachtungsweise raubt der Kunst wirklich jede<br />

sachliche Bedeutung, verwandelt sie in reines Spiel und verdient durchaus die strengen Rügen,<br />

die Plato ihr erteilt, indem er beweist, daß die Kunst, wenn sie die praktische Bedeutung<br />

für das Leben leugnet, in den Augen des Denkers, wie jede Sache, der diese Bedeutung fehlt,<br />

zum reinen Spiel wird.<br />

Aristoteles, der weniger erhabene Anforderungen stellt als Plato, ist der Kunst gegenüber<br />

weit nachsichtiger und betrachtet sie sogar mit Liebe, besonders die Dichtkunst und die Musik;<br />

seine Auffassung von der Bedeutung der Musik und der Dichtkunst ist weniger lehrreich<br />

als die Platos, aber dafür bedeutend vielseitiger, zugleich manchmal aber auch kleinlich.<br />

Aristoteles sieht den ersten Nutzen der Kunst für den Menschen (denn auch er verlangt, daß<br />

die Kunst Nutzen bringt) gerade darin, worin Plato den Grund für die Blässe und Nichtigkeit<br />

der Kunstwerke im Vergleich zur lebendigen Wirklichkeit findet, darin nämlich, daß die<br />

Kunst Nachahmung ist. „Der Nachahmungstrieb der den Ursprung der Kunst bildet, steht in<br />

enger Beziehung zur Wißbegier. Die Wißbegier, die den Menschen dazu führt, das Abbild<br />

mit dem Urbild zu vergleichen, ist auch die Ursache der Lust, die uns die Kunstwerke bereiten:<br />

indem wir den Gegenstand nachahmen und die Nachahmung dann mit dem Original vergleichen,<br />

lernen wir den Gegenstand kennen, und zwar leicht und schnell. Hier liegt das Geheimnis<br />

des Genusses, den die Kunst erregt.“ Die Kunst ist also aufs engste verwandt mit den<br />

wichtigsten und höchsten Regungen des menschlichen Geistes; denn Aristoteles stellt die<br />

Wissen-[565]schaft über das Leben und die geistige Tätigkeit höher als die praktische: eine<br />

Denkweise, wie sie sehr leicht bei Menschen entsteht, für die die Wissenschaft der hauptsächlichste<br />

Lebenszweck ist. Der Kunst wird durch diese Erklärung ihres Ursprungs ein sehr<br />

ehrenvoller Platz unter den erhabensten Betätigungen des menschlichen Geistes eingeräumt;<br />

aber die Erklärung des Nachahmungstriebs aus der Wißbegier hält der Kritik nicht stand.<br />

Wenn wir nachahmen, tun wir es im allgemeinen aus dem Wunsch heraus, etwas zu tun, nicht<br />

aber, etwas zu lernen; die Nachahmung ist kein theoretisches, sondern ein praktisches Streben.<br />

Richtig ist nur, daß wir manchmal (ziemlich selten) ein Dichtwerk aus dem Wunsch heraus<br />

lesen, die Sitten von Menschen und die Gebräuche von Völkern, die weit von uns entfernt<br />

sind, kennenzulernen u. dgl. m.; aber wenn wir die Dichtwerke gewöhnlich durchaus nicht<br />

aus diesem Antrieb lesen, so entstehen sie jedenfalls ganz entschieden nicht aus dem Wunsch<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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