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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 246<br />

Vorgänger aufdecken, zugleich aber klar aussprechen, wie viel diese Auffassungen zur Entwicklung<br />

ihrer eigenen Gedanken beigetragen haben. Das war zum Beispiel die Einstellung<br />

Spinozas zu Descartes. <strong>Zur</strong> Ehre der Begründer der modernen Wissenschaft muß gesagt werden,<br />

[511] daß sie voller Achtung und mit beinahe kindlicher Liebe zu ihren Vorgängern aufblicken<br />

und die Größe ihres Genies sowie den edlen Charakter ihrer Lehre, in der sie die<br />

Keime der eigenen Betrachtungsweise aufzeigen, vollauf anerkennen. Herr Tschernyschewski<br />

hat ein Verständnis hierfür und folgt dem Beispiel der Männer, deren Gedanken er<br />

auf die Fragen der Ästhetik anwendet. Seine Einstellung zu dem ästhetischen System, dessen<br />

Mängel er sich zu beweisen bemüht, ist durchaus nicht feindlich; er gibt zu, daß dieses System<br />

die Keime auch jener Theorie enthält, die er selbst aufzubauen bemüht ist, und daß er<br />

nur die eigentlich wichtigen Momente weiterentwickelt, die auch in der früheren Theorie<br />

Platz gefunden haben, allerdings im Widerspruch zu anderen Auffassungen, denen das frühere<br />

System größere Wichtigkeit beimaß, und die nach seiner Meinung nicht der Kritik standhalten.<br />

Er ist ständig bemüht, die nahe Verwandtschaft seines Systems mit dem früheren System<br />

zu zeigen, obwohl er nicht verheimlicht, daß zwischen ihnen auch ein wesentlicher Unterschied<br />

besteht. Das spricht er an einigen Stellen positiv aus, und ich will eine von ihnen<br />

anführen: „Die von uns angenommene Auffassung des Erhabenen“ (sagt er auf Seite 21<br />

[386]) „verhält sich also genau so zu der von mir abgelehnten früheren Auffassung wie die<br />

von mir vorgeschlagene Definition des Schönen zu der früheren von mir abgelehnten Ansicht:<br />

in beiden Fällen wird in den Rang des allgemeinen und wesentlichen Prinzips das erhoben,<br />

was früher als sekundäres und Teilmerkmal galt, was durch andere Begriffe, die wir als<br />

nebensächliche verwerfen, der Aufmerksamkeit entzogen war.“<br />

Bei der Darstellung der ästhetischen Theorie Herrn Tschernyschewskis wird der Rezensent<br />

kein endgültiges Urteil über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Gedanken des Autors in<br />

rein ästhetischer Hinsicht abgeben. Der Rezensent hat sich mit Ästhetik nur so weit beschäftigt,<br />

als sie ein Teil der Philosophie ist, er überläßt daher das Urteil über Herrn Tschernyschewskis<br />

Gedanken im einzelnen anderen, die sie vom speziell ästhetischen Standpunkt, der<br />

nicht Sache des Rezensenten ist, gründlich beurteilen können. Ihm [512] scheint jedoch, daß<br />

die ästhetische Theorie des Autors wesentliche Bedeutung gerade als Anwendung der allgemeinen<br />

Betrachtungsweise auf die Fragen einer Fachwissenschaft hat, und ist daher der Meinung,<br />

daß er das Herz der Sache trifft, wenn er untersucht, inwieweit der Autor bei dieser<br />

Anwendung richtig vorgegangen ist. Auch für den Leser wird nach Meinung des Rezensenten<br />

diese Art der Kritik von einem allgemeinen Standpunkt aus interessanter sein, weil die Ästhetik<br />

selber für den Nichtfachmann nur als Teil eines allgemeinen Systems von Auffassungen<br />

über Natur und Leben Interesse hat. Manchen Lesern wird vielleicht der ganze Artikel zu<br />

abstrakt vorkommen, der Rezensent bittet sie jedoch, nicht nur auf Grund der äußeren Form<br />

zu urteilen. Es gibt verschiedene Arten von Abstraktheit: manchmal ist sie trocken und steril,<br />

manchmal dagegen braucht man sich nur in die in abstrakter Form vorgetragenen Gedanken<br />

hineinzudenken, und sie finden sofort eine Menge lebendiger Anwendungen; und der Rezensent<br />

ist entschieden davon überzeugt, daß die Gedanken, die er weiter oben vorgetragen hat,<br />

zu dieser letzteren Art gehören – er sagt das so direkt, weil sie der Wissenschaft gehören und<br />

nicht dem Rezensenten persönlich, der sie sich nur zu eigen gemacht hat, und sie folglich<br />

anpreisen darf, und als Anhänger einer bestimmten Schule das Recht hat, das von ihm angenommene<br />

System zu loben, ohne daß seine persönliche Eigenliebe dabei im Spiele ist.<br />

Bei der Darstellung der Theorie Herrn Tschernyschewskis müssen wir aber die Ordnung umkehren,<br />

an die sich der Autor gehalten hat; nach dem Vorbild der Lehrbücher für Ästhetik der<br />

von ihm abgelehnten Schule untersucht er anfangs die Idee des Schönen, danach die Ideen des<br />

Erhabenen und des Tragischen, beschäftigt sich weiterhin mit der Kritik der Beziehungen zwischen<br />

Kunst und Wirklichkeit, spricht dann vom wesentlichen Inhalt der Kunst und schließlich<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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