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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 271<br />

jetzt Platos Meinung über die Bestimmung der Kunst anführen, wobei wir jedoch seine allzu<br />

heftigen Angriffe weglassen.<br />

Es gibt zwei Arten von Kunst, sagt Plato: die hervorbringenden und die nachahmenden Künste<br />

(nach unserer Terminologie: die praktischen oder technischen und die schönen Künste).<br />

Die ersteren bringen etwas für das Leben Nützliches, für den Verbrauch Geeignetes hervor.<br />

Hierher gehören zum Beispiel der Landbau, das Handwerk, die Gym-[556]nastik, die dem<br />

Menschen Kraft gibt, und die Heilkunst, die ihm Gesundheit verleiht. Sie verdienen die vollste<br />

Achtung. Aber wie können sich mit ihnen die nachahmenden Künste vergleichen (wir<br />

werden sie im weiteren, unserer heutigen Terminologie entsprechend, die schönen nennen) ‚<br />

die dem Menschen nur trügerische, zu keinerlei Verwendung brauchbare Scheinbilder wirklicher<br />

Gegenstände liefern Ihre Bedeutung ist gleich Null. Wozu dienen sie Zum angenehmen,<br />

aber unnützen Zeitvertreib. Sie sind in den Augen des ernsten Menschen leeres Spiel.<br />

Andere Spiele dagegen (beispielsweise die gymnastischen) haben einen ernsten Zweck. Die<br />

schönen Künste haben ihn nicht. Nein, sie suchen nur zu gefallen; sie wollen es nur der Menge<br />

recht machen; sie gehören zu der gleichen Gattung der Beschäftigungen wie die Rhetorik<br />

(die Kunst, schöne Worte zu finden) und die Sophistik (die Kunst, nicht etwas Nützliches zu<br />

sagen, sondern etwas, was den Hörern gefällt) ‚ samt der Putzkunst und der Kochkunst. Sowohl<br />

die Malerei als auch die Musik und die Dichtung, ja sogar die erhabene und vielgepriesene<br />

Tragödie sind Schmeichelkünste, die nur nach Erregung augenblicklicher Lust, nicht<br />

aber nach dem Besten der Menge streben (es sei bemerkt, daß auf die gleiche Weise auch der<br />

Autor des „Emile“ und der „Neuen Héloïse“ die schönen Künste betrachtet; der bekannte<br />

deutsche Pädagoge Campe sagt ebenfalls: „Es ist nützlicher, ein Pfund Wolle zu spinnen, als<br />

hundert Gedichte zu schreiben.“). Wie hoch aber werden dabei diese nichtigen Künste gestellt!<br />

Der Maler, zum Beispiel, behauptet, er bringe sowohl Bäume als auch Menschen, Wie<br />

Meer und Erde hervor! und noch dazu wie schnell – in einem Augenblick! Und dann verkauft<br />

er Erde und Meer für schweres Geld. In Wirklichkeit sind seine Schöpfungen auch nicht einen<br />

Groschen wert, denn sie sind reine Scheinbilder und nur dazu geeignet, kleine Kinder<br />

anzuführen. Und diese Gaukler wollen nicht zugeben, daß sie Nachahmer sind – nein, sie<br />

reden auch noch von „Schaffen“! (Hieraus ersehen wir, daß die Idee, die der heute herrschenden<br />

ästhetischen Theorie zugrunde liegt, bereits zu Platos Zeiten existierte: „Kunst und<br />

Schaffen“.) Und können sie etwas anderes liefern als eine schlechte, unrich-[557]tige Kopie<br />

Der Künstler kümmert sich ja nicht um den inneren Gehalt: er braucht nur die Schale; er begnügt<br />

sich mit der oberflächlichen Kenntnis der Oberfläche des Gegenstandes: sie kopiert er;<br />

über sie hinaus weiß er nichts (die neueste Ästhetik lehrt im Einklang mit diesen Künstlern<br />

oder richtiger mit den beißenden Sarkasmen Platos, der sich zu ihrem Sprecher macht, „das<br />

Schöne, der wesentliche Inhalt der Kunst, ist ein Schein, ein reiner Schein“, und die Kunst<br />

hat es nur mit der Oberfläche, der Hülle des Gegenstandes, zu tun). Der Arzt kennt den inneren<br />

Bau des menschlichen Körpers – der Maler kennt ihn nicht. So hat auch der Dichter keine<br />

gründliche Kenntnis vom Leben und vom Herzen des Menschen: dieses Wissen kann nur<br />

durch tiefes Studium der Philosophie (nach unserer heutigen Terminologie „nur auf wissenschaftlichem<br />

Wege“) errungen werden, nicht aber durch fragmentarische Beobachtungen der<br />

allzu unvollständigen und oberflächlichen eignen Erfahrung. Und verdienen diese stolzen<br />

schönen Künste überhaupt den Namen Kunst Nein! Wenn meine Tätigkeit des Namens<br />

Kunst würdig sein soll, muß ich eine klare Vorstellung von dem haben, was ich tue – der<br />

Künstler hat sie nicht. Der Tischler, der einen Tisch macht, weiß, was, warum und wie er ihn<br />

macht – der Maler und der Dichter kennen die wahre Natur der Gegenstände, die sie nachahmen,<br />

selber nicht. Ihre Kunst ist keine Kunst, sondern blinde Arbeit nach dunklen Instinkten<br />

aufs Geratewohl; sie nennen das „Inspiration“; in Wirklichkeit ist bei ihnen mit der Inspirati-<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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