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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 272<br />

on die Ignoranz eines Dilettanten verbunden * . Die [558] schönen Künste sind reines Spiel,<br />

das den Namen der Kunst nicht verdient.<br />

Platos Polemik gegen die Kunst ist gewiß sehr streng, sie entspringt jedoch einer hohen und<br />

edlen Auffassung von der Tätigkeit des Menschen. Und es wäre leicht zu zeigen, daß viele<br />

der strengen Urteile Platos auch weiterhin für die moderne Kunst zutreffen. Es ist aber wesentlich<br />

angenehmer, für die Kunst zu reden als gegen sie, und deshalb wollen wir unter Verzicht<br />

auf die schwere Aufgabe, auch in der modernen Kunst die schwachen Seiten aufzuzeigen,<br />

die sie mit der griechischen Kunst gemeinsam hat, nur darauf hinweisen, in welchem<br />

Sinn einige der uneingeschränkten Urteile Platos über die nichtige Bedeutung der schönen<br />

Künste in unserer Zeit gemildert werden können.<br />

Plato wendet sich deshalb gegen die Kunst, weil sie dem Menschen keinen Nutzen bringt.<br />

Wir werden diesen furchtbaren Vorwurf nicht mit dem veralteten Gedanken widerlegen, daß<br />

„die Kunst für die Kunst existieren soll“, daß es „für die Kunst eine Erniedrigung bedeutet,<br />

wenn man sie in den Dienst der menschlichen Bedürfnisse stellt“ usw. Dieser Gedanke hat<br />

damals einen Sinn gehabt, als bewiesen werden mußte, daß es nicht Sache des Dichters ist,<br />

allen möglichen willkürlichen und faden Sentenzen zuliebe prächtige Oden zu schreiben und<br />

dabei die Wirklichkeit zu entstellen. Leider kam dieser Gedanke hierfür zu spät, als nämlich<br />

der Kampf schon beendet war; jetzt aber ist er erst recht [559] nicht zu gebrauchen: die Kunst<br />

hat sich bereits ihre Selbständigkeit erobert, und man muß nun daran denken, wie man sie<br />

verwenden soll. Der Gedanke einer „Kunst um der Kunst willen“ ist in unserer Zeit ebenso<br />

sonderbar, wie es der Gedanke „Reichtum um des Reichtums willen“ oder „Wissenschaft um<br />

der Wissenschaft willen“ usw. wäre. Alles, was der Mensch tut, muß, wenn es nicht zur leeren<br />

und müßigen Beschäftigung werden soll, für den Menschen von Nutzen sein; der Reichtum<br />

ist dazu da, daß der Mensch sich seiner bedient, die Wissenschaft dazu, daß sie den Menschen<br />

den Weg weist; auch die Kunst muß irgendeinen wesentlichen Nutzen bringen und darf<br />

nicht nur steriles Vergnügen sein. „Aber der ästhetische Genuß an sich ist ja gerade von wesentlichem<br />

Nutzen für den Menschen, indem er sein Herz milde stimmt und seine Seele erhebt...“<br />

Wir wollen die hohe Bedeutung der Kunst auch nicht aus diesem Gedanken ableiten,<br />

der an sich richtig ist, aber noch wenig zugunsten der Kunst spricht. Gewiß versetzt der Genuß<br />

von Kunstwerken, wie jeder (nicht verbrecherische) Genuß, den Menschen in eine gehobene,<br />

fröhliche seelische Stimmung; und ein froher und zufriedener Mensch ist natürlich gütiger<br />

und besser als ein unzufriedener und düsterer Mensch. Und wir sind auch damit einverstanden,<br />

daß der Mensch, wenn er eine Gemäldegalerie oder ein Theater verläßt, sich sowohl<br />

edler als auch besser fühlt (mindestens für die halbe Stunde, bis das ästhetische Vergnügen<br />

* Um die letzten Worte verständlich zu machen, muß bemerkt werden, daß Plato nicht die „Inspiration“ angreift,<br />

sondern die Tatsache, daß sehr viele Dichter (von anderen Künstlern ganz zu schweigen) zum schweren Schaden<br />

der Kunst sich einzig auf die Kräfte „des schöpferischen Genies, das instinktiv in die Geheimnisse der Natur<br />

und des Lebens eindringt“, verlassen und dabei die Wissenschaft vernachlässigen, die vor Leere und kindisch<br />

rückständigen Inhalten schützt:<br />

„Ich singe wie der Vogel singt“<br />

(Goethe)<br />

sagen sie; dabei eignet sich ihr Gesang gleich dem Lied der Nachtigall nur noch zu müßiger Unterhaltung, die man<br />

ebenso schnell satt [558] bekommt wie das Schlagen der Nachtigall. Die schöne Lehre, daß der Dichter aus Inspiration<br />

schreibt, die nichts von Berechnung weiß, und daß die Werke eines Dichters, der etwas hinzudenkt und<br />

überlegt, kalt und unpoetisch sind, herrschte in Griechenland seit den Zeiten des genialen Demokrit. Bei Aristoteles<br />

steht die Inspiration bereits im Hintergrund; er lehrt, wie man Tragödien schreibt und nach Rezept den Knoten der<br />

Handlung effektvoll schürzt und löst. Hieraus läßt sich bereits sehen, daß Aristoteles als Ästhetiker einer Verfallszeit<br />

der Kunst angehört: an Stelle lebendigen Geistes finden wir bei ihm gelehrte Regeln und kalten Formalismus<br />

Er unterscheidet sich von Horaz und Boileau und von allen späteren Verfassern von „Rhetoriken“ und „Poetiken“<br />

nur soviel, wie ein genialer Lehrer sich von bornierten Schülern unterscheidet: der Unterschied liegt nicht im Wesen<br />

der Begriffe, sondern in der Stärke des Geistes, mit dem sie entwickelt werden.<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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