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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 261<br />

Der Verfasser der Broschüre, zu deren dritter Auflage ich dieses Vorwort schreibe, hatte Gelegenheit,<br />

gute Bibliotheken zu benutzen und im Jahre 1846 einiges Geld für den Ankauf von<br />

Büchern zu verwenden. 4 Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er nur solche Bücher gelesen, wie<br />

man sie in Provinzstädten, wo es keine ordentlichen Bibliotheken gibt, erhalten kann. Er<br />

kannte die sehr unvollständigen russischen Darstellungen des Hegelschen Systems. Als er<br />

Gelegenheit erhielt, Hegel in den Originalen kennenzulernen, las er diese. Im Original gefiel<br />

Hegel ihm wesentlich weniger, als er nach den russischen Darstellungen erwartet hatte. Der<br />

[537] Grund hierfür lag darin, daß die russischen Anhänger Hegels sein System im Geiste des<br />

linken Flügels der Hegelschen Schule darstellten. Im Original erweist sich Hegel viel mehr<br />

einem 5 Philosophen des 17. Jahrhunderts, ja sogar einem Scholastiker ähnlich, als jenem Hegel,<br />

der uns in den russischen Darstellungen seines Systems entgegentritt. Die Lektüre war<br />

durch ihre offenbare Unfruchtbarkeit für die Ausbildung einer wissenschaftlichen Denkweise<br />

sehr ermüdend. Zu dieser Zeit fiel dem jungen Mann, der bestrebt war, sich eine solche wissenschaftliche<br />

Denkweise anzueignen, zufällig eines der Hauptwerke Feuerbachs in die Hände.<br />

Er wurde zum Anhänger dieses Denkers; und bis zu dem Augenblick, wo besondere Lebensumstände<br />

ihn aus dem wissenschaftlichen Studium rissen, las er unermüdlich und immer<br />

von neuem die Werke Feuerbachs.<br />

Sechs Jahre nach seiner ersten Bekanntschaft mit Feuerbach mußte er aus gewissen Gründen<br />

eine wissenschaftliche Abhandlung verfassen. Es erschien ihm möglich, die Grundideen Feuerbachs<br />

zur Beantwortung einiger Fragen auf Wissensgebieten zu verwenden, welche nicht<br />

zum Bereich der Forschungen seines Lehrers gehörten.<br />

Der Gegenstand der Abhandlung, die er zu schreiben hatte, sollte ein auf die Literatur bezogenes<br />

Thema sein. Er kam auf den Gedanken, diese Bedingung dadurch zu erfüllen, daß er<br />

die Auffassungen über die Kunst und insbesondere über die Dichtung darlegte, die sich ihm<br />

aus den Ideen Feuerbachs zu ergeben schienen. So ist also die Broschüre, zu der ich dieses<br />

Vorwort schreibe, ein Versuch, die Ideen Feuerbachs auf die Beantwortung der Grundfragen<br />

der Ästhetik anzuwenden.<br />

Der Autor erhob nicht den geringsten Anspruch, irgend etwas Neues, von ihm persönlich<br />

Stammendes zu sagen. Er wollte nur der Ausleger der Ideen Feuerbachs in Anwendung auf<br />

die Ästhetik sein.<br />

In einem seltsamen Widerspruch hierzu steht der Umstand, daß in der ganzen Abhandlung<br />

der Name Feuerbachs kein einziges Mal erwähnt wird. Das erklärt sich daraus, daß es in der<br />

damaligen Zeit unmöglich war, diesen Namen in einem russischen Buch zu erwähnen. Man<br />

findet bei [538] dem Autor auch den Namen Hegels nicht, obwohl er ständig gegen die ästhetische<br />

Theorie Hegels polemisiert, die weiter in der russischen Literatur vorherrschte, jedoch<br />

bereits ohne Erwähnung Hegels vorgetragen wurde. Denn es war damals auch nicht angebracht,<br />

diesen Namen in russischer Sprache zu erwähnen.<br />

Von den Abhandlungen über Ästhetik galt damals als die beste das umfangreiche und sehr<br />

gelehrte Werk Vischers: „Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen“. Vischer stand auf dem<br />

linken Flügel der Hegelschen Schule, sein Name gehörte jedoch nicht in die Reihe der unbequemen<br />

Namen, deswegen nennt der Autor ihn, wenn er sagen muß, gegen wen er polemisiert;<br />

und wenn er Zitate aus irgendeinem Verteidiger der von ihm abgelehnten ästhetischen<br />

Auffassungen anführen muß, gibt er Auszüge aus der „Ästhetik“ Vischers. Die „Ästhetik“<br />

Hegels selber war damals in ihren faktischen Einzelheiten bereits veraltet; das war der Grund,<br />

daß man der „Ästhetik“ Vischers, einem zu jener Zeit noch neuen und frischen Werk, den<br />

4 Tschernyschewski meint hier seine Übersiedlung aus Saratow nach Petersburg, wo er die Universität bezog.<br />

5 Statt „einem Philosophen des 17. Jahrhunderts“ hieß es im Manuskript ursprünglich „Leibniz“.<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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