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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 247<br />

von dem Bedürfnis, dem sie entspringt, oder von den Zwecken, die der Künstler mit seinen<br />

Werken verwirklicht. In der herrschenden Theorie der Ästhetik ist eine solche Anordnung<br />

durchaus natürlich, weil der Begriff des Wesens des Schönen der Grundbegriff der gesamten<br />

Theorie [513] ist. Anders ist es in der Theorie Herrn Tschernyschewskis. Der Grundbegriff<br />

seiner Theorie ist die Beziehung der Kunst zur Wirklichkeit, deshalb hätte der Autor auch mit<br />

ihr beginnen müssen. Dadurch, daß er die Reihenfolge übernommen hat, deren sich die anderen<br />

bedienen, und die nicht zu seinem System paßt, hat er nach unserer Meinung einen bedeutenden<br />

Fehler begangen und die logische Geschlossenheit seiner Darstellung zerstört: er war<br />

gezwungen, anfangs von einigen Teilelementen aus der Reihe der vielen Elemente zu sprechen,<br />

die nach seiner Meinung den Inhalt der Kunst bilden, dann von den Beziehungen der<br />

Kunst zur Wirklichkeit und danach wieder vom Inhalt der Kunst überhaupt, danach von der<br />

wesentlichen Bestimmung der Kunst, die sich aus ihren Beziehungen zur Wirklichkeit ergibt –<br />

auf diese Weise sind die zusammengehörenden Fragen auseinandergerissen durch andere Fragen,<br />

die mit der Beantwortung der ersten nichts zu tun haben. Wir erlauben uns, diesen Fehler<br />

zu verbessern, und werden die Gedanken des Autors in der Reihenfolge darstellen, die der<br />

Forderung eines systematischen, in sich geschlossenen Aufbaus besser entspricht.<br />

Indem die herrschende Theorie das Absolute zum Ziel der menschlichen Wünsche erhebt und<br />

die Wünsche des Menschen, die in der Wirklichkeit keine Befriedigung finden, höher stellt<br />

als die bescheidenen Wünsche, die durch Gegenstände und Erscheinungen der wirklichen<br />

Welt befriedigt werden können, wendet sie diese allgemeine Betrachtungsweise, durch die<br />

die Entstehung aller geistigen und moralischen Aktionen des Menschen bei ihr erklärt werden,<br />

auch auf die Kunst an, deren Inhalt, nach ihrer Meinung, das „Schöne“ ist. Das Schöne,<br />

dem der Mensch in der Wirklichkeit begegnet, hat, sagt sie, bedeutende Mängel, die seine<br />

Schönheit zunichte machen; unser ästhetisches Gefühl sucht aber Vollkommenheit; deshalb<br />

wird unsere Phantasie, um das durch die Wirklichkeit nicht zufriedengestellte Verlangen des<br />

ästhetischen Gefühls zu befriedigen, zur Schaffung eines neuen Schönen angeregt, welches<br />

nicht die Mängel besitzen soll, die die Schönheit des Schönen in der Natur und dem Leben<br />

beeinträchtigen. Diese Erzeugnisse der [514] schöpferischen Phantasie verwirklichen sich in<br />

den Werken der Kunst, die frei sind von den Mängeln, die die Schönheit der Wirklichkeit<br />

zugrunde richten, und deshalb sind, genau genommen, nur die Werke der Kunst wahrhaft<br />

schön, während die Erscheinungen der Natur und des wirklichen Lebens nur den Schein der<br />

Schönheit haben. Mithin steht das von der Kunst geschaffene Schöne bedeutend höher als<br />

das, was in der Wirklichkeit schön erscheint (und nur erscheint).<br />

Diese These wird bekräftigt durch eine scharfe Kritik des Schönen, wie es sich in der Wirklichkeit<br />

darbietet, und diese Kritik ist bemüht, in ihm eine Menge von Mängeln zu entdecken,<br />

die seine Schönheit beeinträchtigen.<br />

Da Herr Tschernyschewski die Wirklichkeit über die Träume der Phantasie stellt, kann er nicht<br />

die Meinung teilen, nach der das von der Phantasie geschaffene Schöne angeblich durch seine<br />

Schönheit über den Erscheinungen der Wirklichkeit steht. In diesem Fall wird er, wenn er seine<br />

Grundauffassungen auf die vorliegende Frage anwendet, alle Menschen auf seiner Seite haben,<br />

die diese Auffassungen teilen, und gegen sich alle, die zu der früheren Meinung halten, nach<br />

der die Phantasie der Wirklichkeit überlegen sein kann. Der Rezensent, der mit den allgemeinen<br />

wissenschaftlichen Auffassungen Herrn Tschernyschewskis übereinstimmt, muß ebenso<br />

die Richtigkeit seines besonderen Schlusses anerkennen, daß die Wirklichkeit durch ihre<br />

Schönheit den durch die Kunst verwirklichten Schöpfungen der Phantasie überlegen ist.<br />

Aber das muß bewiesen werden – und Herr Tschernyschewski untersucht anfangs, um diese<br />

Pflicht zu erfüllen, die Vorwürfe, die dem Schönen der lebendigen Wirklichkeit gemacht<br />

werden, und sucht zu beweisen, daß die Mängel, die die herrschende Theorie ihm als Schuld<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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