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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 264<br />

Buch erschien im Jahre 1872. Strauß nahm damals offenbar an, daß er seine Auffassungen völlig<br />

von metaphysischen Elementen gesäubert habe. So erschien es auch der Mehrzahl der Gebildeten<br />

in Deutschland. In Wirklichkeit jedoch behält er, obwohl er alle Schlußfolgerungen der<br />

Naturwissenschaft annimmt, in seinen Gedanken doch ziemlich viele metaphysische Elemente<br />

bei; die Theorien der Naturforscher dagegen übernimmt er allzu wenig wählerisch, da er nicht<br />

die Kraft hat, die Mißverständnisse in ihr von der wissenschaftlichen Wahrheit zu unterscheiden.<br />

Feuerbach war von anderer Art; sein System trägt rein wissenschaftlichen Charakter.<br />

Aber bald nachdem er es ausgearbeitet hatte, schränkte die Krankheit seine Tätigkeit ein. Er war<br />

noch kein alter Mann, spürte aber bereits, daß er nicht die Zeit haben würde, im Einklang mit<br />

den Grundideen der Wissenschaft jene Spezialwissenschaften darzustellen, die bis heute noch<br />

das gelehrte Eigentum der sogenannten Philosophen geblieben sind, da die Fachleute ungenügend<br />

für die Ausarbeitung der umfassenden Begriffe vorbereitet sind, auf denen die Lösung der<br />

Grundprobleme dieser Wissensgebiete beruht. (Wenn man diese Wissenschaften mit ihren alten<br />

Namen nennen soll, so sind die wichtigsten von ihnen: die Logik, die Ästhetik, die Moralphilosophie,<br />

die Gesellschaftsphilosophie und die Geschichtsphilosophie.) Deshalb hat er auch im<br />

Vorwort zur Gesamtausgabe seiner Werke im Jahre 1845 schon gesagt, daß seine Werke durch<br />

neue Schriften ersetzt werden [543] müßten, daß er sich jedoch nicht mehr kräftig genug fühle,<br />

diesen Austausch vorzunehmen. Aus diesem Gefühl heraus erklärt sich seine traurige Antwort<br />

auf die Frage, die er sich selbst stellt: „Aber ist denn dieser dein gegenwärtiger Standpunkt nicht<br />

vielleicht auch schon ein antiquierter“ – „Leider, leider!“ Aber ist er wirklich antiquiert Gewiß<br />

ja, in dem Sinne, daß das Schwergewicht der Untersuchungen über die umfassendsten Probleme<br />

der Wissenschaft aus dem Gebiet der Spezialuntersuchungen über die theoretischen Ansichten<br />

der Volksmassen und über die auf Grund dieser Auffassungen des einfachen Volkes geschaffenen<br />

wissenschaftlichen Systeme auf das Gebiet der Naturwissenschaft verlegt werden muß.<br />

Aber das ist bisher noch nicht geschehen. Diejenigen Naturwissenschaftler, die sich für Schöpfer<br />

allumfassender Theorien halten, bleiben in Wirklichkeit Schüler – und gewöhnlich schwache<br />

Schüler – der alten Denker, die die metaphysischen Systeme schufen, und gewöhnlich der Denker,<br />

deren Systeme bereits teilweise durch Schelling und endgültig durch Hegel zerstört worden<br />

sind. Es genügt daran zu erinnern, daß die meisten Naturforscher, die versuchen, umfassende<br />

Theorien über die Gesetze der Tätigkeit des menschlichen Denkens aufzustellen, die metaphysische<br />

Theorie Kants von der Subjektivität unseres Wissens wiederholen, und Kant nachplappern,<br />

daß die Formen unserer sinnlichen Wahrnehmung mit den Formen der wirklichen Existenz der<br />

Gegenstände keine Ähnlichkeit haben, daß deshalb die wirklich existierenden Gegenstände und<br />

ihre wirklichen Eigenschaften, ihre wirklichen Beziehungen zueinander für uns unerkennbar<br />

seien, und daß sie, wenn sie erkennbar wären, nicht Gegenstand unseres Denkens sein könnten,<br />

welches jeden Wissensstoff in Formen preßt, die vollkommen verschieden sind von den Formen<br />

der wirklichen Existenz, daß auch die Gesetze des Denkens selbst nur subjektive Bedeutung<br />

haben, daß es in der Wirklichkeit nichts von dem gebe, was sich uns als Verbindung von Ursache<br />

und Wirkung darstellt, weil es nichts Vorhergehendes und nichts Folgendes, kein Ganzes<br />

und keine Teile gebe usw. usw. Wenn die Naturforscher einmal aufhören werden, diesen und<br />

ähnlichen metaphysischen Unsinn zu [544] verzapfen, werden sie imstande sein, auf der Grundlage<br />

der Naturwissenschaft ein System exakterer und vollständigerer Begriffe auszuarbeiten, als<br />

die es sind, die Feuerbach dargelegt hat, und werden es wahrscheinlich ausarbeiten. Einstweilen<br />

aber bleibt die beste Darstellung der wissenschaftlichen Auffassung von den sogenannten<br />

Grundfragen der menschlichen Wißbegier diejenige, die Feuerbach gegeben hat. 8<br />

8 Der Analyse dieser nach Lenins Meinung hervorragenden Argumentation Tschernyschewskis ist .der „Zusatz<br />

zu dem § 1 des Kapitels IV“, „Von welcher Seite kritisierte Tschernyschewski den Kantianismus“, in Lenins<br />

„Materialismus und Empiriokritizismus“ gewidmet.<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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