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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 270<br />

sen, was wir in der Wirklichkeit sehen; Gemälde, Statuen, Romane und Dramen sind nichts<br />

weiter als Kopien nach Originalen, die die Wirklichkeit dem Künstler liefert.“ Diese Theorie,<br />

über die man heutzutage lacht, weil man sie nur in der entstellenden Bearbeitung Boileaus und<br />

Batteux’ kennt, die wirklich verlacht zu werden verdient, ist unter dem Titel der aristotelischen<br />

bekannt. Tatsächlich hat Aristoteles sie in jenen Teilen seiner Abhandlung „Über die Dichtkunst“<br />

als richtig anerkannt, die die allgemeinen Überlegungen über die Entstehung und [554]<br />

das Wesen der Kunst überhaupt und der Dichtkunst im besonderen enthalten, hier ist sein<br />

Grundgedanke wirklich der, daß „die Kunst Nachahmung ist“. Es wäre jedoch völlig unrichtig,<br />

Aristoteles für den Schöpfer der „Theorie der Nachahmung“ zu halten: sie hat aller Wahrscheinlichkeit<br />

nach schon lange vor Sokrates und Plato geherrscht und ist bei Plato viel wesentlicher<br />

und vielseitiger entwickelt als bei Aristoteles. Indem Plato seiner Auffassung von der<br />

Kunst den Gedanken zugrunde legt, daß sie „in Nachahmung besteht“, beschränkt er sich nicht<br />

auf die ziemlich banalen Anwendungen dieses Grundprinzips mit denen Aristoteles sich begnügt.<br />

Die Dichtung ist Nachahmung, sagt Aristoteles, folglich ist die Tragödie Nachahmung<br />

der Handlungen großer Menschen, die Komödie dagegen die Nachahmung der Handlungen<br />

niedriger Menschen. Andere Schlußfolgerungen finden wir bei ihm nicht. Plato dagegen zieht<br />

aus seiner Auffassung von der Kunst lebendige, glänzende, tiefe Schlusse; auf sein Axiom gestützt,<br />

definiert er die Bestimmung der Kunst im menschlichen Leben und ihre Beziehung zu<br />

anderen Arten der Tätigkeit; mit ihr bewaffnet, entlarvt Plato die Kunst als ärmlich, schwach,<br />

unnütz und nichtig. Seine Sarkasmen sind hart und treffend und vielleicht einseitig, besonders<br />

für unsere Zeit, aber in vieler Hinsicht sind sie gerade bei ihrer ganzen Einseitigkeit gerecht<br />

und edel. Um jedoch die Verachtung zu erklären, mit der Plato die Kunst behandelt, müssen<br />

einige Worte über die wesentliche Tendenz seiner Lehre gesagt werden.<br />

Viele Leute halten Plato für eine Art griechischen Romantiker, der sich nach einem unbekannten<br />

und nebelhaften, schönen Wunderland sehnt, „dahin, dahin“ strebt, ohne selbst zu wissen,<br />

wohin, nur weit fort von den Menschen und der Erde... Plato war ganz und gar nicht von dieser<br />

Art. Er war wirklich mit einer erhabenen Seele begabt und begeisterte sich bis zum Enthusiasmus<br />

für alles Edle und Große; er war jedoch kein müßiger Träumer, dachte nicht an eine<br />

Sternenwelt, sondern an die Erde, nicht an ein Schattenreich, sondern an den Menschen. Und<br />

vor allem dachte Plato daran, daß der Mensch Staatsbürger sein muß, daß er nicht von Dingen<br />

träumen soll, die keinen Nutzen [555] für den Staat haben, sondern daß er edel und tätig leben<br />

soll, um das materielle und sittliche Wohlergehen seiner Mitbürger zu fördern. Ein edles, aber<br />

kein verträumtes, kein spekulatives Leben (wie für Aristoteles), sondern ein tätiges, praktisches<br />

war für ihn das Ideal des Menschenlebens. Nicht mit den Augen des Gelehrten oder des<br />

Künstlers, sondern vom sozialen und sittlichen Standpunkt aus betrachtete er wie alles andere<br />

auch die Wissenschaft und die Kunst. Der Mensch lebt nicht, um Künstler oder Gelehrter zu<br />

sein (wie viele große Philosophen, und übrigens auch Aristoteles, glaubten), sondern Wissenschaft<br />

und Kunst sind dazu bestimmt, dem Wohl der Menschen zu dienen. Hiernach wird verständlich,<br />

wie Plato die Kunst betrachten mußte, die größtenteils dazu dient (ob sie dazu dienen<br />

muß, ist eine andere Frage), und zur Zeit Platos fast ausschließlich als eine schöne, zugleich<br />

aber sehr teure, als vielleicht sehr edle Unterhaltung, jedenfalls aber als Unterhaltung<br />

für Leute diente, die nichts anderes tun, als sich an mehr oder weniger ergötzlichen Gemälden<br />

und Statuen zu erfreuen und hingerissen der Melodie mehr oder weniger ergötzlicher Gedichte<br />

zu lauschen. „Die Kunst ist Unterhaltung“: damit ist für Plato alles entschieden. Und daß er<br />

die Kunst nicht verleumdete, wenn er sie als Unterhaltung betrachtete, das beweist am besten<br />

einer der ernstesten Dichter, nämlich Schiller, der seine Kunst sicher nicht mit feindlichen<br />

Augen betrachtete: Kant bezeichnete nach seiner Meinung die Kunst ganz mit Recht als Spiel<br />

oder Unterhaltung, weil der Mensch „nur da ganz Mensch ist, wo er spielt * , aber wir wollen<br />

* Schiller, „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“, Fünfzehnter Brief. Die Red.<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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