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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 248<br />

anrechnet, in ihr nicht immer vorhanden sind, und wenn sie vorhanden sind, dann durchaus<br />

nicht in so einem entstellenden riesigen Ausmaß, wie jene Theorie annimmt. Danach untersucht<br />

er, ob die Werke der Kunst von diesen Mängeln frei sind, und bemüht sich zu zeigen,<br />

daß alle Vorwürfe, die dem Schönen der lebendigen Wirklichkeit gemacht werden, auch<br />

[515] auf die Werke der Kunst zutreffen, und daß fast alle diese Mängel bei den Kunstwerken<br />

gröber und stärker auftreten, als sie bei dem Schönen sind, das uns die lebendige Wirklichkeit<br />

darbietet. Von der Kritik der Kunst im allgemeinen geht er zur Analyse der einzelnen Künste<br />

über und beweist ebenfalls, daß nicht eine dieser Künste – weder die Bildhauerei noch die<br />

Malerei, noch die Musik oder die Dichtkunst – uns Werke liefern kann, die etwas derart<br />

Schönes vorstellten, daß sich in der Wirklichkeit keine entsprechend schönen Erscheinungen<br />

finden ließen, und daß keine einzige Kunst Werke schaffen kann, die an Schönheit den entsprechenden<br />

Erscheinungen der Wirklichkeit gleichkämen. Wir müssen jedoch auch hier bemerken,<br />

daß der Autor wieder eine wichtige Unterlassung begeht, wenn er die Vorwürfe, die<br />

dem Wirklichkeitsschönen gemacht werden, nur in der Gestalt aufzählt und widerlegt, wie sie<br />

bei Vischer dargestellt sind, und diese Vorwürfe nicht durch die ergänzt, die Hegel ausgesprochen<br />

hat. Es ist richtig, daß die Kritik des Schönen der lebendigen Wirklichkeit bei Vischer<br />

bedeutend vollständiger und detaillierter ist als bei Hegel; bei aller Kürze Hegels begegnen<br />

wir bei ihm jedoch zwei Vorwürfen, die Vischer vergessen hat und die außerordentlich<br />

tief sind – die Ungeistigkeit und Unfreiheit alles Naturschönen. * Man muß jedoch hinzufügen,<br />

daß diese, dem Autor zur Last fallende Unvollständigkeit der Darstellung dem Wesen<br />

der von ihm verfochtenen Betrachtungsweise keinen Abbruch tut, weil die von dem Autor<br />

vergessenen Vorwürfe leicht von dem Wirklichkeitsschönen abgewendet und auf genau dieselbe<br />

Weise und mit fast den gleichen Tatsachen, die wir bei Herrn Tschernyschewski anläßlich<br />

des Vorwurfs des Ungewolltseins finden, gegen das Kunstschöne gerichtet werden können.<br />

Gleich wichtig ist eine andere Unterlassung: bei seiner Übersicht über die einzelnen<br />

Künste hat der Autor die Mimik, den Tanz und die Bühnenkunst vergessen – er hätte sie untersuchen<br />

müssen, selbst [516] wenn er sie, gleich anderen Ästhetikern, für Unterabteilungen<br />

der Bildnerkunst hält, weil die Schöpfungen dieser Künste ihrem Charakter nach von einer<br />

Statue völlig verschieden sind. 5<br />

Wenn aber die Werke der Kunst hinter der Wirklichkeit <strong>Zur</strong>ückbleiben, worauf gründet sich<br />

dann die Meinung von der hohen Überlegenheit der Kunst über die Erscheinungen der Natur<br />

und des Lebens Der Autor sucht die Gründe hierfür darin, daß der Mensch den betreffenden<br />

Gegenstand nicht nur wegen seines inneren Werts, sondern auch wegen seiner Seltenheit und<br />

wegen der Schwierigkeit, ihn zu bekommen, hochschätzt. In der Natur und im Leben ergibt<br />

sich das Schone ohne besondere Anstrengung unsererseits und in großer Menge; schöne<br />

Kunstwerke gibt es sehr wenige, und sie werden nicht ohne Mühe, ja manchmal unter außerordentlichen<br />

Anstrengungen geschaffen; außerdem ist der Mensch auf die Kunstwerke stolz,<br />

als auf das Werk eines Menschen seinesgleichen – so wie einem Franzosen die (eigentlich<br />

recht schwache) französische Dichtung als die beste von der Welt erscheint, so wird dem<br />

Menschen die Kunst im allgemeinen besonders deshalb lieb, weil sie Menschenwerk ist, weil<br />

unsere Vorliebe für alles Eigene, Verwandte zu ihren Gunsten spricht; außerdem gewinnt sich<br />

die Kunst, wie jeder Schmeichler, die Liebe vieler Menschen, weil sie sich, zusammen mit den<br />

Künstlern, den kleinlichen Launen des Menschen unterordnet, auf die Natur und Leben keine<br />

Rücksicht nehmen, wobei sie sich erniedrigt und entstellt; schließlich genießen wir die<br />

* Siehe Hegel, Sämtl. Werke, Bd. XII, Vorlesungen über die Ästhetik, „Mangelhaftigkeit des Naturschönen“,<br />

Stuttgart 1927, S. 200-212. Die Red.<br />

5 Im Manuskript folgt hier: „Aber auch dieser Fehler – fügen wir wieder hinzu – darf nur dem Verfasser zur Last<br />

gelegt werden, tut dagegen der Sache, die er vertritt, nicht den geringsten Abbruch, denn über den Tanz und die<br />

Bühnenkunst müßte dasselbe, und zwar fast mit denselben Worten gesagt werden, was bei dem Autor in dem<br />

betreffender Abschnitt über die Musik gesagt ist.“<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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